Talente suchen Sinnhaftigkeit

Eine Kultur der Sinnhaftigkeit fördert die Gewinnung von Talenten

von Nick Harris und Felix B. Waldeier

Kompetenzbasierte Beurteilungen und Entwicklungspläne gibt es bereits seit Jahrzehnten. Gerade die besten Unternehmen der Welt haben die Bewertung individueller Kompetenzen mit der Zeit immer weiter entwickelt und zentrale Kompetenzfelder wie Ergebnisorientierung, Strategisches Vermögen und Führungsverhalten sind dabei lange Zeit weitestgehend unverändert geblieben.

In der ziemlich unruhigen Zeit seit der Finanzkrise 2008 wurde der sogenannte „War for Talent“ nicht etwa beendet, sondern ist allenfalls nuancierter, stärker einzelfallbezogen und insgesamt eher noch schwieriger geworden. Das Aufspüren von Führungspersönlichkeiten, die in der Vergangenheit eine ausgeprägte Ergebnisorientierung bewiesen haben, reicht heute nicht mehr. Unternehmen müssen jetzt gleichzeitig die zukünftige Leistung von Führungskräften einschätzen und dann jene identifizieren, die das Potenzial und den Charakter aufweisen, um auch in unsicheren, hart umkämpften und sich permanent verändernden Umfeldern zu bestehen. In Zeiten von ständigem Wandel, erhöhter Unsicherheit und steigender Komplexität brauchen Unternehmen mehr als nur solide Leistungsträger. In den Schaltstellen des Managements werden inzwischen Führungspersönlichkeiten gebraucht, die Fähigkeiten wie Belastbarkeit, Anpassungsfähigkeit, intellektuelle Neugier und kreatives „Um-die-Ecke-Denken“ mitbringen. Gerade auch, um damit selbst weitere Talente anzuziehen, die ihrerseits zunehmend anspruchsvoller und wählerischer werden.

Und als wenn das nicht schon herausfordernd genug wäre, stehen Unternehmen und Führungskräfte nun vor einer weiteren, neuen Dimension: Erfolgreich zu sein, reicht nicht mehr – es geht auch darum, Gutes zu tun!

Magnete für Talente

Mitarbeiter und Konsumenten auf der ganzen Welt sagen immer deutlicher, dass sie nicht mit Unternehmen in Verbindung gebracht werden wollen, „die sich nicht um unseren Planeten scheren“. Insbesondere die sogenannten „Millennials” stimmen so immer häufiger „mit ihren Füßen ab“ und wollen nicht dauerhaft für Unternehmen arbeiten, die die Umwelt vernachlässigen oder kein soziales Gewissen zeigen. Sie suchen nach einer Unternehmenskultur, die auch Sinnhaftigkeit einschließt.

Großunternehmen verfügen bereits aufgrund ihrer Größe über potentielle Skalierungs-, Ressourcen- und Kompetenzvorteile. Wenn solche Organisationen nun einen ohnehin existierenden, strukturellen Vorteil verbinden können mit einer neuen Dimension der Sinnhaftigkeit, könnten sie zukünftig gleich auf zweifache Weise zu den Gewinnern zählen. Einmal, weil sie als Anbieter von Waren oder Dienstleistungen attraktiver für Verbraucher werden. Und zum Zweiten, weil sie sich regelrecht zu einem Magneten für solche Mitarbeiter entwickeln könnten, die in einer erfolgsgeprägten und zugleich inspirierenden Kultur arbeiten wollen. Danone könnte zu einem solchen Beispiel werden; dort gibt es traditionell schon lange den Vorsatz “Durch die Herstellung von gesunder Nahrung Gutes tun“. Und jetzt wird es eines der ersten europäischen Großunternehmen, welches seine Organisation in Richtung einer „Benefit Corporation“ weiterentwickelt. Bereits heute erkennt man dort eine positiv abstrahlende Wirkung auf das Thema Talent-Gewinnung!

Der Karrierespagat: Erfolgreich sein und Gutes tun

Gerade für junge Leute ist das Vorhaben, als Konsument oder Mitarbeiter Gutes tun zu wollen nicht wirklich neu. Aber in der gelebten Wirklichkeit wird es manchmal eben doch kompliziert. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen manchmal schwierige, innere Konflikte mit sich austragen bei ihrem – auch vorhandenen – Streben nach Karriere, Geld, Macht und Erfolg. Gerade junge Führungskräfte am Anfang ihrer Karriere kommen dann auch schon einmal in einen Zielkonflikt zwischen Karriereleiter und dem Bestreben, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.

Neugier ist Trumpf

Wer heute eine größere Vorstandsfunktion anstrebt, muss inzwischen internationale Erfahrung (möglichst in mehreren Regionen der Welt) vorweisen. Westliche Unternehmensführer, die einmal eine gewisse Zeit in Märkten wie bspw. China gelebt und gearbeitet haben, berichten danach oft von einer – teilweise fundamentalen – Veränderung ihrer eigenen Perspektive. Die gelernten, vorhersehbaren Lösungsansätze, die sie aus den entwickelten Märkten so gut kannten, funktionieren hier meistens nicht. Die Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit dieser Entwicklungsmärkte ist ungleich höher – und verlässliche Daten und Untersuchungen gibt es i.d.R. nicht. Neugier wird plötzlich zu einem notwendigen Begleiter und die Fähigkeit, „beim Machen zu lernen“, ist überlebenswichtig. Ehrgeiziger Führungsnachwuchs, der sich eine Karriere als quasi vorgezeichnete, gleichmäßige Weiterentwicklung aufgrund von bisher gezeigtem Potenzial, Wissen und Erfahrung vorstellt, wird plötzlich womöglich etwas weniger Spaß beim Entwickeln eines internationalen Geschäfts außerhalb Europas empfinden. Hier ist nämlich plötzlich ein ganz anderes „skill set“ gefragt, um ungeahnte Klippen zu umschiffen und dem ständigen Wandel zu begegnen.

Veränderung gestalten

Um eine große Organisation zu einer tiefgreifenden, inhaltlichen Veränderung wie einer unternehmenskulturellen Neuausrichtung zu bringen, reicht eine “Ansage von oben” nicht aus. Es braucht dazu sowohl den richtigen Dirigenten, der einen solchen Prozess motivierend orchestriert, als auch eine möglichst enthusiastische Unterstützung aus der Organisation heraus. Insbesondere jüngere Mitarbeiter wollen das Gefühl haben, dass ihre Stimme gehört wird, sie wirklich beitragen können – und ihr Beitrag zum Veränderungsprozess auch als wertstiftend wahrgenommen wird. Und Unternehmen müssen darauf achten, dass das Zusammenspiel und der Austausch zwischen interner Organisation und der externen Welt offener und fließender wird – und die Verzahnung zunimmt.

Welche Kompetenzen werden also benötigt, um zu einem erfolgreichen „Veränderer“ zu werden? Erfolgreiche, global agierende Unternehmen suchen verstärkt nach Führungskräften, die sich ähnlich wie erfolgreiche westliche Führungskräfte in China oder Indien aufstellen: zum einen mit der Eigenschaft, extrem neugierig und mit einem großem Blickwinkel an Themen heranzugehen. Zweitens mit der Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten und beim Navigieren durch unbekannte Gewässer Kurs und Nerven zu behalten. Die dritte, möglicherweise entscheidende Kompetenz besteht darin, Ideen und Pläne konsequent umzusetzen – und dabei aufmerksam das Getane zu registrieren und zu einer Art Lernerlebnis werden zu lassen. Etwas bewegen, den Erfolg und den Weg dorthin bewerten – und es dann als Erfahrung anderen vermitteln können. Die Befähigung, dies alles parallel im Auge zu behalten, ist erfolgskritisch. Und schließlich noch die Kompetenz der Einflussnahme. Um andere Menschen zu überzeugen und als Botschafter von Veränderungen zu agieren, braucht es eine Kombination von Fähigkeiten: Empathie, Glaubwürdigkeit und Logik. Sie können nicht einfach mal so eben in einem Land auftauchen und sagen: „Ich komme von der Zentrale und jetzt wird Ihnen geholfen.”

Kompetenzen werden erfolgskritisch

Unabhängig davon, wie Firmen ihre Mitarbeiter heute einordnen und bewerten, die traditionellen Karrierestrukturen werden sich in absehbarer Zeit deutlich verändern. Auch wenn einige der großen, global führenden Unternehmen die Karrieremodelle und Strukturen nicht gleich komplett auf den Kopf stellen: sie haben bereits damit begonnen, sehr viel mehr Wert auf kritische Kompetenzen wie bspw. Lernfähigkeit zu legen. Die Erwartungen an das (Vorbild-) Verhalten von Führungskräften werden hochgeschraubt; Karrierehindernisse werden offener und Hinderungsgründe im eigenen Verhalten (wie z.B. „Mauern“ oder „Aussitzen“) vor allem auch viel früher aufgezeigt.

Die am besten eingeschätzten und am meisten gesuchten Führungskräfte sind zukünftig solche, die nicht nur im Unternehmen exzellente Ergebnisse erzielen, sondern die gleichzeitig auch externe Beziehungen aufbauen und nutzbar machen können – und damit echten Zusatznutzen und Sinnhaftigkeit für Mitarbeiter, Kunden und die Außenwelt erzeugen.

Und die erfolgreichsten und zukünftig beliebtesten Arbeitgeber werden Firmen sein, die ihre Mitarbeiter nicht nötigen, sich zwischen „erfolgreich sein” und „Gutes tun“ als unvereinbare Alternative zu entscheiden.