Unternehmensführung 4.0

Die Anforderungen digitaler Transformation an Organisation und Führung

von Dr. Christian Bühring-Uhle und Felix B. Waldeier

Digitalisierung ist in aller Munde – sie bietet Chancen, schürt aber auch Ängste. Im Mittelpunkt steht oft die Frage, wie sich Geschäftsmodelle und Prozesse durch den Einfluss der Digitalisierung verändern oder gar neu erfinden müssen. Dabei liegt der Fokus häufig auf Strategie, Vertrieb, Supply Chain und Kommunikation.

Von zentraler Bedeutung ist jedoch, dass die digitale Transformation nicht nur das Geschäftsmodell oder den Einsatz von Technologie betrifft, sondern vor allem auch neue Anforderungen an die Organisation und Führung stellt. Es geht um fundamental neue Formen der Zusammenarbeit, und die wirklich knappe Ressource ist dabei nicht die Technologie, sondern adäquate Führung. Der Erfolg der Transformation hängt nämlich vor allem davon ab, dass Menschen ihr Verhalten ändern – und das wird wiederum stark bedingt durch die Methoden und die Qualität der Mitarbeiterführung. Aufgrund der besonders weitreichenden und tiefgreifenden Veränderungen, die die digitale Transformation mit sich bringt, sind die Widerstände typischerweise besonders groß, insbesondere die impliziten, auf Trägheit beruhenden. Im Mittelpunkt steht der Mensch, weshalb es entscheidend darauf ankommt, talentierte und digitalisierungsaffine Mitarbeiter zu gewinnen, zu motivieren und zu führen, aber auch kontinuierlich weiter zu entwickeln und an die Organisation zu binden. Hier kommt dem CEO eine besonders gewichtige Rolle zu.

Denn eine Digitialisierungsstrategie ist immer nur so gut wie die Organisation, und das heißt letztlich die Menschen, die sie umsetzen. In den Worten von Peter Drucker, „culture eats strategy for breakfast“.

Eine digitale Kultur ist geprägt durch folgende Grundzüge:

  • Offenheit und Kundenorientierung statt Nabelschau
  • Neue, ständig sich wandelnde Aufgaben und Rollen
  • Lern- und Experimentierfreude statt Planungswahn
  • Permanentes Feedback und Umgang mit Fehlern als Chance
  • Viel Delegation, Kreativität, Autonomie – wenig Kontrolle
  • Vernetztes und mobiles Arbeiten
  • Teamplayer statt Alphatiere

Um eine solche Kultur aufzubauen, braucht es:

  • Momentum: Eine starke Führungs- und Identifikationsfigur muss den Prozess verkörpern und vorantreiben, die Menschen im Unternehmen „mitnehmen“. Das kann der CEO selbst sein, oder eine Form von „Digitalisierungs-Champion“ – solange die Menschen inspiriert werden und genug Freiräume erhalten, die Transformation ein Stück weit selbst in die Hand zu nehmen.
  • Das richtige Maß an Zentralisierung: Damit wird für den erforderlichen Grad an effizienter Ressourcenbereitstellung und Standardisierung gesorgt, ohne dabei die Freiheitsgrade abzuwürgen, die für das Experimentieren mit digitalen Arbeitsmethoden gebraucht werden.
  • Agiles Arbeiten: Weg von starren, hierarchisch geprägten Prozessen und hin zu schneller, bereichsübergreifender, experimenteller Team-Arbeit.
  • Eine lernende Organisation: Strukturen, Ressourcen und Anreize, die lebenslanges Lernen und permanenten Wandel zu einem Grundpfeiler des Selbstverständnisses der Organisation machen.
  • Die Bereitschaft, zu „Verlernen“: Genauso wichtig wie das Erlernen neuer Arbeitsmethoden ist es, auf eingespielte und eingefahrene Wege zu verzichten und sich auf das Neue wirklich einzulassen.
  • Eine digitale Talent-Pipeline: Die Ermöglichung von permanenter Weiterbildung und die systematische Förderung von digital denkenden und agil handelnden Nachwuchs-Führungskräften.

Dies ist kein einfacher Weg, denn es erfordert systematische „Rüstungsanstrengungen“ im „Krieg“ um die Talente. Dabei müssen die vorhandenen Mitarbeiter methodisch evaluiert und entwickelt und permanent neue, digitale Talente an Bord geholt werden.

Eine besondere Herausforderung ist der Aufbau von digitalem Talent in der Unternehmensführung. In vielen Fällen ist dies ohne die Rekrutierung externer Führungstalente nicht möglich. Aber in dieser „neuen Welt“ ist die Suche nach digitalen Top-Führungskräften noch einmal schwieriger geworden. Dies beginnt schon damit, dass es heute viel schwerer ist zu definieren, welche Eigenschaften ein solches Talent mitbringen muss. Klassische hierarchische Führungsstrukturen müssen aufgebrochen werden, die „horizontale“ Kollaboration gewinnt an Bedeutung, ebenso eine höhere Teamorientierung und das Arbeiten in dezentralen Teams. Damit ändert sich zwangsläufig die Art und Weise der Zusammenarbeit und Führung – und die Anforderungen an Führungskräfte.

Stellenprofile sind weniger fixiert und können zudem eine zunehmend hohe Technologiekomponente enthalten, weshalb die idealen Kandidaten in vielen Fällen gar nicht mehr in den „typischen Industrien“ bzw. beim Wettbewerber sitzen, sondern ganz woanders zu finden sind. Das wiederum bedeutet, dass man bei der Suche nach digitalem Führungstalent oft „out of the box“ denken und sich auf Profile einlassen muss, an die man im ersten Schritt gar nicht gedacht hätte (z.B. fachfremde, non-HR Manager in leitenden HR-Funktionen). Und weil die Geschäftsmodelle sich wesentlich schneller als zuvor ändern, müssen insbesondere die Führungskräfte flexibler sein und sowohl den Willen als auch die Fähigkeit aufbringen, sich immer wieder auf neue und unerwartete Situationen und Herausforderungen einzustellen.

Eine weitere Auswirkung des mit der Digitalisierung einhergehenden Paradigmenwechsels in der Unternehmensführung ist, dass Manager mit „Millenials“ umgehen können müssen. Diese arbeiten anders, sind anders motiviert und damit auch anders zu incentivieren. Insbesondere haben sie typischerweise einen stärker ausgeprägten Wunsch nach Sinnhaftigkeit, d.h. die Folgen ihres beruflichen Wirkens müssen bei Ihnen ein gutes Gefühl hinterlassen. Damit wachsen auch der Stellenwert des „Employer Brandings“ und die Notwendigkeit glaubhaft zu kommunizieren, dass man ein auf die Interessen und Bedürfnisse der Millenials ausgerichtetes Arbeitsumfeld geschaffen hat und permanent an einer weiteren Verbesserung arbeitet.

Der Aufbau einer digitalen Unternehmenskultur und einer für Millenials attraktiven „Arbeitgeber-Marke“ ist eine große Aufgabe und kann mit erheblichen Investitionen verbunden sein – aber es gibt kaum einen größeren Hebel für den Erhalt und die Steigerung des Unternehmenswertes.