Eine Triebfeder der Veränderung sein

Ein Interview mit Frits van Paasschen, Autor von “The Disruptors‘ Feast”

von Andreas von Specht

Andreas von Specht: Das Wort „Disruption“ ist in aller Munde und oft sind es Start-ups oder branchenfremde Akteure, welche etablierte Unternehmen mit neuen Ideen herausfordern. Was würden Sie gestandenen Geschäftsführern raten, die sich plötzlich mit diesem immer schnelleren Wandel konfrontiert sehen?

Frits van Paasschen: Viele Führungskräfte, die jahrzehntelang erfolgreich Unternehmen geleitet haben, bemerken, dass sich die Bedingungen für Erfolg drastisch geändert haben – für sie selbst und für das Geschäft. Ich würde ihnen in erster Linie raten, durch eine globale Denkweise die Vorgänge außerhalb des Unternehmens zu verstehen, die daraus resultierenden notwendigen Veränderungen innerhalb der Organisation umzusetzen – und dadurch als „Leuchtturm“ für das Unternehmen mit gutem Beispiel voranzugehen. Insbesondere börsennotierte Unternehmen setzen einen zu großen Fokus auf KPIs, Ertragssteigerungen und das Erreichen vorgegebener Erfolgskennziffern. Es kann dann leicht passieren, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. CEOs und Führungskräfte sollten sich daher fortwährend fragen, ob der für das Unternehmen festgelegte Maßstab für Erfolg noch relevant oder bereits überholt ist. Deshalb ist es so wichtig, eine Perspektive von außen zu gewinnen – nicht nur im Hinblick auf Technologien, sondern auch in Bezug auf andere Kulturen und Märkte weltweit.

Wie erhält man diese Außenperspektive am besten?

Zum Beispiel durch das Einsetzen eines Beratergremiums bestehend aus „Millennials“, die aus der Organisation oder von außerhalb kommen. Wichtig ist auch der regelmäßige Austausch mit und das Pflegen enger Beziehungen zu Risikokapitalgebern, die viel über jene Start-ups wissen, die für das eigene Geschäft relevant werden könnten. Ein „Hackathon“ kann auch sehr erfolgreich sein – ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Teams innerhalb des Unternehmens, die innerhalb von 24 Stunden mit neuen digitalen Lösungen aufwarten müssen. Es gibt verschiedene sinnvolle Möglichkeiten, eine Außenperspektive zu erhalten und ganz neue Denkweisen zu schaffen.

Sie haben diese Außenperspektive u.a. durch den temporären Umzug der Firmenzentrale des Hotelkonzerns Starwood nach China und Dubai erhalten. Wie konnten Sie Ihre Mitarbeiter für diese Idee begeistern?

Ich habe sie einfach gefragt, ob sie einen Grund sehen, diese Maßnahme nicht durchzuführen. Dadurch entstand ein echter Dialog über die Schaffung einer globalen Denkweise und das Verständnis, unsere regionalen Geschäftsführer aktiv zu unterstützen, um in neuen Märkten erfolgreich zu sein, statt ihnen zentralseitig Strukturen oder Prozesse aufzuzwingen.

Der Erfolg in einem neuen Markt hängt in einem gewissen Maße auch von politischen Entwicklungen ab – die heute teilweise eher als Rückschritt zu bewerten sind.

Viele der kürzlich getroffenen politischen Entscheidungen – zum Beispiel die Wahl des US-Präsidenten oder der Brexit – waren überraschend und beunruhigend für uns. Aber in komplizierten, sich schnell wandelnden Systemen sollten wir die Erkenntnis akzeptieren, dass solche Überraschungen jederzeit zu erwarten sind. Ein weiteres Beispiel ist der wachsende Populismus, der in vielen europäischen Ländern zu beobachten ist. Hier besteht eine starke Verbindung zum Thema Disruption: die treibende Kraft dahinter ist eine zunehmende Zahl an Wählern, die sich entrechtet fühlt – und deren Arbeit und Lebensgrundlage durch die Globalisierung und die Ausbreitung neuer Technologien bedroht wird, oder ihr bereits zum Opfer gefallen ist.

Es gibt also viele Verlierer in dieser sich schnell wandelnden, globalen Wirtschaft?

Es gibt immer Gewinner und Verlierer in Zeiten von Wandel und Disruption. Um neue Arbeitskräfte wird nunmehr global konkurriert und Arbeitsplätze können problemlos an einen anderen Standort verlegt werden. Zudem übersteigt das Tempo, in dem diese Veränderungen stattfinden, bei weitem die Fähigkeit der Mitarbeiter, sich darauf einzustellen oder entsprechend umzuorientieren. Leider tendieren Menschen stark dazu, einen Schuldigen zu suchen – und es ist viel einfacher, diesen jenseits der eigenen Grenzen auszumachen, als sich im eigenen Land umzusehen oder den eigenen Mangel an relevanten Fähigkeiten für einen sich wandelnden Markt zu betrachten.

Hat dieser Wandel im globalen Arbeitsmarkt zu einem „war for talents“ zwischen Arbeitgebern geführt?

Ich denke der „war for talents“ existiert bereits seit einiger Zeit, wurde aber durch die momentanen Geschehnisse noch verstärkt. Industrieübergreifend suchen Unternehmen nach Arbeitskräften, die soziale Medien verstehen, digitalaffin und in der Lage sind, Technologien in bestehende Arbeitsabläufe zu integrieren. In der heutigen, stark vernetzten Welt ist das Einnehmen einer globalen, über Landes- und Branchengrenzen hinausreichenden Perspektive immer bedeutender geworden. Früher haben Unternehmen Arbeitskräfte mit spezifischen Fähigkeiten oder Branchenkenntnissen rekrutiert. Heute suchen sie zunehmend nach ähnlichen Arbeitskräften und Top-Talenten, die die eben genannten Fähigkeiten besitzen.

Was müssen Unternehmen heute anders machen, um Top-Talente weltweit erfolgreich ausfindig zu machen?

Früher wurde hauptsächlich am Standort des Unternehmens nach neuen Talenten gesucht. Heute sind viel mehr die Standorte der Talente relevant: Unternehmen müssen sich dynamische Städte ansehen, „Brutstätten“ für die kreative Klasse – Orte, wo Menschen mit den oben beschriebenen Fähigkeiten sich wohlfühlen. Diese Orte – ob das nun Brooklyn, Berlin, London oder Amsterdam ist – müssen genutzt werden, um Arbeitskräfte zu finden und an das Unternehmen zu binden.

Wie müssen sich Executive Search-Firmen weltweit an diese Veränderungen anpassen, um für ihre Klienten relevant zu bleiben?

Mit der Ausweitung von LinkedIn und anderen sozialen Netzwerken erlebt das Geschäft der Personalsuche seine ganz eigene Form der digitalen Disruption. Aufgrund der zunehmenden Möglichkeiten, Personal zu rekrutieren, stellen immer mehr Unternehmen auf „Inhouse Talent Management“ um. Das Problem ist jedoch, dass viele Unternehmen das Profil ihrer neuen Führungskräfte zu eng und in traditioneller Denkart definieren – und dabei oft nicht realisieren, dass ihr Bedarf an neuem Personal aus einem Bedarf an anderen Fähigkeiten resultieren könnte. Als Berater muss man die Ideen seiner Klienten in Frage stellen und ihre Aufmerksamkeit auf diese neuen Bedürfnisse lenken. Unternehmenslenker mögen vielleicht aus einer anderen Industrie kommen; trotzdem können sie genau richtig für die Aufgabe sein, wenn sie in der Lage sind, unbequeme Fragen zu stellen, die das Unternehmen auf die sich abrupt verändernde Zukunft vorbereitet. Beispielsweise: Was sind gerade die größten Bedrohungen für das Unternehmen? Wie wird ‚unsere‘ digitale Disruption aussehen? Wie soll damit bei uns umgegangen werden? Wie qualifiziert und bereit ist unsere Führungsmannschaft, diesen Wandel anzuführen? Gibt es jemanden, der als ‚change agent‘ vorangeht bei Umstellungen, die von der zentralen Planung über Produktionsbereiche hin zum Verbraucherdialog unterschiedlichste Unternehmensteile betreffen können?

Viele unserer Klienten sind Familienunternehmer. Stehen sie in disruptiven Zeiten vor den gleichen Herausforderungen wie börsennotierte Unternehmen?

Erfolgreiche Unternehmen müssen in der Lage sein, den Wandel so schnell wie möglich zu erkennen bzw. zu antizipieren – d.h. nicht nur darauf zu reagieren, sondern diese Veränderungen selbst aktiv voranzutreiben. Im Vergleich zu Familienunternehmen müssen Großkonzerne viel mehr auf die Belange ihrer Investoren achten, sind auf Quartalszahlen fokussiert und dadurch manchmal blind für die Nuancen des Wandels. Die Dynamik in Familienunternehmen kann in unterschiedliche Richtungen wirken: Der Fokus auf Tradition und Kontinuität kann natürlich auch ein Hindernis für den Wandel darstellen; andererseits wird durch den Fokus auf verantwortungsbewusstes, nachhaltiges Wirtschaften in die langfristige Leistungsfähigkeit des Unternehmens investiert – und dadurch die Risiken von Disruption minimiert.

Sind Werte als ein wichtiger Bestandteil der DNA von Familienunternehmen heute noch ein Vorteil? Oder können sie eher hinderlich sein?

Werte können dem Unternehmen Ausrichtung und Sinnhaftigkeit geben. Statt des Erreichens eines bestimmten Umsatzziels besteht bei der Werteorientierung das inhärente Ziel in der Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Neue Wege zur optimalen Kundenzufriedenheit zu finden kann ein Katalysator für Innovationen und positiven Wandel sein. Für heutige Konsumenten ist zunehmend wichtig, dass die Werte des Unternehmens, dessen Produkte oder Dienstleistungen man kauft, mit den eigenen Werten übereinstimmen. Die hohe Transparenz in einer digital vernetzten Welt führt dazu, dass Unternehmen ohne starke moralische Sinnhaftigkeit schneller „geouted“ werden. Deshalb stellt das Eintreten für die richtigen Werte in einer sich verändernden Welt sogar einen Vorteil dar.

Frits van Paasschen, vielen Dank für diese Einblicke!

Literaturhinweis: “The Disruptors´ Feast” von Frits van Paasschen, erhältlich bei Amazon.
http://fritsvanpaasschen.com/