Navigieren in stürmischen Gewässern

Chancen und Risiken volatiler Märkte für die Unternehmensführung

von Felix B. Waldeier

Unsere Art zu leben und zu arbeiten befindet sich in permanentem Wandel. Technologische Neuerungen haben bereits vor einiger Zeit eine digitale Revolution losgetreten, die den Markt fortwährend mit neuen Produkten überrollt und für immer kürzere Innovationszyklen sorgt. Trends wie Globalisierung und Urbanisierung werden durch diese Entwicklungen maßgeblich beschleunigt und wirtschaftliche Machtverhältnisse nachhaltig verändert. Aber auch politischer Wandel hat großen Einfluss auf die ökonomischen Spielregeln: Die Entscheidung der Briten zum Ausstieg aus der Europäischen Union oder die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sind Beispiele für überraschende politische Kurswechsel, die umfangreiche Auswirkungen auf die Märkte haben. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs populistischer, teils extremer Parteien könnten durch die anstehenden Wahlen in Deutschland auch in Europa existierende Machtverhältnisse grundlegend verändert werden.

Dieser rasante Wandel fördert Instabilität und Unsicherheit und birgt für Unternehmen teils nur schwer überschaubare Risiken. Über Jahre erfolgreiche Produkte oder Geschäftsideen werden über Nacht durch neue Technologien quasi überflüssig – und ganze Märkte nachhaltig gestört bzw. verändert. Unvorhersehbare wirtschaftliche und politische Entwicklungen können die Marktsituation beeinflussen und somit die mittel- bis langfristige Planung von Unternehmen erheblich erschweren.

Während sich Individuen in Konsumgewohnheit und Lebensstil meist rasch an solche Veränderungen anpassen, tun sich Unternehmen deutlich schwerer, auf disruptive Technologien durch entsprechende Neuorientierung kurzfristig zu reagieren.

Die als Konsequenz entstehende Unsicherheit kann treffend durch das Acronym VUCA beschrieben werden: „Volatilty, Uncertainty, Complexity, Ambiguity“. Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen und sind gezwungen, altbewährte Erfolgsrezepte zu überdenken und gegen neue, innovative Konzepte auszutauschen. Die Schnelligkeit und Komplexität der Marktsituation und der politischen Landschaft macht vor allem (Familien-) Unternehmen mit langer Tradition und starren Strukturen zu schaffen, die aufgrund der oft längeren Reaktionszeit ihre Praktiken wesentlich langsamer anpassen können als kleine, technologiegetriebene Start-ups.

Allen Risiken und Gefahren, die disruptive Veränderungen für Unternehmen mit sich bringen können, stehen jedoch auch große Chancen gegenüber. Getreu dem Motto „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ bieten sich durch innovative Technologien völlig neue Möglichkeiten, das Geschäft um- und auszubauen. Zunehmende globale und industrieübergreifende Vernetzung eröffnet neue Märkte und Wachstumschancen. Unternehmen, die diese Chancen für sich zu nutzen wissen, können sich einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten und ihre Marktposition verbessern. Dies geschieht natürlich nicht von alleine. Vielmehr sind an dieser Stelle die Vorstände und Geschäftsführer gefragt, die mit Blick auf die Unternehmensstrategie und das Geschäftsmodell die richtigen Stellschrauben betätigen und klare Signale in die Organisation senden müssen.

Der schnelle Wandel wirkt sich jedoch nicht nur auf Organisationen als Gesamtsystem, sondern auch individuell auf die Führungskräfte aus. Da Veränderungen häufig nicht nur unerwartet, sondern auch unvorhersehbar sind, ist es für Unternehmensführer entsprechend schwierig, sich hierauf vorzubereiten und notwendige Weichen zu stellen. Altbewährte Antworten und Entscheidungsschemata greifen nicht mehr, zu unbekannt und komplex sind die neu auftretenden Störfaktoren. Gleichzeitig müssen Entscheidungen meist unter hohem Zeit- und Reaktionsdruck getroffen werden. Diese hochgradige Verunsicherung erschwert Führungskräften ihre tägliche Arbeit und hinterlässt bei ihnen das Gefühl, trotz jahrzehntelanger Managementerfahrung wieder „neu im Job“ zu sein. Ein subjektives Gefühl von Unsicherheit, Druck und der Angst vor Kontrollverlust entsteht.

In Konsequenz fühlen sich einige Unternehmensführer machtlos. Sie erstarren, werden risikoavers, investieren unzureichend und bevorzugen stattdessen eine Liquidität jenseits des Nötigen. Andere wiederum entwickeln mangels Weitsicht und Klarheit ein risikoaffineres Verhalten, welches die Gefahr kapitaler Fehler und des Scheiterns maßgeblich erhöht. Zudem führt die geringere Planungssicherheit häufig dazu, dass sich Unternehmer verstärkt auf „Feuerwehreinsätze“ zur Bekämpfung akuter Probleme fokussieren, statt den Grundstein für langfristige Entwicklung und Erfolg zu legen. Oftmals müssen Unternehmensführer in schwierigen Zeiten auch einer genaueren Prüfung von Seiten des Beirats, des Inhabers, der Kunden oder auch regulierender Behörden standhalten. Es kommt somit zu externem Druck mit Blick auf Zeit, Ressourcen und Erwartungen – und in der Folge zu erhöhter Anspannung innerhalb der Organisation. Zunehmende Schnelligkeit und Komplexität führen auch zu Stress für den Menschen selbst: Schlafmangel und der ständige Druck, fokussiert zu bleiben, machen die Arbeit einer Führungskraft härter als je zuvor. Wie mit diesem Stresspegel individuell umgegangen wird, beeinflusst mitunter auch, welche Auswirkungen turbulente Zeiten auf das Unternehmen letztendlich haben.

Effektive Unternehmensführung in unsicheren Zeiten erfordert daher ein außergewöhnliches Management, das sich durch große Flexibilität, Vielseitigkeit, Marktnähe und Antizipation auszeichnet. Der Status Quo muss hinterfragt, Strategien angepasst und Optimierungen umgesetzt werden. Dies beinhaltet auch eine kalkulierte Risikobereitschaft: Es gilt, wichtige Entscheidungen zu fällen, die ggf. zu wirklicher Veränderung führen und ein Unternehmen nachhaltig prägen können – und diese Entscheidungen dann durch entsprechende Führung umzusetzen. Mit den hohen Anforderungen geht einher, dass Führungskräfte in diesen Zeiten sehr viel lernen und davon auch zukünftig stark profitieren können. Auch bergen volatile Szenarien Potenzial für neue, kreative Entscheidungen und Lösungen, bspw. in Form von Beförderungen, die in ruhigeren Epochen so nicht erfolgt wären. Hiervon können Führungskräfte individuell profitieren, u.a. in dem sie herausfinden, wie gut sie wirklich sind und wie sie auch in schwierigen Zeiten über das Unternehmen, die Strategie und die eigene Rolle denken.

Um die positiven Auswirkungen disruptiven Wandels zu nutzen sowie die negativen zu minimieren, müssen Führungskräfte von morgen besser und schneller verstehen, wie eine komplexe und sich wirtschaftlich und politisch wandelnde Welt Einfluss nimmt auf Geschäftsmodelle, Organisationen und das Individuum. Sie müssen mit Unsicherheit nicht nur umgehen können, sondern diese auch als Chance nutzen. Unternehmer wiederrum müssen in unsicheren Zeiten stärker hinterfragen, welche Ausbildung und Erfahrung geeignete Führungskräfte von morgen eigentlich mitbringen sollten.

Wie dies zu bewerkstelligen ist, beschreiben meine Kollegen Carolyn Lutz und Nick Harris im Artikel „Von Widrigkeiten profitieren“.