Systematische Management-Potenzial-Analysen als Katalysator für unternehmerischen Wandel
Wie eine gezielte Management-Potenzial-Analyse die Transformation in Familienunternehmen unterstützt
von Andreas von Specht & Susanne Lang
Eine klare Empfehlung
Es begann mit einem unerwarteten Anruf. Ein designierter Chairman, der kurz davorstand, die Nachfolge eines langjährigen Beiratsvorsitzenden anzutreten, wollte wissen, wie er zeitnah deutlich mehr über den ‚inneren Zustand‘ des Familienunternehmens im Schwabenland erfahren könne, für das er zukünftig tätig sein solle. Er hatte im Vorweg bereits einiges gehört: ein inhabergeführtes, wachsendes Unternehmen, ein sogenannter „Hidden Champion“. Doch die Strukturen dahinter schienen ihm komplex. Angeblich gäbe es eine ‚Quasi-CEO‘ und Gesellschafterin, die zwar die wesentliche Verantwortung für das operative Geschäft trüge, aber nicht offiziell oder per Mandat in dieser Rolle vom (scharfgeschalteten) Beirat bestätigt sei. Es gäbe wohl ein ziemliches Ungleichgewicht der „operativen Power“, da der Bruder als zweiter Geschäftsführender Gesellschafter wesentlich weniger im Unternehmen präsent und aktiv sei, was hin und wieder auch zu Spannungen zwischen den beiden Familiengesellschaftern führe. Darüber hinaus sei da noch ein langjähriger familienexterner Geschäftsführer, in dessen Bereich – und hinter dessen Kompetenz – es ‚gewisse Fragezeichen‘ geben könnte.
Der neue Chairman hatte diese drei Geschäftsführer bereits kennengelernt, doch die übrigen „Player“ im Unternehmen waren ihm noch unbekannt. Und so beschäftigte ihn eine zentrale Frage: „Wie kann ich hier schnell und tief eintauchen, um mir ein klares Bild zu verschaffen und einen ‚Griff‘ auf das Unternehmen zu bekommen?“ Wir von AvS Advisors gaben ihm eine klare Empfehlung: „Falls möglich, sollten Sie eine ‚Management-Potenzial-Analyse‘ (MPA) initiieren. Allerdings ergibt das nur Sinn, wenn auch die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer bereit sind, sich einem solchen Prozess zu stellen.“
Was ist eine ‚Management-Potenzial-Analyse‘ (MPA)?
Die MPA ist ein leistungsstarkes Instrument, das systematisch die Kompetenzen und das Potenzial von Führungskräften bewertet. Sie basiert auf einem maßgeschneiderten Kompetenz- und Potenzialmodell, das sich an den spezifischen Zielen und strategischen Vorgaben des Unternehmens orientiert. Die folgende Übersicht zeigt, wie vielseitig und wertvoll dieses Verfahren für Unternehmen sein kann:

Abb. 1: Anlässe und Zielsetzung einer MPA
Angenommen, ein Unternehmen steht vor einem Strategiewechsel, und der neue Chairman oder CEO möchte die Kompetenzen seines Managements extern überprüfen lassen. Oder es befindet sich in einer Transformation, die ganz neue Anforderungen an das Führungsteam stellt. In solchen Momenten erweist sich die MPA als äußerst wertvoll. Auch im Rahmen von M&A-Transaktionen, für aktives Talent Management und in der NextGen-Nachfolgeplanung kann sie eine wichtige Rolle spielen. Im Falle unzureichender Diversität in Top-Gremien oder bei starkem Beharrungsvermögen im Unternehmen liefert sie wichtige Einblicke. Die MPA zielt darauf ab, Kompetenzen und Führungspotenziale objektiviert zu evaluieren – sei es für neue Aufgaben oder besondere Marktanforderungen.
Sie fördert die Entwicklung von Führungskräften, hilft Talente zu finden (und besser an das Unternehmen zu binden) und begünstigt eine rechtzeitige Nachfolgeplanung. Gleichzeitig unterstützt sie in der Identifikation struktureller oder personeller Engpässe und schafft Transparenz sowie eine offene Unternehmenskultur.
Zustimmung und Vorbereitung: Der Kick-off für die MPA
Die Gesellschafter im Schwabenland stimmten unserem Vorschlag zu: Wenige Tage nach dem Anruf bekamen wir die Zusage und der designierte Chair sowie die beiden Gesellschafter bestätigten nicht nur das MPA-Projekt an sich. Sie waren nach einer Diskussion im Aufsichtsgremium auch damit einverstanden, sich – wie von uns empfohlen – selbst dem Verfahren zu stellen.
Wir vereinbarten, dass in der 1.Phase die Top 15 Führungskräfte in das Assessment einbezogen werden sollten. Auftraggeber der Studie war offiziell der Beirat – mit dessen neuen Vorsitzenden und dem Personalausschuss als Gremium, dem die Ergebnisse präsentiert werden sollten. Die Beiräte verabredeten, dass sie selbst nicht als Referenzgeber fungieren sollten – und auch keine Referenzen von außerhalb des Unternehmens eingeholt werden dürften. Stattdessen fungierten alle beteiligten Führungskräfte gleichzeitig auch als Referenzgeber; zudem konnten sie jeweils bis zu zwei zusätzliche Referenzen vorschlagen, etwa Mitarbeiter oder Kollegen im Ausland. Das gesamte Verfahren wurde einige Wochen später in einem Kick-off-Meeting mit unseren Beratern vor Ort allen Teilnehmern vorgestellt.
Der MPA Ablauf in drei Phasen
Die folgende Grafik veranschaulicht den Ablauf der MPA in insgesamt drei Phasen: Vorbereitung – Durchführung – Auswertung.

Abb. 2: MPA Ablauf in drei Phasen
Zur Vorbereitung werden in einem Briefing Status quo und Ziele festgelegt, das Ziel-Kompetenzprofil je Ebene oder Funktionsbereich definiert und ein Kick-off-Meeting durchgeführt, um Transparenz zu schaffen.
Danach folgt die Durchführung: Ein ca. 3-stündiges Tiefeninterview mit zwei AvS-Beratern beleuchtet Laufbahn, Führungsverhalten, Schlüsselkompetenzen sowie Motivation jedes Teilnehmenden. Zusätzlich erfolgt eine umfassende 360°-Referenzprüfung sowie, wenn gewünscht, psychometrische Tests zur Validierung.
Für die Auswertung werden individuelle Reports und eine Unternehmensanalyse erstellt, gefolgt von einer ausführlichen Präsentation der Ergebnisse und Empfehlungen für das weitere Vorgehen gegenüber dem Klienten. Mit den evaluierten Kandidaten wird mindestens ein Feedbackgespräch geführt, in manchen Fällen ergänzt um ein zusätzliches Karriere-Entwicklungsgespräch.
Offene Fragen und erste Reaktionen der Führungskräfte
Als bekannt wird, dass sich auch die beiden geschäftsführenden Gesellschafter dem Verfahren stellen werden, scheint das ‚gefühlte Buy-in’ unmittelbar hoch. Besonders die starken Führungskräfte, die später auch hervorragend bewertet wurden, zeigten sich positiv gestimmt gegenüber dem Projekt. Doch nicht alle waren sofort überzeugt; einige kritische Fragen kamen auf – gerade auch von Teilnehmern, die sich vielleicht ungern einer solchen Bewertung von Außen stellen. Ein Teilnehmer fragte zum Beispiel: „Woher nehmen Ihre Berater eigentlich das Selbstbewusstsein, eine in 12 Jahren bewährte Führungskraft innerhalb eines etwa dreistündigen Interviews beurteilen und bewerten zu können?“ Ausführlich stellten deshalb die beteiligten vier Berater von AvS Advisors das Projekt, seine Zielsetzung, die professionelle Vorgehensweise und sich selbst vor – und beantworteten in größtmöglicher Offenheit alle Fragen. Es wurde deutlich, dass eine objektivierte und faire Beurteilung durch sehr erfahrene Berater erfolgen würde. Damit wurde die anfänglich empfundene ‚Blackbox‘ in den Augen der Teilnehmer offenbar sichtlich kleiner.
Durchführung der Interviews: Strukturierte Gespräche und Vertraulichkeit
Nach der ausführlichen Informationsveranstaltung starteten die Interviews, die von zwei Teams aus erfahrenen Partnern durchgeführt wurden. Zur Vorbereitung hatten die Teilnehmer ihre Lebensläufe eingereicht, und wo möglich, lieferte die Personalabteilung zusätzliche Positionsbeschreibungen. Die Gespräche wurden vorab als „wasserdicht vertraulich“ deklariert. Der Beirat erhielt später individuelle Beurteilungen, die identisch mit den Berichten waren, die auch die Teilnehmer in ihren Feedbackgesprächen bekamen. Jedoch blieb vollständig anonym, wer im Einzelnen welche Aussagen über das Unternehmen, über Kollegen, das Aufsichtsgremium oder sich selbst gemacht hatte.
Die Interviews wirkten auf den ersten Blick locker und individuell, doch dahinter steckte eine sorgfältige Struktur. Die Berater folgten einem klar abgestimmten Leitfaden und hatten bestimmte Kompetenzfelder im Hinterkopf, die sie gezielt ansprachen. So stellten sie sicher, dass jedes Gespräch systematisch aufgebaut war und alle relevanten Aspekte professionell und gründlich beleuchtet wurden. Auf diese Weise entstand ein umfassendes Bild, das über die spontane Gesprächsdynamik hinausging und die tatsächlichen Fähigkeiten und Potenziale der Teilnehmer erfasste.
Mehr als nur Kompetenzen: Die Bewertung des Führungspotenzials
Das Kompetenz- und Potenzialmodell von AvS Advisors
Die folgende Grafik zeigt das proprietäre Kompetenz- und Potenzialmodell von AvS Advisors in seinen vier Hauptdimensionen:

Abb. 3: Das Kompetenz- und Potenzialmodell von AvS Advisors

Abb. 4: Ausprägungen anhand der beispielhaften Kompetenz ‚Ergebnisorientierung‘
Die Berater wollten nicht nur die aktuellen Kompetenzen der Kandidaten erfassen, sondern auch ihr Potenzial für zukünftige Herausforderungen bewerten. Wie reagieren die Kandidaten beispielsweise auf neue, unvorhergesehene Herausforderungen? Können sie komplexe Zusammenhänge erkennen und vereinfachen? Neben der intellektuellen Neugier standen auch Eigenschaften wie Resilienz, innere Klarheit und die Fähigkeit zur flexiblen Reaktion – auch in schwierigen Situationen – im Fokus. Außerdem wurde bewertet, ob sie in der Lage sind, individuelle Beziehungen aufzubauen, Menschen mitzunehmen und größere Gruppen zu inspirieren und zu begeistern.
Um all diese Themen wirklich tiefgehend zu beleuchten, braucht es Zeit. Die Berater nehmen sich die nötige Ruhe, um die Erfahrungen und Einstellungen der Kandidaten zu erfassen und gezielt nach konkreten Beispielen zu fragen. Damit jedoch niemand benachteiligt wird, der am Interviewtag vielleicht nicht seine beste Leistung zeigt, oder umgekehrt jemand, der sich besonders gerne und gekonnt verkaufen kann, bevorteilt wird, führen die Berater zusätzlich intensive, streng vertrauliche Referenzgespräche. Diese Gespräche sind ebenfalls kompetenzbasiert und fragen nicht einfach ab, ob jemand „gut oder schlecht“ ist. Stattdessen suchen sie nach konkreten Beispielen: Wie hat die Person etwa eine Veränderung im Unternehmen vorangetrieben oder verhindert? Wie organisiert sie ihre Führung und motiviert Teams zu Höchstleistungen? Wie geht sie mit größeren Widerständen um?
Die Analysephase: Auswertung und Themenverdichtung
Nach den Interviews ziehen sich unsere Berater zunächst in ihre Büros zurück und beginnen, auf Basis der Mitschriften und Informationen die vertraulichen Berichte zu verfassen. Anschließend werden alle Bericht-Entwürfe im Gesamtteam aller beteiligten Berater sorgfältig kalibriert. Dabei tragen sie nicht nur ihre Eindrücke zu den einzelnen Kandidaten zusammen, sondern auch alles, was sie über verschiedene Aspekte des Unternehmens erfahren haben. Oft geht es dabei um Themen wie die Unternehmenskultur, die Kommunikation, die Art und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen oder die generelle Stimmung und Motivation der Mitarbeiter. Welche dieser Themen im Laufe eines Projekts aufkommen, weiß vorab beim Start eines Projektes niemand. Es kommt darauf an, auch hier Informationen zu verdichten und Einzelaussagen zu kalibrieren – und politisch-motivierte Aussagen zu separieren und entsprechend zu gewichten. Interessant ist für unsere Berater auch, ob Referenzgeber, die ja häufig gleichzeitig auch selbst als Kandidaten evaluiert werden, in der Lage sind, differenzierte, ausgewogene und dezidierte Referenzen abzugeben.
Positive Aspekte und kritische Erkenntnisse: Das Unternehmen im Fokus
Im konkreten Projekt im Schwabenland zeichnen sich viele positive Aspekte ab: Das Unternehmen verfügt über mehrere Treiber und „Unternehmer im Unternehmen“. Es herrscht eine ausgeprägte Bereitschaft, eigenständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Der Ehrgeiz, „gewinnen zu wollen“, ist insgesamt deutlich spürbar – genauso wie das hohe Engagement des gesamten Führungsteams. Aber es gibt natürlich auch kritische Erkenntnisse: Die beiden gleichgestellten Familiengesellschafter-Geschwister sind in ihrem Naturell nicht nur sehr unterschiedlich, sondern beäugen sich gegenseitig – sowie die jeweils zugeordneten Führungskräfte – kritisch. Eine der beiden trägt deutlich mehr Verantwortung für die positive Entwicklung des Unternehmens, was zu Spannungen führt. Zudem zeigt sich, dass der große Stolz auf das pragmatische und entscheidungsfreudige Selbstverständnis des Unternehmens die Vorstellung nährt, dass Strategiearbeit eher in Konzerne gehört und die mittelständische „Macher“-Mentalität einschränken könnte.
Abschlusspräsentation: Ergebnisse und Diskussion mit Beirat und Führungskräften
Alle Einzelberichte, eine Gesamtübersicht über das Führungsteam und die weiteren Themen, die den Beratern aufgefallen sind, werden in einer umfassenden Abschlusspräsentation zusammengeführt. Vor der finalen Präsentation gibt es zur besseren Abstimmung zudem ein Vorgespräch mit dem neuen Chairman. Anschließend erfolgt die Präsentation vor dem gesamten Aufsichtsgremium, gefolgt von einer ausführlichen Diskussion, in der die Ergebnisse und Erkenntnisse im Detail erörtert werden.
Zeitnah werden Feedbackgespräche mit den evaluierten Führungskräften, einschließlich der beiden geschäftsführenden Gesellschafter, koordiniert: zunächst ein Gespräch zur Durchsprache des eigenen Berichts. Und zwei Wochen später, nachdem die Informationen ‚gesackt sind‘, ein längeres, persönliches Gespräch, das sich auf die Karriereentwicklung und zukünftige Perspektiven konzentriert.
Strategische Neuausrichtung: Entscheidungen und Umstrukturierungen
Das Aufsichtsgremium nutzte die Zeit, um die gewonnenen Erkenntnisse gründlich zu reflektieren und zu diskutieren. Schließlich ernannte es die bisher gleichgestellte „Quasi-CEO“ offiziell zum CEO. Darüber hinaus wurde ein umfassender Strategieprozess initiiert, um das Unternehmen auf die nächste Wachstumsphase und eine stärkere Internationalisierung vorzubereiten. Eine Umstrukturierung der Organisation wurde beschlossen, was in der Folge zu einer erweiterten Geschäftsführung und einer neuen Zuordnung von Funktionsbereichen führte. Eine COO-Funktion für Produktion, Supply Chain und IT wurde neu geschaffen und erfolgreich besetzt. CFO- und CHRO-Funktion wurden ausgetauscht und ebenfalls nach wenigen Monaten erfolgreich neu besetzt. Zudem wurde ein Onboarding-Programm für die neuen Führungskräfte entwickelt, und das Aufsichtsgremium erhielt Unterstützung bei der Nachfolge eines altersbedingt ausscheidenden Mitglieds.