Die Benefit Corporation

Kultur der Sinnhaftigkeit als Geschäftsmodell der Zukunft?

von Andreas von Specht und Dr. Christian Bühring-Uhle

Traditionell agieren Unternehmen und Organisationen entweder mit einer klaren Gewinnerzielungsabsicht – oder, als reine „Non-Profit-Organisationen“, eben eindeutig ohne diese Absicht. Die große Mehrheit der Unternehmen haben natürlich „Gewinnerzielung“ als übergeordnetes Unternehmensziel und wollen die erwirtschafteten Profite anschließend an ihre Gesellschafter oder Aktionäre ausschütten. Im Gegensatz dazu haben Non-Profit-Organisationen grundsätzlich die Hauptaufgabe, einem übergeordneten “guten oder sozialen Zweck“ zu dienen – und stellen die Gewinnerzielungsabsicht zumindest hintenan. Selbstverständlich können und dürfen auch Non-Profit-Organisationen Geld verdienen; aber die erwirtschafteten Gewinne fließen dann anschließend grundsätzlich immer wieder in die Organisation zurück und helfen erneut den guten oder sozialen Zweck zu erfüllen – und werden eben nicht ausgeschüttet. Sogenannte „Benefit Corporations“ heben, einfach ausgedrückt, den scheinbaren Gegensatz zwischen „etwas Profitables tun“ und „etwas Gutes tun“ auf. Diese Sozialunternehmen wollen das duale Ziel verfolgen, sowohl Gewinn für ihre Eigentümer zu erzielen als auch gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten. Damit kombinieren sie die Gemeinwohlorientierung und den sozialen Zweck einer Non-Profit-Organisation mit der Gewinnerzielungs- und Verteilungsabsicht herkömmlicher Unternehmen.

Die Idee dieser „Benefit Corporations“ stammt aus den USA und wurde zunächst einmal in zwei unterschiedliche Kategorien aufgeteilt: die rechtlich bindende Form der „Benefit Corporations“, für die bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um sowohl eine Gewinnerzielungsabsicht als auch die Verwirklichung eines sozialen Zwecks verfolgen zu dürfen. Und „Certified B Corporations“, die keiner gesetzlichen Bindung unterliegen, sondern weltweit von der amerikanischen Non-Profit-Organisation „B-Lab“ aufwendig zertifiziert werden. Beide Formen von Unternehmen werden gemeinhin als „B Corps“ bezeichnet.

B Corps sind Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, die sowohl soziale als auch geschäftliche Ziele erreichen wollen. Die sozialen und insbesondere auch umweltorientierten Leistungen dieser Unternehmen müssen regelmäßig durch B-Lab überprüft und zertifiziert werden. B-Lab wurde 2006 mit drei übergeordneten Zielen ins Leben gerufen. Das erste Ziel war eine anerkannte Form der Akkreditierung zu schaffen, sodass jemand von außen auf ein Unternehmen schauen und relativ schnell zu der Einschätzung kommen kann: „Dies ist ein gutes und sauberes Geschäftsmodell.“ Das zweite Ziel bestand in der Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. In sehr vielen Ländern der Welt, inklusive mehrerer Staaten der USA, ist es bis heute gesetzlich gar nicht zulässig, die unternehmerische Leistung sowohl mit Kategorien sozialer Zweckerfüllung als auch mit Profitorientierung zu messen. Wenn der Vorstand eines solchen Unternehmens eine Entscheidung trifft, die nicht im unmittelbaren ökonomischen Interesse der Gesellschafter oder Aktionäre ist, könnte er zumindest theoretisch verklagt werden. Gesetzesänderungen, die die Einbeziehung sozialer und umweltorientierter Ziele in die Unternehmensführung erst ermöglichen, waren entsprechend richtungsweisend. In den letzten Jahren haben beispielsweise 27 US-Bundestaaten Gesetze verabschiedet, die die rechtliche Einordung als „Benefit Corporation“ ermöglicht haben. Das dritte Ziel schließlich war, eine Art Gemeinschaft zu bilden, in der Firmen, die an mehr als nur Profitorientierung Interesse haben, sich zusammenfinden, sich austauschen und voneinander lernen können.

Die Verpflichtungen, die diese B Corps eingehen, sind keineswegs nur vage Versprechungen. Während andere Unternehmen ihre guten und altruistischen Zielsetzungen jederzeit aufgeben können, wenn die Zeiten einmal hart werden, ist das für B Corps nicht möglich. Aktionäre können nun die Vorstände dieser Unternehmen auch dann verklagen, wenn die übergeordneten sozialen Ziele nicht erfüllt werden – und nicht nur, wenn bspw. die Grundsätze ordentlicher Unternehmensführung verletzt wurden.

Warum sollte sich ein Unternehmen freiwillig derart selbst “an die Leine legen”?

Mit der Entwicklung zu einer B Corp erhöht ein Unternehmen einerseits automatisch das Reputationsrisiko (und die damit verbundenen Kosten) einer Abkehr von den dort vereinbarten sozialen und umweltorientierten Zielen. Es zwingt sich quasi selbst, die einmal abgegebenen Versprechen auch wirklich zu erfüllen. Wenn eine Organisation einmal zu einer B Corp geworden ist, ist sie andererseits auch deutlich besser geschützt gegen den Druck und die Einflussnahme von bspw. institutionellen Investoren. Seit den 70er Jahren und ganz besonders in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der „Shareholder Value“-Gedanke zu einem beherrschenden ideologischen Gedanken der Unternehmensführung. Inzwischen hat eine Veränderung eingesetzt.

Viele, wenn nicht die meisten CEOs stehen nach wie vor unter einem immensen Druck, den Shareholder Value zu maximieren. In einer B Corp dagegen sind die (institutionellen) Investoren nur eine Gruppe von Interessensvertretern. In dem heutigen, extrem wettbewerbsintensiven Umfeld könnte man leicht vermuten, dass ein Unternehmen mit altruistischem Gedankengut zum Scheitern verurteilt sein müsste. Für eingefleischte Anhänger der freien Marktwirtschaft dürfte die Vision einer B Corp zunächst sowieso wenig anderes sein als das „Verschleudern von Aktionärsvermögen“ zugunsten von „Wohlfühlprojekten“. Gleichzeitig haben wir in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass Nachhaltigkeit und Sozialbewusstsein in der Unternehmensführung sehr genau von der Öffentlichkeit und den Medien beobachtet werden – und sich die Unternehmen ihrer Verantwortung in diesem Bereich sehr bewusst sind. Unternehmen merken zunehmend, dass ihre Reputation erheblichen Einfluss auf ihre Arbeitgeber-Marke hat – und damit auf die Befähigung, Top Talente zu gewinnen und kritische Verbraucher zu binden. Ein soziales Gewissen zu zeigen, verschafft einer Organisation also entsprechende Vorteile – gerade im Wettbewerb um Talente. Research Daten zeigen, dass diese Talente – vor allem die jüngeren der „Millenium-Generation“ – für Unternehmen mit einem sozialen Gewissen arbeiten wollen. Sie akzeptieren sogar niedrigere Gehälter, wenn sie dafür in einer sinnhaften Kultur der Nachhaltigkeit arbeiten können. Bisher arbeiten diese Talente noch oft für Non-Profit-Organisationen, aber B Corps könnten schon bald eine attraktivere Option werden.

Warum spielt eine Kultur der Sinnhaftigkeit so eine wichtige Rolle?

Schauen Sie sich die Welt an, in der wir leben. Wir werden täglich Zeuge einer industriellen Revolution, die in atemberaubender Geschwindigkeit über uns kommt. Der Zeitraum, in dem ganze Märkte, Industrien und Geschäftsmodelle von Grund auf verändert werden, ist extrem kurz. Parallel dazu verändert sich die politische Landschaft in weiten Teilen der Welt in rasantem Tempo – und erzeugt Unsicherheit und sogar Ängste. Zentrale Bereiche wie Transport, Energie und Kommunikation befinden sich im Auge des industriellen „Veränderungs-Orkans“, der dritten industriellen Revolution. Wenig wird dort anschließend noch so sein, wie wir es in den 70 Jahren davor kannten. Und eine weitreichende Überzeugung nimmt immer mehr zu – inzwischen auch in den USA, China oder Indien – dass wir unseren Planeten sorgsamer behandeln müssen. Bei der Pariser UN-Konferenz zum Klimawandel im letzten November haben sich 196 Länder u.a. darauf verständigt, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius (im Verhältnis zu vorindustriellen Zeiten) und den Anstieg der Treibhausgase in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts netto auf „Null“ zu begrenzen. Ein großer diplomatischer Erfolg, der aber langfristig nicht annähernd ausreichen wird. Es genügt einfach nicht, wenn nur Staatschefs und Minister Protokolle und Abkommen unterzeichnen. Eine gewaltige Herausforderung liegt hier auch vor Unternehmensführern allerorten, um zur „Rettung der Welt“ beizutragen: sie müssen eine Kultur der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit entwickeln!

Sinnhaftigkeit als unternehmerischer Erfolgsfaktor

Die Notwendigkeit, eine sinnhafte und nachhaltige Unternehmenskultur zu schaffen, beruht keineswegs nur auf der Sorge um unsere Umwelt und die Erde. Entsprechende Untersuchungen in den USA zeigen, dass „sinnorientierte“ Mitarbeiter eine um 50% höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich zu Führungskräften in ihrer Organisation zu entwickeln. Sie glauben, dass ihre Arbeit etwas bewirkt und dass sie sich persönlich und professionell weiterentwickeln. 79% solcher Mitarbeiter planen bei ihrem augenblicklichen Arbeitgeber länger als zwei Jahre zu bleiben, in der Vergleichsgruppe sind dies nur 69%. Sinnorientierte Mitarbeiter neigen fast doppelt so häufig dazu, ihren eigenen Arbeitgeber weiterzuempfehlen. Nach diesen Studien sind bisher weniger als 1/3 der US-Arbeitsbevölkerung „sinnorientiert“ – Frauen übrigens deutlich eher als Männer.

Nicht-sinnorientierte Mitarbeiter dagegen tendieren dazu, ihren Arbeitgeber schneller zu wechseln, weniger Nutzen aus ihrer Arbeit zu ziehen und weniger oft tiefe Arbeitsbeziehungen zu entwickeln. Erfüllte Sinnorientierung bei Mitarbeitern führt zu höherer Loyalität, größerem Führungspotential und geringerer Fluktuation. Unternehmen, die es schaffen eine Unternehmenskultur der Sinnhaftigkeit zu entwickeln, können also einen echten Wettbewerbsvorteil im globalen Kampf um die besten Talente erzielen!