Zukunft braucht Mut

Warum Altersvielfalt ein wichtiges Thema für Aufsichtsräte ist

von Anthony Harling und Dr. Christian Bühring-Uhle

Wenn man über Vielfalt in Unternehmen („Diversity“) spricht, dann geht es in der Regel um das Verhältnis der Geschlechter in den Unternehmensorganen. In den letzten 20 Jahren haben sich Unternehmen systematisch bemüht, mehr Frauen in die Aufsichtsräte zu holen, und die positiven Auswirkungen dieses Trends sind gut dokumentiert. Es geht jedoch um mehr. Vielfalt drückt sich in zahlreichen weiteren Attributen aus – ein wirklich ausgewogenes Gremium würde die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit widerspiegeln, und das nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern auch in Bezug auf Alter, ethnischen Hintergrund, nationale Herkunft und regionale Unterschiede. Im Bereich Gender Diversity haben die Unternehmen bereits ein starkes Bewusstsein entwickelt, obwohl auch hier noch viel zu tun bleibt. Das nächste große Thema könnte „Age Diversity“ sein – denn Aufsichtsräte, auch das ist kein Geheimnis, sind alt und werden immer älter: Das Durchschnittsalter der Aufsichtsratsmitglieder von S&P 500-Unternehmen stieg von 61 im Jahr 2005 auf 63 im Jahr 2015.

Über die Auswirkungen der Altersvielfalt auf die Leistung des Aufsichtsrates gibt es relativ wenige Forschungsergebnisse, so dass man mit generalisierenden Schlussfolgerungen vorsichtig sein muss. Eines der seltenen Beispiele: Eine aktuelle Studie von Unternehmen an der OMX Stockholm beschäftigte sich über das Thema der Geschlechtervielfalt hinaus mit den Auswirkungen der Altersvielfalt auf die Unternehmensleistung. Die Schlussfolgerung, dass „die Altersvielfalt die Unternehmensleistung, gemessen an der Kapitalrendite, signifikant beeinflusst“, ist mindestens bemerkenswert.

Die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für Themen der „Corporate Governance“ in den letzten Jahren geht einher mit einer zunehmenden Kritik an hergebrachten Verhältnissen: „zu männlich, zu deutsch, zu alt“, wie es die Süddeutsche Zeitung beschreibt. Die Regeln haben sich geändert und vorausschauend agierende Unternehmen weisen den Weg. Der Ausbau der Vielfalt im Aufsichtsrat ist mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Art und Weise, wie das Unternehmen über aktuelle Themen denkt, ändern wird.

Aber was konkret machen die Unternehmen? Warum spielt Altersvielfalt eine Rolle? Einige große US-Unternehmen haben sich an die Spitze der Bewegung gestellt. Der US-Einzelhändler Macy’s hat 2014 eine 45 Jahre alte EVP von Starbucks in den Aufsichtsrat berufen. Annie Young-Scrivner konnte eine überzeugende Erfolgsgeschichte in ihren früheren Führungspositionen bei PepsiCo und Starbucks vorweisen, als sie in den Aufsichtsrat von Macy’s eintrat. Dennoch stellt die Ernennung von jemandem ohne vorherige CEO- oder Board-Erfahrung für ein so großes, hochkarätiges Unternehmen eine bemerkenswerte Abkehr von der bisher gängigen Praxis dar. Dass dies als Erfolg gewertet wurde, zeigt sich darin, dass Macy’s im Jahr 2015 die 42-jährige Leslie Hale, Executive Vice President, Chief Financial Officer und Treasurer des RLJ Lodging Trust, in den Aufsichtsrat berufen hat. Und Starbucks ernannte Clara Shih im Jahr 2011, als diese gerade einmal 29 Jahre alt war. Geographisch näher ist das Beispiel von Dr. Christina Reuter, die 2016 im Alter von 30 Jahren in den Aufsichtsrat der Kion Group AG berufen wurde. Jüngere, talentierte Führungskräfte ohne Vorstandserfahrung beginnen, Zeichen zu setzen.

Die Gründe für diesen neuen Trend sind vielfältig:

Zunächst einmal besteht kein Zweifel daran, dass jeder externe Kandidat für den Aufsichtsrat die erforderlichen Fähigkeiten, Einsichten und Kompetenzen mitbringen muss, die eine Ernennung auf dieser Ebene erfordert. Es reicht nicht aus, jünger als das Durchschnittsalter der bestehenden Aufsichtsratsmitglieder zu sein, der Kandidat muss außergewöhnliche Kompetenzen vorweisen.

Der Schritt in Richtung eines vielfältigeren Aufsichtsrats kann dem Unternehmen in vielen Bereichen Vorteile bringen. Die Aktionäre mögen sich eine Zeitlang für den Neuheitsfaktor interessieren, aber es ist die finanzielle Performance des Unternehmens, die auf lange Sicht am wichtigsten ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein jüngeres, vielfältigeres Profil dem Unternehmen einen besseren Einblick in das Verbraucherverhalten verschafft. Und es wird den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern helfen, den Einfluss von Technologie und sozialen Medien auf die Zukunft ihres Geschäfts besser einzuschätzen zu können. Junge Aufsichtsräte werden vermutlich auch ein höheres Maß an Innovation, ein höheres Tempo des Wandels fordern. Unternehmen stehen vor einer schnelllebigen und sich ständig verändernden Welt, in der die alten Gewissheiten durch neue, agile Wettbewerber und Realitäten in Frage gestellt werden. Es reicht nicht aus, auf diese Faktoren nur zu reagieren – Unternehmen müssen vorausschauend handeln und sich auf eine andere Welt vorbereiten. Diese Entwicklung erfordert Mut, aber sie ist lebensnotwendig.

Was sind die Hindernisse für eine größere Altersvielfalt in Aufsichtsräten? Das Thema wird auf kurze Sicht keine Frage der Gesetzgebung sein. Es wird einige Unternehmen geben, die dies als dringende Priorität ansehen, und andere, die nicht so besorgt sind. In der Praxis wird es vom Willen des Aufsichtsrates als Ganzem abhängen. Wenn die derzeitigen Aufsichtsratsmitglieder aus Angst vor Umwälzungen eine abwartende Haltung einnehmen, dann ist es weniger wahrscheinlich, dass es zu Veränderungen kommt. Werden jüngere Aufsichtsratsmitglieder von ihren Aufsichtsratskollegen ausreichend ernst genommen werden? Die Erfahrung von Macy’s und anderen Unternehmen zeigt, dass diese Probleme überwunden werden können. Die schwierigere Frage ist, wo die passenden Kandidaten zu finden sind.

Wenn man nicht bereits mit jemandem in einer früheren Leitung- oder Aufsichtsfunktion zusammengearbeitet hat, kann man nicht wissen, wie sich ein neues Aufsichtsratsmitglied verhalten wird – insbesondere, wenn das potenzielle Aufsichtsratsmitglied keine Erfahrung in einer solchen Funktion hat. Die Anforderungen müssen daher vorher klar verstanden werden. Der Aufsichtsrat muss sich möglicherweise auch grundsätzlicher mit dem Thema Governance befassen, um dies zu beurteilen. Dies ist jedenfalls ein Thema, mit dem sich Aufsichtsräte heutzutage ernsthaft beschäftigen müssen.

Was müssen wir heute tun, um uns für die Zukunft erfolgreich zu positionieren? Wie wichtig ist die Frage der Altersvielfalt für uns heute? Wir meinen, Altersvielfalt ist kein „nice to have“, sondern eine Frage der Nachhaltigkeit, ja des Überlebens – und sie bringt auch mehr „Leben in die Bude“!