Der Zwiespalt zwischen echter und gefühlter Nachhaltigkeit

Europas größter Putenproduzent Heidemark wirkt durch eine klare Haltung dem negativen Außenbild der Fleischindustrie entgegen. Wie das gelungen ist und welchen positiven Effekt auf das Image als Arbeitgeber hat, erläutern die Firmeninhaber Christopher und Bernd Kalvelage.

Familienunternehmen und die Herausforderungen einer Welt im Wandel

Fleisch ist ein schwieriges und mitunter auch kontroverses Geschäft. Rein statistisch isst jeder Deutsche im Durchschnitt rund 90 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Gleichzeitig gibt es erhebliche Diskussionen über die gesundheitlichen Folgen des hohen Fleischkonsums, die adäquate Tierhaltung und die Arbeitsbedingungen in der Fleischproduktion. In dieser Gemengelage neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Arbeit in der Fleischindustrie zu begeistern, ist daher durchaus eine Herausforderung. „Angesichts manch schwarzer Schafe ist es schwierig, dem eher negativen Bild der Fleischindustrie entgegenzuwirken“, sagt Christopher Kalvelage, Geschäftsführer von Heidemark, Europas größtem Produzenten und Vermarkter von Putenfleisch, das in Deutschland insbesondere jetzt zu Weihnachten stärker nachgefragt wird.

Um dieses Außenbild zu widerlegen, setzt das Familienunternehmen aus Niedersachsen, das in dritter Generation von der Familie Kalvelage geführt wird, konsequent auf Nachhaltigkeit. „Für mich ist ein nachhaltiger Prozess ein solcher, der mit möglichst wenig Ressourcen das bestmögliche Ergebnis erzielt“, sagt Christopher Kalvelage und führt als Beispiel die grundlegenden Unterschiede zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft an. Bei der konventionellen Landwirtschaft habe man viele Tiere auf wenig Quadratmetern, schnellwachsende Rassen, die so gezüchtet seien, dass sie ruhig sind, robust, viel Fleisch haben und Futter optimal verwerteten. Dies alles gepaart mit vielen Tieren auf einem LKW, eine auf degressive Fixkosten ausgelegte Schlachterei und volle Nutzfahrzeuge, die zum Kunden gehen. „Das wäre rein unter dem Gesichtspunkt CO2-Ausstoß und Ressourcen-Verwendung der nachhaltigste Prozess, den es gibt – er entspricht allerdings nicht der gefühlten Nachhaltigkeit unserer Kunden, die wir bedienen möchten.“

Bessere Haltungsbedingungen, als der Gesetzgeber fordert

Diesen Zwiespalt zwischen gefühlter und echter Nachhaltigkeit gilt es aus Sicht von Heidemark durch Qualität, Tierwohl und Nachhaltigkeit zu schließen. Das Tierwohl-Konzept bei Heidemark verankert seit Jahren mit verschiedenen Maßnahmen für bessere Haltungsbedingungen der Nutztiere im Unternehmen – von der Kükenaufzucht bis zur Futtermittelerzeugung. So hat Heidemark unter anderem einen Wintergarten-Stall eingerichtet. Dabei steht neben dem eigentlichen Stall eine überdachte und umzäunte Fläche, die von außen einsehbar ist. Zudem hat sich Heidemark der bundesweiten Initiative Tierwohl angeschlossen. Das Zertifikat zeichnet artgerecht erzeugte Geflügelprodukte aus. Nach den Worten von Christopher Kalvelage wachsen schon heute in Deutschland aufgezogene Puten zu rund 80 Prozent nach den Kriterien der Initiative Tierwohl auf. Dazu verringerte Heidemark etwa die Besatzdichte. Zudem erhalten Puten Picksteine und Strohballen als artgerechte Beschäftigungsmaterialien. Außerdem schaut das Unternehmen genau auf das Stallklima und die Trinkwasserqualität als wichtige Ankerpunkte des Tierwohl-Programms. „Unsere Haltungsbedingungen sind besser, als sie der Gesetzgeber im In- und Ausland fordert“, betont Bernd Kalvelage.

Trotz des Fokus‘ auf Geflügel war auch Fleischersatz bei Heidemark ein Thema. Rein von der Technik sei die Produktion von Fleischersatz sehr attraktiv, erklärt Christopher Kalvelage. Man schütte Pulver zusammen, füge Wasser hinzu und forme die Masse zu Wurst, Schnitzeln oder Hack. Die Margen seien zudem ansehnlich, da sie sich am Fleisch orientierten. Allerdings stellten die Niedersachsen schnell fest, dass das Absatzvolumen in Deutschland noch zu niedrig sei. „Die Maschinen laufen zwei Tage, dann ist der Markt gesättigt und drei Tage stehen die Maschinen still. Das ist skalentechnisch nicht sinnvoll“, so Christopher Kalvelage. Sein Vater ergänzt: „Selbstverständlich beobachten wir die Entwicklung, denn wir sind für die Kunden da, nicht sie für uns.“ Neben der Entwicklung des Absatzes seien auch der Preis und der Geschmack der Fleischersatzprodukte entscheidend – und hier gebe es noch erheblichen Nachholbedarf. „Veganes Hackfleisch ist kein Hack aus Rind oder Schwein, sondern verquirltes Gemüse“, sagt Bernd Kalvelage.

„Wir können unsere offenen Stellen immer mit guten Leuten besetzen.“

Mit Nachhaltigkeit und einer darauf aufbauenden Haltung versucht die Familie auch, die Attraktivität von Heidemark als Arbeitgeber zu steigern. „Wir haben unser Employer Branding etwa durch die Qualität der Arbeit, durch Innovationen, durch die Einbindung der Mitarbeiter:innen und unsere Führungskultur kontinuierlich entwickelt“, sagt Christopher Kalvelage. Die Folge, so der Heidemark-Geschäftsführer weiter: „Wir können unsere offenen Stellen bislang immer besetzen und das mit guten Leuten.“ Das Heranziehen von Talenten gestaltet sich dennoch schwierig, räumt er ein: „In der Lebensmittelproduktion will man wohl arbeiten, aber nicht in der Fleischindustrie. Da spielt wieder das Image herein.“ Wenn die neuen Kolleg:innen jedoch erst einmal im Unternehmen seien, so Christopher Kalvelage, der in Hamburg Betriebswirtschaftslehre studierte, seien viele überrascht, dass die Umstände nicht so seien, wie sie es erwartet hätten. Vielmehr würden sie realisieren, wie groß die Innovationskraft von Unternehmen und Belegschaft sei und wie viele Veränderungs- sowie Verbesserungsprozesse von innen heraus angestoßen würden. Um diese Entwicklung kontinuierlich fortzusetzen, arbeitet Heidemark auch mit Universitäten und Forschungsinstituten zusammen.

Das liegt sicherlich auch daran, dass die Führungskultur bei dem Geflügelspezialisten aus dem Landkreis Oldenburg mit Sitz in Ahlhorn offen und familiär ist. Im Unternehmen habe es immer eine Duz-Kultur und flache Strukturen gegeben, erklärt der ehemalige Geschäftsführer Bernd Kalvelage, der sein Position 2016 an seinen Sohn übergeben hat. „Wir haben im Unternehmen proaktiv in Richtung Kunde und Verbrauchererwartung hingearbeitet“, sagt Christopher Kalvelage. Und dies werde auch von den Mitarbeitern honoriert, die sich auch mit eigenen Ideen einbrächten. „Die Fleischindustrie ist kein Bereich, der sich stetig von alleine oder durch externe Faktoren wandelt. Veränderungen kommen meist intern durch proaktives Handeln.“

Auf Veränderung der Märkte reagieren

Doch auch Druck von außen führte bei Heidemark zu Veränderungen. „Der Kunde hat sich massiv verändert, die Erwartungen sind komplexer. Früher wollte der Verbraucher ein Produkt zu einem guten Preis. Heute will er Vielfalt, Varianten, die Option, andere Produkte zu kaufen“, erklärt Bernd Kalvelage. Und sein Sohn ergänzt: „Heute kaufe ich ein Produkt, mit dem ich mich identifiziere.“ Auf diese Veränderungen muss ein Unternehmen wie Heidemark reagieren.

„Wichtig ist, dass wir intern unser Bild der Nachhaltigkeit und der Kundenorientierung klar priorisiert haben. Der Kunde ist König, der Einkäufer ist Kaiser. Dieses Bewusstsein ist bei unseren Mitarbeitern fest verankert“, erklärt Christopher Kalvelage. Schließlich gelte ein Grundsatz: „Wenn die Märkte sich ändern, musst du dich ändern. Du änderst nicht die Märkte.“