Fremdmanager: Die Suche nach großen Talenten mit kleinem Ego

Interview mit Peter Englisch, Partner und Leiter der globalen Family Practice bei EY

von Andreas von Specht und Felix B. Waldeier

AvS – International Trusted Advisors: Um ihren langfristigen Erfolg zu sichern, sind Familienunternehmen immer häufiger auf die Verpflichtung von externen Top-Managern angewiesen. Welche Veränderungen in Unternehmerfamilien sind dafür verantwortlich, dass der eigene Nachwuchs die Nachfolge häufig ablehnt?

Peter Englisch: Eine unserer weltweiten Studien unter den größten Familienunternehmen aus 2015 hat ergeben, dass das Interesse, in das eigene Familienunternehmen einzutreten, bei jungen Leuten immer mehr zurückgeht. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Eltern frühzeitig mit ihren Kindern über die Möglichkeiten, in das eigene Unternehmen einzusteigen, reden sollten. Junge Menschen wollen Klarheit und Perspektiven für ihr eigenes Leben und wissen oftmals gar nicht, welche Möglichkeiten – auch für Veränderungen – das elterliche Unternehmen ihnen bieten kann. Es geht ja schließlich nicht darum, alles genauso weiterzuführen wie es die Eltern getan haben, sondern auch auf aktuelle Trends, Technologien und Marktveränderungen zu reagieren – und da ist die nächste Generation gefragt.

Wenn der Nachwuchs sich gegen das Familienunternehmens entscheidet, muss meistens ein Fremdmanager die Nachfolge antreten. Woran können Eigentümer festmachen, dass ein Fremdmanager für ihr Familienunternehmen geeignet ist? Gibt es ein typisches Kompetenzprofil?

Insbesondere deutsche Familienunternehmen zeichnen sich häufig durch Bescheidenheit und Zurückhaltung aus und stellen persönliche Belange hinter denen des Unternehmens zurück. Familienunternehmen suchen daher grundsätzlich dezent auftretende und kompetente Führungspersönlichkeiten, die besondere Fähigkeiten im Bereich Strategie und Personalführung haben. Man könnte auch sagen: Gefragt sind große Talente mit kleinem Ego.

Gerade in Konzernen trifft man jedoch häufig auf ausgeprägte Egos. Sind Fremdmanager ohne Erfahrung in Familienunternehmen daher eher zweite Wahl?

Nein, Fremdmanager sind nicht per se zweite Wahl. Worauf es wirklich ankommt ist herauszufinden, wer am besten geeignet ist, die Werte und die Kultur der Familie in nachhaltiges Unternehmenswachstum umzusetzen. Das können auch Fremdmanager sein, und entsprechend gibt es viele Beispiele großer und sehr erfolgreicher Familienunternehmen, die durch Fremdmanager operativ geführt werden. Wenn es um die operative Leitung des Unternehmens geht, sollte immer die Kompetenz entscheiden – unabhängig davon, ob diese aus der Familie kommt oder von außen.

Andersherum gefragt: Sind Fremdmanager womöglich sogar die bessere Lösung für die Führung von Familienunternehmen?

Der Einsatz von Fremdmanagern bringt durchaus Vorteile mit sich. Als Familienfremde werden sie ausschließlich an ihrer Qualifikation und ihrer Leistung gemessen, sowie an der Art und Weise, wie sie das Unternehmen führen – und nicht nach ihrer Herkunft beurteilt. Dies führt zu einer objektiveren Betrachtung und Unternehmenssteuerung. Voraussetzung ist jedoch, dass die Inhaberfamilie die langfristige Richtung vorgibt sowie klare Kompetenzen definiert.

Warum ist das gerade in Familienunternehmen so wichtig?

Zur Festlegung klarer Zuständigkeitsbereiche, innerhalb derer sich das Fremdmanagement bewegen kann, gehört insbesondere eine klare Trennung zwischen den Belangen des Unternehmens und den Interessen der einzelnen Gesellschafter. Fremdmanager sollten weder in Fragen der privaten Steuern oder Geldanlage einbezogen, noch mit Anfragen zu Dienstwagen für nicht aktive Familienmitglieder kompromittiert werden.

Hat man einen Fremdmanager erfolgreich an Bord geholt, möchte man diesen natürlich langfristig an das Unternehmen binden – in der Realität gelingt das jedoch oft nicht. Was müssen Gesellschafter im Umgang mit Fremdmanagern berücksichtigen, um ein schnelles, ungewolltes Ausscheiden zu vermeiden?

Eine effiziente Kommunikationskultur mit regelmäßigem und offenem Austausch ist wichtig, um zusätzliches Vertrauen zu schaffen. Die Gespräche sollten in geordneten Bahnen verlaufen, damit die Fremdgeschäftsführung nicht Gefahr läuft, sich permanent gegenüber Mitgliedern der Eigentümerfamilie rechtfertigen zu müssen. Zudem ist es sehr wichtig, dass die Gründerfamilie ihre Werte ausreichend kommuniziert, um den Fremdmanager an die Besonderheiten von Familienunternehmen nachhaltig heranzuführen.

Meinen Sie mit diesen Besonderheiten unter anderem auch den gern zitierten „Family Business Spirit“?

Der „Family Business Spirit“ bezeichnet in der Regel die enge Verbundenheit der Eigentümerfamilie mit dem Unternehmen und die gelebte Vorbildfunktion, die eine besondere Unternehmenskultur hervorbringt. Ob er wirklich existiert und sich positiv auf die Belegschaft auswirkt, hängt aber entscheidend vom tatsächlichen Verhalten der Familie ab.

Worauf sollten Fremdmanager im Umkehrschluss selbst achten, um im Kontext der Familie angenommen zu werden und das Familienunternehmen erfolgreich führen zu können?

Um sich als Teil einer größeren „Familie“ zu verstehen halte ich es für entscheidend, dass sich auch der Fremdmanager selbst mit dem Unternehmen und den Werten der Familie identifiziert. Wichtig ist dabei jedoch, eine gewisse professionelle Distanz zu den Inhabern zu wahren. Im Unternehmen sind Rollen und Erwartungen klar definiert, und Fakten sowie rationale Entscheidungen gefragt. Im Umfeld der Familie geht es zudem um Emotionen, Anerkennung und oftmals unklare gegenseitige Erwartungen. Ein für Außenstehende also eher „vermintes Gelände“. Häufige Fehler bei der Besetzung mit Fremdmanagern sind deshalb falsche Erwartungen, fehlerhaftes Verhalten und ein Mangel an klaren Zuständigkeiten, sowie die Vermischung von Firmenbelangen und privaten Angelegenheiten der Inhaberfamilie.

Das klingt nach einem anspruchsvollen und recht steinigen Weg. Gibt es darüber hinaus weitere Gefahren, die zu einem Scheitern führen könnten?

Eine weitere Gefahr ist das Setzen zu kurzfristiger und zu sehr auf finanzielle Aspekte fokussierter Ziele. Boni und Vergütungssysteme belohnen in der Regel eher den kurzfristigen Erfolg anstatt die langfristige Generierung von Werten und nachhaltigen Renditen. In Familienunternehmen wird aber insbesondere auf das Letztere großen Wert gelegt.

Sind die Vergütungssysteme von Familienunternehmen denn weniger attraktiv, oder anders gefragt: Wird in Familienunternehmen deutlich schlechter gezahlt?

Grundsätzlich wird in Familienunternehmen angemessen bezahlt. Da Stock Options und andere Vergütungsbestandteile in der Regel nicht bestehen, kann die Gesamtvergütung jedoch unter der Vergütung vergleichbarer börsennotierter Unternehmen liegen. Dafür zeigen Statistiken allerdings, dass der Arbeitsplatz in Familienunternehmen viel sicherer ist und die durchschnittliche Verweildauer mehr als das Dreifache von vergleichbaren Positionen im Börsenumfeld beträgt.

Gibt es, neben der Arbeitsplatzsicherheit, weitere nicht-monetäre Komponenten, die Fremdmanager in Familienunternehmen locken?

Firmenkultur, Verantwortung sowie langfriste Werte und Ziele des Unternehmens sind attraktive Eigenschaften eines Familienunternehmens, die Manager von außen anziehen. Diese werden in Familienunternehmen häufiger und intensiver gelebt als in Konzernen.

Welche weiteren wichtigen Unterschiede bestehen zwischen einem börsennotierten Unternehmen und einem privat gehaltenen Familienunternehmen?

Im – vor einigen Jahren noch hoch gelobten – Modell des Shareholder Value geht es in erster Linie um die Mehrung des Vermögens der Shareholder, damit diese es nicht anderweitig investieren. Shareholder sind also Investoren, die nach der profitabelsten Geldanlage suchen. Diese Art des Managements ist typisch für börsennotierte Unternehmen. Familienunternehmen orientieren sich hingegen häufiger am „Responsible Ownership“. Hier geht es um viel mehr als kurze, finanzielle Anreize: Es werden langfristige Werte geschaffen und die Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und weitere Interessengruppen aktiv gelebt. Dieses Konzept unterscheidet sich also deutlich – und es hat sich erfolgreich in vielen Krisen bewährt.

Blickt man auf die diskutierten Vor- und Nachteile von Familienunternehmen, könnte man sich fragen: Kombinieren börsengelistete Familienunternehmen für Fremdmanager „das Beste aus beiden Welten“?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Gründe für einen Börsengang von Familienunternehmen sind vielfältig. Sie reichen vom Zugang zum Kapitalmarkt zum Zwecke der Wachstumsfinanzierung über die Einführung von guter Governance bis hin zur Lösung von Nachfolgeproblemen und der vereinfachten Abfindung ausscheidender Gesellschafter. Natürlich schafft das regulierte Umfeld grundsätzlich mehr Klarheit für Fremdmanager. Gleichwohl verbleibt die Führung und Kontrolle des Aufsichtsrates in der Regel bei der Familie.

Stichwort „Gute Governance“: Das Thema Corporate Governance hat in den letzten Jahren einen immer größeren Stellenwert in großen Unternehmen eingenommen. Welche Rolle spielt es für Familienunternehmen?

In Familienunternehmen gibt es die besondere Herausforderung, dass die Corporate Governance auf die in der Familie vereinbarten Regeln abgestimmt sein muss. Dies wird häufig als „Family Governance“ oder Familienverfassung bezeichnet. Diese Familienverfassung legt die langfristigen Ziele und Werte der Familie fest und schafft Klarheit in Bezug auf Führung und Kontrolle des Unternehmens, Kriterien für die Beschäftigung von Familienmitgliedern, Umgang mit ausscheidenden Gesellschaftern etc. Dies hilft der Familie – und natürlich auch den Fremdmanagern – die gegenseitigen Erwartungen und Aufgabenbereiche zu verstehen und zu respektieren. Das Thema Corporate Governance entwickelt sich stetig und wird auch zukünftig in Familienunternehmen eine immer größere Bedeutung erfahren.

Lieber Herr Englisch, wir danken Ihnen für diese Einblicke!