Generationenübergänge effektiv gestalten

Ein Interview mit Dr. Andreas Jacobs, Mitglied des Verwaltungsrats der Jacobs Holding AG

von Carolyn Lutz und Felix B. Waldeier

Hermann Hesse sagte einmal, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne. Aber es gibt auch Risiken. Der Start einer Führungskraft in einer neuen Position ist ein kritischer Moment im Leben der Führungskraft und auch des Unternehmens. Doch während der Auswahl dieser Führungskraft in einem umfassenden Suchprozess oft große Energie und Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist es aus unserer Sicht mindestens genauso wichtig sicherzustellen, dass die Führungskraft tatsächlich darauf vorbereitet ist, in der neuen Rolle erfolgreich zu sein.

Wenn der Start eines CEOs misslingt, liegt dies in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht an einem fehlerhaften Recruiting, sondern häufiger an Problemen, die sich im ersten Halbjahr der Amtszeit ergeben: Dazu zählen zum Beispiel unzureichende Vorbereitung, fehlendes Bewusstsein für häufig unerwartet komplexe Zusammenhänge und mangelndes Verständnis für die interne Politik. Die ersten drei bis sechs Monate sind daher entscheidend für den Erfolg (oder Misserfolg) in der neuen Rolle – ganz gleich, wie erfahren und gut vorbereitet die neue Führungskraft sein mag. Dem Onboarding muss das Unternehmen deshalb besonders große Aufmerksamkeit widmen, unabhängig davon, ob es sich um eine interne oder externe Besetzung handelt. Diese Situation gestaltet sich meist noch kritischer, wenn die neue Führungskraft der erste externe (Chief) Executive in einem familiengeführten Unternehmen ist. Und erst recht, wenn es das erste Mal ist, dass diese Person überhaupt für ein Familienunternehmen tätig ist.

In unserer Praxis haben wir die Unterstützung unserer Klienten und ihrer neuen Führungskräfte während der kritischen Onboarding- und Integrationsphase zu einem integralen Bestandteil jedes Executive-Search-Prozesses gemacht. Wir glauben, dass ein gut geplanter und umgesetzter Integrationsplan auch die Firmenkultur berücksichtigt. Damit wird sowohl die Zeit erheblich verkürzt, welche neue Führungskräfte benötigen, um ihre volle Wirkungskraft zu entfalten, als auch das Risiko des Scheiterns verringert („hired on competency, fired on chemistry“).

Die aktive Unterstützung des Integrationsprozesses beginnt in dem Moment, in dem der Start der neuen Führungskraft vorbereitet wird. Im Mittelpunkt des ersten Gesprächs stehen die Chancen und Risiken, die sich im neuen Unternehmen und/oder in der neuen Funktion ergeben können – und die damit verbundenen Gefahren. Für jeden Neuanfang ist dies ein wichtiger Austausch, insbesondere bei Familienunternehmen, da diese meist eine Vielzahl von „ungeschriebenen Regeln“ besitzen. Dies kann ein heikler Moment sein, und jedes Unternehmen kann von professioneller Unterstützung profitieren, wenn eine neue Führungskraft auf die neue Rolle vorbereitet wird.

Die Integrationsunterstützung sollte deutlich vor dem Start der Führungskraft in der neuen Organisation beginnen und damit definitiv vor dem ersten Arbeitstag. Die neue Führungskraft muss ein Verständnis für die neue Firmenkultur entwickeln, zum Beispiel wer die wichtigsten Interessengruppen sind (zu denen auch Personen gehören können, die Teil der Inhaberfamilie sind, aber keine formelle Rolle in der Organisation haben), was deren konkrete Rolle im Unternehmen ist, welchen Arbeitsstil sie pflegen und welche die Erwartungen (und Bedenken) sind, die von den Inhabern, dem Beirat und dem mittleren Management gegenüber dem neuen Manager gehegt werden.

Die möglichen Auswirkungen dieser Erwartungen müssen berücksichtigt und Strategien entwickelt werden, wie die neue Führungskraft am besten kommuniziert, was sie oder er zu tun gedenkt. Wie sieht die Agenda der neuen Führungskraft aus, wer muss darauf eingestimmt werden und was sind die potenziellen Fallstricke des Jobs? Ein klarer Kommunikationsplan dient der Verankerung der Agenda und kann der Schlüssel für die Zustimmung wichtiger Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens sein.

Vor dem Start in die neue Position sollte klar sein, wen die neue Führungskraft in den ersten Tagen treffen muss und welche Schritte erforderlich sind, um das Unternehmen so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Dazu können Maßnahmen gehören, die darauf abzielen, eine klare und transparente Sicht auf das neue Team – insbesondere in der direkten Berichtslinie – und dessen Wünsche, Hoffnungen und Ängste zu erhalten. Personalisiertes Coaching kann der Führungskraft helfen, Vertrauen in ihr Team zu entwickeln und sich über erste Eindrücke Klarheit zu verschaffen. Aktive Integrationsunterstützung während der ersten drei Monate kann Coaching, 360-Grad-Evaluationen und gezieltes Feedback umfassen, die alle darauf ausgerichtet sind, dem Manager zu helfen, schnell „Traktion“ in dem Unternehmen zu erreichen. Es sollte auch eine Feedbackschleife eingerichtet werden, die sicherstellt, dass die neue Führungskraft bei Bedarf schnell eine Kurskorrektur einleiten kann.

Viele Unternehmen gehen davon aus, dass sie ein erfolgreiches Onboarding selbst organisieren können – oder sogar auf einen systematischen Onboarding-Prozess verzichten können. Wir haben Fälle gesehen, in denen davon ausgegangen wurde, dass Top-Führungskräfte schon wüssten, wie sie zurechtkommen sollen. Und in der Tat kann man nachvollziehen, dass eine hocherfahrene, hochqualifizierte – und hoch bezahlte – Führungskraft beim Antritt ihrer neuen Position eigentlich wissen sollte, was erforderlich ist, um ihren Anfang erfolgreich zu gestalten. Dazu zählt auch eine gründliche „Due Diligence“ (einschließlich „Referenzprüfungen“ und Treffen mit Stakeholdern) vor dem Antritt. Aber nichts desto trotz bleibt dies ein kritischer Moment, den selbst erfahrene Führungskräfte nicht so oft durchlebt haben werden. Und es wäre ein Fehler anzunehmen, dass der Erfolg in dieser Situation nur von der jeweiligen Führungskraft abhängt. Es ist im Gegenteil eine Aufgabe des gesamten Unternehmens, die insbesondere in der Verantwortung der Eigentümer und ihrer Vertreter, in vielen Fällen des Beirats und insbesondere dessen Vorsitzenden liegt.

Nach unserer Erfahrung sind deshalb zusätzliche Maßnahmen zur Integration einer Führungskraft, die sicherstellen, dass diese die bestmögliche Anfangswirkung erzielt, eine sinnvolle Investition. Die Kosten für das Scheitern von Onboarding und Integration können sehr hoch sein – und Unternehmen müssen verstehen, dass ein erfolgreicher Start nicht allein durch einen professionellen Suchprozess gewährleistet ist.

Im Herbst 2019 hat AvS – International Trusted Advisors in Zusammenarbeit mit PwC und INSEAD die erste paneuropäische Umfrage unter großen Familienunternehmen zu den Erfolgsfaktoren für externe Führungskräfte in Familienunternehmen organisiert. Eines der Hauptthemen ist die erfolgreiche Integration neuer Führungskräfte. Wir hoffen, die Ergebnisse im ersten Halbjahr 2020 präsentieren zu können.