Strategische Zentren für Unternehmerfamilien: Die Family Offices der Zukunft
Ein Interview mit Peter Vogel, Professor an der IMD Business School und Direktor des IMD Global Family Business Centers
von Alexandra Jequier & Nick Harris
Nur wenige Menschen bewegen sich so versiert an der Schnittstelle von Familienunternehmen, Unternehmertum und Philanthropie wie Peter Vogel. Als Professor für Familienunternehmen und Unternehmertum an der IMD Business School leitet er auch das Global Family Business Center als dessen Direktor. Über die Wissenschaft hinaus baut er Brücken zwischen Forschung und Praxis – als Gründer von Delta Venture Partners, Berater führender Unternehmerfamilien bei CFEG und Träger renommierter Auszeichnungen wie Poets & Quants’ „Best 40 under 40“ und Family Capital’s Top 100 Family Business Influencers.
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse helfen Familien in der Praxis nicht nur, ihr Unternehmen zu steuern, sondern das gesamte Ökosystem eines Familienunternehmens zu durchdringen – von Governance bis Vermögensverwaltung. Der Family Office Navigator, den er mitentwickelt hat, ist beispielsweise kein klassisches Buch, sondern dient als ein praktisches Werkzeug, das Familien dabei unterstützen soll, sich in einer Welt voller Komplexität, Chancen und Risiken zurechtzufinden.
AvS Advisors: Was hat Sie dazu inspiriert, dieses besondere Buch zu schreiben? Und wie war der Prozess der Entstehung des Family Office Navigator?
Peter Vogel: Die Arbeit am Family Office Navigator war ein sehr kollaborativer Prozess, hinter dem ein ganzes Team stand. Es ist einerseits ein Buch und andererseits doch keins – ich würde es eher als Rahmenwerk bezeichnen: ein visuell aufbereitetes, praxisnahes Toolkit für Familien. Es ist Teil eines größeren Plans und ergänzt den Family Philanthropy Navigator. Bedauerlicherweise verstarb mein Co-Autor Mario Marconi, weshalb das Buch später als geplant erschien. Darin verwenden wir das Korallenriff als Metapher für das System Familienunternehmen. Es sollte ein unterhaltsamer und leicht verständlicher Leitfaden – jedoch nicht zu oberflächlich – sein, der für alle Mitglieder einer Familie zugänglich ist. Unser Ziel ist es, Familien zu befähigen und sie in die ‚Fahrerposition‘ zu bringen.
Ein Beispiel: Wenn ein Familienunternehmen verkauft wird, steht die Familie plötzlich im Rampenlicht – zahlreiche Berater treten an sie heran und bieten ihre „Hilfe“ bei der Verwaltung des Vermögens an. Viele Familien fühlen sich in dieser Phase verloren und verwundbar, da der Aufbau eines Family Office ein komplexer Prozess ist. Es ist vergleichbar mit jeder großen Veränderung im Leben eines Menschen.
Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einem Single Family Office und einem Multi-Family Office – und wie kann eine Familie entscheiden, welche Struktur besser passt?
Darüber könnte man stundenlang sprechen. Die zentrale Aufgabe besteht darin, Komplexität zu reduzieren und zu steuern, sodass die Familie ihr gesamtes Unternehmens- und Vermögensökosystem effektiv managen kann. Bei der Wahl der passenden Struktur müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, die stark von der Zielsetzung des Family Office abhängen. Wer ist die Familie? Was besitzt sie? Welche Rolle spielt sie in der Gesellschaft?
Abhängig von dieser Rolle variiert auch das Leistungsspektrum: Single Family Office, Multi-Family Office oder hybride Modelle. Handelt es sich um eine kleine, kompakte Familie, die sich nur in einer Rechtsordnung und einem wirtschaftlichen Umfeld bewegt, oder um eine international aufgestellte Familie mit komplexen Strukturen? Wir sprechen hier von einem ganzheitlichen Familienvermögen, das weit über das reine Finanzvermögen hinausgeht.
Das Ziel ist es, dieses Ökosystem zu schützen und nachhaltig zu entwickeln. Ein Family Office sieht anders aus, wenn die Familie aus reiner Investorensicht agiert, als wenn es sich um ein Familienunternehmen handelt, in dem das Mandat des Family Office weit über Investments hinausgeht und beispielsweise auch die Ausbildung der nächsten Generation umfasst. Es braucht eine differenzierte Betrachtung, denn die richtige Struktur hängt von den benötigten Dienstleistungen und der jeweiligen Komplexität ab.
Apropos Next Gen – wie kann das Family Office zur Ausbildung und Entwicklung der nächsten Generation beitragen?
Wenn es um Nachfolge und die gezielte Vorbereitung der nächsten Generation geht, kann das Family Office eine zentrale Rolle übernehmen, insbesondere bei der organisatorischen und administrativen Umsetzung entsprechender Programme. Einige Family Offices bieten vollständig strukturierte Programme für verschiedene Altersgruppen an. Sie organisieren Familienveranstaltungen sowie gezielte Trainings für die nächste Generation, etwa zu Themen wie familiäres Erbe, Vermögensverwaltung oder die Übernahme von Mandaten in Aufsichtsgremien.
Es geht dabei um die richtige Balance zwischen dem „Ich“ und dem „Wir“. Das Family Office kann als wichtiger Vertrauter der nächsten Generation fungieren, indem es sie dabei unterstützt, ihre Rolle innerhalb der Familie und im beruflichen Umfeld zu definieren, ihren Karriereweg zu gestalten, eine passende Universität auszuwählen oder sich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Generationsübergreifende Kommunikation, Unterstützung bei Nachfolgeplänen, Vermittlung zwischen den Generationen – all das sind unterschiedliche Aufgaben, die je nach Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten variieren. Family Officers müssen die Rolle eines vertrauenswürdigen Partners über Generationen hinweg übernehmen – mit emotionaler Intelligenz, Verlässlichkeit, Führungsstärke und einem Gespür für den Umgang mit verschiedenen Generationen.
Halten Sie es für ratsam, Familienmitglieder im Family Office zu beschäftigen?
Das ist eine interessante Frage, und es gibt sowohl Vor- als auch Nachteile. Oft übernimmt ein Familienmitglied die Leitung des Family Office, was durchaus sinnvoll sein kann – solange die finanzielle Performance stimmt und dies mit den Zielen des Family Office übereinstimmt. Doch wenn innerhalb der Familie keine klare Abstimmung herrscht oder unterschiedliche Erwartungen bestehen, kann dies schnell zu Problemen führen. Ein entscheidender Aspekt ist das Risikoprofil: Wird das Vermögen getrennt oder gemeinsam verwaltet? Oder liegt die Kontrolle über die Investments allein bei „Cousin Fred“?
Hier können Konflikte entstehen, und manche Familien sind am Ende frustriert. Oft wird dem Familienmitglied vertraut, das als am besten qualifiziert erscheint, doch dies kann zu größeren Problemen führen, wenn diese Person keine externen Qualifikationen vorweisen kann oder außerhalb des Family Office nicht wettbewerbsfähig wäre. Während eine Rolle im Beirat oder im Investmentkomitee in der Regel akzeptabel ist, wird es kritisch, wenn ein einzelnes Familienmitglied über das Kapital der anderen entscheidet. Ein sinnvoller Ansatz kann sein, das Family Office als Ausbildungsplattform für die nächste Generation zu nutzen – ein konfliktfreier Rahmen, in dem junge Familienmitglieder erste Erfahrungen sammeln und sich professionell weiterentwickeln können.
Neben Governance und Ausbildung können Family Offices auch gezielt strategische Investitionen steuern. Welche Rolle spielen sie im Bereich Impact Investing, und wie lässt sich dieser Ansatz am besten umsetzen?
Das ist ein weitreichendes Thema. Family Offices, die von der nächsten Generation geführt werden, verfolgen oft eine umfassende Impact-Strategie. Doch stellt sich die Frage: Haben wir die richtigen Instrumente, um die tatsächliche Wirkung zu messen? In diesem Bereich werden wir zunehmend besser und datengetriebener, aber die Herausforderung bleibt bestehen – es gibt eine Vielzahl von Produkten, die von Banken angeboten werden, und nicht alle liefern den versprochenen Impact.
Akteure wie Risto Väyrynen und The Impact Office analysieren gezielt, ob hinter diesen Produkten tatsächlich eine messbare Wirkung steckt oder ob es sich lediglich um Marketing handelt. Familien müssen sich intensiv mit diesem Bereich auseinandersetzen und ein besseres Verständnis für die Möglichkeiten entwickeln, die sich im Impact-Investing-Sektor bieten.
Gleichzeitig entsteht eine neue Generation von systemischen Investoren, die mit ihrem Kapital aktiv dazu beitragen wollen, den Markt grundlegend zu verändern. Dennoch bleibt noch einiges an Arbeit zu tun, um nicht nur die Produkte und ihre Strukturen besser zu verstehen, sondern auch eine klare Definition dessen zu erarbeiten, was echter Impact in diesem Kontext wirklich bedeutet.
Da Impact Investing eine zunehmend strategische Rolle in Family Offices einnimmt, wird es umso wichtiger, dass Werte und langfristige Ziele innerhalb der Familie klar definiert und aufeinander abgestimmt sind. Wie kann eine Familie ihre grundlegenden Motive und Ambitionen für ein Family Office festlegen und daraus einen klaren Zweck ableiten?
Hier beginnt der Prozess: Zunächst muss das gesamte Ökosystem des Familienunternehmens erfasst und die übergeordnete Rolle der Familie definiert werden. Dieses Verständnis bildet die Grundlage für das Family Office. Es ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um langfristige Ziele zu erreichen. Die entscheidenden Fragen lauten: Welche Aufgabe soll das Family Office übernehmen? Wie sieht Erfolg aus? Welche Zukunft strebt die Familie an?
Mit der Umstellung auf ein Family Office geht oft ein gewisser Identitätswandel einher. Da Familientreffen nicht mehr im Kontext des Unternehmens stattfinden, kann das Gefühl entstehen, dass die familiäre Zusammengehörigkeit sich verändert. Viele Familien empfinden diesen Übergang als eine positive, aber dennoch tiefgreifende Veränderung. Tatsächlich kehren einige Familien nach der Transformation von einem operativen Unternehmen zu einem Family Office wieder in ein aktives Geschäftsmodell zurück, weil ihnen der menschliche Aspekt des unternehmerischen Miteinanders fehlt.
Sobald eine Familie den Zweck und die Rolle ihres Family Office geklärt hat, besteht die nächste Herausforderung darin, diese Vision in eine konkrete Struktur zu übersetzen. Wie sollte eine Familie beim Aufbau und der personellen Ausstattung ihres Family Office vorgehen?
Ein entscheidender Punkt ist die optimale Nutzung des vorhandenen Kapitals. Der Prozess beginnt mit grundlegenden Fragen: Welche Aufgaben soll das Family Office übernehmen? Geht es primär um Humankapital, Sozialkapital oder Reputationskapital? Welche spezifischen Fähigkeiten werden benötigt, um diese Ziele zu erreichen? Davon hängt ab, welche Rollen besetzt werden müssen und wo möglicherweise Lücken bestehen, die geschlossen werden müssen.
Sobald die passenden Talente gefunden sind, stellt sich die Frage nach der richtigen Vergütungsstruktur. Insbesondere die Entscheidung über langfristige Anreizsysteme ist zentral. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze: Einige Familien lehnen langfristige Anreizmodelle ab, da sie befürchten, dass Interessenkonflikte entstehen könnten. Andere wiederum sind überzeugt, dass Leistungsträger besser arbeiten, wenn sie selbst Co-Investment-Möglichkeiten erhalten.
Ein weiterer kritischer Punkt ist das Risikomanagement: Selbst wenn der Chief Investment Officer mit investiert, gehört der Großteil des Vermögens weiterhin der Familie – und dieses Risiko muss professionell gesteuert werden. Auch das Thema Nachfolge ist essenziell: Wenn es auf der Familienseite einen Generationswechsel gibt, was bedeutet das für das Family Office? Soll mit der neuen Generation auch ein neues Management eingeführt werden? Diese Fragen müssen frühzeitig gestellt und beantwortet werden, um sicherzustellen, dass das Family Office langfristig stabil und nachhaltig agieren kann.
Die richtige Struktur zu finden, ist nur ein Teil des Puzzles – letztlich hängt der Erfolg eines Family Office von den Menschen ab, die es führen. Wie ist es um das Talentniveau in Family Offices bestellt?
Es gibt dazu keine verlässlichen Daten. Wenn eine Familie über die Gründung eines Family Offices nachdenkt, stellt sich die Frage: Wen holen wir an Bord? Einen Juristen, einen Banker, einen anderen vertrauenswürdigen Berater? Jede Option hat Vor- und Nachteile. Jemand, der in einem bestimmten Umfeld hervorragend gearbeitet hat, ist nicht zwangsläufig in einem anderen ebenso erfolgreich. Ein enger Vertrauter der Familie genießt möglicherweise großes Vertrauen, verfügt aber nicht unbedingt über das notwendige Fachwissen.
Das Risiko, mit unzureichend qualifizierten Personen zu arbeiten, ist nicht zu unterschätzen. Oft sind die Mitarbeiter, die als erstes eingestellt wurden, eine Fehlbesetzung, weil die Familie anfangs noch nicht genau wusste, welche Kompetenzen tatsächlich benötigt werden. Der erste Anlauf ist daher oft nicht optimal. Große Family Offices verfügen in der Regel über ein professionelles Talentmanagement, während kleinere hier häufig noch Defizite aufweisen.
Die richtigen Talente einzustellen, ist nur eine Herausforderung. Genauso wichtig ist es, sicherzustellen, dass das Family Office über eine solide Governance verfügt. Wie sehen Sie die wesentlichen Aspekte einer guten Governance für Family Offices?
Das ist ein großer und sehr wichtiger Punkt. Die Governance eines Family Office hängt stark davon ab, welche weiteren Aktivitäten innerhalb der Familie existieren. Gibt es eine Familienstiftung, ein operativ tätiges Unternehmen, einen Familienrat oder einen Eigentümerbeirat? Wie sind diese Strukturen miteinander verknüpft? Hier muss eine zusätzliche Ebene berücksichtigt werden, die über allem steht: der eigentliche Zweck des Family Office.
In manchen Familien hält eine einzelne Person die Fäden zusammen, in anderen übernimmt diese Rolle ein Eigentümerbeirat. Eine zentrale Frage ist, ob das Family Office in die übrigen familiären Aktivitäten und das Familienunternehmen eingebunden ist oder unabhängig davon agiert. Es gibt zahlreiche Aspekte, die geklärt werden müssen, bevor man überhaupt über Governance spricht. Dabei lassen sich viele Parallelen zur klassischen Unternehmensführung ziehen – die grundlegende Logik ist dieselbe.
Wenn Sie das große Ganze betrachten, gibt es aus Ihrer Sicht noch einen Aspekt, auf den Familien mehr achten sollten?
Viele Familien gründen ein Family Office, ohne genau zu wissen, was sie damit eigentlich erreichen wollen. Gerade wenn ein Liquiditätsereignis eintritt, nehmen sie sich oft nicht genügend Zeit, um diesen Schritt wirklich durchdacht anzugehen. Der Schlüssel liegt darin, sich gleich zu Beginn des Prozesses ausreichend Zeit zu nehmen, um die langfristigen Ziele und Erwartungen innerhalb der Familie klar zu definieren.