Leitlinien für erfolgreiche Inhaberschaft

Wie Firmeninhaber den richtigen Einfluss sicherstellen

von Dr. Christian Bühring-Uhle

“Dalle stalle alle stelle alle stalle” („Aus dem Stall zu den Sternen und wieder zurück in den Stall“) ist ein italienisches Sprichwort für das weltweit bekannte Phänomen, dass nur sehr wenige Familienunternehmen die dritte Generation erreichen oder gar überdauern.

Die Nachhaltigkeit eines Unternehmens hängt von diversen Faktoren ab, und der vielleicht wichtigste ist die Professionalität im Verhalten der Inhaber. Alle anderen zentralen Kriterien – eine überzeugende Strategie, finanzielle Solidität, kompetente operative Führung – sind gebunden an Inhaber, die ihrer Rolle mitsamt ihren Rechten und Pflichten gerecht werden.

Für Einzelunternehmer besteht keine Notwendigkeit, die Rollen von Inhaber und Geschäftsführer zu trennen. Dies ist anders, wenn eine Mehrzahl von Partnern, Nachfolgern oder Mitgliedern einer Unternehmerfamilie gemeinsam (Mit-) Inhaber eines Unternehmens ist. Hier muss zwischen den beiden Rollen unterschieden werden, und zwar selbst dann, wenn alle Mitinhaber in der operativen Geschäftsführung aktiv sind. Denn anders als ein Gründer kann der operativ tätige Mitinhaber nicht machen, was er (oder sie) will. Er (oder sie) ist als Geschäftsführer den übrigen Mitinhabern Rechenschaft schuldig – und muss als Mitinhaber von den anderen Mitgeschäftsführern Rechenschaft einfordern.

Vielen Mitinhabern, insbesondere in der zweiten Generation, ist diese Unterscheidung nicht bewusst. Die Kinder des Unternehmensgründers haben diesen als Alleininhaber und „Herrscher aller Reußen“ erlebt und sehen darin oft ein Vorbild für ihr eigenes Verhalten. In Unternehmerfamilien wird oft nur unterschieden zwischen denen, die in der Firma arbeiten und denen, die „draußen“ sind. Die Rolle des nicht operativ tätigen Inhabers, mit den dazugehörigen Rechten und Pflichten, muss gelernt – und respektiert – werden, und denjenigen, die aktiv im Familienunternehmen arbeiten, kommt häufig übermäßiger Einfluss, übermäßige finanzielle Teilhabe, aber auch übermäßige Verantwortung zu. Die Überbewertung der operativ tätigen und die Unterbewertung der bloß „passiven“ Mitinhaber lässt auch häufig einen erheblichen Druck auf Mitglieder der Nachfolgergeneration entstehen „in die Firma zu gehen“, selbst wenn diese Tätigkeit gar nicht den eigenen Fähigkeiten und Neigungen entspricht – oft mit verheerenden Folgen für Unternehmen und Familie (die Buddenbrooks lassen grüßen). Es gibt nun mal kein „Unternehmer-Gen“, das automatisch an nachfolgende Generationen vererbt wird. Die Folge: unter der Führung von mäßig fähigen, oder schlicht unfähigen Familienmitgliedern erreichen oder überdauern wenige Unternehmen die dritte Generation.

Dies kann man nur vermeiden, wenn man die Rollen von Inhaber und operativem Geschäftsführer gedanklich und in der Praxis sauber trennt und sich bewusst macht, dass die operative Geschäftsführung durchaus Dritten übertragen werden kann, dass es aber unmöglich ist, der Inhaberverantwortung zu entfliehen (es sei denn man überträgt das Eigentum). Es mag der Tradition und den Werten vieler Unternehmerfamilien widersprechen, aber die eigentlich wichtige, unverzichtbare Rolle ist nicht die desjenigen, der das Unternehmen im Tagesgeschäft führt, sondern die des (Mit-) Eigentümers, der zwar aus Sicht des Tagesgeschäfts „draußen“ sein kann, aber niemals passiv sein darf.

Ein erfolgreicher, aktiver Inhaber (bzw. Inhaberkreis)…

  • …formuliert – und lebt – die fundamentalen Werte des Unternehmens.
  • …definiert Mission und “raison d’être”, die grundsätzlichen strategischen Ziele und den Kurs des Unternehmens.
  • …wählt und „installiert“ die operative Führung (d.h. interessiert Top-Talente für das Unternehmen und holt und hält sie an Bord, unabhängig davon ob es sich um interne oder externe Talente handelt).
  • … „führt die Führung“ (d.h. inspiriert das Top-Management, fordert heraus, coached, incentiviert und evaluiert die Führungskräfte).
  • …trifft die fundamentalen finanziellen Entscheidungen: Gewinnverwendung, Thesaurierung und Kapitalerhöhungen (d.h. wann „Geld aus der Firma nehmen“ und wann „Geld in die Firma hineintun“).
  • …gestaltet und entwickelt die Struktur (Governance, Investitionen und Desinvestitionen, Mergers & Acquisitions).
  • …etabliert die grundsätzlichen Prozesse zur Klärung der obigen Punkte.

Wie wird man dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht? Der erste Schritt ist Bewusstseinsbildung („Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“). Dazu bedarf es einer ehrlichen Diskussion zwischen allen Mitinhabern über die Richtung und die Spielregeln für das gemeinsame Unternehmen, und einer klaren Dokumentation des gemeinsamen Willens, bspw. in einer Gesellschafterverfassung oder einem Familienprotokoll. Dazu gehört ein ehrlicher Meinungsaustausch zur Frage, welche Aufgaben durch „das Kollektiv“ der Eigentümer, mit oder ohne professionelle Begleitung, gemeinsam wahrgenommen werden sollten und was man besser delegiert. Sobald die Inhabergruppe eine bestimmte Größenordnung erreicht hat (das kann schon ab drei Personen relevant werden, wenn es eine Mischung aus „aktiven“ und „passiven“ Gesellschaftern gibt), kann es sinnvoll sein, ein Aufsichts- und Steuerungsgremium einzusetzen. Dieses nimmt dann einen guten Teil der oben aufgeführten Aufgaben des Inhabers wahr, so dass nur die wirklich fundamentalen, „nicht delegierbaren“ Themen einer Entscheidung durch die Gesamtheit der Inhaber vorbehalten bleiben. Dies entspricht der typischen dreistufigen Governance-Struktur, die man von Aktiengesellschaften kennt: mit Vorstand als Geschäftsführungsorgan, Aufsichtsrat als Überwachungsorgan und Hauptversammlung als Plenarversammlung. Viele, insbesondere größere Familienunternehmen haben diese dreistufige Struktur übernommen, mit Geschäftsführung, Beirat und Gesellschafterversammlung als den drei Instanzen. Eine solche Struktur ermöglicht eine praktisch sinnvolle Arbeitsteilung und hat sich bewährt.

Der Dreh- und Angelpunkt solcher Strukturen ist der Beirat bzw. der Aufsichtsrat, da hier die wichtigsten Inhaberfunktionen gebündelt und – im Idealfall – einer Gruppe von sorgfältig ausgesuchten Profis anvertraut werden. Dies können Mitglieder des Inhaberkreises, Externe, oder – und dies ist häufig der Fall – eine Kombination aus beidem sein. Entscheidend ist, dass eine Gruppe von unabhängig denkenden und handelnden Menschen zusammengestellt wird, die eine gewisse Vielfalt an relevanten Erfahrungen einbringen, anerkannten und sachgerechten Praktiken folgen und idealerweise durch eine(n) erfahrene(n), unabhängige(n) Vorsitzende(n) geführt werden. So wird sichergestellt, dass die richtigen Themen (alles was wirklich wichtig ist – nicht mehr und nicht weniger) mit der richtigen „Eintauchtiefe“ behandelt und einer sachgerechten und rechtzeitigen Entscheidung zugeführt werden.

Ein gutes Governance-System ist nicht nur wichtig, um die Interessen der Inhaber wahrzunehmen und das gemeinsame Vermögen nachhaltig zu sichern. Es ist auch eine wesentliche Erfolgsbedingung für die Geschäftsführung. Egal, ob es sich um Familienmitglieder oder externe Manager handelt, Top-Führungskräfte benötigen (und erwarten) einen handlungsfähigen Inhaber, damit in Fragen, die sie selbst nicht entscheiden können, weil sie den Horizont der Geschäftsführung im Tagesgeschäft überschreiten (etwa Unternehmensfusionen, große Investitionen oder Desinvestitionen, Top-Personalentscheidungen etc.), rechtzeitige und sachgerechte Entscheidungen sichergestellt werden. Und auch ein Top-Manager braucht einen funktionsfähigen „Chef“: jemand, der ihn fordert, fördert, begleitet, beurteilt, ehrliches und hilfreiches Feedback gibt und Fairness walten lässt, wenn über die Vergütung (oder das Schicksal) des Managers entschieden wird. Die wirklich guten Führungskräfte haben immer auch Alternativen, und wenn sie sich für oder gegen einen Arbeitgeber entscheiden, ist immer auch ein zentrales Kriterium, ob das Unternehmen eine professionelle und berechenbare Governance-Struktur hat. Eine europäische Umfrage von EY und AvS – International Trusted Advisors hat 2016 herausgefunden, dass Führungskräfte die Governance-Systeme potenzieller Arbeitgeber vor ihrer Entscheidung genau unter die Lupe nehmen. Das gilt auch, wenn es die eigene Familie ist – Familienunternehmen müssen sich immer öfter auch um den Nachwuchs aus den eigenen Reihen bemühen. Eine Umfrage unter Betriebswirtschaftsstudenten, die zu Unternehmerfamilien gehören, hat ergeben, dass weniger als ein Viertel von ihnen beabsichtigt, eine Karriere im eigenen Familienunternehmen zu verfolgen.

Und was sind die „Don’ts”? Unzureichende Governance-Strukturen weisen typischerweise einige oder mehrere der folgenden Merkmale auf:

  • Kernthemen werden oberflächlich und in unstrukturierten Prozessen verarbeitet und anhand unsachgemäßer, subjektiver Kriterien entschieden.
  • Es wird versäumt, sorgfältig durchdachte Alternativen aufzuzeigen und zu diskutieren.
  • Es gibt zwar einen Beirat, aber das ist kein professionelles Aufsichtsgremium, sondern eine Art „Kaffeekränzchen“, das sich aus ergrauten Familienmitgliedern und loyalen (und unkritischen) Freunden der Familie zusammensetzt, schwierigen Fragen aus dem Weg geht und niemandem weh tut.
  • Es fehlt ein starker, unabhängiger Beirats-/Aufsichtsratsvorsitzender, der die wichtigen Themen auf die Tagesordnung setzt, für brauchbare Entscheidungsvorlagen sorgt, das Gespräch ordnet, „den Finger in die Wunde legt“, ein Mentor und fairer Sparringpartner für das Management ist und als „Brücke“ zwischen Management und Inhabern, sowie zwischen Fraktionen im Inhaberkreises dient.
  • Es gib keinen regelmäßigen und professionellen Evaluierungs- und Feedback-Mechanismus für die Arbeit des Beirats/Aufsichtsrats.
  • Mittelmäßiges Management durch Familienmitglieder und loyale Angestellte, die nicht auf Basis der zukünftigen Anforderungen sondern nach „Verdienst“ ausgewählt werden (sofern es überhaupt einen Auswahlprozess gibt und nicht einfach die Leute mit den Führungsaufgaben betraut werden, „die zur rechten Zeit am rechten Ort sind“). In Familienunternehmen findet man häufig Anschauungsmaterial für das „Peter-Prinzip“, wonach Mitarbeiter so lange in der Hierarchie weiterbefördert werden, bis sie den Punkt ihrer eigenen Inkompetenz erreichen.
  • Reale, oder auch nur wahrgenommene „Vetternwirtschaft“, die familienfremde Potenzialträger früher oder später demotiviert und abwandern lässt.

Manche dieser Faustregeln mögen sehr offensichtlich oder geradezu banal erscheinen, aber sie umzusetzen und aus gefestigten Mustern auszubrechen ist oft nicht leicht – aber es lohnt sich!