Nachhaltigkeit von der Chefetage bis in den Unternehmenserfolg verankern

Im Gespräch mit Lorna Davis: Einsichten einer Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit

von Alexandra Jequier & Andreas von Specht

Lorna Davis hat eine beeindruckende Karriere in sieben Ländern auf fünf Kontinenten durchlaufen. Mit über 20 Jahren Erfahrung als Präsidentin und CEO multinat­ionaler Konsumgüterunternehmen wie Danone, Kraft und Mondelez hat die gebürtige Südafrikanerin bedeutende Beiträge im Bereich der Nachhaltigkeit geleistet.

Während ihrer sechs Jahre beim Danone/Kraft JV in Shanghai fungierte sie als Schlüsselfigur bei Danones „Purpose Journey“ und wurde im Jahr 2017 CEO und Vorsitzende von Danone Nordamerika. In dieser Funktion konnte sie das 6-Milliarden-Dollar-Unternehmen als Public Benefit Corporation etablieren. Zudem erreichte sie, dass Danone Nordamerika 2018 als B Corp zertifziert und damit zur größten B Corp weltweit wurde.

Lorna war sechs Jahre lang aktiv im globalen Aufsichtsrat von Electrolux – und auch im Vorstand von BLab Global, der Non-Profit-Organisation, die B Corporations zertifiziert. Lorna inspiriert und coacht Führungskräfte, Unternehmertum als ‚Kraft für das Gute’ zu nutzen – und gemeinschaftlich zu leben und zu führen. Sie ist weiterhin auch in Gremien mehrerer Organisationen tätig, die sich einem sinnvollen Zweck (‘purpose’) verpflichtet haben; darunter dem Social Mission Board von Seventh Generation, dem Beirat von Radicle Impact und der Volgenau Climate Initiative. Ihr TED-Talk über „Radikale Interdependenzen“ wurde von fast drei Millionen Menschen angesehen und unterstreicht ihren Einfluss und ihr Engagement für eine sinnstiftende Mission. Wir freuen uns sehr darüber und sind stolz, dass sie nach unserer Zertifizierung als B Corp 2024 Mitglied des Beirats von AvS Advisors wurde!

AvS Advisors: Lorna, wann und wie hast Du Deinen Weg in Richtung Nachhaltigkeit eingeschlagen?

Lorna Davis: Das hatte viel mit meinen Erfahrungen in China zu tun. Ich hatte ein glückliches, erfolgreiches Leben – und Karriere gemacht, bevor ich für sechs Jahre nach Shanghai gezogen bin. China verändert Menschen auf einer grundlegenden Ebene. Ich habe dort gesehen, mit welcher Geschwindigkeit die Ressourcen des Planeten verbraucht und verarbeitet wurden, damit der Rest der Welt das bekommt, was die Amerikaner schon immer hatten. Wenn man sich das Gleichgewicht auf dem Planeten aus ökologischer Sicht ansieht, war noch alles in Ordnung, als nur ein paar „reiche Weiße“ alle Ressourcen verbrauchten. Es wurde allerdings zunehmend kritischer, als alle anderen einen Teil davon haben wollten und Milliarden von Menschen sagten: „Ich will ein Auto“, „Ich will jeden Tag Fleisch essen“, „Ich will nach Paris fliegen, um einzukaufen“. Es war, als ob sich die Ereignisse in Hochgeschwindigkeit abspielten, und ich erinnere mich, dass ich dachte, die Welt kann das nicht aushalten. Und ich habe mich gefragt: Was kann ich tun, um etwas zu verändern? So begann meine ‚Reise‘ in Richtung Nachhaltigkeit.

Wie bist Du mit der B Corp-Bewegung in Kontakt gekommen?

Damals war mein ehemaliger Chef Emmanuel Faber CEO von Danone geworden und wollte das Unternehmen auf eine neue Ebene der Nachhaltigkeit führen. Zu dieser Zeit begann die B Corp-Bewegung gerade, etwas an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ich zog zurück nach Paris, um den Transformations­prozess von Danone in eine US-Benefit Corporation zu leiten. Wir hatten zwar unsere eigenen internen Kennzahlen, um die richtigen Dinge zu tun. Aber wir wussten eben nicht, wie gut wir im Vergleich zu anderen waren, und wir wollten etwas, das von außen glaubwürdig war. Also entschieden wir uns für eine Partnerschaft mit B Corp.

Gab es damals ein Vorbild? War Unilever bereits auf diesem Weg?

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Unilever, Paul Polman, hatte den „Sustainable Living Plan“ aufgestellt und hat damit versucht, den Nachhaltigkeitsgedanken in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Emmanuel Faber war daran interessiert, es über Kennzahlen und aus rechtlicher Perspektive anzugehen. Eine wichtige Frage ist also, von wem man sich inspirieren lässt. Patagonia stellte ebenfalls einen großen Einfluss dar. Während ich das Unternehmen in den USA zu einer B Corp führte, wurde der CEO von Patagonia Vorsitzender unseres dortigen Aufsichtsgremiums.

Uns ist klar, dass es auf dem Weg zur Nachhaltigkeit auch zu einigen schmerzhaften Situationen kommen kann und nicht alles „wie am Schnürchen“ läuft. Magst Du auch dazu etwas sagen?

Zunächst einmal habe ich festgestellt, dass es bei Veränderungen immer drei Phasen gibt: Die Dinge gehen vom Unvorstellbaren – über das eigentlich Unmögliche – bis hin zum Unvermeidlichen. In der Regel kommt eine Kombination aus drei Dingen zusammen. Erstens Informationen: irgendwann werden die Daten so überzeugend, dass man sie einfach nicht mehr ignorieren kann. Zweitens sozialer Druck und drittens Gesetze. Eine meiner Beobachtungen ist, dass der Weg zur Nachhaltigkeit ein Jonglieren zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen ist. Als wir beispielsweise auf dem Weg zu einer B Corp waren, gehörten zu unserem Unternehmen Hunderte von Fabriken weltweit, die fast gar keine erneuerbaren Energien nutzten. Es war eine riesige Chance für uns, Solarpaneele auf den Dächern zu installieren, wir konnten es uns aber schlicht nicht leisten, diese Maßnahme gleich im ersten Jahr in unser Budget aufzunehmen. Also haben wir das über die folgenden zehn Jahre verteilt. Langfristig erhält man damit sogar mehr Punkte für die B Corp-Zertifizierung und spart außerdem Geld.

Ich glaube, das Jonglieren findet noch auf eine andere Art statt. Ich bin noch nie, wirklich nie, einem Mann begegnet, der bei der B Corp-Zertifizierung die eigentliche Arbeit macht. Fast immer wird diese Arbeit an eine Frau delegiert. Das ist deshalb so interessant, weil man oft den Firmenchef sieht, der visionär, mutig und kühn ist; der Dinge tut, die andere nicht tun wollen, und der eine Perspektive von oben hat, die die Menschen, die versuchen die Karriereleiter zu erklimmen, so nicht haben. Sie wollen die Welt verändern und fast immer haben sie Leute unter sich, die konservativ eingestellt sind. Oft sind sie darüber verärgert, dass sie nicht selbst der CEO sind, und denken, dass das Unternehmen ohne sie nicht erfolgreich sein kann. Ich nenne diese Personen die „Permafrost-Schicht“. Darunter befinden sich dann häufig Frauen in ihren Dreißigern oder frühen Vierzigern, die die eigentliche Arbeit machen.

Ich sage den Leuten immer, wenn sie sich auf den Weg der Nachhaltigkeit machen wollen, dass sie die kleinste juristische Einheit in ihrem Unternehmen nehmen sollten. Eine Unternehmenseinheit, die nicht ganz so kritisch ist, um dort die Zertifizierung durchführen. Auf diese Weise finden sie all die kleinen, kniffligen Punkte heraus und können diese lösen, bevor sie sich an die größeren Einheiten wenden.

Wie wichtig ist es, einen B Corp-Champion im Vorstand eines Unternehmens zu haben?

Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Die Vorstellung, dass sich Veränderungen von oben nach unten vollziehen, stimmt einfach nicht. Oft gibt es einen visionären CEO, der delegiert; aber der Wandel passiert tatsächlich von unten nach oben und auch von außen nach innen.

Ich habe zum Beispiel mit einer Bank zusammengearbeitet, die viele sehr bekannte Kunden hat. Mindestens zwei ihrer fünf wichtigsten Kunden waren sehr offen und interessiert an Menschenrechts- und Umweltfragen. Deshalb habe ich gefragt: „Wenn ein anderer Wettbewerber käme und Euren Kunden sagen würde, dass seine Bank viel ethischer agiert, weil diese zum Beispiel nicht in fossile Brennstoffe investiert. Oder weil sie ein deutlich faireres Gehalts- und Bonus-System für Mitarbeiter haben, etc. – was meinen Sie, wie Sie selbst danach reagieren würden?“ Wenn Eure Kunden Euch um etwas bitten, dann tut Ihr es in der Regel auch. Der beste Weg, etwas zu verändern, ist also, wenn die eigenen Kunden auf Eurer Seite sind. Denn sie werden direkten oder indirekten Druck auf die Geschäftsleitung ausüben – und es ist verblüffend zu sehen, wie stark Kunden und ihre Forderungen die Denkweisen von Unternehmen ändern können.

Was bedeutet das im Umgang mit hochqualifizierten Nachwuchskräften?

Junge Menschen, die Sie für sich gewinnen möchten, werden nicht für ein Unternehmen arbeiten, das nicht die richtigen Dinge tut. Ein sehr junger Mensch in einer Organisation kann eine Menge Macht haben. Manager können es sich schlicht nicht leisten, sich nicht zu ändern, weil ihre Mitarbeiter sonst mit den Füßen abstimmen und woanders arbeiten werden. Die Führungskräfte haben das Geld, aber die Junioren sind häufig diejenigen mit der Macht. Die Frage für alle lautet: Wo können sie Einfluss nehmen? Wo können sie einen Unterschied bewirken?

Das wirft die Frage nach Titeln und Vergütung auf. Welche Rolle spielt das?

Es gibt hier zwei Aspekte. Erstens denke ich, dass man von unterschiedlichen Ebenen führen kann. Wenn Du der CEO Deines Unternehmens bist, nutze diese Gestaltungsmacht: um die Welt zu verändern und damit Deine Kinder stolz auf Dich sind. Aber zweitens haben auch junge Menschen viel Macht; sie können versuchen, die Organisation von innen zu verändern. Und wenn sie an zu viel Widerstand scheitern, können sie woanders hingehen, wo sie eine Veränderung bewirken können.

Die Frage nach Titeln und Vergütung ist dennoch sehr interessant. Ich habe gerade mit einer CEO gesprochen, die ihren Job gekündigt hat. Sie ist eindeutig hoch talentiert, eine Top-Managerin und erfolgreiche Gestalterin. Sie hat mir erzählt, dass sie „so“ trotzdem nicht weiter leben möchte. Sie hat bisher ein Unternehmen mit einem Umsatz von über 500 Millionen Dollar geleitet und wird nun ein 80-Millionen-Dollar-Unternehmen führen; auch weil sie drei Kinder hat und von zu Hause aus arbeiten möchte. Einige Leute haben gesagt, sie sei verrückt. Sie hat ihnen geantwortet, dass sie wisse, wo ihre Werte liegen, und dass sie auch so genug Geld zum Leben habe. Einflussreiche, hochbegabte Menschen sagen, sie hätten genug Geld – und es komme auch auf andere Dinge an.

Ich habe auch mit jemandem gesprochen, der sein Geschäft verkauft hat. Er wollte es nicht an den Meistbietenden verkaufen, sondern an jemanden, der mit diesem Unternehmen das Richtige tun würde. Lachend hat er gesagt: „Ich hänge mit vielen Leuten herum, die sehr viel Geld haben, aber ich habe eines, das die meisten von ihnen nicht haben: Ich habe genug.“ Das ist ein wunderschöner Satz. Die meisten Leute, die immer noch vor allem das Spiel um Hierarchie, Macht und Gehalt spielen, sind die alten Fossilien, die häufig den Bezug zur Realität verloren haben.

Wir sind eine internationale Beratung-Boutique, die gerade die B Corp-Zertifizierung erreicht hat. Wir möchten weiterhin das tun, was wir tun, und zwar in einer Weise, die den B Corp-Standards entspricht – aber auch unseren Werten und Zielen gerecht wird. Was würdest Du Dir von einem kleineren Unternehmen wie unserem wünschen, um etwas zu bewegen?

Ich gebe Euch ein Beispiel für Macht: Ich trinke aus einer Wasserflasche. Wenn ich einen halben Teelöffel Zucker hineingebe, verändere ich diese Flasche bereits komplett. Eine Kleinigkeit kann also einen großen Unterschied machen, egal in welcher Position man sich befindet.

Weltweit gibt es eine große Bewegung, die man als „Dekarbonisierung des Geldes“ bezeichnen könnte. Demnach ist das Wirksamste, was man machen kann, zu entscheiden, woher man sein Geld erhält und was man damit macht. Eines der vielen Dingen, die man tun kann, ist, nur noch für Menschen und Projekte zu arbeiten, die das tun, was man selbst für richtig hält.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wo man sein Geld anlegt. Ich habe ein interessantes Diagramm gesehen, das den ökologischen Fußabdruck mehrerer Unternehmen abgebildet hat. Das war eindrucksvoll. Wenn man jedoch nachsieht, in was deren Banken investieren, dann ändert sich das ganze Bild drastisch. Wo und mit wem man sein Geld tatsächlich anlegt, ist also auch eine wirklich wichtige Frage.

Wir müssen selbst mitdenken; klare Antworten gibt es nicht und trotzdem müssen wir Verantwortung für unsere Entscheidungen übernehmen. Ihr könnt Euch also selbst fragen: Angenommen, das, was Ihr tut, steht auf der Titelseite einer der größten Zeitungen der Welt. Wenn Ihr das verteidigen und vertreten könnt und Eure Logik dahinter klar erkennbar ist, dann handelt Ihr gut. Wenn Ihr hingegen hoffen müsst, dass niemand etwas davon mitbekommt, solltet Ihr so besser nicht handeln.

Wo siehst Du für uns als Unternehmen unser größtes Einflusspotenzial?

Zunächst sind da die Fragen, die Ihr stellen könnt. Ihr habt Zugang zu Menschen, die extrem einflussreich sind. Wenn Ihr diesen Entscheidern nur zwei oder drei zentrale Fragen dazu stellt, was sie vorhaben, ist das schon eine erste Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen – unabhängig von den Antworten. Wenn jemand auf Euch zukommt für ein Mandat oder als Kandidat, ist es wichtig, jedes Mal sorgfältig nachzudenken und genau zu hinterfragen, was diese Menschen in der Welt bewirken. Ich denke, auf einer makroökonomischen Ebene könnt Ihr Menschen wirklich helfen, eine andere Welt zu durchdenken.

Eine zweite Möglichkeit, erheblich Einfluss zu nehmen, ist die Rekrutierung hochqualifizierter, veränderungsorientierter Nachwuchskräfte, um die Welt langfristig so zu gestalten, wie wir sie haben wollen. Und der dritte Punkt, denke ich, ist, dass Ihr in diesem Bereich zum Vordenker werden könnt. Wenn Ihr es schafft, die Institution zu sein, an die die Menschen sich wenden, um neue Denkansätze zu finden. Ihr könnt durch Vordenken und Vorbildfunktion Erhebliches bewirken, weil ja jeder mit Komplexität ringt. Nur sehr Wenige werden diese Art eines ehrlichen Gesprächs führen, wie wir es gerade tun. Aber die Menschen wollen und brauchen das.

Liebe Lorna, wir bedanken uns für diese Einblicke!