Gewinner der Krise?

Familienunternehmen im Auge des Sturms (4)
Eine internationale Umfrage

In unserem ersten Artikel haben wir uns auf die massiven Herausforderungen fokussiert, vor denen Familienunternehmen (FU) stehen – und wie sich diese beispiellose Krise auf die Unternehmen auswirkt. Im zweiten Artikel haben wir beschrieben, wie sich Familienunternehmen anpassen, um zu überleben – und welche Maßnahmen sie im Kampf gegen die Krise ergriffen haben. Im dritten Artikel ging es um die Chancen, die viele der FUs erkennen, und wie sie diese zu nutzen gedenken. In diesem abschließenden Artikel wollen wir uns schließlich der Frage zuwenden, die uns am meisten interessierte, als wir die Umfrage initiierten: Sind Familienunternehmen besser in der Lage, Krisen zu überstehen?

Zwar waren eine ganze Reihe von Befragten der Ansicht, dass keine bestimmte Unternehmensform einzigartig positioniert sei, um turbulente Zeiten zu überstehen – und dass es (mit den Worten eines CEO) „nur gut geführte Unternehmen und schlecht geführte Unternehmen gibt“. Die meisten Inhaber und Geschäftsführer von FU glauben aber dennoch, dass ihr eigenes Unternehmen von einer Reihe von spezifischen Merkmalen profitiert, die es in einer Krise widerstandsfähiger machen als bspw. börsennotierte Unternehmen. Dazu gehören:

Langfristige Orientierung

Praktisch alle Befragten argumentierten, dass FU „einen anderen Horizont haben, wenn es um kritische Entscheidungen geht“ und glaubten sich als Unternehmensführer eher in der Lage, eine langfristige Perspektive einzunehmen. „Familienunternehmen werden schon deswegen weniger von kurzfristigen Faktoren beeinflusst, weil es keine externen Investoren gibt“. FU-Eigentümer und ihre CEOs neigen dazu, in Dekaden zu denken. Folglich tendieren sie viel weniger dazu, Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig helfen können, aber längerfristig dauerhaften Schaden anrichten. Dies könnte einer der Gründe sein, warum die meisten unserer Gesprächspartner Massenentlassungen als völlig undenkbar oder zumindest als ‚ultima ratio‘ betrachten.

Mehrgenerationen-Orientierung

Zu dieser langfristigen Orientierung gehört auch ein Mehrgenerationen-Denken. Sowohl in dem Sinne, dass die Eigentümer sich des Vermächtnisses bewusst sind, das nachfolgenden Generationen hinterlassen wird; aber durchaus auch mit der Überlegung, wie die ‚nächste Generation‘ heute schon frisches Denken und neue Motivation einbringen kann. Befürworter der Diversität sind zudem davon überzeugt, dass diese zu besseren Entscheidungen führt. Bei diesen FUs kommt Diversität aber nicht nur von ‚geschlechterausgewogenen‘ Teams, sondern auch über den Input verschiedener Generationen bzw. Altersgruppen. Selbst wenn Familienangehörige teilweise noch „Millennials“ – und damit noch nicht vollständig erfahren – sind, werden deren kreatives Denken und Beiträge von manchem Inhaber bewusst aufgenommen. Und dann auch genutzt, um die Mitglieder der ‚nächsten Generation‘ näher an das Unternehmen heranzuführen.

Nachhaltige Finanzen

Die meisten Befragten sind der Meinung, dass Eigentümer von FU im Vergleich zu börsennotierten Unternehmen eine grundlegend andere Einstellung in Bezug auf den Einsatz der Finanzen, Liquiditätssteuerung und den restriktiven Umgang mit Schulden haben. „Dies ist ein konservatives, familiengeführtes Unternehmen. Wir haben in der Familie und in der Geschäftsführung immer an ‚cash is king‘ geglaubt. Heute sind wir reich an Liquidität und haben null Schulden“, so ein durchaus typisches Zitat eines FU-CEOs. Man kann sicher argumentieren, dass diese konservative, eher risikoaverse Art auch Nachteile haben kann; es besteht aber kaum Zweifel daran, dass sich viele FUs jetzt in einer solideren finanziellen Ausgangslage bei der Krisenbekämpfung befinden als mancher Großkonzern mit weitreichender Verschuldung.

Schnelligkeit

Hohe Reaktionsgeschwindigkeit und schnelle Entscheidungsfindung werden oft als Vorteile von FUs angeführt. Ein FU-CEO, der zuvor bei einem der größten Konzerne im Konsumgüterbereich tätig war, erklärte, dass FUs „viel besser sein können als Konzerne, wenn sie Schnelligkeit und Transparenz in der Entscheidungsfindung zu ihrem Vorteil nutzen. Ein Manager bei Nestlé oder Unilever hingegen hat es erst einmal mit dicken Organisationsschichten und Bürokratie zu tun“.

Loyalität

Viele Eigentümer geben legen großen Wert darauf, ihre Mitarbeiter für deren Engagement und ihre Krisenfestigkeit zu loben; „Das Team hat weltweit eng zusammengestanden“ ist ein typischer Kommentar, und FUs erfreuen sich ohnehin einer geringeren Mitarbeiterfluktuation als viele Großkonzerne. Loyalität muss natürlich in beide Richtungen gehen, und FUs scheinen grundsätzlich wirklich engere Beziehungen zu ihren Mitarbeitern zu haben. Viele tun wirklich alles, um Entlassungen zu vermeiden, und gehen auch in Bezug auf das Humankapital mit langfristiger Orientierung vor: sie versuchen Arbeitnehmer auch in Zeiten des Abschwungs zu halten, um den Verlust kritischer Kompetenzen zu vermeiden – und auch um den Ruf als Arbeitgeber im ständigen Wettbewerb um Talente nicht zu gefährden. Ein weiteres Beispiel aus der Umfrage ist ein Konsumgüterunternehmen, das im Jahr 2020 keinerlei Lohnkürzungen für Arbeitnehmer vorgenommen hat, obwohl es in diesem Jahr mit einem starken Umsatzrückgang konfrontiert sein wird. Der CEO dieses Familienunternehmens sagte dazu: „Wir hatten 2019 ein Rekordjahr, und wir müssen den Menschen für diese Leistung danken.“

Kundennähe

FUs neigen dazu, tiefe Wurzeln zu schlagen und bauen eher langfristige, vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Kunden auf. Beispielsweise hat ein FU, das einige der größten globalen Lebensmittelkonzerne beliefert, ein „Supply-Chain-Dashboard“ für einen Schlüsselkunden entwickelt, um ihm eine präzisere Produktionsplanung zu ermöglichen.

Werte

Viele Befragte sprachen hochgradig emotional über die besonderen Werte und die Kultur ihres FU. Für viele gibt es eine Daseinsberechtigung und Zielsetzung, die weit über das „bloße Geldverdienen“ hinausgehen, und FUs werden häufig als „mit größerem Verantwortungsbewusstsein handelnd“ beschrieben. Andere glauben, dass es „einfacher ist, seinen Inhabern gegenüber loyal zu bleiben… und nachhaltig zu handeln“. Und für Eigentümer, die mit ihrem Namen hinter dem Geschäft stehen, zählt natürlich der Ruf ganz besonders.

Unternehmergeist

Familienunternehmen haben „echte Eigentümer“, die sich finanziell und emotional für das Unternehmen engagieren, im Gegensatz zu „angestellten Managern, die immer auch einen persönlichen Plan B haben“ und jederzeit gehen können, wenn ihnen danach ist. FU-Eigentümer, die das Gefühl haben, in guten wie in schlechten Zeiten „bleiben zu müssen“, zeichnen sich dagegen typischerweise durch unternehmerisches Verhalten und eine „Ärmel hochkrempeln“-Einstellung aus.

Geschichte

Nicht zuletzt sprachen einige Befragte stolz über die lange Geschichte ihrer Unternehmen und darüber, wie sie sich von früheren Generationen inspirieren lassen, die bereits Krisenzeiten durchlebt haben. Dieser Punkt hängt auch mit der langfristigen Orientierung zusammen, über die wir bereits gesprochen haben – geht aber noch darüber hinaus. Es geht dabei auch um institutionelle Solidität, Belastbarkeit und um ein besonderes Gespür, dass „was auch immer geschieht, auch dies vorbeigehen wird“. Oder wie ein Gesellschafter feststellte: „Wir sind seit 140 Jahren im Geschäft, und wir haben schon so viele Krisen erlebt!“

Die meisten Familienunternehmen sind Mittelständler und haben als solche oft schlicht nicht die Größe und globale Präsenz von Großunternehmen; sie sind eingeschränkter in der Lage, Ressourcen rund um den Globus zu bewegen und Schwächen in bestimmten Märkten kurzfristig auszugleichen. Und gerade Unternehmensführer, die ihre Karriere in Großkonzernen begonnen haben, wiesen darauf hin, dass viele FUs auch immer noch schwächer in Bezug auf Systeme und Prozesse sind.

Wir haben allerdings aus dieser Umfrage eindeutig den Schluss ziehen können, dass Familienunternehmen tatsächlich einige einzigartige DNA-Bausteine aufweisen, die gerade in Krisenzeiten hervortreten. Inmitten einer beispiellosen globalen Schockwelle mit täglichen Negativschlagzeilen waren wir verblüfft und angenehm überrascht über die positive Grundeinstellung und das Zutrauen der Gesellschafter und Geschäftsführer von Familienunternehmen.

Ein großes Dankeschön an alle Unternehmensführer, die großzügig ihre Zeit zur Verfügung gestellt und ihre Gedanken für diese Umfrage mit uns geteilt haben!

Andreas von Specht und Nick Harris.