Zum Wohle von Gesellschaft und Gesellschaftern

Ein Interview mit Lorna Davis, Chief Manifesto Catalyst bei Danone

von Andreas von Specht und Nick Harris

AvS: Danone hat eine Vereinbarung mit B Lab getroffen, einer Organisation, die Unternehmen einen „Benefit Corporations“-Status bescheinigt. Was bedeutet das Konzept der „Benefit Corporation“ für Danone als globales Konsumgüterunternehmen?

Lorna Davis: Es geht darum, einen glaubwürdigen Mechanismus für die Umwandlung eines globalen Unternehmens zu finden, der eine Symbiose zwischen Sinnhaftigkeit und Gewinn ermöglicht. Der B Corporation Status wäre – stark vereinfacht ausgedrückt – so etwas wie das „Fair Trade of Business“. Oder anders gesagt: Jemand schaut sich ein Unternehmen von außen an und kann schnell erkennen, dass es sich um ein „gutes Unternehmen“ handelt. Dieses muss extern motiviert und auch bescheinigt sein, und dabei sowohl einen gesellschaftsrechtlichen, wie auch einen der Allgemeinheit dienenden Zweck aufweisen.

AvS: Wieso ist das so wichtig?

Lorna Davis: Als die gemeinnützige Organisation B Lab die Idee 2006 ins Rollen brachte, tat sie dies aus einer „Versuch-die-Welt-zu-verändern“-Perspektive. Und die 220 Fragen im „B-Impact“-Fragebogen, auf Basis dessen man akkreditiert wird, sind eher auf kleinere Unternehmen ausgerichtet. So bekommt man zum Beispiel sehr viele Punkte, wenn der Einkauf ausschließlich lokal erfolgt. Große Unternehmen haben den Einkauf jedoch global organisiert, was ja auch eine Vielzahl möglicher Vorteile mit sich bringt. Nehmen wir bspw. einmal die Wassermarke „Evian“: Die CO²-Bilanz einer Flasche Wasser, die per Zug und Schiff von Evian nach Shanghai gebracht wird, ist niedriger als die CO²-Bilanz der Flasche, die mit einem LKW nach Brüssel transportiert wird. Wir glauben also nicht, dass „global vs. lokal“ die einzige Fragestellung sein darf. Uns ist klar geworden, dass das B-Corporation-Konzept einerseits sehr interessant ist. Aber um daraus eine echte ‚Bewegung‘ entstehen zu lassen, erfordert es auch die Involvierung großer Unternehmen. Und am Ende werden die Konsumenten dann vermutlich sagen: „Ich möchte nur von Unternehmen kaufen, die nicht nur Geld verdienen, sondern auch Gutes tun.“

AvS: Ist das für Danone nicht die Fortsetzung einer langen Reise?

Lorna Davis: In der Tat, ja. Wir waren auf eine bestimmte Art und Weise schon immer sinnorientiert. 1917, als Daniel Carasso das Unternehmen gründete, wurde Jogurt als gut für den Magen erachtet und in Apotheken verkauft. Dann übernahm Antoine Riboud, der 1972 öffentlich sagte, die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens ende nicht am Firmentor und das sogenannte „Duale Projekt“ als Leitmotiv einführte. Frank Riboud ging in den 90er Jahren nochmals einen Schritt weiter mit der Schaffung der Mission „Gesundheit via Nahrung zu so vielen Menschen wie möglich bringen“. Das Unternehmen verkaufte dann auch konsequent Geschäftsbereiche, die mit dieser Mission nicht in Einklang waren und kaufte gesündere Produkte hinzu, wie bspw. Numico Babynahrung. In den frühen 2000ern begannen wir in der Firma mit dem sogenannten „Danone Way“: ein Trainings-, Akkreditierungs- und Auditierungssystem in der Gruppe um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter weltweit ihre Arbeit auf ethische Weise verrichten. 2006 führten wir „Danone Communities“ ein und entwickelten eine Partnerschaft mit Muhammad Yunus in Bangladesch, um neun Sozialunternehmen zu gründen, die die Welt verändern sollten, jedes in seiner eigenen kleinen Art und Weise. Ihr einziger Zweck liegt in der Schaffung von sozialem Wandel, nicht im Geldverdienen. Später, im Jahre 2009, gründeten wir einen „Ecosystem“-Fonds, welcher 100 Millionen US-Dollar von den Gesellschaftern erhielt. Und wir ermunterten alle unsere Mitarbeiter, wirklich bedeutungsvolle Projekte mit Blick auf ihre Umwelt bzw. ihr lokales Umfeld zu schaffen.

AvS: Wenn Sie in die Zukunft und auf diese Art der Transformation des Kerngeschäfts von Danone blicken – wie teuer und schwierig wird das werden, und wie lange könnte es dauern?

Lorna Davis: Die Antwort auf die Frage ist: Ich weiß es nicht. Die Frage impliziert, dass es sich um ein Entweder-Oder-Spiel handelt, was es auch tatsächlich in der Vergangenheit war.

AvS: Ist es heute immer noch ein Entweder-Oder-Spiel – oder kann man beides tun?

Lorna Davis: Letztendlich denken wir, dass es keinen Zielkonflikt gibt. Aber es ist eine Frage der Zeit bis zur Umsetzung. Wie funktioniert das in einer Woche, einem Vierteljahr, einem Monat, einem Jahr, einem Zyklus? Man braucht dazu Reife, ein Verständnis von Nuancen und ein Gefühl für die Bereiche, in denen wir glauben, dass eine magische Kombination tatsächlich gelingen kann. In Rumänien zum Beispiel hat sich unser Landesgeschäftsführer mit einer lokalen NGO und dem Roten Kreuz zusammengetan, um natürliche Geburten und Stillen zu fördern. Der rumänische Gründer der NGO hat von unseren Führungskräften viel lernen können, bspw. wie man Dinge richtig und effizient anpackt. Und unser Geschäftsführer lernte, wie man in einer lokalen Gemeinschaft tatsächlich etwas bewegen kann. Es gibt viele Menschen in Dörfern und Gemeinden die versuchen, Gutes zu tun. Und dann gibt es Menschen in Unternehmen, die wirklich gut darin sind, erstklassige Ergebnisse zu erzielen. Und wenn man jetzt den Wunsch nimmt, Gutes zu tun, und das mit der Fähigkeit, Dinge anzupacken verknüpft, bekommt man diese magische Kombination. Vor 15 oder 20 Jahren hätten die Menschen nur darüber geredet, es letztlich aber nicht hingekriegt. Aber da die Probleme der Welt immer größer und größer werden und die Menschen zunehmend realisieren, dass das System nicht nachhaltig ist und es einen besseren Weg gibt, sagen sie sich: „Ich stecke mein Geld nur in etwas, woran ich wirklich glaube.“

AvS: Findet das vor allem bei jungem Publikum Anklang, oder ist das gar nicht so eindeutig?

Lorna Davis: Gute Frage! Es ist kompliziert. Für junge Menschen ist das in gewissem Sinne nichts Neues. Für sie ist die Welt nun mal so. Aber was mir auffällt ist, dass wir alle ein bisschen kompliziert sind. Bei Menschen gibt es diese interessante interne Dynamik rund um ihr Verlangen nach Geld, Macht und Erfolg. Insbesondere Menschen mit jungen Familien, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Die haben so eine Art innere Spannung zwischen einerseits dem Wunsch, etwas zu bewegen, und andererseits dem Hinaufklettern der Karriereleiter – ungeachtet dessen, ob diese Leiter auch an der richtigen Wand lehnt. Wir haben noch kein richtiges Muster identifizieren können, außer dass es eine ganze Reihe jüngere Menschen gibt, die eindeutig mitmachen wollen. Es gibt einige Leute, die zum Beispiel in Ecosystems oder Danone Communities arbeiten, die klar dabei sind und auch bereit sind, zusätzliche materielle Ambitionen hintenanzustellen. Und dann wird es komplexer.

AvS: Auf was für Widerstände treffen Sie und wie gehen Sie damit um?

Lorna Davis: Ich mag den Ansatz, dass es im Leben eigentlich nur zwei Realitäten gibt: Liebe oder Angst. Wenn also jemand mit dir in einer Weise umgeht, die sicher keine Liebe ist, muss es – definitionsgemäß – ja eigentlich Angst sein. Die Frage wäre dann: Wovor haben sie Angst? Widerstand ist also nur Angst. Und irgendwie ist es ja verständlich: Wir sind alle ängstlich, sonst wären wir nicht wach! Das Leben kann ganz schön beängstigend sein. Deshalb ist Mitgefühl auch sehr wichtig. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der grundsätzlich immer böse war. Menschen sind nur ängstlich. Mitgefühl ist daher wichtig, um den anfänglichen Widerstand zu überwinden. Auch Glaubwürdigkeit ist wichtig: wenn man nicht weiß, worüber man redet, warum sollte einem dann jemand zuhören? Und dann bedarf es auch Logik. Wenn man denkt, dass die Gründe von jemandem keinen Sinn machen, egal wie viel Mitgefühl er zeigt oder wie viel strukturelle Macht er hat, werden die Menschen nicht zuhören. Man braucht also eine Kombination aus Mitgefühl, Glaubwürdigkeit und Logik. Aber der wichtigste Teil, in beängstigenden Zeiten wie diesen, ist Mitgefühl, denn Menschen haben nun mal Angst.

AvS: Wenn Sie an diese großen Herausforderungen denken, was lässt Sie nachts nicht schlafen?

Lorna Davis: Es ist die Balance zwischen disruptiver Veränderung und Stabilität. Große Unternehmen sind üblicherweise um den Herstellungsprozess herum strukturiert. Sie sind darauf ausgelegt Aktivitäten zu organisieren, zu disziplinieren, Aufgaben in einer Prozesskette zu verteilen. Was wir nun tatsächlich versuchen ist, uns von einem „mechanischen“ zu einem „organischen“ System zu verändern, in dem wir intuitiver agieren und nach außen hin durchlässiger sind, enger verbunden mit NGOs, Regierungen und lokalen Gemeinschaften. Wenn man sich von einem System zum anderen entwickelt, muss man das erste System genug „stören“, damit die Menschen verstehen, dass die alten Regeln nicht mehr gelten. Gleichzeitig muss aber der alte Mechanismus auch mit einem anderen System ersetzt werden. Eines, das flüssiger, natürlicher und organischer ist. Dies alles in Echtzeit zu tun ist nicht einfach.

AvS: Werden die Beschäftigten aktiv mit einbezogen?

Lorna Davis: Als wir das Danone B Corp Manifest eingeführt haben, haben wir die Mitarbeiter gefragt: „Wenn wir dieses Manifest leben würden, wie würde das aussehen?“ Und wir haben einen Preis für die 21 besten Ideen ausgerufen. Unglaubliche Ideen wurden eingereicht, hauptsächlich von jüngeren Mitarbeitern. Kürzlich erreichte uns eine Idee, ein „Manifestival“ zu veranstalten: ein Open-Air-Festival mit einer Kombination von Musik, Botschaften inspirierender, junger „Weltveränderer“ und der Präsentation von sozial wertvollen Projekten. Die Idee ist brillant! Aber es stellt sich natürlich die Frage, wie man sie in die Realität umzusetzen kann. Wir müssen Ressourcen aus einem Teilbereich der Organisation herauslösen, Geld auftreiben und ein Team zusammenstellen. Und das ist nur ein Beispiel. Es gibt hunderte solcher Ideen und jede einzelne bietet die Möglichkeit, eine neue Art der Kommunikation zu erlernen oder eine Leidenschaft zu leben.

AvS: Wie priorisieren Sie die vielen Ideen – haben Sie eine Matrix oder gehen Sie intuitiv vor?

Lorna Davis: Es ist eine Kombination aus beidem. Zunächst nutzen wir eine Art „Crowdsourcing-Technik“, d.h. wenn viele Menschen denken, dass eine Idee gut ist, dann ist sie es wahrscheinlich auch. Zum Beispiel ist eine der eindrucksvollsten Ideen, jeden „Danoner“ zum Botschafter seiner jeweiligen Division in der Firma zu machen. Es könnte bspw. sein, dass es einen Mitarbeiter in der Wassersparte gibt, dessen Schwester schwanger ist – der aber nichts über Babies weiß, obwohl Danone ja auch eine große Babynahrungssparte hat. Es stellt sich also die Frage, wie die Beschäftigten auf das global verfügbare Wissen zugreifen können? Wie bekommen wir jeden einzelnen der 104.000 Danoner in eine Position, zu wissen, was man über den Rest der Firma wissen muss; um dann in der Lage sein, auf Expertise und Ressourcen zuzugreifen, um dieses Wissen auch außerhalb der Gruppe nutzbar zu machen? Es ist eine große Idee und sie ist kompliziert, aber der potentielle Mehrwert ist enorm. Wir verfolgen diese Ideen, weil sie eine große Hebelwirkung haben. Es ist wie eine Matrix: Größe des Mehrwerts / Grad der Schwierigkeit. Es gibt natürlich ein paar Ideen, die groß und schwierig sind. Aber gleichzeitig gibt es Ideen in kleinerem Format, die aber trotzdem wichtig sind, welche ich daher auf lokaler Ebene fördere. Ein junger Mitarbeiter kam mit der fantastischen Idee eines recycelten Containers zu mir, der Solarenergie nutzt um Wasser zu reinigen, zum Beispiel in Afrika. Seine Idee wird nun direkt von seinem Chef finanziert. Er arbeitet derzeit an Prototypen, sodass wir es dann später hoffentlich auch größer ausrollen können.

AvS: Wenn ein Geschäftsführer mit einer brillanten und kommerziell rentablen Geschäftsidee zu Ihnen käme, diese aber nicht den ethischen Vorstellung, die sich die Firma auferlegt hat, entspräche, was würde dann passieren?

Lorna Davis: Das ist eine sehr gute Frage – und gleichzeitig auch einer der Gründe, wieso wir uns so für die externe Welt interessieren. Wir sind kein sehr autoritäres Unternehmen und bemühen uns vor allem, das interne Bewusstsein unserer Mitarbeiter zu schärfen. Aber wenn jemand eine Verpflichtung mit der Welt dort draußen eingeht, sollte man sehr gut darüber nachdenken, bevor man diese womöglich bricht. Ich glaube, dass die externen Verbindungen mit B Corp einen Kreis schließen. Wenn man Teil einer Gemeinschaft ist, die in der Welt etwas bewegen möchte, und man beschlossen und verkündet hat, dass man etwas für das Gemeinwohl tun möchte, dann wird man sich gut überlegen, ob man dieses Versprechen bricht oder nicht. Angenommen, man wechselt zu einem Hersteller ethisch unbedenklicher Verpackungen. Aber die Kosten für diese Verpackung steigen deutlich und man könnte eigentlich problemlos zur ethisch bedenklichen Verpackung, die deutlich billiger ist, zurückgehen – womöglich ohne dass es jemand merkt. Wenn man Teil der Gemeinschaft ist, wird man über diese Fragen anders denken.

Lorna Davis, vielen Dank für diese Einblicke!