Digitale Beiratsmitglieder

Ein “Do’s and Don’ts” Leitfaden für Beiräte

von Carolyn Lutz und Nick Harris

Vor einigen Ausgaben hatten wir das Privileg, Frits van Paasschen zu interviewen, der gerade ein aufschlussreiches und überzeugendes Buch über die Herausforderungen technologischer Disruption in etablierten Geschäftsmodellen geschrieben hatte („The Disruptors‘ Feast“). Ein Zitat aus diesem Buch verdeutlicht das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Herausforderung: „Die digitale Revolution wird die industrielle Revolution wie in Zeitlupe erscheinen lassen…. Wenn Sie glauben, dass Sie und Ihr Beruf von digitalem Wandel nicht betroffen sind, geben Sie sich einer Illusion hin.“

In unserer letzten TTA-Ausgabe haben wir uns wiederum mit der Notwendigkeit von (Geschlechter-) Vielfalt in Aufsichts- und Beiräten beschäftigt sowie den Herausforderungen, die Unternehmen auf dem Weg dorthin begegnen.

In diesem Artikel versuchen wir nunmehr, diese beiden Aspekte – Vielfalt und Digitalisierung – zu verknüpfen, und untersuchen einige der „Do’s und Don’ts“ für „traditionelle“ Beiräte, die zukunftsorientierter, vielfältiger und digitaler werden wollen (und müssen!).

Fakt ist, dass viele (die meisten!) Vorstände von börsennotierten sowie Familienunternehmen über keine durchdachte digitale Rekrutierungsstrategie verfügen und das Verhalten und die Denkweise dieses relativ neuen Talentpools auch nicht gänzlich durchdringen.

Dabei übersteigt die Nachfrage nach digitalen Talenten, ob auf Vorstands- oder Beiratsebene, bei weitem das Angebot. Und während früher die gängige Annahme herrschte, dass die meisten Führungskräfte irgendwann eine Beiratsfunktion übernehmen würden, ist es nicht selbstverständlich, dass digitale Talente Beirat eines Bluechip-Unternehmens werden wollen. Das, was sie im Geschäftsleben am meisten schätzen – Autonomie, unternehmerische Freiheit, Offenheit und kurze Kommunikationswege; flache Hierarchien, schnelle Entscheidungsfindung und schnelle Ergebnisse – sehen sie (berechtigterweise) in größeren oder traditionelleren Unternehmen als nicht gegeben. Ein bekannter digitaler Unternehmer, mit dem wir kürzlich sprachen, beschrieb die Vorstellung, Teil einer großen Gruppe zu sein, als „Folter“.

Darüber hinaus herrscht bei digitalen Talenten, die für Beiratspositionen angesprochen werden, oft eine gewisse Grundskepsis darüber, ob das Unternehmen – und insbesondere der Beirat – tatsächlich bereit ist, die notwendigen Veränderungen anzustoßen und umzusetzen. Schon ein flüchtiger Blick auf das bestehende Unternehmen kann abschreckend wirken – eine weitere digitale Führungskraft, mit der wir uns kürzlich über ihr Interesse an Vorstandsrollen austauschten, bemerkte in einem ungläubigen Tonfall, dass die meisten derzeitigen Beiräte „sich nicht einmal die Mühe machen, ein LinkedIn-Profile zu erstellen“. Potentielle Beiratskandidaten sind dann vermehrt für das Unternehmen zu interessieren, wenn sie bereits aus erster Hand Erfahrungen mit den entsprechenden Produkten oder Dienstleistungen haben oder sich anderweitig mit der Marke oder dem Unternehmenszweck identifizieren können. Und eine konkrete Zielsetzung oder Agenda des Beirats – z.B. Transformation, Turnaround, Expansion – wird fast immer als attraktiver angesehen als ein konstantes „Business as usual“.

„Gleich und gleich gesellt sich gern“ ist ein weiteres bekanntes Problem bei der Rekrutierung von Personal. Diese Tendenz besteht häufig auch dann weiter, wenn „analoge“ Beiräte versuchen, ein digital versiertes Mitglied zu an Bord zu holen. Dies erhöht jedoch das Risiko, dass am Ende gar kein geeigneter Kandidat identifiziert wird – denn digitale Talente können traditionelle Beiräte mit ihrem Aussehen und Verhalten oftmals „abschrecken“. Sie sind häufig (viel) jünger, offener, weniger „geschliffen“ und ein höheres Maß an Autonomie gewöhnt. Zudem verlaufen ihre Werdegänge meist nicht sehr geradlinig und weisen häufiger Start-up und unternehmerische Erfahrung auf als Großkonzerne und bekannte Marken.

Auch die Erwartungen digitaler Talente an die Arbeitsweise von Beiräten sowie ihre Interaktion in diesen kann durchaus eine Herausforderung für den „klassischen“ Beirat darstellen. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache interessant, dass digitaler Beiratszuwachs in den letzten Jahren viel häufiger weiblich (25%) oder international war, als dies bei „normalen“ Anstellungen der Fall war. Dies könnte darin begründet sein, dass Beiräte versuchen, zwei „Diversity-Themen“ mit nur einer Neuanstellung abzuhaken – oder auch einfach nur ein Indiz dafür sein, dass „digital natives“ insgesamt heterogener, internationaler und mobiler sind als vorherige Generationen.

Im Hinblick auf die oben genannten Problematiken haben wir einige „Do’s and Don’ts“ für „traditionelle“ oder homogene Beiräte zusammengestellt, die bei der Rekrutierung digitaler Mitglieder helfen sollen:

DO

  • Machen Sie sich die Gründe für die Suche nach digitalem Talent bewusst: Mehr Vielfalt verbessert ganz einfach die Entscheidungsfindung im Beirat.
  • Die Suche nach digitalen Beiräten muss breiter angelegt sein als dies traditionellerweise der Fall ist. Gesucht werden unkonventionelle Funktionen in internationalem Umfeld und häufig weiter unten im Organigramm. Profitieren Sie von einem breiteren Spektrum an Hintergründen, Erfahrungen, Fähigkeiten und in der Altersstruktur, um den bestehenden Beirat zu ergänzen und nicht zu kopieren. Entgegen der allgemeinen Meinung müssen Beiräte nicht unbedingt ein Unternehmen als Geschäftsführer geleitet haben!
  • Stellen Sie mehr als nur ein neues Mitglied ein: Ziel ist es, einen vielfältigen Beirat aufzubauen – und nicht das reine Abhaken von Diversitätsanforderungen oder eine symbolische Ernennung. Es gibt zahlreiche überzeugende Belege dafür, dass vielfältige Teams effektiver arbeiten. Der Beirat sollte daher immer als Ganzes betrachtet werden. Der ideale Beirat besteht aus einer ausgewogenen Zusammensetzung verschiedener Hintergründe und sich ergänzender Erfahrungen.
  • Hören Sie zu: Digitale Beiräte können aufgrund ihres anderen Blickwinkels einen strategischen Mehrwert für das Unternehmen leisten – sie erkennen neue Geschäftsmöglichkeiten, die der Beirat sonst übersehen würde (z.B. neue Kundenschnittstellen, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, Mitarbeiter-Branding- und Engagement-Programme, Akquisitionstargets), und identifizieren Bedrohungen, die dem Beirat möglicherweise einfach nicht bewusst sind (z.B. Cybersicherheit, Reputationsschäden in sozialen Medien, aufstrebende Wettbewerber mit disruptiver Technologie).
  • Gehen Sie als Beirat mit gutem Beispiel voran: Eine digitale Kultur wird nicht automatisch durch alle Hierarchiestufen eines Unternehmens weitergegeben, nur weil Sie ein neues Beiratsmitglied ernennen. Alle Beiräte müssen ihre Aufgabe als Vorreiter und Befürworter einer digitalen Zukunft wahrnehmen.
  • Als Beiratsvorsitzender: Achten Sie darauf, nicht nur die Tagesordnung, sondern auch die Kommunikations- und Verhaltensregeln festzulegen. Sie sollten sicherstellen, dass jeder zu Wort kommt, dass genügend Zeit für Fragen bleibt und dass Diskussionen nicht nur oberflächlich bleiben. Bei traditionelleren Beiratsmitgliedern muss der / die Vorsitzende möglicherweise stärker auf den Grundsatz des gleichberechtigen Mitspracherechts hinweisen. Mit digitalen Beiräten muss unter Umständen ein Kommunikationsstil erarbeitet werden, der für ein solches Gremium am effektivsten und besten geeignet ist (z.B. in einfacher Sprache statt übermäßig technischem Fachjargon oder zu detailliert).
  • Zudem kann es eine gute Idee sein, wenn der Vorsitzende dem neuen Mitglied einen Mentor aus der Mitte der erfahrenen Beiräte zuweist, um (gegenseitiges) Lernen zu fördern und den Zusammenhalt zu stärken.
  • Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie über ein umfassendes Onboarding und Einführungsprogramm für digitale Beiräte verfügen. Eine zunächst vielversprechende Anstellung scheitert selten an der Person an sich, sondern vielmehr aufgrund von Missverständnissen, einer unzureichenden Kenntnis der Stakeholder-Dynamik und verpasster Möglichkeiten, sich früh zu beweisen und einen Beitrag zu leisten.
  • Beiräte mit fachlichem Hintergrund sollten sich bewusst bemühen, einen Beitrag zu Themen außerhalb ihres Fachgebiets zu leisten. Eine Beiratsposition sollte als eine Lernerfahrung angesehen werden, die auch dabei hilft, bessere Managementfähigkeiten in den operativen Rollen zu entwickeln.
  • Digitale Führungskräfte, die erstmals in einem Beirat sitzen, müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass dieses Gremium anders funktioniert als das Management Meeting eines Internet-Players – insbesondere, wenn es sich um ein börsennotiertes Unternehmen handelt. Corporate Governance und operative Führung sind nicht dasselbe.
  • Und als letzten Ratschlag empfehlen wir aufstrebenden Beiräten dringend, einen formellen Kurs bei einer angesehenen Institution wie dem IMD, einer INSEAD Business School oder der FT zu besuchen. Dies dient als gute Vorbereitung, sowohl in der Vermittlung der Grundlagen einer guten Corporate Governance als auch in der Weiterbildung in Bereichen wie Finanzen, Risiko oder Personalwesen, denen die Führungskraft möglicherweise zuvor nicht ausgesetzt war. Damit signalisiert man auch nach außen, dass eine Beiratsposition angestrebt wird und entsprechend ernstgenommen würde. Letztendlich bietet die Teilnahme an einem „NextGen Non-Executive Director Programme“ sowohl gute Networking-Möglichkeiten als auch die weitere Unterstützung durch die Community.

DON´T

  • Sehen Sie Digitalisierung nicht als ein überwiegend „operatives“ Thema, das durch den Beirat keine Berücksichtigung erfahren muss, dessen Aufgabe eher in der „strategischen“ Ausrichtung des Unternehmens liegt. Digitalisierung ist heute ein ganz grundlegendes Thema und unerlässlich für das Verständnis des Großen und Ganzen. Eine Unternehmensstrategie, die Digitalisierung nicht ausreichend berücksichtigt, wird von Anfang an grundlegend fehlerhaft sein.
  • Genauso sollte Digitalisierung nicht nur ein Thema für das neue digitale Beiratsmitglied sein. Jedes einzelne Beiratsmitglied muss an seinem digitalen Knowhow arbeiten. Man kann sich nicht ewig vor diesem Trend verstecken (Tipp: Selbst der Beiratsvorsitzende muss wissen, wie man mit sozialen Medien umgeht – und über ein präsentables LinkedIn-Profil verfügen!).
  • Verabschieden Sie sich von vorgefassten Meinungen, die zur Einstellung des immer gleichen Typus Beirat führen: Nicht alle Beiräte müssen Geschäftsführer eines großen Unternehmens gewesen sein. Nicht alle Beiräte müssen „graues Haar“ haben. Erkennen und akzeptieren Sie die Tatsache, dass ein digitaler Beirat wahrscheinlich jünger ist und einen atypischen Karriereweg haben kann.
  • Stellen Sie nicht nur eine(n) ein: Eine einzelne Stimme, ein „Sonderfall“ – ob ein Digital Native oder der einzige weibliche Beirat – ist leicht zu ignorieren oder auszugrenzen. Das ist unfair gegenüber dem neuen Beiratsmitglied, das dadurch Gefahr läuft, als thematisch begrenzter Experte – und damit nicht als gleichwertig – angesehen zu werden. Im besten Fall werden Sie von der neu eingebrachten Perspektive nicht voll profitieren können. Im schlimmsten Fall ist das neue Beiratsmitglied schnell gefrustet und verlässt das Gremium kurzfristig wieder. Die Zusammensetzung des gesamten Beirats muss sorgfältig geprüft werden; dies ist eine wesentlich andere Aufgabe als das bloße Austauschen eines in den Ruhestand gehenden Beirats gegen einen identischen Ersatz.
  • Gehen Sie in Bezug auf den obigen Punkt nicht davon aus, dass bei einer umfassenden digitalen Transformation des gesamten Unternehmens die Ernennung eines einzelnen digitalen Beirats ausreicht. Das digitale Universum ist heute so groß (z.B. Social Marketing, E-Commerce, Big Data, Cyber Security, Consumer Privacy, FinTech, künstliche Intelligenz, etc.), dass niemand über tiefes Expertenwissen in all diesen Dimensionen verfügen kann.
  • Unterschätzen Sie nicht die Auswirkungen kultureller oder generationsbedingter Unterschiede. Die Arbeits- und Kommunikationsstile der „Digital Natives“ können sehr (manchmal völlig) unterschiedlich sein. Eine Verbesserung der digitalen Kompetenz des Beirats wird sich auf lange Sicht für alle auszahlen, aber gehen Sie nicht davon aus, dass dies immer problemlos oder ohne kommunikative Schwierigkeiten ablaufen wird. „Traditionelle“ Beiräte müssen ihren Wortschatz erweitern und damit rechnen, dass mehr Fragen zu „Sinn“, „Wirkung“ und „Kundenorientierung“ gestellt werden.
  • Last but not least ein Ratschlag für erstmalige Beiräte: Gehen Sie keine Kompromisse ein, wenn es um Ihre Wertvorstellungen geht, und geben Sie nie ihr unabhängiges Denken auf. Sie wurden aus einem bestimmten Grund eingestellt, und – so einfach und verlockend es auch sein mag, Entscheidungen einfach durchzuwinken – es obliegt Ihnen, sich zu äußern, zu hinterfragen und neue Ideen vorzuschlagen. Meinungsvielfalt ist für einen gut funktionierenden und effektiven Beirat von entscheidender Bedeutung.

Abschließend noch einmal der Hinweis: Vielfalt im Beirat ist keine PR-Aktion. Diversität im Aufsichtsrat sollte angestrebt werden, da sie erwiesenermaßen zu einer besseren Entscheidungsfindung führt.