Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Der wichtige Einfluss von Diversität in Aufsichtsgremien

von Carolyn Lutz und Andreas von Specht

Vielfalt im Aufsichtsgremium ist enorm wichtig. Die Gründe dafür wurden in zahlreichen Studien nachhaltig belegt, wie Michael Hathorn in unserem Interview für diese Ausgabe von „The Trusted Advisor“ erneut betont. Unternehmen mit Aufsichtsgremien, in denen verschiedene Geschlechter, kulturelle Erfahrungen und Standpunkte vertreten sind, treffen bessere Entscheidungen und erzielen am Ende höhere Renditen. Vielfalt ist ein wesentliches Element eines erfolgreichen und kompetenten Aufsichtsgremiums – und nicht etwa eine „Zwangsmaßname“ oder ein Zugeständnis an besondere Interessen. Darüber hinaus werden Unternehmenslenker, die von einem diversitären, effektiven Aufsichtsgremium begleitet und kalibriert werden, als zukunftsgewandte, moderne Führungskräfte respektiert.

Während die Notwendigkeit von Vielfalt in Führungs- und Aufsichtsgremien also an Akzeptanz gewinnt, verändert sich die tatsächliche Zusammensetzung nur relativ langsam. Ein homogen mit „weißen, älteren Herren“ besetzter Aufsichtsrat, in dem dann die „bekannten Namen“ sitzen, ist für Vorsitzende relativ einfach zu handhaben und entspricht auch der ausrechenbaren Begleitung, die so mancher CEO sich und seinem Unternehmen ganz gerne geben möchte. Der vielfältig besetzte Aufsichtsrat hingegen ist weniger einig, hört anders zu und fordert stärker heraus. Durch die z. B. ethnische, alters- oder geschlechtsspezifische Vielfalt der einzelnen Mitglieder wird die notwendige Breite und Tiefe an Perspektiven und Erfahrungen geboten. Dadurch gelingt es dem Gremium, seine Annahmen zu hinterfragen und bessere Entscheidungen zu treffen. Der Business Roundtable, eine einflussreiche Gruppe von Führungskräften, hat kürzlich eine Erklärung veröffentlicht, die explizit eine höhere Diversität in Aufsichtsgremien mit einer besseren Leistung in den beiden Schlüsselbereichen Aufsicht und Wertschöpfung verbindet.

Vielfalt geht dabei weit über das Geschlecht hinaus. Sie kann sich auch z.B. in unterschiedlichen Fähigkeiten, Lebenserfahrungen und Philosophien der Räte manifestieren. Der Sinn eines vielseitig besetzten Aufsichtsgremiums ist es, das Stereotyp von „weiß, männlich, alt“ zu überkommen. So soll eine frischere Sichtweise auf Herausforderungen und Chancen erzeugt und kontroverse Diskussionen und unterschiedliche Denkweisen genutzt werden, um die beste Lösung für das Unternehmen zu finden. Ein breiteres Spektrum an kollektiven Eigenschaften, und nicht die Anhäufung bereits vorhandener Kompetenzen erlaubt es dem Aufsichtsgremium, seine Aufgaben im Bereich Governance und strategische Aufsicht besser zu erfüllen. Ein zu homogener Aufsichtsrat ist für ein Unternehmen daher ein strategisches Risiko und kann zur Belastung werden.

Die meisten Unternehmen haben sehr heterogene Kundenstämme. Daher sollte man eigentlich annehmen, dass unterschiedliche Standpunkte und Erfahrungen bei den wichtigsten strategischen Diskussionen rund um z. B. Innovationen der beaufsichtigten Unternehmen sinnvollerweise einbezogen werden sollten. Wirklich innovative Ideen, die auf bisher unbekannte oder unterversorgte Märkte ausgerichtet sind, können ja nur entstehen, wenn man vom gängigen Weg abweicht und die Dinge nicht so macht, wie sie immer schon gemacht wurden. Mehrperspektivische Problemanalysen können die Dynamik des Aufsichtsrats verändern und führen am Ende eher zu qualitativ hochwertigen Entscheidungen als Diskussionen, die mit einem „homogenen Gruppendenken“ geführt werden. Natürlich ist letzteres etwas bequemer und wahrscheinlich weit weniger herausfordernd.

Ein vielfältiges Aufsichtsgremium kann indirekt auch dabei helfen, die Attraktivität des Unternehmens für seine (hoffentlich heterogene) Belegschaft zu steigern; indem z. B. ein starkes Signal gesetzt wird, dass die Entwicklung von Frauen und Minderheiten für das eigene Unternehmen wirklich wichtig ist. Dies gilt auch für die Gewinnung von Nachwuchskräften und Potenzialträgern von außerhalb des Unternehmens. Angesichts des tobenden „Kampfs um Talente“ kann es sich schlicht kein Unternehmen mehr leisten, nach außen im Wettbewerb um Top Talente die falschen Signale zu senden!

Ein vielfältig besetztes Aufsichtsgremium kann sicherlich auch die Reputation der Organisation bei den Investoren verbessern. Aufgrund der nachgewiesenen positiven Korrelation zwischen dem Unternehmenswert und der Diversität im Aufsichtsrat ist dies ein Faktor, der zunehmend von institutionellen Investoren bei Bewertungen berücksichtigt wird. Die großen, global agierenden Unternehmen haben sich hierauf längst eingestellt.

Eine einfache Maßnahme zur Förderung der Heterogenität im Aufsichtsrat ist die Einbeziehung von Frauen in das Gremium – allgemein bekannt als „Geschlechter-Diversität“. Wie sagte schon Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Eigentlich klingt die Berufung weiblicher Räte nach einer relativ einfach zu implementierenden und logischen Lösung. In der Praxis sind jedoch viele Gremien weiterhin zu 100% männlich besetzt oder haben maximal eine „Vorzeige“-Frau.

Die Gründe für das Scheitern der Berufung diversitärer Kandidaten sind zahlreich und beginnen ehrlicherweise häufig mit kollektivem Widerstand gegen echte Veränderungen. Bei der Rekrutierung von Aufsichtsratsmitgliedern werden wir zu Beginn oft mit einer „Wunschliste“ konfrontiert. Eine häufig genannte Voraussetzung ist dann z. B., dass ein neuer Beirat oder Aufsichtsrat erfolgreich als CEO fungiert haben muss. Dadurch wird die Auswahl der geeigneten Kandidatinnen automatisch stark eingeschränkt, und die bekannten Probleme reproduzieren sich selbst. Auch (ehemalige) Top Berater(innen) werden häufig ausgeschlossen. Junge, weniger erfahrene Profile sowieso. Andere Gründe können landeskultureller Natur sein: in männlich dominierten Gesellschaften werden Frauen oft nicht dieselben Bildungsmöglichkeiten, beruflichen Entwicklungen und Netzwerke zuteil, die sie nach gängiger Meinung zu einer Aufsichtsratsposition befähigen würden. Gesellschaftliche Normen sorgen so dafür, dass Frauen für bestimmte berufliche Herausforderungen weniger gut ausgebildet erscheinen als Männer, und bei der Vergabe solcher Positionen am Ende auch von sich aus gar kein Interesse mehr zeigen.

Weltweit sind die Fortschritte bei der Geschlechtervielfalt in den Aufsichtsgremien bestenfalls gemischt; sollte die Entwicklung so weitergehen wie bisher, wird Geschlechterparität wohl erst im nächsten Jahrtausend erreicht werden. Vielfalt im Aufsichtsrat kann jedoch durch eine Reihe von (zugegebenermaßen teilweise umstrittenen) Maßnahmen gefördert werden, beispielsweise durch das Auferlegen von Quoten oder die Verbesserung der Offenlegung nach dem „comply or explain“-Ansatz mit der Hoffnung, dass die Unternehmen ihre Vielfalt erhöhen, um eine Schädigung ihrer Unternehmensmarke zu vermeiden.

Die Einführung von Quoten bezieht sich auf die obligatorische Verpflichtung zur Ernennung eines Mindestanteils an weiblichen Führungskräften. Seit 2006 muss beispielsweise jedes börsennotierte Unternehmen in Norwegen sicherstellen, dass Frauen mindestens 40 % der Aufsichtsratspositionen besetzen. Im Jahr 2016 gab es in Norwegen 45,4 % weibliche Räte und 34 % Ausländer, was natürlich auch als „vielfältig“ angesehen werden sollte, da dies i.d.R. eine andere Sprache und Kultur impliziert. Viele europäische Länder haben ähnlich verbindliche Anforderungen an die Geschlechter-Diversität umgesetzt (mit Ausnahme z. B. der Schweiz, die reine „Empfehlungen“ hat). Im Jahr 2016 hatten Frauen in Deutschland 26,4 % der Aufsichts-Positionen in quotenpflichtigen Unternehmen inne. Interessanterweise hatten aber 60 % der nicht quotenpflichtigen Unternehmen in Deutschland 30 % oder mehr Frauen in ihren Aufsichts- oder Beiräten.

Neben den umstrittenen Quoten kann auch Transparenz und Offenlegung als Maßnahme zur Erhöhung der Vielfalt im Aufsichtsrat versucht werden. Unternehmen sind gemäß dem Corporate Governance-Kodex verpflichtet, ihre Diversitäts-Politik bei der Ernennung von Aufsichtsräten offenzulegen, damit z. B. Investoren eine angemessene Bewertung vornehmen können. Wer solche Maßnahmen nicht umsetzt, muss ihre Nichteinhaltung im Corporate-Governance-Bericht begründen. Dies wird mit viel Phantasie auch wortreich gemacht, ist aber zunehmend schwierig. Der Corporate Governance Kodex Großbritanniens (2010) schreibt beispielsweise vor, dass Unternehmen Vielfalt bei der Ernennung von Aufsichtsratsmitgliedern berücksichtigen müssen, die Diversitäts-Politik des Aufsichtsrates in ihrem Jahresbericht beschreiben sollen und über Fortschritte bei der Erreichung dieser Ziele berichten müssen. Im Jahr 2017 hatten die 100 größten FTSE gelisteten Unternehmen 33,3 % weibliche Räte und 24,5 % Ausländer. In einer Cranfield-Studie aus dem Jahr 2017 hoben erfahrene Aufsichtsrats-Gutachter nochmals die großen Vorteile hervor, die Vielfalt im Aufsichtsrat bedeutet.

Die Schweiz, ganz ohne verbindliche Frauenquote, holt im Bereich Geschlechter-Diversität in den Verwaltungsräten langsam auf. Im Jahr 2017 waren in den 20 Unternehmen des Swiss Market Index 22,2 % der Verwaltungsräte Frauen und 37 % der in den letzten 12 Monaten ernannten Räte waren weiblich. Das Land zählt mit 61 % zu den Ländern mit den höchsten Werten, wenn es um die Internationalität (d.h. Ausländeranteil) der Gremien geht.

Es müssen mehr qualifizierte Kandidaten und vor allem Kandidatinnen identifiziert werden, die den Nominierungsausschüssen normalerweise gar nicht zur Kenntnis gelangen würden. Wir sind es inzwischen gewohnt, dass wir bei der Suche nach Bei- und Aufsichtsräten von den Vorsitzenden ausdrücklich aufgefordert werden, gerade auch Kandidaten zu identifizieren, die über ihr typisches Sichtfeld hinausgehen. Wir brauchen aber noch mehr solche Vorsitzende, die diesen Mut aufbringen!