Warum Unternehmen (noch) nicht mehr für Nachhaltigkeit tun

Befragung nennt überraschende Gründe für die Zurückhaltung vieler Eigentümer und Manager in Sachen Nachhaltigkeit

Politik und Regulierungsbehörden haben die Anforderungen an Unternehmen erhöht, Strategien und Geschäftsmodelle an ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien auszurichten. So befindet sich die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung in der finalen Abstimmungsphase. Ab dem Geschäftsjahr 2025 werden nicht nur kapitalmarktorientierte Unternehmen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen müssen. Auf nationaler Ebene wurde 2022 der Deutsche Corporate Governance Kodex reformiert mit zum ersten Mal konkreten Empfehlungen zur Unternehmensführung aus Nachhaltigkeitsperspektive. Der Kodex fordert auf, das Nachhaltigkeitsmanagement nicht mehr vom Kerngeschäft zu separieren. Vielmehr zielen die Empfehlungen auf eine integrierte, nachhaltige Unternehmensführung. Vorstand und Aufsichtsrat sollen die positiven und negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit eruieren und strategisch sowie finanziell berücksichtigen.

Wenn gesetzliche („hard law“) und vorgesetzliche („soft law“) Forderungen an Unternehmen mit einer solchen Dringlichkeit gestellt werden, dann muss sich dahinter die Auffassung von Politikern, Regulierungsbehörden und letztlich Wählerinnen und Wählern verbergen, dass Unternehmen gegenwärtig zu wenig in Sachen Nachhaltigkeit tun. 

Angenommen, dies ist der Fall: Warum ist das so? Wollen Unternehmen nicht? Haben sie keinen Sinn für nachhaltige Geschäftsmodelle? Können sie diese nicht umsetzen? Werden sie durch geschäftliche, kundengetriebene Zwänge daran gehindert? Gibt es andere Hinderungsgründe wie fehlende gesetzliche Vorgaben, mangelndes Interesse von Fremd- oder Eigenkapitalgebern, fehlendes internes Know-how?

Genau mit diesen Fragen setzt sich eine aktuelle Studie auseinander, die Prof. Dr. Christian Rennert (TH Köln), Eva Schulz-Kamm (AvS Advisors) und Jens Kürten (JK Consulting) in der ersten Jahreshälfte 2023 erstellt haben. Zunächst wurden qualitative Interviews mit acht Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten geführt. Danach wurden in der quantitativen Phase 39 Personen der obersten Führungsebene (Aufsichtsrat, Vorstand, Geschäftsführung) von Familiengesellschaften und kleineren börsennotierten Unternehmen nach ihrer Einschätzung befragt, wo wesentliche Hindernisse für eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeit liegen und in welchen Organisationseinheiten vordringlich die Notwendigkeit für Kompetenzaufbau in Sachen Nachhaltigkeit gesehen wird.

Die Befragung hatte ausschließlich explorativen Charakter. Die Antworten dürfen daher nicht in einem repräsentativen Sinne verallgemeinert werden. Dennoch lassen sich interessante Tendenzen erkennen, die den Diskurs über unternehmerische Nachhaltigkeit inspirieren.

In dieser Studie wurde „Nachhaltigkeit“ in einem engeren Sinne verstanden als

  1. die Wahrnehmung ökologischer Verantwortung in Bezug auf Klimaschutz und Kreis­laufwirtschaft,
  2. die Wahrnehmung sozialer Verantwortung in Bezug auf Förderung von Diversität und eines diskriminierungsfreien Umgangs im Unter­nehmen und
  3. die Berücksichtigung von Arbeitnehmer- und Menschenrechten in der Lieferkette.

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit in Unternehmen

Für die große Mehrheit der Befragten ist die Bedeutung von Nachhaltigkeit in den letzten drei Jahren gestiegen, insbesondere aus geschäftlichen Gründen. Politische und persönliche Gründe spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Auch multiple Krisen (Lieferketten, Energiemärkte, geopolitische Risiken) führen nicht zur Depriorisierung, sondern erhöhen sogar die Bedeutung von Nachhaltigkeit.

Sehr eindeutig ist die Aussage, dass höhere Verkaufspreise als Folge von Klimaschutzmaßnahmen der größte Hinderungsgrund sind, Nachhaltigkeitsmaßnahmen stärker zu berücksichtigen. Die Mehrzahl der Kunden akzeptiere höhere Preise aufgrund von Klimaschutz nicht. Ebenso klar ist der Befund, dass dennoch die meisten der befragten Unternehmen das Thema Klimaschutz/CO2-Reduktion bereits heute in ihrem zukünftigen Geschäftsmodell berücksichtigen wollen. 

Höhere Verkaufspreise, die durch kreislaufwirtschaftliche Maßnahmen notwendig werden, sind ebenso das mit Abstand wichtigste Hindernis, kreislaufwirtschaftliche Erfordernisse künftig stärker in den Geschäftsprozessen zu berücksichtigen. Abgestuft folgen dann die Hinderungsgründe gesetzliche Vorgaben und fehlendes internes Know-how.

Fehlende Kundenrelevanz von Diversität und Inklusion wird als wichtigster Hinderungsgrund für die Umsetzung diesbezüglicher Maßnahmen gesehen.  Bemerkenswert ist, dass die Befragten für eine Stärkung der Diversität in den Unternehmen Eigenkapital-Gebern, gesetzlichen Vorgaben und Fremdkapital-Gebern eine wichtigere Bedeutung zumessen als bei den Aspekten Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft. Frauen äußern sich klarer, dass Förderung der Diversität Teil des zukünftigen Geschäftsmodells sein muss.

Bei Arbeitnehmer- und Menschenrechten in der Lieferkette sind die Einschätzungen gleichförmiger verteilt. Keine Relevanz für Kaufentscheidungen der Kunden bleibt der wichtigste Hinderungsgrund für eine stärkere Berücksichtigung dieser Nachhaltigkeitsaspekte. Auffallend ist ebenso das fehlende interne Know-how im Umgang mit Arbeitnehmer- und Menschenrechten. Dennoch scheinen auch diese Nachhaltigkeitsaspekte Teil zukünftiger Geschäftsmodelle zu werden.

Bei allen vier Aspekten der Nachhaltigkeit sind die höheren Preise bzw. fehlende Kundenrelevanz immer der wichtigste Hinderungsgrund für mehr Nachhaltigkeit. Dessen ungeachtet ist Nachhaltigkeit bei den befragten Unternehmen ausreichend im zukünftigen Geschäftsmodell enthalten.

Kompetenzaufbau

Die Notwendigkeit eines verstärkten Kompetenzaufbaus für mehr Nachhaltigkeit sehen die befragten Unternehmen insbesondere im Kerngeschäft, wo es um Innovationen, neue Produkte, Services und Märkte geht. Das heißt: Nachhaltigkeits-Know-how wird vor allem in Funktionen wie F&E, Business Development für erforderlich gehalten, deutlich weniger bei Corporate-/Support-Funktionen und am wenigsten in Personalabteilungen. Für Mitglieder des Aufsichtsrats und abgeschwächt für den Vorstand wird Bedarf für mehr Nachhaltigkeitskompetenzen gesehen. 

Frauen sehen eine größere Notwendigkeit des Kompetenzaufbaus für mehr Nachhaltigkeit als Männer, insbesondere beim Vorstand. Aufsichtsräte sehen die Notwendigkeit des Kompetenzaufbaus in Sachen Nachhaltigkeit sehr viel dringender als Vorstände.

Zusammenfassung

Die strategische Relevanz von Nachhaltigkeit scheint in den Unternehmen schon heute sehr präsent. Nachhaltigkeit wird als Teil des zukünftigen Geschäftsmodells gesehen. Unternehmen würden jedoch auch bereits heute in den verschiedenen Aspekten von Nachhaltigkeit mehr machen. Durchweg größter Hinderungsgrund sind aktuell noch höhere Kaufpreise, die häufig mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen einhergehen. Ebenso erachten viele Kunden Nachhaltigkeit gegenwärtig als nicht kaufentscheidungsrelevant, weshalb die daraus entstehenden höheren Preise nicht akzeptiert werden. 

Frauen sind hinsichtlich der Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit fordernder bzw. akzentuierter als Männer. Aufsichtsräte sehen Nachhaltigkeit jetzt schon stärker als Teil des zukünftigen Geschäftsmodells als Vorstände und Geschäftsführer.

Am Ende entscheiden Unternehmen über ihr Nachhaltigkeitsengagement, indem sie auf Märkte und Kunden schauen und deren Anforderungen als wesentliche Grundlage in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen. Mit der Ausnahme von Diversität und Inklusion sind daher der externe Druck vom Gesetzgeber oder von Eigenkapital- und Fremdkapital-Gebern weitaus weniger bedeutend für die Implementation von entsprechenden Nachhaltigkeitsmaßnehmen als das Verhalten der Kunden bei Kaufentscheidungen. 

Schlussfolgerungen

Was würde die Bereitschaft bei Unternehmen erhöhen, mehr in Sachen Nachhaltigkeit zu tun? Mehr Druck durch Gesetze und Kapitalgeber bewegt Unternehmen kaum oder nicht dazu.

Ein anderes Kaufverhalten hingegen – hervorgerufen durch geringere oder keine Preisunterschiede zu herkömmlichen Produkten – wäre der treibende Faktor für unternehmerische Entscheidungen pro Nachhaltigkeit. In ihren Geschäftsmodellen und Innovationsbestrebungen haben die Unternehmen Nachhaltigkeit bereits vorgesehen.

Wenn also im B2B-Geschäft das Kriterium Nachhaltigkeit bei Auftragsvergaben stärker berücksichtigt würde, werden die B2B-Lieferanten mehr in Sachen Nachhaltigkeit tun. Im B2C-Geschäft können die Preisunterschiede dadurch abnehmen, dass die Kosten für die Unternehmen aufgrund fehlender Nachhaltigkeitsaktivitäten steigen (bspw. durch Kosten für CO2-Zertifikate für alle Produkte).

Wichtigste Nachhaltigkeitstreiber innerhalb von Unternehmen sind Innovationen, Forschung & Entwicklung sowie eine Erweiterung der Geschäftsfelder in Bezug auf Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit sollte daher vor allem im Zusammenhang mit zukünftigen kostensenkenden Prozessinnovationen auf die strategische Agenda der Unternehmen rücken. 

Die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen durch Politik und Regulierungsbehörden wie auch der unternehmerische Mut zu Innovationen und Investitionen sind die entscheidenden Hebel für neues Wachstum mit Nachhaltigkeit. Hier – und nicht bei diskretionären gesetzlichen Eingriffen oder Verboten und dem damit einhergehenden Aufwand für Monitoring und Reporting – kann und sollte der Staat seine Aufgabe sehen. Der Staat soll die Regeln so setzen, dass Akteure, die kein großes Interesse an Nachhaltigkeit haben, finanziell nicht besser dastehen als die an Nachhaltigkeit interessierten Kunden und Unternehmen. Dann setzt sich Nachhaltigkeit auch nachhaltig auf den Märkten durch.