Erfolgreiche Nachfolge in Familienunternehmen organisieren

Ein Interview mit Philip Mackeown, Family Talent Coach und Gründer des irischen Family Business Networks

Philip Mackeown ist Mitglied der fünften Generation der Familie Musgrave, in dessen Besitz sich das gleichnamige und größte Familienunternehmen Irlands befindet. Er ist Autor, Coach und Mentor im Bereich Nachfolgeplanung in bzw. für Familienunternehmen und Family-Offices und setzt sich für die Talentförderung in Unternehmerfamilien ein. Er selbst war bereits im eigenen Familienunternehmen als Vorstand, in Aufsichtsfunktionen und als Vorsitzender des Familienrates tätig.

2012 gründete, entwickelte und führte er das irische Chapter des globalen „Family Business Network“ (FBN), welches ‚Familien in Unternehmen‘ unterstützt. Er ist Autor des kürzlich erschienenen Buches „The Successor’s Voice: Leadership lesson learned as a successor to a family-in-business“. Darin beschreibt er eigene Nachfolge-Erfahrungen, Erkenntnisse als Begleiter anderer Nachfolgeprozesse und teilt zentrale Forschungserkenntnisse. Mit seinem Buch wendet er sich an Nachfolger/innen und zeigt auf, wie sie ihre eigene Karriere und ihren Beitrag innerhalb, neben oder außerhalb des Familienunternehmens effektiv gestalten können.

Philip erwarb einen Bachelor of Arts (B.A.) am Trinity College in Dublin, einen MBA und ist darüber hinaus zertifizierter Executive und Leadership Coach. Neben dem Englischen, seiner Muttersprache, spricht er auch fließend Spanisch.

Können Sie uns etwas über Ihre Familie und das Unternehmen, das Ihre Familie führt, erzählen?

Die Musgrave-Gruppe mit Stammsitz im irischen Cork ist unser Familienunternehmen, das in der Republik Irland, in Nordirland und im Südosten Spaniens Handel betreibt. Wir sind Großhändler für unabhängige Lebensmitteleinzelhändler (viele davon in Familienbesitz), besitzen und betreiben unsere eigenen Supermärkte und beliefern und unterstützen – mit unserem Foodservice Bereich – diejenigen, die Lebensmittel verarbeiten und verkaufen. Mit 41.000 Mitarbeitern sind wir Irlands größter Arbeitgeber im privaten Sektor. 2021 betrug der Gesamtumsatz des Unternehmens 4,5 Milliarden Euro.

Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1876 und befindet sich aktuell in fünfter Generation im mehrheitlichen Besitz unserer Familie – und das soll möglichst auch so bleiben. Die übrigen Anteile gehören aktuellen und ehemaligen Angestellten von Musgrave. Unser „one-tier-board“ setzt sich aus Top Managern, familienexternen Aufsichtsräten und drei Familienangehörigen zusammen und wird von einem familienfremden Mitglied geleitet. Zu unserer Familie zählen heute mehr als 180 Familienmitglieder, die in der ganzen Welt leben.

Wir stehen uns so nahe, wie es die geografische Lage und die Zeit zulässt. Wir arbeiten zusammen, um den Familienbesitz fortzuführen und finden, wann immer es möglich ist, Gelegenheiten, um gemeinsam zu lernen und zu gestalten.

Wie hat Ihre ‚Reise‘ im Unternehmen Ihrer Familie begonnen?

Ich bin kurz nach meinem Bachelor-Studium in das Unternehmen eingetreten und habe zehn Jahre lang im Einzel- und Großhandel in Irland und Spanien gearbeitet. Danach bin an die Universität zurückgekehrt, um meinen Master-Abschluss zu machen und habe einige Zeit außerhalb des Familienunternehmens gearbeitet. Fünf Jahre später trat ich als Familienmitglied dem Board bei und war in diesem Gremium für zwei Amtszeiten von jeweils fünf Jahren tätig. Über zehn Jahre lang war ich zudem Mitglied unseres Familienrats, wo ich den Generationenwechsel vorbereitet und an der Ausarbeitung unserer ersten Familienverfassung mitgewirkt hatte.

Im Jahr 2015 schied ich schließlich aus unserem Board aus, um mich vermehrt der Leitung des irischen Chapters des Family Business Network (FBN) zu widmen, das ich 2012 gegründet hatte.

Da Sie sowohl für das eigene Familienunternehmen als auch außerhalb davon gearbeitet haben, können Sie den Lesern Ihres Buches sehr eindrücklich die Besonderheiten von Nachfolgeprozessen innerhalb von Unternehmerfamilien aufzeigen. Was war der hauptsächliche Anlass dafür, ein Buch darüber zu schreiben?

Geschrieben habe ich das Buch für die künftigen Nachfolger aus Unternehmerfamilien – also für diejenigen Familienmitglieder, die auf ihre Vorgänger nachfolgen werden – unabhängig von ihrem Alter, oder ihrer spezifischen Lebensphase. Meine Intention war es, damit die Wissenslücken in Bezug auf erfolgreiches Nachfolgen zu schließen, und praktische Ratschläge für und aus der Sicht eines Nachfolgers zu geben.

„Was sollte man möglichst über Nachfolge wissen, wenn man von Nachfolge nur in der Theorie gehört hat?“ – das ist die Frage, die mein Buch untersucht und auf welche ich Antworten geben möchte. Dabei schreibe ich für einen Nachfolger in der heutigen Zeit, der sowohl gut ausgebildet ist und sich um seine eigene berufliche Entwicklung kümmert, gleichzeitig aber auch seinen potenziellen Beitrag für die eigene Familie und das Familienunternehmen im Auge hat. Im Kern zielt das Buch also auf die Vorbereitung, Entwicklung und Förderung von Talenten innerhalb der Familie ab.

Es soll vor allem auch denjenigen Nachfolgern helfen, die sich bemühen, sich die „richtigen“ Fragen zu stellen, und die den Mut und die Ausdauer haben, auch hierauf die Antworten zu finden. Wenn ich auf meine dreißigjährige Berufserfahrung zurückblicke, hätte ich ein solches Buch gerne gelesen. Ich hätte es gerne zur Hand gehabt in den Momenten, in denen ich mich mit besonderen Chancen, aber auch den unvermeidlichen Herausforderungen konfrontiert sah, die mit Eigentümerschaft einhergehen.

Mit diesen Chancen und Herausforderungen müssen alle Nachfolger in Unternehmerfamilien umgehen. Manche sind dabei sehr erfolgreich, andere wiederum scheitern hieran. Sie führen das auf sechs unterschiedliche Führungsrollen-Profile zurück, in die ein Nachfolger jeweils hineinpasst. Können Sie uns dazu mehr erzählen?

Ausgehend von meiner Erfahrung mit den Führungsrollen, die für die Leitung eines Familienunternehmens erforderlich sind, habe ich in diesem Buch sechs Rollenprofile ermittelt und ausgearbeitet, die Nachfolger im Laufe ihres Lebens einnehmen können. Ein Nachfolger kann mehrere Rollenprofile gleichzeitig einnehmen und im Laufe seines Lebens mehrere Kombinationen dieser Rollenprofile durchlaufen.  Auch ich habe im Laufe der Zeit jedes dieser Rollenprofile schon „besetzt“, die folgendermaßen zusammengefasst werden können:

  1. Unbeteiligter Nachfolger: Persönlichkeit, die weder in das Familienunternehmen noch in Familienaktivitäten involviert ist, und die möglicherweise emotional oder auch geografisch in einiger Entfernung zum Unternehmen und/oder der Mehrheit der Familie steht.
  2. Karriere-Nachfolger: Personen, die eine Managementkarriere im Familienunternehmen in Betracht ziehen, diese gerade entwickeln oder bereits in einer Führungsposition im Unternehmen tätig sind.
  3. Unternehmer-Nachfolger: Familienmitglieder, die eine Karriere als Unternehmer oder Sozialunternehmer entweder unabhängig vom Kernfamilienunternehmen oder auch daneben erwägen oder derzeit entwickeln.
  4. Übergangs-Nachfolger: Nachfolger in Unternehmerfamilien, die eine Veränderung der eigenen beruflichen Ausrichtung oder der persönlichen Entfaltung in Betracht ziehen oder durchlaufen, was jeweils eine grundlegende Anpassung der Beziehung des Nachfolgers zum Familienunternehmen erfordert.
  5. Vereinigender Nachfolger: Typus, der gerade dabei ist – oder sich vorbereitet – eine Führungsposition innerhalb der Gesellschafterfamilie einzunehmen; als Mitglied oder Vorsitzender des Familienrats, als Leiter eines Unterausschusses oder in führender Funktion des Family Offices.
  6. Eigentümer-Nachfolger: Persönlichkeiten, die entweder eine Führungsposition im Beirat oder Aufsichtsrat des Familienunternehmens oder des Family Offices ausfüllen oder in Betracht ziehen und gleichzeitig Eigentümer und Nutznießer von Familienvermögen sind.

Neben diesen Leadership-Rollenprofilen sprechen Sie in Ihrem Buch auch von Schlüsselkompetenzen, die Sie durch Ihre eigene Erfahrung identifizieren konnten. Über welche Kompetenzen sollten Nachfolger verfügen, wenn sie ein „Family Business Professional“ sein bzw. werden wollen?

In meinem Buch identifiziere ich eine Reihe von Nachfolger-Kompetenzen: als Familienmitglied, Führungskraft, Unternehmer oder als Eigentümer. Viele davon sind bereits allgemein bekannt. Einige sind universal und gelten auch für Personen, die nicht in einem Familienunternehmen tätig sind.

Wenn ich mit Nachfolgern – meinen Kindern, deren Cousins ??oder den Nachfolgern aus anderen Familien – spreche, lege ich immer besonderen Wert auf drei Dinge, von denen ich glaube, dass diese für sie als Mitglieder einer Unternehmerfamilie besonders wichtig sind (und sein werden).

Erstens: ein ausgeprägtes Familienbewusstsein. Damit einher geht die Fähigkeit zu beobachten, aktiv zuzuhören und innerhalb und für die Familie etwas beitragen zu können. Das sind die Fähigkeiten, die dem Rollenprofil des „Vereinigenden Nachfolgers“ zugrunde liegen und die viel „unsichtbare“ Arbeit erfordern – motiviert durch ein echtes Interesse an den Menschen, mit denen man verwandt ist. Die Vorteile eines solchen Verhaltens innerhalb der Familie liegen klar auf der Hand: Der Familienzusammenhalt wird gestärkt und man entwickelt ein Geschick dafür, Familienmitglieder einzubeziehen, die sich vielleicht ein wenig ‚außen vor‘ fühlen. Man entwickelt ein scharfes Auge dafür, wer die Verwandten sind, die sich im Laufe der Zeit einbringen möchten. Ich habe diese Menschen schon früh versucht zu identifizieren, als unsere Familie die ersten Male zusammenkam.

Die zweite Kompetenz beruht auf dem Vermögen, das Ganze zu „sehen“, das heißt eine ganzheitliche Sicht auf Familie, Unternehmen und die Eigentümerschaft zu haben – sozusagen „Systeme sehen“ können. Dazu gehört auch die Fähigkeit, jeden Teil dessen, was wir als „Familienunternehmen“ kennen, zu verstehen, zu managen und sich mit ihm auseinandersetzen zu können. Dies ist eine Kompetenz, die Zeit braucht, um sich zu entwickeln, und (wiederum) eine Großzügigkeit, die (manchmal widersprüchlichen) Anforderungen der Familie, des Unternehmens und der Eigentümerschaft zu akzeptieren.

Die dritte und letzte Fähigkeit besteht darin, eine glaubwürdiges (und konsistentes) Narrativ entwickeln zu können, das vermittelt, warum Sie – als Nachfolger – da sind; wo Sie noch hin möchten und auf welche Weise. Ihre Karriere ‚erzählen‘ zu können ist die Fähigkeit, die es braucht, um Ihr eigenes Drehbuch zu schreiben (und zu kommunizieren), als eine logische Entwicklung Ihrer Bestrebungen und Ihrer Karriere im Rahmen der Eigentümerschaft. Sich darüber im Klaren zu sein, weshalb man da ist, wie man einen Beitrag leisten will, und dies letztlich effektiv kommunizieren zu können, ist eine Fähigkeit, die sich vielfach auszahlen wird.

Gemäß Ihrem Buch zahlt es sich auch vielfach aus, wenn man sich Unterstützung holt. Warum ist das so wichtig?

Ein Teil meines Buches widmet sich dem Prinzip des ‚Familientalents‘, wonach Nachfolger, um bestmöglich performen zu können, eigene Strukturen zur Unterstützung für optimierte Leistung und optimale Beiträge konzipieren und einrichten müssen. Einige Bestandteile, wie beispielsweise ein Entwicklungs- und Rollenplan, Schulungen, Feedback, sollten eigentlich aus dem Unternehmen stammen. Sind diese vorhanden, ist das ein guter Anfang. Wenn jedoch nicht, sollte man hier ansetzen. Es ist jedoch die Unterstützung von außen, die für eine stabile Leistung des Nachfolgers und für seinen langfristigen Beitrag unerlässlich ist.

Wo finde ich diese externe Unterstützung?

Hierbei würde ich vor allem drei Quellen hervorheben wollen: Zuerst die formellen Kursangebote für Weiterentwicklung und Lernen; ein besonderer Nebeneffekt sind die lebenslangen Beziehungen, die mit Gleichaltrigen entstehen, die man in solchen Kursen kennenlernt.

Zweitens, und damit eng verbunden, sind die Chancen, die sich durch die Mitgliedschaften in Netzwerken (oder ähnlichen Organisationen) für Unternehmerfamilien wie dem FBN bieten. Der Zugang zu Gleichaltrigen in einem vertraulichen Rahmen birgt ein unerschöpfliches Unterstützungspotenzial für den engagierten Nachfolger. Als Gründer des irischen Chapters des FBN habe ich das Potenzial und Ergebnis von ‚peer-networking‘ selbst und unmittelbar erleben dürfen.

Drittens ist es jedoch wünschenswert und manchmal sogar erforderlich, dass Förderung auf einer noch individuelleren Ebene stattfindet. Hierfür eignen sich Mentoren, die uns einen Spiegel vorhalten, während wir in unserem Leben und in unseren Rollen vorankommen; oder auch Coaches, die uns lehren, zeigen und motivieren, unser Verhalten zu ändern. Diese kommen in der Regel aus einer von zwei Quellen: entweder sind sie Mitglieder in Verbänden, die solche Dienstleistungen für Unternehmerfamilien professionell anbieten, oder Einzelpersonen, die von dem jeweiligen Nachfolger gefunden wurden – oder ihm bereits bekannt sind.

Nachfolger täten gut daran, auf Angebote aller drei Domänen zurückzugreifen, falls das nicht bereits geschehen ist. Ein „externer“ Spiegel, der von Kurskollegen, anderen Familien und qualifizierten Beratern vorgehalten wird, ermöglicht drei Dinge: erstens eine externe Validierung und Kalibrierung. Zweitens, ungeschminktes Feedback und ehrliche Kommentare, welche man niemals von der eigenen Familie oder von den Managern, mit denen man zusammenarbeitet, erhalten hätte. Und schließlich gewinnen Sie einen geschätzten Partner, der Ihnen bedingungslos positive Wertschätzung entgegenbringt und Ihnen bei Bedarf auch einmal „aus der Patsche hilft“. Irgendwann im Laufe der Karriere wird das wahrscheinlich jeder einmal brauchen.

Gesetzt dem Fall, Unterstützung durch Externe ist da und funktioniert auch – wie können Inhaberfamilien zusätzlich den Nachfolgeprozess über Zeit glätten und optimieren?

Der effektivste Weg, den größere Familien hier gehen können, besteht in der Gründung und dem Aufbau eines „Familien-Talent-Ausschusses“ oder einer Art Task Force. Die Unterstützung der Eigentümerfamilie zur Förderung und Entwicklung von Familientalenten ist vom „Geschäft“ getrennt (findet also außerhalb des Unternehmens statt). Diese Unterstützung kommt von der Familie (den Nachfolgern) und berücksichtigt den aktuellen und künftigen Bedarf an Familientalenten.

Ein Gremium, das entweder als Unterausschuss des Bei- bzw. Aufsichtsrats oder Familienrats mit der Befugnis ausgestattet ist, die innerfamiliäre Talentförderung zu steuern, greift auf relevantes unternehmensinternes Fachwissen, bei Bedarf aber auch auf außerhalb der Familie und des Unternehmens generiertes Fachwissen zurück – so etabliert sich eine Art Triumvirat aus Management, Eigentümern und Experten.

Die Ziele können (und werden) variieren. Sie sollten aber die Erwartungen an die Familie als Eigentümer ganzheitlich erfassen. Dazu gehört die Ermittlung des aktuellen und künftigen Führungsbedarfs, die Identifikation und Förderung derjenigen, die diese Rollen ausfüllen sollen, und die Erfassung individueller Leistung, Feedback, Befindlichkeit und Eignung. Wenn ein solches Gremium gar nicht existiert – wer sonst sollte denn die Verantwortung für Förderung und Steuerung von Familientalenten übernehmen?

Herr Mackeown, wir bedanken uns für diese Einblicke!