Über junge Unternehmer und alte Werte

Die Bedeutung vermeintlich traditioneller Werte für Start-ups

von Andreas von Specht und Felix B. Waldeier

Gerade in Deutschland wird immer wieder die herausragende Stellung von zumeist über mehrere Generationen erfolgreich aufgebauten Familienunternehmen betont. Befragt man die betroffenen Familienunternehmer, dann kann man viel über die Bedeutung von flachen Hierarchien, schnellen Entscheidungen oder langfristigem Denken erfahren. Im gleichen Atemzug – häufig auch in Abgrenzung zu eher anonymen Konzernstrukturen – ist dann gerne die Rede von der großen Bedeutung von „Werten“. Loyalität, Vertrauen, Ehrlichkeit, Integrität, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit – diese Werte werden häufig mit Deutschlands Familienunternehmen assoziiert. Und in vielen Fällen vermutlich auch vollkommen zu Recht. Uns hat allerdings auch interessiert, wie Unternehmer/Gründer von Start-ups über die Bedeutung solcher Werte denken. Bleiben traditionelle Werte bei Neugründungen, rasantem Wachstum und permanenter Veränderung auf der Strecke? Kann man sie sich womöglich gar nicht leisten? Wir haben in der Berliner Start-up-Szene den erfolgreichen Gründer von Thermondo, Philipp Pausder, getroffen.

Herr Pausder, unternehmerische Werte stehen oft in engem Bezug zur Art des jeweiligen Unternehmens. Deshalb zunächst die Frage: In welchem Bereich ist Thermondo tätig?

Thermondo ist ein technologiegetriebener Heizungsbauer. Wir haben die Prozesse des Heizungswechsels grundlegend optimiert, revolutionieren so das Handwerk und eröffnen der Energiewirtschaft die Möglichkeit in kleinteilige Energiedienstleistungen einzusteigen. So kommen unsere Kunden einfacher und schneller bei guten Preisen zu einer neuen Heizung.

Welche Bedeutung haben eher klassische, traditionelle Werte wie Loyalität, Vertrauen und Ehrlichkeit für Ihr unternehmerisches Handeln?

Eine sehr hohe Bedeutung – gerade auch in der Beziehung zu unseren Mitarbeitern. In der heutigen Arbeitswelt sind Talent und Humankapital die knappsten Ressourcen. Diese müssen durch ein solides Wertegerüst im Unternehmen gesichert und gefördert werden.

Und wie schaut es bei einem aggressiv wachsenden Unternehmen mit Gerechtigkeit und Verlässlichkeit im Kontext unternehmerischer Werte aus?

Für uns ist es von herausragender Bedeutung die besten und schlausten Köpfe zu gewinnen. Menschen, die viel Leidenschaft für ihren Job mitbringen und die sich – oft aufgrund wertvoller Erfahrung und einer guten Ausbildung – ihren Job am Markt häufig aussuchen können. Gerechtigkeit gegenüber jedem einzelnen Mitarbeiter und Verlässlichkeit in Absprachen und im unternehmerischen Handeln sind daher die Kernelemente der von den Mitarbeitern erlebten, unternehmerischen Integrität.

Wie locken Sie denn die “besten und schlausten Köpfe“ in Ihr Unternehmen?

Jüngere Leistungsträger wollen natürlich gut verdienen, Dialoge auf Augenhöhe führen und schnell umfangreiche Freiheit und Verantwortung spüren. Aber sie wollen auch Teil eines Unternehmens sein, für das es sich lohnt 50-60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Da sind unsere Werte und die Sinnhaftigkeit des Unternehmensinhalts extrem wichtig. Werte bekommen damit für mich, neben anderen Funktionen, den Status eines Pfeilers der intrinsischen Motivation.

Welche Rolle spielen diese Werte beim Verhältnis zu Ihren Geschäftspartnern?

Auch in der Beziehung zu unseren Geschäftspartnern sind Werte natürlich extrem wichtig. Wir mischen ja ein ganzes Wirtschaftssegment auf und sind somit in der Rolle des Veränderers und Innovators. Dabei ist es wichtig genau zu verstehen, wie viel Veränderung wir unseren Geschäftspartnern und anderen Marktteilnehmern überhaupt zumuten können. Wir müssen sie herausfordern, dürfen sie aber nicht überfordern. Dabei ist es zentral, dass wir uns trotz oder gerade wegen unserer Andersartigkeit als verlässlicher, werteorientierter Geschäftspartner erweisen.

Gibt es darüber hinaus weitere Werte oder Handlungsmaxime, die Ihr Unternehmen charakterisieren?

Die Freiheit im Denken, das Hinterfragen von Vorgaben und ein sehr hohes Maß an Veränderungsbereitschaft! Als kleines, junges und sehr schnell wachsendes Unternehmen müssen wir einfach besser, schneller und smarter sein. Das können wir nur, wenn wir, wie bereits erläutert, die besten Leute gewinnen. Gleichzeitig müssen diesen Top-Talenten echte Freiheiten im Denken und Handeln zugestanden werden. Und letztlich müssen wir es schaffen, die ganze Mannschaft auf ein gemeinsames Unternehmensziel einzuschwören, an dem sich dann alles Denken und Handeln zu orientieren hat.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen dem Wertesystem traditioneller Familienunternehmen und dem von Start-ups?

Für mich sind die gerade angesprochenen Werte gar nicht immer „typisch“ für traditionelle Familienunternehmen. Viel eher stellen sie für mich generell Werte für „gutes Unternehmertum“ dar.

Worin sehen Sie denn wesentliche Unterschiede zwischen traditionellen Familienunternehmen und Start-ups?

Aus meiner Sicht ist der größte Unterschied zwischen traditionellen Unternehmen und Start-ups nicht der Wertekanon, sondern der kompromisslose Fokus auf Output. Ohne Output und damit einhergehendem Wachstum erreicht ein Start-up die nächste Finanzierungsrunde nämlich nicht. Jeder Tag ist kostbar und Stillstand ist Rückschritt. Formell und informell setzen wir uns Ziele auf Wochen- und Monatsbasis und definieren klare Meilensteine, die wir in diesem Zeitraum erreichen wollen. Es gibt keine starren Jobbeschreibungen, sondern Prioritäten und Jobinhalte müssen sich permanent und flexibel unseren Zielen und Vorgaben neu anpassen.

Inwiefern verbinden Sie unternehmerische Werte mit dem von Ihnen beschriebenen „kompromisslosen Fokus auf Output“ zur Erreichung ihrer unternehmerischen Ziele?

Die Führung eines Unternehmens darf natürlich nicht nur auf der Ebene von Kennzahlen und Meilensteinen stattfinden. Gerade Mitarbeiter in Start-ups brauchen aufgrund der unheimlich hohen Dynamik und der flexiblen Jobgestaltung Orientierung, Wertschätzung und ein hohes Maß an menschlicher Nahbarkeit in der Führung. Nur dann gelingt das Einschwören auf ein gemeinsames Ziel.

Wann sehen Sie ein gemeinsames Ziel oder den unternehmerischen Erfolg erreicht?

Der Maßstab für unternehmerischen Erfolg bedeutet für mich etwas geschaffen zu haben, was nicht mehr verschwindet und somit dann auch dauerhaft zum Wohlstand unserer Gesellschaft beiträgt. Einen Markt nachhaltig verändert oder eine anstehende Entwicklung früher erkannt und dann konsequent umgesetzt zu haben, ist für mich unternehmerischer Erfolg. Uns wird oft gesagt, dass das, was wir bei Thermondo vorhaben, eigentlich unmöglich ist. Und das, was wir machen, kann angeblich gar nicht funktionieren: Das Handwerk nachhaltig zu verändern oder gar zu digitalisieren. Wir zeigen aber, dass es eben doch geht!

Wie wichtig sind Ihnen Nachhaltigkeit und Langfristigkeit Ihres Erfolgs – und wie würden Sie diese definieren?

Nachhaltiger, langfristiger Erfolg ist mir für unser Unternehmen sehr wichtig. Wir sagen unseren Mitarbeitern immer, dass wir einen neuen Typus eines Unternehmens schaffen wollen: einen digitalen, bundesweiten, vertikal-integrierten Handwerksbetrieb, den Gatekeeper in einer kleinteilig werdenden Energielandschaft. Den gibt es bisher nicht und mein Ansporn ist es zu beweisen, dass wir nicht ein vorübergehendes Phänomen sind, sondern ein Vorreiter. Ich möchte, dass man in zehn Jahren zurückschaut und sagt: „Thermondo war der Pionier, andere haben es nachgemacht.“ Damit man dies eines Tages sagen kann, müssen wir nachhaltig Erfolg haben. Nachhaltiger Erfolg bedeutet für mich Profitabilität bei anhaltendem Umsatzwachstum.

Sehen Sie eine bestimmte Verantwortung junger Unternehmer gegenüber der Gesellschaft?

Gesellschaftliche Verantwortung empfinde ich als sehr wichtig – und natürlich tragen diese auch junge Unternehmer wie wir. Unsere Tätigkeit bei Thermondo trägt beispielsweise zur Reduzierung von CO? bei. Darüber hinaus schaffen wir Arbeitsplätze und bilden unsere Mitarbeiter für Jobs von morgen aus, für die es zurzeit noch keine Studiengänge oder Ausbildungen gibt. Wir haben bereits 150 Arbeitsplätze geschaffen, bis Weihnachten werden es knapp 180 sein. Diese Leistung ist mir sehr wichtig! Große Unternehmen bauen aufgrund ihrer Innovationsschwäche in der Regel Arbeitsplätze ab. Unsere Gesellschaft braucht daher die kleinen, innovationsstarken Einheiten, denn die schaffen die Arbeitsplätze.

Verlieren traditionelle Werte im Zuge der Globalisierung und Internationalisierung der Unternehmen zunehmend an Bedeutung?

Überhaupt nicht! Aber aus meiner Sicht hat die Vergangenheit keinen allgemeingültigen Anspruch auf das Vorhandensein von Werten. Es gibt doch zahlreiche Beispiele von Unternehmen aus der Zeit vor der Globalisierung und Internationalisierung, die diese traditionellen Werte überhaupt nicht gelebt haben. Grundsätzlich sehe ich keine Anzeichen dafür, dass Werte im Kontext global agierender Unternehmen auf dem Rückzug sind, sondern vielmehr, dass diesen sukzessive wieder eine stärkere Bedeutung zukommt.

Herr Pausder, wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch!