Finden und Binden

Der Wettbewerb um externe Toptalente in Familienunternehmen

von Andreas von Specht

Aktuelle Umfragen geben Anlass zur Besorgnis: Die Bereitschaft junger Familienmitglieder, Verantwortung im elterlichen Unternehmen zu übernehmen und eines Tages die Nachfolge als Unternehmer anzutreten, ist auch in Deutschland weiter gesunken und scheinbar auf einem Tiefpunkt angelangt. Besonders größere Familienunternehmen werden daher zunehmend gezwungen sich dem weltweiten Kampf um Top-Talente zu stellen, um die besten Führungskräfte für sich zu gewinnen – und sie dann vor allem auch langfristig zu binden. Die Herausforderung für Gesellschafter von Familienunternehmen und externe Führungskräfte erscheint gleichermaßen groß: Viele der Fremdmanager kommen nicht unbedingt aus dem Umfeld von Familienunternehmen. Es bedarf also bestimmter Fähigkeiten, Kompetenzen und häufig auch Vorbildfunktion von beiden Seiten, um diese besondere Verbindung erfolgreich werden zu lassen.

Ich bin selbst im erweiterten Umfeld eines Familienunternehmens groß geworden, ohne operativ je auch nur einen Fuß in dieses Unternehmen gesetzt zu haben. Mein Urgroßvater hat nach dem 2. Weltkrieg die Berenberg Bank in Hamburg wiedereröffnet, deren Ursprünge bis in das Jahr 1590 zurückreichen. Die Bank ist daher die älteste Privatbank und eines der ältesten Familienunternehmen überhaupt in Deutschland. Zwei Familienstämme, zusammen mit den beiden persönlich haftenden Partnern, halten immer noch die Mehrheit des Kapitals. 2015 markierte nicht nur das 425. Jahr der Bankgeschichte, sondern war auch das bisher wirtschaftlich erfolgreichste Jahr der Bank. Dieser Erfolg ist mit Tradition und Werten sicher nicht ausreichend zu erklären. Er ist gerade in den vergangenen 12-15 Jahren vor allem auch das Resultat einer vollumfänglichen Neuerfindung und Restrukturierung der Bank, die vor allem von den familienfremden Partnern der Bank betrieben wurde. Beide Partner halten substantielle Kapitalanteile und beide sind stilistisch sicher nicht unmittelbar mit dem Typus Privatbankier aus den Zeiten meines Urgroßvaters zu vergleichen. Ohne diese Partner wäre der Bank aber die erfolgreiche Neuausrichtung mit ziemlicher Sicherheit nicht gelungen. Und bis in die 1990er Jahre stellte die Familie über ihren Mehrheitszweig ja immer einen aktiven Partner, der den Familiennamen trug. Vor einigen Jahren kam dann für die Familie eine Art Zäsur, weil „plötzlich“ kein Familienmitglied mehr in der Führung der Bank vertreten war. Zwar entsendet jeder Familienzweig einen Vertreter in den Verwaltungsrat, dieser fungiert jedoch nur eingeschränkt als wirkliches Aufsichtsgremium, zumal die Partner ja persönlich haften. Der von der Familie in früheren Jahrzehnten wesentlich beeinflusste Gesellschaftervertrag sieht vor, dass die Richtungsentscheidungen der Bank durch die starken Partner getroffen werden.

Die Familie sah diese neue Situation vermutlich kommen, hat aber wenig getan, um sich (bzw. den Gesellschaftervertrag) an diese ganz anderen Zeiten anzupassen. Inzwischen gibt es eine neuausgerichtete Bank mit einer sich ebenfalls verändernden Kultur – und es ist nicht abzusehen, dass ein Familienmitglied in den kommenden Jahren wieder eine prägende Rolle in der Führung übernehmen wird. Ist das nun notwendigerweise ein Nachteil? Möglicherweise nicht, aber das hängt natürlich u.a. von der Fähigkeit der Familie ab, Entwicklungen als Gesellschafter zu kalibrieren und zu beeinflussen.

Auf jeden Fall lassen sich aus der Geschichte unseres Familienunternehmens einige interessante Erkenntnisse ableiten. So zum Beispiel ganz allgemein die Gewissheit, dass unternehmerische Talente nicht immer vererbbar sind. Ein gut funktionierendes System von Corporate Governance im Unternehmen – und „Family Governance“ in der Familie – sind unabdingbar, sowohl um externe Top-Talente zu gewinnen, als auch als Voraussetzung, um die Interessen der Inhaberfamilien zu schützen.

AvS – International Trusted Advisors und EY, zusammen mit einer führenden, europäischen Universität, haben kürzlich eine umfassende europäische Studie über „Fremdmanager in Familienunternehmen“ veröffentlicht. Nach umfassenden Diskussionen mit Familiengesellschaftern einerseits, und externen Top-Managern andererseits, versteht man sehr schnell bestimmte Besonderheiten. So gibt es in fast allen diesen Familienunternehmen, in denen die Gesellschafter in der Regel sehr emotional mit dem eigenen Unternehmen verbunden sind, einen besonderen „Geist“. Das Unternehmen stellt einen wichtigen Teil der Identität dieser Familien dar, und ist in den allermeisten Fällen weit mehr als nur eine größere Finanzinvestition. Der besondere Geist der Familienunternehmen zeigt sich häufig in der Unternehmenskultur, in der Beziehung von Inhabern und externem Management und generell in der Arbeitsatmosphäre. Familienunternehmen sind, bei aller Schnelligkeit und Innovationsfreude, fast immer sehr langfristig orientiert. Ein wesentliches Ziel, wenn nicht das allerwichtigste Ziel überhaupt, ist die erfolgreiche Übergabe an nachfolgende Generationen.

Der besondere Geist von Familienunternehmen ist sozusagen ein wichtiger Teil der „Schokoladenseite“ dieser Unternehmen. Wenn Inhaber langfristige Stabilität garantieren, eine Plattform für schnelle, unabhängige Entscheidungen ermöglichen und ein überzeugendes Wertesystem mit einem Gefühl der Sinnhaftigkeit vorleben, kann die Kraft einer solchen Vorbildrolle gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber natürlich gibt es im realen Leben auch eine Schattenseite: Wenn Familienstämme oder einzelne Gesellschafter unterschwellig oder auch ganz offen in Konflikte involviert sind (untereinander oder auch mit dem Management), die sich irgendwann wie unangenehmer Mehltau auf das ganze Unternehmen legen, wächst das Risiko der Abwanderung talentierter Fremdmanager sprunghaft.

Selbst wenn es Nachwuchs in der Familie gibt, der an einem Einstieg grundsätzlich interessiert ist, sagt dies natürlich noch nichts über die Eignung aus. Was sind nun notwendige Erfahrungen und Vor-Qualifikationen für den Einstieg ins eigene Familienunternehmen? Und wer entscheidet eigentlich am Ende darüber, ob der Sohn, die Tochter oder das Patenkind den richtigen Erfahrungs-Mix für den Durchmarsch an die Unternehmensspitze mitbringt? Solche Fragen sollten unbedingt im Rahmen der Erarbeitung einer Familienverfassung gestellt werden. Wenn am Schluss aber das Ergebnis steht, dass die Nachfolge aus der eigenen Familie nicht organisiert werden kann, oder es zumindest einer Brückenbildungs-Lösung bedarf, um bspw. eine Generationslücke zu schließen, dann kommt Fremdmanagement ins Spiel.

Vielen Familiengesellschaftern merkt man mangels Erfahrung mit externen Rekrutierungen eine gewisse Unsicherheit an, wie ein solcher Prozess überhaupt organisiert werden sollte. Sie wissen intuitiv allerdings, dass Fehlentscheidungen bei der Einstellung von Fremdmanagern schmerzhaft und vor allem auch sehr teuer werden können. Trotzdem gelingt eine erfolgreiche Einstellung von externen Führungskräften gerade beim ersten Mal häufig nicht. Die erfolgreiche „Passform“ eines Externen im Familienunternehmen entscheidet sich häufig bereits nach wenigen Wochen oder Monaten. Wenn eine Besetzung nicht klappt, liegt es meistens nicht an der fachlichen Qualifikation, sondern an einem Mangel an Verständnis für die Besonderheiten in diesem speziellen Umfeld. Externe Führungskräfte müssen häufig erst verstehen, wie ein Familienunternehmen „tickt“ und auf welche Besonderheiten zu achten ist. Sehr viele, sogar viele der größeren deutschen Familienunternehmen, sind von außen hinsichtlich ihrer Zahlen, Innovations- oder Ertragskraft nur schwer zu analysieren. Trotzdem ist es verwunderlich und manchmal geradezu schockierend, wie wenig Mühe sich viele Führungskräfte damit machen, einen neuen, potenziellen Arbeitgeber vorab umfassend zu recherchieren. So bleibt eine Analyse gerade hinsichtlich der dort herrschenden Unternehmenskultur meistens aus und es wird ein Arbeitsvertrag unterschrieben, ohne die DNA der Familie hinter dem Unternehmen – und damit mögliche Besonderheiten gegenüber anderen Unternehmen – auch nur im Ansatz erfasst zu haben. Umgekehrt ist es allerdings auch erstaunlich zu erleben, wenn mancher Familiengesellschafter kaum Zeit und Aufwand investieren will, um einen externen Unternehmensführer wirklich sorgsam auszusuchen und mit Umsicht in das Unternehmen zu integrieren.

Externe Führungskräfte hoffen darauf, bei Familienunternehmen vor allem eine solide Plattform mit einem langfristig angelegten Investitionshorizont zu finden, bei dem dann wichtige Entscheidungen unabhängig von Quartalsergebnissen getroffen werden können. Sie erwarten flache Hierarchien, wenige, kompetente Entscheidungsträger, unkomplizierte und vor allem unpolitische Entscheidungs- und Kommunikationswege. Und sie hoffen natürlich die Schokoladenseite der besonderen Unternehmenskultur eines Familienunternehmens vorzufinden, also eine wertebasierte, unternehmerische Kultur sowie ausgeprägte Mitarbeiterorientierung. Die Befürchtungen dagegen ranken sich vor allem um mögliche Grabenkämpfe und „hidden agendas“ im Gesellschafterkreis, einen Mangel an Transparenz und Offenheit‚ sowie irrationales „Gutsherren-Gehabe“ bei Inhabern.

Das Idealprofil eines Fremdmanagers für ein Familienunternehmen wird natürlich die wichtigsten Kompetenzen für eine solche Persönlichkeit erfassen. Dabei geht es nicht nur um Vorerfahrung, sondern um die Definition von persönlichen Eigenschaften und Kompetenzausprägungen, die eine Führungskraft in verschiedenen Feldern tatsächlich vorzuweisen hat. Also beispielsweise die Befähigung, substantielle Veränderung in einem Unternehmen zu bewirken, ein Geschäftsmodell nachhaltig zu beeinflussen oder echte Kundenorientierung auf eine Vertriebsmannschaft zu übertragen. Neben unternehmerischen und sozialen Kompetenzen (wie bspw. auch der Führungsbefähigung) ist eine der entscheidenden Kompetenzen sicherlich die Fähigkeit, in dem spezifischen Umfeld eines Familienunternehmens „zu funktionieren“. Wo hat die Führungskraft eine ähnliche Situation und Unternehmenskultur bereits erlebt und wie ist sie mit einer ähnlichen Herausforderung umgegangen? Unserer Erfahrung nach scheitern Fremdmanager in Familienbetrieben in den seltensten Fällen wegen fachlicher Unzulänglichkeiten oder einer nicht funktionierenden Strategie. Wir haben aber Situationen erlebt, in denen fachlich starke Führungskräfte von einer „plötzlich bevorstehenden Trennung“ scheinbar komplett überrascht wurden. Möglicherweise deswegen, weil sie die vielen (versteckten) Hinweise und das Feedback zu eigenem Verhalten vollkommen überhört oder übersehen haben – welche der Inhaber (wie er uns versicherte) so „kristallklar und direkt“ glaubte gegeben zu haben. Am Ende blieb dann nur die Erkenntnis: „Hired on competency – fired on chemistry and style!“

Interessanterweise scheint die Höhe der Vergütung am Ende keine wirklich ausschlaggebende Rolle beim Einstellungsprozess von Fremdmanagern zu spielen. Sie muss stimmen und marktfähig sein. Ausschlaggebend für die Entscheidung, statt in ein Großunternehmen in ein mittelständisches Familienunternehmen zu wechseln, ist dagegen eher die unternehmerische Freiheit und der Handlungs- und Gestaltungsrahmen sowie die Möglichkeit, ein Unternehmen wirklich weiter zu entwickeln, ggf. zu verändern und damit echte Verantwortung übernehmen zu können. Sobald wir mit der Planung einer Nachfolge oder der Suche eines Geschäftsführers von extern beauftragt werden sollen, ist in den Vorgesprächen fast immer von der Suche nach einem „Unternehmer im Unternehmen“ die Rede. Dies ist nachvollziehbar – aber wenn man tatsächlich einen echten Unternehmer für das eigene Unternehmen sucht, dann muss diesem Unternehmer hinterher auch das Vertrauen und die Gestaltungsfreiheit gewährt werden, damit er seine Wirkungskraft wirklich entfalten kann. Und gleichzeitig, so zeigt auch das Beispiel des Unternehmens aus meiner eigenen Familie, sollte ein professionelles Governance-System mit funktionierenden „Checks & Balances“ installiert sein, um einen solchen Unternehmer begleiten und die übergeordneten Interessen der Familie wahren zu können.