Historische Herausforderungen

Familienunternehmen im Auge des Sturms (1)
Eine internationale Umfrage

In den vergangenen Wochen haben wir uns öfters die Frage gestellt, wie sich die aktuelle Pandemie auf Familienunternehmen (FU) auswirkt. Das Bild ist sehr vielfältig und nuanciert, mit großen Unterschieden je nach Geografie, Industriezweig, Vertriebskanal und u.a. abhängig davon, ob ein Unternehmen von den Regierungen als „systemkritisch“ eingestuft wird oder nicht. Auch mussten wir erkennen, dass sich die Auswirkungen der Krise permanent verändern – wie bspw. der CEO eines internationalen FMCG-Unternehmens zusammenfasste: „Am Anfang lag die größte Herausforderung auf der Angebotsseite. In Zukunft wird die Herausforderung darin bestehen, was mit der Nachfrage und dem Vertrauen der Verbraucher geschieht.“ Im Folgenden listen wir einige der Hauptprobleme und Herausforderungen auf, vor denen FUs derzeit stehen:

Unsicherheit

Über den meisten Unternehmen hängt z.Z. das Damoklesschwert von Volatilität und „völliger Unberechenbarkeit“. Während die Regierungen in vielen Ländern jetzt unter Druck ihre Pläne für ein stufenweises Zurückfahren der nationalen Abriegelungen offenbaren, gibt es viel Kaffeesatzleserei darüber, ob, wann und wie die Normalität zurückkehren wird (V-Kurve? U-Kurve? L-Kurve?). Vorausschauendes Planen kann sich in diesen Zeiten wie Rätselraten anfühlen, und viele CEOs versuchen Handlungsoptionen in unterschiedlichen Szenarien zu durchdenken („best case, base case, worst case“).

Physische Gesundheit und Sicherheit

Was die direkten Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter betrifft, so haben einige Unternehmen, z.B. in der Schweiz und in Teilen Deutschlands, nur geringe Infektionsraten und wenige Krankenhausaufenthalte zu verzeichnen, während in Unternehmen an „Virus-Hotspots“ (wie z.B. in Norditalien) Ausfälle bei großen Teilen der Belegschaft zu beklagen sind. Ein italienisches Unternehmen musste sich mit der Situation auseinandersetzen, dass 40% der Mitarbeiter am Hauptstandort mit dem Virus infiziert waren; verschärfend kam hinzu, dass die lokale Gemeinde mit einem hohen Altersdurchschnitt eine schockierende Zahl von Todesopfern zu beklagen hat – fast alle Mitarbeiter hätten Familienmitglieder oder Freunde verloren. In den Werken mussten rasch neue Sicherheitsmaßnahmen und Schichtmuster konzipiert und eingeführt werden.

Psychisches Wohlbefinden

In engem Zusammenhang mit der Gewährleistung der physischen Sicherheit gewann auch die Förderung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten eine entscheidende Bedeutung. „Es gibt einen großen Bedarf für Händchenhalten“, sagte ein CEO. Eine Inhaberin berichtete, dass eine ihrer größten Herausforderungen darin besteht, „alle bei Laune zu halten“. „Häusliche Probleme sprießen aus dem Boden, und die Leute reden jetzt viel mehr mit mir. Ich ermutige gerade die Männer, sich zu öffnen und zu reden! Psychologische Bedürfnisse und Ängste müssen angesprochen werden.“ Es besteht ein offensichtliches Bedürfnis für FU-Eigentümer, auf persönlicher Ebene eine Verbindung zu ihren Mitarbeitern herzustellen; „es gab noch nie eine Zeit, in der ich so viel nach dem Wohlergehen der Eltern, Großeltern und natürlich der Kinder unserer Mitarbeiter gefragt habe – schließlich sind wir doch alle eine große Familie!“

Verlust von Schlüsselarbeitskräften

Aufbauend auf den beiden o.g. Herausforderungen ist ein bedeutender Trend in einigen FUs, dass „Schlüsselarbeitskräfte“ wochenlang nicht verfügbar sind. Eine Reihe von Unternehmensführern berichtete uns, wie das Virus eine (übermäßige) Abhängigkeit von Einzelpersonen aufgezeigt habe, die – zumindest kurzfristig – unersetzlich sind, da sie z.B. über spezifisches technisches Wissen verfügen oder persönlich eine wichtige Kundenbeziehung betreuen. Während Großkonzerne in der Regel detaillierte Richtlinien für die Personalentwicklung haben und Top-Führungskräfte dort meistens über Stellvertreter verfügen, haben mittelständische FUs oft keine solche „Führungsreserve“. Das Vorhalten einer „Talent-Reserve“ ist dort gar nicht zu finanzieren; und bei Schlüsselarbeitskräften, die i.d.R. langjährige und sehr loyale Mitarbeiter sind, geht man ohnehin oft davon aus, dass sie bis zur Pensionierung im Unternehmen bleiben sollen.

Rückläufiger Umsatz

Die geschätzten Auswirkungen der Krise auf den Umsatz variieren je nach Sektor und Vertriebskanal sehr stark. Eine Reihe von FUs, die z.B. im Bereich der Lebensmittelverpackungen oder der Medizintechnik tätig sind, haben in den letzten zwei Monaten sogar von einem deutlichen Umsatzanstieg profitiert, der durch Panikkäufe der Verbraucher oder durch staatliche Käufe im Gesundheitswesen ausgelöst wurde. Sogar bei Privatbanken haben die Handelsvolumina u.a. dank aktiverem Portfoliomanagement zugenommen. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen, bspw. in den Bereichen Industrie, langlebige Konsumgüter, Automobil, Transport, Freizeit und Gastgewerbe, hat jedoch drastische Umsatzeinbrüche hinnehmen müssen – manchmal in einer im Hinblick auf die Schnelligkeit des Nachfrageeinbruchs beispiellosen Höhe. Der CEO eines Automobilzulieferers prognostiziert, dass sein Unternehmen im April und Mai einen Umsatzrückgang von -80% und für 2020 einen Rückgang von -40% erleiden würde. Ein anderer CEO, diesmal im Bereich der langlebigen Konsumgüter, hob hervor, wie unterschiedlich die Auswirkungen je nach Vertriebskanal seien – ein Umsatzeinbruch von 40% über Elektrohandelsketten im März und April, der teilweise durch einen beeindruckenden Umsatzanstieg von +270% im Online-Handel kompensiert werde.

Liquidität

Für die meisten Unternehmen – und natürlich gerade auch für FUs – hat das Cash-Management oberste Priorität. Auffallend ist jedoch, wie viele FUs keine echten Cashflow-Probleme haben; sie sind meist unbelastet von hoher Verschuldung und ihre Gesamtfinanzlage wird als „solide“ eingeschätzt. Einige Eigentümer haben sich zwar über „allzu vorsichtige“ bzw. „wenig hilfreiche“ Banken beschwert, die nicht bereit sind, Kredite zu verlängern. Und natürlich erwähnen auch viele Unternehmer den Zahlungsverzug von Kunden („Einige Kunden in Italien haben uns mitgeteilt, dass sie ihre Zahlungen für sechs Monate aussetzen wollen!“). Insgesamt aber scheinen die meisten der von uns befragten FUs relativ gut positioniert zu sein, um diese Krise zu überstehen. [Auf die Gründe für dieses wichtige Unterscheidungsmerkmal von FUs werden wir im 4. Artikel basierend auf unserer Umfrage eingehen.]

Unterbrechung der Versorgung

Viele Versorgungsketten – oft global, komplex, auf ‚just-in-time‘-Basis betrieben – sind durch zahlreiche Faktoren ernsthaft gestört worden, darunter Werksschließungen, die Unfähigkeit von Grenzgängern zu pendeln, und die schwankende Verfügbarkeit sowie der Preis von Rohstoffen. Logistikunternehmen, die sich bspw. mit der Lieferung wichtiger medizinischer Produkte an Krankenhäuser oder von Verbrauchsgütern befassen, die nun plötzlich von „unter Hausarrest stehenden Verbrauchern“ online gekauft werden, wurden dagegen von einer Flut von Bestellungen überwältigt.

Abhängigkeit von China

Mit dem oben Gesagten verbunden, aber ein wegen der übergroßen Bedeutung für viele Unternehmen besonderes Problem, ist China. Sehr viele der Befragten erwähnten das Land in verschiedenen von Problemen geprägten Zusammenhängen im ersten Quartal des Jahres – zumeist aufgrund einer merklichen Abhängigkeit von entweder chinesischen Zulieferern oder Kunden.

Insgesamt jedoch, und obwohl sich die Befragten ihrer enormen Belastungen und Verantwortlichkeiten zutiefst bewusst sind, haben wir ein größeres Gefühl des Optimismus festgestellt als wir erwartet hatten. Wir waren angenehm überrascht von der großen Entschlossenheit und dem offenkundigen Vertrauen in die eigene Stärke, welches viele Befragte ausstrahlten. In den nächsten beiden Artikeln werden wir diese Haltung weiter beleuchten und untersuchen, welche konkreten Maßnahmen die Verantwortlichen von FUs bereits ergriffen haben – und wo sie Chancen für die künftige Entwicklung sehen.