Aktives Nachfolge-Management

Die Rolle der Aufsichtsorgane bei der Nachfolgeplanung für CEOs

von Dr. Christian Bühring-Uhle

Jedes Jahr werden mindestens 10-15% der CEO-Positionen neu besetzt und dabei hat insbesondere der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums eine besondere Rolle und Verantwortung. In der Realität kann man jedoch bei der Bewältigung von Nachfolgesituationen immer wieder schwerwiegende Fehler beobachten – mit manchmal fatalen Folgen für das Unternehmen.Jedes Jahr werden mindestens 10-15% der CEO-Positionen neu besetzt, was einer durchschnittlichen Verweildauer von höchstens sieben bis acht Jahren entspricht. Obwohl es sich nicht nur um eine außergewöhnlich wichtige, sondern auch unausweichliche Aufgabenstellung handelt, sind die meisten Unternehmen darauf nicht vorbereitet. In den Vereinigten Staaten können Aktionäre das „Board of Directors“ sogar im Klagewege zur Erstellung eines Nachfolgeplans zwingen, und dennoch hat eine Umfrage in den USA ergeben, dass in 50% der Unternehmen das Board of Directors sich nicht in der Lage sah, im Bedarfsfall einen Nachfolger zu benennen. In 40% der Unternehmen wurde angegeben, dass es nicht einen einzigen geeigneten, internen Nachfolgekandidaten gäbe. Dies scheint keine allzu große Sorge zu sein, da die auf das Thema Nachfolge verwandte Zeit im Durchschnitt gerade einmal zwei Stunden im Jahr beträgt. Dabei ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsorgans (sei es Aufsichtsrat oder aufsichtsführender, also nicht bloß beratender Beirat) sicher zu stellen, dass das Unternehmen bestmöglich geführt wird, d.h. dass die Person an der Spitze den gegenwärtigen – und insbesondere den zukünftigen – Anforderungen an die Führung des Unternehmens maximal gerecht wird.

Dies bedeutet, dass das Aufsichtsorgan nicht nur den Mann oder die Frau an der Spitze des Unternehmens begleiten und beaufsichtigen und wissen muss, wann es Zeit für einen Wechsel an der Spitze ist. Sondern auch, dass das Aufsichtsorgan insbesondere dafür Sorge tragen und Vorkehrungen treffen muss, dass jedweder Wechsel an der Spitze, sei er nun turnusmäßig oder unvorhergesehen, zu der für die Zukunft des Unternehmens optimalen Besetzung führt. Diese Verantwortung für die Nachhaltigkeit des Unternehmens ist vielleicht die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsorgans überhaupt. Insbesondere der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums hat hier eine besondere Rolle und Verantwortung. Die Realität sieht leider allzu oft anders aus, denn gerade bei der Bewältigung von Nachfolgesituationen kann man immer wieder schwerwiegende Fehler beobachten – mit manchmal fatalen Folgen für das Unternehmen.

Wir kennen aus unserer Praxis natürlich auch positive Bespiele. So wurden wir vom Verwaltungsratsvorsitzenden eines größeren, börsennotierten Unternehmens bereits mehr als ein Jahr vor dem frühestmöglichen Ausscheiden des CEOs um ein Angebot zur Begleitung der Nachfolge gebeten. Insbesondere aus dem Mittelstand sind uns allerdings auch viele Fälle bekannt, wo CEO-Nachfolgen schlicht gar nicht vorbereitet und organisiert wurden. Ganz häufig haben ja selbst durchaus signifikante Mittelständler überhaupt kein Aufsichtsgremium und damit auch niemanden, der dem langgedienten Vorsitzenden zu der Einsicht verhilft, dass eine echte „Unternehmerleistung“ erst mit einer erfolgreichen Übergabe vollendet ist.

Um diesem Thema gerecht zu werden, sollte man bedenken, dass es hier nicht um ein punktuelles Ereignis geht, sondern um einen kontinuierlichen Prozess, der einerseits strategischen Charakter hat und andererseits ein wichtiger Eckstein der dem Aufsichtsorgan obliegenden Risiko-Management-Funktion ist. Es wird überwiegend angenommen, dass, ceteris paribus und insbesondere in größeren Organisationen, eine interne Nachfolge externen Lösungen überlegen ist, unter anderem weil ein interner Nachfolger das Unternehmen (und seinen Markt, seine Wettbewerber etc.) besser kennt und auf die Spitzenaufgabe systematisch vorbereitet werden kann. Und tatsächlich wird, jedenfalls bei größeren Unternehmen, die Nachfolge häufig intern gelöst.

Die erhofften Vorteile einer geordneten Übergabe können einigermaßen verlässlich nur realisiert werden, wenn über Jahre kontinuierlich daran gearbeitet wird, dass möglichst eine Mehrzahl grundsätzlich geeigneter Kandidaten zur Verfügung steht. Ein wirklich geeigneter Kandidat für die Spitzenposition wächst nicht von selbst heran, zumal in der neuen Aufgabe ganz andere Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale gefordert sein werden, als in den Aufgaben, die die internen Leistungsträger bislang zu bewältigen hatten.

Im Mittelstand sind allerdings viele Unternehmen aufgrund ihrer Unternehmensgröße und den zur Verfügung stehenden organisatorischen und finanziellen Ressourcen schlechterdings außer Stande, Nachfolgekandidaten im Unternehmen vorzuhalten. Das gilt nicht nur für CEO-Kandidaten, sondern häufig für sämtliche Führungsfunktionen.

Ein Aufsichtsorgan wird seiner Aufgabe nur gerecht, wenn es das Thema „Nachfolge“ aktiv managt und einen wesentlichen, idealerweise den überwiegenden Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit der Zukunft widmet, anstatt in der Beschäftigung mit dem Status Quo und vertrauten Gesichtern zu verharren. Auch kann das Aufsichtsorgan diese Aufgabe nicht dem aktuellen Stelleninhaber überlassen. Wenn sich der langjährige CEO einen „Kronprinzen“ nach eigenem Geschmack heranzieht, und womöglich auch noch nach der Stabübergabe an die Spitze des Aufsichtsorgans wechselt (was auch heute noch häufig zu beobachten ist), dann darf es nicht verwundern, wenn das Unternehmen den sich wandelnden Anforderungen irgendwann nicht mehr gewachsen ist. Dazu kommt die Gefahr, dass der frühere Vorsitzende dann gerne zum „back-seat-driver“ mutiert und aus dem Aufsichtsgremium die Geschicke lenkt. Unsere Erfahrung ist hier: Wenn ein starker CEO-Nachfolgekandidat solch eine Konstellation wittert, dann kommt er meistens gar nicht erst. Die andere Gefahr: Ein eben nicht so starker Vorgänger (bei Familienunternehmen gelegentlich zu besichtigen) sucht sich gleich jemand Handzahmes – oder jemanden, der noch schwächer ist, als er selbst.

Einige praktische Empfehlungen an Inhaber und Aufsichtsorgane:

  • Es empfiehlt sich, die Anforderungskriterien, den Prozess für die Regelung der Nachfolge, sowie den „Pool“ an kurz- und mittelfristigen Kandidaten ausführlich zu diskutieren, zu dokumentieren und in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Insbesondere im Hinblick auf die für die Spitzenposition zu fordernden Kompetenzen sollte die Messlatte hoch gelegt werden. Das Erarbeiten dieser Eignungs- und Erfahrungskriterien ist eine ebenso wichtige wie anspruchsvolle Aufgabe.
  • Der aktuelle CEO spielt insbesondere beim Aufbau eines Kandidaten-Pools eine wichtige Rolle, darf den Prozess aber nicht monopolisieren. Und die Mitglieder des Aufsichtsgremiums müssen diese Menschen auch kennenlernen und einen eigenen „Draht“ zu ihnen entwickeln.
  • Auch wenn die Unternehmensgröße es erlaubt, systematisch an einer internen Nachfolgeplanung zu arbeiten, ist es häufig von Vorteil, auch externe Kandidaten in den Besetzungsprozess mit einzubeziehen, da man damit nicht nur die Auswahl erweitert und die Aussichten auf „frisches Blut“ erhöht, sondern auch, weil ein interner Nachfolger, der sich gegen externe Kandidaten durchgesetzt hat, ein besseres „Standing“ haben wird, wenn er die neue Aufgabe in Angriff nimmt. Darin steckt aber auch eine Gefahr – dass nämlich interne Kandidaten „verbrannt“ oder demotiviert werden. Ein solches, zweigleisiges Vorgehen muss daher sorgfältig gemanagt und moderiert werden und erfordert ein großes Maß an Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
  • Selbstverständlich erfordert ein gutes Nachfolge-Management ein Höchstmaß an Vertraulichkeit. Diese wird in der Praxis häufiger außer Acht gelassen, als man meinen würde. Hier ist eine erhöhte Wachsamkeit insbesondere von Seiten des Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums unerlässlich.
  • Insbesondere bei einer externen Besetzung muss dafür Sorge getragen werden, dass der neue Mann (oder die Frau!) an der Spitze reibungslos in die neue Position (und ggf. die Organisation) integriert wird.
  • Last but not least muss es einen (konkreten!) Notfall- und Interimsplan geben, falls der CEO kurzfristig und unerwartet (aus welchem Grund auch immer) „ausfällt“.

Wenn diese Empfehlungen beherzigt werden, dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass aus Krisen Chancen werden, denn eines ist klar: Das einzig Beständige im Leben – auch im Leben von Unternehmen – ist der Wandel.