The Trusted Advisor

THE TRUSTED ADVISOR sind regelmäßig erscheinende Artikel von AvS – International Trusted Advisors. Wir möchten Ihnen sowohl Einblicke in unsere Beratungspraxis ermöglichen, als auch durch Gastbeiträge und Interviews Denkanstöße und praktische Hinweise zu vielfältigen Themen rund um Führung, Ownership Advisory, Governance und Strategie geben.

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TTA 02-2019 | ONBOARDING

Onboarding als kritischer Erfolgsfaktor

Warum die Eingliederung neuer Führungskräfte so wichtig ist
von Dr. Christian Bühring-Uhle und Philipp Fleischmann


Hermann Hesse sagte einmal, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne. Aber es gibt auch Risiken. Der Start einer Führungskraft in einer neuen Position ist ein kritischer Moment im Leben der Führungskraft und auch des Unternehmens. Doch während der Auswahl dieser Führungskraft in einem umfassenden Suchprozess oft große Energie und Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist es aus unserer Sicht mindestens genauso wichtig sicherzustellen, dass die Führungskraft tatsächlich darauf vorbereitet ist, in der neuen Rolle erfolgreich zu sein.

Wenn der Start eines CEOs misslingt, liegt dies in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht an einem fehlerhaften Recruiting, sondern häufiger an Problemen, die sich im ersten Halbjahr der Amtszeit ergeben: Dazu zählen zum Beispiel unzureichende Vorbereitung, fehlendes Bewusstsein für häufig unerwartet komplexe Zusammenhänge und mangelndes Verständnis für die interne Politik. Die ersten drei bis sechs Monate sind daher entscheidend für den Erfolg (oder Misserfolg) in der neuen Rolle – ganz gleich, wie erfahren und gut vorbereitet die neue Führungskraft sein mag. Dem Onboarding muss das Unternehmen deshalb besonders große Aufmerksamkeit widmen, unabhängig davon, ob es sich um eine interne oder externe Besetzung handelt. Diese Situation gestaltet sich meist noch kritischer, wenn die neue Führungskraft der erste externe (Chief) Executive in einem familiengeführten Unternehmen ist. Und erst recht, wenn es das erste Mal ist, dass diese Person überhaupt für ein Familienunternehmen tätig ist.

In unserer Praxis haben wir die Unterstützung unserer Klienten und ihrer neuen Führungskräfte während der kritischen Onboarding- und Integrationsphase zu einem integralen Bestandteil jedes Executive-Search-Prozesses gemacht. Wir glauben, dass ein gut geplanter und umgesetzter Integrationsplan auch die Firmenkultur berücksichtigt. Damit wird sowohl die Zeit erheblich verkürzt, welche neue Führungskräfte benötigen, um ihre volle Wirkungskraft zu entfalten, als auch das Risiko des Scheiterns verringert („hired on competency, fired on chemistry“).

Die aktive Unterstützung des Integrationsprozesses beginnt in dem Moment, in dem der Start der neuen Führungskraft vorbereitet wird. Im Mittelpunkt des ersten Gesprächs stehen die Chancen und Risiken, die sich im neuen Unternehmen und/oder in der neuen Funktion ergeben können – und die damit verbundenen Gefahren. Für jeden Neuanfang ist dies ein wichtiger Austausch, insbesondere bei Familienunternehmen, da diese meist eine Vielzahl von „ungeschriebenen Regeln“ besitzen. Dies kann ein heikler Moment sein, und jedes Unternehmen kann von professioneller Unterstützung profitieren, wenn eine neue Führungskraft auf die neue Rolle vorbereitet wird.

Die Integrationsunterstützung sollte deutlich vor dem Start der Führungskraft in der neuen Organisation beginnen und damit definitiv vor dem ersten Arbeitstag. Die neue Führungskraft muss ein Verständnis für die neue Firmenkultur entwickeln, zum Beispiel wer die wichtigsten Interessengruppen sind (zu denen auch Personen gehören können, die Teil der Inhaberfamilie sind, aber keine formelle Rolle in der Organisation haben), was deren konkrete Rolle im Unternehmen ist,  welchen Arbeitsstil sie pflegen und welche die Erwartungen (und Bedenken) sind, die von den Inhabern, dem Beirat und dem mittleren Management gegenüber dem neuen Manager gehegt werden.

Die möglichen Auswirkungen dieser Erwartungen müssen berücksichtigt und Strategien entwickelt werden, wie die neue Führungskraft am besten kommuniziert, was sie oder er zu tun gedenkt. Wie sieht die Agenda der neuen Führungskraft aus, wer muss darauf eingestimmt werden und was sind die potenziellen Fallstricke des Jobs? Ein klarer Kommunikationsplan dient der Verankerung der Agenda und kann der Schlüssel für die Zustimmung wichtiger Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens sein.

Vor dem Start in die neue Position sollte klar sein, wen die neue Führungskraft in den ersten Tagen treffen muss und welche Schritte erforderlich sind, um das Unternehmen so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Dazu können Maßnahmen gehören, die darauf abzielen, eine klare und transparente Sicht auf das neue Team – insbesondere in der direkten Berichtslinie – und dessen Wünsche, Hoffnungen und Ängste zu erhalten. Personalisiertes Coaching kann der Führungskraft helfen, Vertrauen in ihr Team zu entwickeln und sich über erste Eindrücke Klarheit zu verschaffen. Aktive Integrationsunterstützung während der ersten drei Monate kann Coaching, 360-Grad-Evaluationen und gezieltes Feedback umfassen, die alle darauf ausgerichtet sind, dem Manager zu helfen, schnell „Traktion“ in dem Unternehmen zu erreichen. Es sollte auch eine Feedbackschleife eingerichtet werden, die sicherstellt, dass die neue Führungskraft bei Bedarf schnell eine Kurskorrektur einleiten kann.

Viele Unternehmen gehen davon aus, dass sie ein erfolgreiches Onboarding selbst organisieren können – oder sogar auf einen systematischen Onboarding-Prozess verzichten können. Wir haben Fälle gesehen, in denen davon ausgegangen wurde, dass Top-Führungskräfte schon wüssten, wie sie zurechtkommen sollen. Und in der Tat kann man nachvollziehen, dass eine hocherfahrene, hochqualifizierte – und hoch bezahlte – Führungskraft beim Antritt ihrer neuen Position eigentlich wissen sollte, was erforderlich ist, um ihren Anfang erfolgreich zu gestalten. Dazu zählt auch eine gründliche „Due Diligence“ (einschließlich „Referenzprüfungen“ und Treffen mit Stakeholdern) vor dem Antritt. Aber nichts desto trotz bleibt dies ein kritischer Moment, den selbst erfahrene Führungskräfte nicht so oft durchlebt haben werden. Und es wäre ein Fehler anzunehmen, dass der Erfolg in dieser Situation nur von der jeweiligen Führungskraft abhängt. Es ist im Gegenteil eine Aufgabe des gesamten Unternehmens, die insbesondere in der Verantwortung der Eigentümer und ihrer Vertreter, in vielen Fällen des Beirats und insbesondere dessen Vorsitzenden liegt.

Nach unserer Erfahrung sind deshalb zusätzliche Maßnahmen zur Integration einer Führungskraft, die sicherstellen, dass diese die bestmögliche Anfangswirkung erzielt, eine sinnvolle Investition. Die Kosten für das Scheitern von Onboarding und Integration können sehr hoch sein – und Unternehmen müssen verstehen, dass ein erfolgreicher Start nicht allein durch einen professionellen Suchprozess gewährleistet ist.

Im Herbst 2019 hat AvS – International Trusted Advisors in Zusammenarbeit mit PwC und INSEAD die erste paneuropäische Umfrage unter großen Familienunternehmen zu den Erfolgsfaktoren für externe Führungskräfte in Familienunternehmen organisiert. Eines der Hauptthemen ist die erfolgreiche Integration neuer Führungskräfte. Wir hoffen, die Ergebnisse im ersten Halbjahr 2020 präsentieren zu können.

CEO-Nachfolgen erfolgreich gestalten

Onboarding-Tipps für Unternehmer und CEOs
von Carolyn Lutz und Philipp Fleischmann


Stellen Sie sich vor, Sie wären Gesellschafter eines großen, erfolgreichen und diversifizierten Familienunternehmens, das weltweit mit mehreren Tochtergesellschaften, Joint Ventures, Beteiligungen und anderen Unternehmen tätig ist. Vor kurzem stand nun die Übergabe des Unternehmens an, weil keines der Familienmitglieder zu einer Weiterführung der Geschäfte bereit war. Sie haben daraufhin eine Personalberatung mit der Suche nach einem CEO beauftragt. Diese konnte einen Kandidaten ausfindig machen, bei dem sich alle einig waren, dass er der richtige ist. Alle wichtigen Verhandlungen wurden geführt und der Kandidat eingestellt. Die Suchfirma betonte nachdrücklich, dass ein Onboarding- und Integrationsprogramm sehr hilfreich wäre, um diesem neuen CEO zu helfen, die Familien- und Firmenkultur zu verstehen und all die möglichen Fehler zu vermeiden, die bei dem Versuch, sich einen Namen zu machen und frühe Erfolge zu erzielen, passieren können. Sie haben abgelehnt, weil Sie dachten, dass es Ihnen und Ihrem Team gelingen würde, das Onboarding und die Integration alleine zum Erfolg zu führen. Jetzt, 18 Monate später, hat der neue CEO das Unternehmen wieder verlassen, und Sie stehen wieder am Anfang. Was ist schief gelaufen, und wie kann dies in Zukunft vermieden werden?

Vorweg einige Daten und Fakten aus verschiedenen Quellen zu Onboarding und Integration:

  • Unternehmen mit einem Standard-Onboarding und Integrationsprogrammen verzeichnen in den ersten drei Jahren eine 54% höhere Produktivität nach der Neueinstellung und eine um 50% höhere Bindung der eingestellten Personen.
  • Die Zufriedenheit von Führungskräften steigt um 20%, wenn ihre Mitarbeiter ein formelles Onboarding-Training absolvieren.
  • 32% der globalen Führungskräfte sagen, dass das Onboarding, das sie erhalten haben, sehr schlecht war.
  • 73% der Befragten gaben in einer aktuellen Studie an, dass ihre Onboarding-Programme die Leistung neuer Mitarbeiter beschleunigten und die Bindung an das Unternehmen sowie die Loyalität untereinander verbesserten.
  • 50% aller externen Führungskräfte scheitern innerhalb von 18 Monaten in einer neuen Position.
  • Fast 60% der neu eingestellten C-Level-Führungskräfte gaben an, dass sie sechs Monate gebraucht hätten (und fast 20% sagten, dass sie mehr als neun Monate benötigt hätten), um in ihren neuen Positionen voll eingearbeitet zu sein. Weniger als ein Drittel erhielt während des Einstiegs ins Unternehmen eine angemessene Unterstützung, was schwer nachvollziehbar ist, da 80% dieser Personen der Meinung waren, dass gerade diese frühe Unterstützung einen großen Einfluss auf einen schnellen Erfolg hatte.

Die meisten Unternehmen kommen mit den administrativen Formalitäten des Onboardings gut zurecht: Sie sorgen dafür, dass die IT-Anforderungen erfüllt, Visitenkarten gedruckt und Formulare vorbereitet werden sowie die Compliance organisiert ist. Was jedoch oft fehlt, ist eine klare und unterstützende Einführung in die ungeschriebenen Regeln des Unternehmens, die zu den größten Fehltritten eines ansonsten gut passenden Kandidaten führen können. Bei privat geführten Unternehmen kommt hinzu, dass diese ihre Mitarbeiter im Schnitt länger halten und ihre Unternehmenskultur sich anders und langsamer entwickelt, als bei börsennotierten Unternehmen, in denen die Angestellten sehr unterschiedlicher Natur sind und durch Fluktuation mehr Vielfalt herrscht. Die Unternehmenskultur von Familienunternehmen hingegen kann stark von einzelnen Personen beeinflusst sein, und offizielle Berichtslinien können über die tatsächliche Macht und den Einfluss bestimmter Personen hinwegtäuschen. Kandidaten, die „best in class“ sind, aber aus einem börsennotierten oder anderen familiengeführten Unternehmen mit einer andersartigen Kultur kommen, können schnell mit der Eigenart des neuen Unternehmens in Konflikt geraten, wenn sie nicht schon vor ihrem ersten Arbeitstag richtig begleitet werden.

Tipps für das Unternehmen

  • Beginnen Sie das „Onboarding“ bereits in der Interviewphase – sprechen Sie offen über die Stärken und Schwächen des Unternehmens und dessen Kultur, über mögliche Stakeholder und wie Entscheidungen getroffen werden.
  • Die Einplanung von Zeit für die Diskussion von Team- und Organisationsverhältnissen während der Interview- und Onboarding-Phase kann der neuen Führungskraft helfen, unsichtbare kulturelle Barrieren zu umgehen.
  • Die Klärung, wie sich Stärken und Schwächen einer Führungskraft auf die Zielvorgaben der angestrebten Position auswirken, kann dazu beitragen, einen maßgeschneiderten Plan für das Onboarding zu erstellen. Erwägen Sie die Verwendung eines unparteiischen Executive Coaches, der der Führungskraft ein objektives Feedback und/oder dem einstellenden Manager gegebenenfalls eine Hilfestellung für eine Kurskorrektur geben kann.
  • Stellen Sie sicher, dass Handlungsabläufe und Leistungserwartungen, die von strategischer Bedeutung sind, mit der Führungskraft kommuniziert werden. Vermeiden Sie Überraschungen.
  • Wenn ein Problembereich erkannt wird, dann sprechen Sie dies schnell an – je früher ein Problem angegangen wird, desto einfacher kann es gelöst werden.
  • Ein unglücklicher Ehepartner ist die Hauptursache für fehlgeschlagene Berufseinsätze im Ausland. Denken Sie daher auch daran, bei der Orientierung und Integration der Familie zu helfen, insbesondere wenn auch der Ehepartner seine Karriere anpassen muss.

Tipps für den eingestellten Kandidaten

  • Seien Sie proaktiv in Ihrer Kommunikation und achten Sie auf die Besonderheiten der Unternehmenskultur. In einigen Fällen ist es ein schmaler Grat in einem Unternehmen zu arbeiten und gleichzeitig zu versuchen, dessen Kultur zu verändern.
  • Zeigen Sie, dass Ihnen der Aufbau von Beziehungen zu Ihren Kollegen wichtig ist.
  • Konzentrieren Sie sich nicht nur auf Ihre Vorgesetzten. Der Aufbau von Beziehungen zu Ihrem Team und das Wissen, wie die Verflechtungen im Unternehmen sind, werden einen großen Einfluss auf Ihren Erfolg haben.
  • Erwägen Sie eine Motivationsrede zu halten, in der Sie ihren Grund für den Eintritt ins Unternehmen darlegen und wie Sie Ihre Mitarbeit gestalten wollen.
  • Nutzen Sie die Personalabteilung mit ihren Angeboten. Diese kann Ihnen nicht nur bei den Themen Teamfähigkeit und Entwicklung helfen, sondern auch bei einem „Reality Check“, der Ihnen Feedback von der Organisation über Ihre Leistung und Ihren Arbeitsstil gibt.
  • Achten Sie auf die verschiedenen Stakeholder im Unternehmen und kommunizieren Sie klar, offen und regelmäßig Ihre Schritte, insbesondere wenn Sie als Change Agent eingebunden sind.
  • Reflektieren Sie sich – Ihren Stil, Ihre Vorlieben, Werte und Motivationen – und wie diese zur Organisation und Teamkultur passen.

Stolpersteine für Fremdmanager

Interview mit Martina Sandrock, Beraterin, Beirätin & Managerin
von Andreas von Specht


Martina Sandrock ist Gründerin und CEO von connect & innovate – Begleitung in strategischen Unternehmens-Veränderungsprozessen. Sie war als Vorsitzende der Geschäftsführung viele Jahre in internationalen Konzerntöchtern der Lebensmittelindustrie tätig, bevor sie 2017 den Vorstandsvorsitz eines mittelständischen Familienunternehmens übernahm. Sie ist Dipl.-Kffr./MBA (USA) und hat Leadership Trainings an der Harvard Business School und am Center for Creative Leadership/Colorado Springs absolviert. Schon 2006 wurde sie mit dem Preis „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet und 2010 zu einer der „Top 10 Business Women“ durch die Financial Times Deutschland gewählt. Seit vielen Jahren ist Martina Sandrock Beirätin in B2C- und B2B-Familienunternehmen.

AvS – International Trusted Advisors: Frau Sandrock, Sie haben selbst schon erlebt, wie herausfordernd der Wechsel eines erfolgreichen Fremdmanagers aus Großunternehmen in ein Familienunternehmen sein kann. Nicht selten gehen diese Nachfolgen sogar schief. Woran liegt‘s?

Martina Sandrock: Die Gründe dafür sind natürlich unterschiedlich je nach Situation und haben nach meiner Erfahrung auch nicht hauptsächlich mit einer Seite allein als Verursacher des Scheiterns solcher Wechsel zu tun. „Es bedarf eines ausreichenden zeitlichen Vorlaufs, damit die einzelnen Schritte einer erfolgreichen Nachfolge gründlich vorbereitet und strukturiert umgesetzt werden können“ bekommen viele Unternehmer in dieser Situation als wichtigste Regel mit auf den Weg. „Halte Dich zurück, höre erst einmal zu, versuch nicht, alles gleich anders zu machen!“ sind die wohlgemeinten Ratschläge, die der Nachfolger bekommt. Und so werden gut gemeinte Pläne gemacht und Vorhaben formuliert, die sich häufig jedoch in der Realität nicht bewähren. Oft tragen beide Seiten gleichermaßen ihren Teil zum Misslingen bei – der Unternehmer wie auch der gründlich ausgesuchte Nachfolger.

Was sollten denn Familienunternehmer beachten, wenn sie sich auf das Wagnis einer Zusammenarbeit mit einem Fremdmanager einlassen?

Unternehmer und Gesellschafter überschätzen häufig die Zukunftsfähigkeit ihrer eigenen Unternehmen – und sind dann ganz überrascht, was ein Nachfolger von außen mit frischem Blick alles als Veränderungsbedarf analysiert. Oft entscheidet sich ein Unternehmer ja überhaupt erst dann seine eigene Nachfolge zu regeln, wenn seiner Meinung nach sein Haus dafür genügend gut aufgestellt erscheint. Mit den sich rasant beschleunigenden und immer komplexer werdenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen heißt eine zufriedene Status-Eigeneinschätzung aber noch lange nicht, dass das Unternehmen auch wirklich für die Zukunft gerüstet ist. Dass der Nachfolger dann einfach nur „weiter so“ machen muss. Manche Unternehmer unterschätzen den Wert des „externen Blicks“ und auch die bewährten Erfahrungen und Arbeitsweisen des auserwählten Nachfolgers – für genau die der Fremdmanager ja aber eigentlich auch ausgesucht wurde.

Der Unternehmer muss also vor allem zugunsten seines Nachfolgers loslassen können?

Ja – und im Übrigen muss sich natürlich nicht nur der Unternehmer umstellen. Ein anderes Phänomen betrifft nämlich die Bedeutung von Teamarbeit des Top Managements: Häufig genug hinterlässt der Unternehmer nach seinem Abgang Einzelkämpfer, die dem Chef „gedient“ haben und sich nie wirklich als konstruktiv zusammenarbeitendes Team aufstellen und beweisen mussten. Zudem haben sie wahrscheinlich mit Stolz und großer Loyalität im direkten Austausch mit dem Unternehmer gestanden und sehen das geforderte Zusammenarbeiten mit einem neuen, externen Manager auch schon mal als Degradierung an. Ein neuer Chef im Unternehmen ist im Übrigen nicht nur für den Unternehmer, seinen Nachfolger und das Führungsteam eine große Herausforderung, sondern für ALLE Mitarbeiter eine einschneidende Zäsur. Sie verlieren ja zunächst ihre wichtigste Bezugsperson im Unternehmen. Und damit ein Stück weit Sicherheit, Vertrauen und Routine. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird von ihnen nun verlangt werden, sich an neue, bisher eher ungewohnte Arbeitsweisen zu gewöhnen. Denn ohne den Unternehmer an Bord wird die Führungsebene wichtige Entscheidungen eher im Gremium treffen und dabei viel mehr als der Unternehmer Zahlen, Daten, Fakten, „Mitdenken“ und selbstständiges Arbeiten einfordern. Mehr Transparenz, Offenheit und Miteinander sind dann meistens gefragt.

Was müssen Nachfolger – und Fremdmanager generell – bei der Integration in ein Familienunternehmen beachten?

Nachfolger überschätzen manchmal ihre Befähigung, den besonderen ‚Code‘ von Familiengesellschaftern wirklich dechiffrieren zu können und sie neigen auch dazu, eigene Erfahrungen und Kompetenzen zu überschätzen. Ganz am Anfang unterschätzen Fremdmanager gerne die Wichtigkeit einer professionellen Inthronisation durch den Unternehmer. In vielen Unternehmen ist die Stabsübergabe voll und ganz auf den Abschied des Unternehmers konzentriert. Die Kommunikation, die offiziellen Feiern mit Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitern – alles dreht sich um den scheidenden Unternehmer. Warum der Nachfolger ausgesucht wurde, welche Erfahrungen und Kompetenzen er mitbringt und mit welcher Mission er an den Start gehen soll, bleibt häufig unausgesprochen.

Mit welcher Folge?

In der internen und externen Kommunikation kommt dann die persönliche Vorstellung des Nachfolgers häufig zu kurz; es fehlt z.B. die Bekundung des Unternehmers, den Nachfolger gründlich und nach professionellen Kriterien ausgesucht zu haben und ihm jetzt vertrauensvoll die Verantwortung zu übergeben. Dieser formale Inthronisierungsakt sollte m.E. mindestens den gleichen Stellenwert in der Kommunikation haben, wie der gebührende Abschied des Vorgängers. Und Nachfolger sollten darauf auch genau achten.

Sind danach die ersten Wochen und Monate im Unternehmen geschafft, sind viele Nachfolger in der Regel geneigt, sich mehr und mehr vor allem mit den Sachfragen zu beschäftigen. Wie setzen wir Projekte auf, wie ziehen wir sie am schnellsten durch, wo können schnell erste Erfolge erzielt werden? Bei der dabei routinierten Anwendung der mitgebrachten Erfahrungen und Kompetenzen gerät die emotionale Beschäftigung mit der Beziehung zur Unternehmerfamilie schon mal ins Hintertreffen. Gerade aber nach den ersten 6 Monaten – der „Honeymoon-Phase“ – wird diese Beziehung häufig nochmals auf eine harte Probe gestellt.

Die Integration und das Onboarding können auch mehr als 6 Monate benötigen?

Gerade in den ersten Monaten passieren Fremdmanagern schon einmal ungewollte ‚Stockfehler‘, z.B. weil man die ungeschriebenen Gesetze im Unternehmen nicht verstanden hat. Da ist die Gefahr von Missverständnissen und des „auf die Füße treten“ sicher am größten. Aber auch nach den ersten Monaten sollte man im Umgang weiter sehr achtsam sein. Zum Beispiel sollten Fremdmanager den regelmäßigen Austausch mit dem Unternehmer und der Inhaberfamilie nutzen, um mehr zu erfahren und zu verstehen, was die Unternehmer antreibt, welche positiven und bitteren Erfahrungen den Vorgänger geprägt haben und worauf er besonders stolz ist und Wert legt. Fremdmanager müssen sich bewusst machen, dass parallel mit ihrem wachsenden Stolz, die Unternehmensführung immer besser zu meistern, beim Unternehmer noch immer ein eventuell schmerzhafter „Abnabelungsprozess“ laufen kann. Da muss dann bei allem Selbstbewusstsein in adäquater Form auch etwas Demut vor der Aufgabe und Loyalität zum Unternehmer sichtbar werden.

Was ist mit den vorhin angesprochenen Veränderungen, die Nachfolger beim Eintritt häufig schnell als Notwendigkeit erkennen – und dann umsetzen wollen?

Das ist ein wichtiges Thema, denn häufig erfordert die Unternehmenssituation schnelle und dringende Änderungen. Veränderungstempo und -art sind ein ganz grundsätzliches Thema und beinhalten viele Facetten. Erstens: die formale Einigung auf die Veränderung. Fremdmanager unterschätzen am Anfang gerne die Bedeutung einer formalen Einigung auf den von ihnen empfohlenen Veränderungsprozess. Nach den ersten 100 Tagen im Unternehmen sollte der Nachfolger dem Unternehmer oder dem Beirat z.B. einen schriftlichen Bericht über den wahrgenommenen Status und die notwendigen und geplanten Veränderungsmaßnahmen vorlegen – und dafür dann auch ein formales ‚go‘ einfordern. Zweitens: Viele Menschen warten nicht unbedingt auf Veränderung und möchten lieber das Bewährte, Vertraute bewahren. Das Momentum, die Energie, die beim Chefwechsel entsteht, muss genutzt werden. Veränderung muss zeitnah angeschoben werden. Je mehr sich in der Mannschaft erst einmal das Gefühl breitmacht, es bleibt doch alles beim Alten, desto schwieriger wird es, Neues auf den Weg zu bringen. Drittens – und das ist mir persönlich immer ganz besonders wichtig – Veränderungsplanung und -umsetzung dürfen nicht im stillen Kämmerlein stattfinden! Die gesamte Mannschaft muss mitgenommen, eingebunden, motiviert und verantwortlich gemacht werden. Das erfordert auch für jeden einzelnen u.U. eine enorme persönliche Veränderung, die vom neuen Chef und seiner Führungsmannschaft eng begleitet werden muss. Nur so kann ein solch wichtiger Prozess gelingen.

Gibt es noch einen Tipp gerade für Nachfolger von Familienunternehmern?

Es gäbe da sicher noch eine Reihe von Hinweisen. Aber ein sehr wesentlicher Punkt ist m.E. die Bedeutung der direkten Zuständigkeit für die Personal- und Kommunikationsabteilung im Unternehmen keinesfalls zu unterschätzen. Während viele, gerade etwas tradiertere Unternehmer diese Abteilungen teilweise noch als ‚administrative Zuarbeiter‘ betrachten, können sie für den neuen Fremdmanager fast überlebenswichtig werden. Wenn der Start im Unternehmen mit einer notwendigen Restrukturierung oder mit einem Unternehmens- und Führungskulturwandel einhergeht, braucht es hier den direkten „Zugriff“ auf die Führung der Personal- und Kommunikationsabteilung und deren Mitarbeiter als die Organisatoren und Koordinatoren des vorgesehenen Wandels.

Frau Sandrock, wir bedanken uns für diese Einblicke!

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Herausragende „Industry Advisors“ berufen

Im Herbst haben wir einen kleinen, internationalen Kreis von herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten eingeladen, AvS – International Trusted Advisors ab 2019 als Ratgeber und Markenbotschafter zu bereichern und uns als konstruktiv-kritisches „sounding-board“ für unsere Partner zu unterstützen. Wir freuen uns entsprechend sehr, dass Luisa Delgado, Tony Bogod, Wolfgang Colberg und Hans-Kristian Hoejsgaard unserem Ruf gefolgt sind und uns als „Industry Advisors“ bei der weiteren Internationalisierung begleiten. Alle vier Spitzenmanager blicken gleichermaßen auf beeindruckende Managementkarrieren zurück und sind derzeit in Aufsichtsgremien internationaler Unternehmen und Organisationen aktiv.

Die Schweizerin Luisa Delgado war im Laufe ihrer Karriere globale Personalchefin der SAP AG und CEO der Safilo Group, eines weltweit aktiven Brillenherstellers. Sie ist u.a. Mitglied des Aufsichtsrats von IKEA.

Der Brite Tony Bogod leitete viele Jahre das Centre of Family Business des Beratungshauses BDO und ist heute ein weltweit anerkannter Experte für Nachfolgefragen in Familienunternehmen und Family Offices.

Der Deutsche Wolfgang Colberg hat viele Jahre Führungspositionen in der Bosch-Gruppe bekleidet, bevor er als CFO den Börsengang der Evonik Industries AG umsetzte. Heute ist er Industrial Partner bei CVC Capital Partners (Deutschland) und u.a. Mitglied im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp.

Der Däne Hans-Kristian Hoejsgaard war Group CEO der Oettinger Davidoff AG und ist heute u.a. Aufsichtsrat der CALIDA Group.

Gemeinsam mit den externen „Industry Advisors“ wird Sylvie Mutschler-von Specht, Verwaltungsrätin unserer Holding-Gesellschaft in der Schweiz, unser „Board“ bilden. Sylvie Mutschler-von Specht hat über 30 Jahre Erfahrung als Unternehmerin, Beraterin sowie aktive Investorin in verschiedenen Industrien, u.a. im Bereich Immobilienentwicklung sowie einer Reihe von Startups. Sie ist derzeit als CEO der Mutschler Outlet Holding AG und u.a. Verwaltungsrätin der Schweizer Privatbank Bergos Berenberg tätig. Gleichzeitig engagiert sie sich im Rahmen verschiedener Non-Profit-Initiativen.

Die entsprechende Pressemitteilung finden Sie hier.

Ausführliche Informationen zu unseren Industry Advisors finden Sie hier.

Globale Studie mit PwC und INSEAD

In Kooperation mit PwC und INSEAD (Wendel International Centre for Family Enterprise) haben wir im Frühjahr eine globale Studie mit qualitativer und quantitativer Forschung zum Thema „Erfolgskriterien für Fremdmanager in Familienunternehmen“ gestartet. Themengebiete werden die Auswahl und Besetzung von Top-Positionen in Familienunternehmen beinhalten, vor allem aber auch die zentrale Rolle eines aktiven „Onboarding“ in den ersten Monaten.

Die Anzahl der Familienmitglieder der „nächsten Generation“, die bereit und in der Lage sind, operativ ins Unternehmen einzusteigen, befindet sich auf einem Rekordtief, sodass eine zunehmende Anzahl von Nachfolgen nicht mehr familienintern erfolgen kann. Darüber hinaus sehen wir einen stetigen Trend zur Trennung von Management und Eigentum, insbesondere bei Familienunternehmen in der dritten Generation und darüber hinaus.

Viele Familienunternehmen glauben, dass sie den Onboarding-Prozess selbst organisieren können – in Wirklichkeit ist das jedoch oft nicht wirklich der Fall. Wir analysieren die Herausforderungen bei der Integration, die Gründe für das durchaus häufige Scheitern, die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Integration und liefern Best-Practice-Beispiele zur Einbindung externer Führungskräfte in Familienunternehmen.

Derzeit interviewen wir CEOs und Inhaber von etwa 60 der größten und wichtigsten Familienunternehmen in acht Ländern, darunter u.a. ein Mitglied der Peugeot-Familie, die CEOs von Heineken, Randstad und Lindt & Sprüngli, den Executive Chairman von Lego oder auch den CEO und Gesellschafter von PernodRicard. Die Ergebnisse werden im kommenden Jahr in mehreren Sprachen veröffentlicht und in mehreren Ländern vorgestellt und diskutiert.

Gemeinsame Veranstaltung mit Simmons & Simmons

In Zusammenarbeit mit der internationalen Anwaltskanzlei Simmons & Simmons, die mit über 1.500 Mitarbeitern und 22 Büros an den wichtigen Wirtschafts- und Finanzzentren in Europa, dem Mittleren Osten und Asien tätig ist, haben wir eine Veranstaltung mit dem Titel „Unternehmenswert steigern durch professionelle Aufsichtsgremien“ konzipiert und an den Standorten Frankfurt und München durchgeführt. Unter der Leitung von Dr. Christian Bornhorst (Simmons & Simmons) und Dr. Christian Bühring-Uhle sowie Beteiligung von Felix Waldeier und Philipp Fleischmann wurde gemeinsam mit den Teilnehmern diskutiert, Impulse gesetzt, hilfreiche „Dos and Don’ts“ aufgezeigt und zum Best-Practice-Sharing ermuntert.

TTA 01-2019 | AGILITÄT IN DER FÜHRUNG

Agile: Wenn die Squad das Sagen hat

Kernideen und Praxisbeispiele agilen Managements
von Dr. Christian Bühring-Uhle


Agiles Management bzw. „Agile“ hat sich in den letzten Jahren zweifelsohne zu einem Modebegriff entwickelt, auch wenn es kein allgemein akzeptiertes Verständnis davon gibt, was „agile“ eigentlich genau bedeutet. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Software-Entwicklung, wo er oftmals auch gleichgesetzt wird mit „Scrum“, einem ursprünglich aus dem Rugby stammenden Begriff, der ein in kleinen Schritten vorankommendes, immer wieder auch von kleineren Rückschritten unterbrochenes, Voranschreiten bezeichnet. In der Software-Entwicklung besteht „agiles“ Vorgehen darin, eine komplexe Entwicklungsaufgabe in eine Vielzahl von Einzelaufgaben herunterzubrechen und diese Aufgaben parallel arbeitenden, relativ autonom und eigenverantwortlich agierenden kleinen Teams anzuvertrauen, die eine Teilaufgabe „von A bis Z“ bewältigen. Dies Teams werden oft „Squads“ genannt und von einem „Product Owner“ geführt. Statt in einer eng koordinierten und überwachten, klassischen, hierarchischen Struktur den „großen Wurf“ zu versuchen, lässt man den Teams die Freiheit in „Sprints“ vorzugehen, d.h. in schneller Folge Teillösungen auszuprobieren, aus den Erfahrungen zu lernen und neue, verbesserte Teillösungen zu entwickeln. Ebenso wird versucht ein Maximum an Feedback zu erhalten sowie den Blick systematisch auf die Nutzer zu richten.

Quer über die Squads legen sich, wie in einer Matrix, die „Chapters“: hier tauschen sich Kollegen derselben Fachrichtung bspw. über neue fachliche Trends aus. Die Möglichkeit autonom zu handeln stimuliert Handlungsorientierung und Kreativität – und daraus resultieren schnellere und pragmatischere Entscheidungen. Interdependenzen zwischen den Teilprojekten werden in häufigen, kurzen Abstimmungsrunden zwischen den Teams geklärt. Prozesse werden schneller und Komfortzonen aufgehoben (was nicht allen Mitarbeitern auf Anhieb gefällt). Wenn eine Teilaufgabe erledigt ist, wird das Team aufgelöst und die Mitglieder in neue, für die nächste Teilaufgabe spezifisch zusammengesetzte Teams verteilt.

Dieses iterative Vorgehen, das bewusst auf ein durchgeplantes Vorgehen verzichtet und Raum dafür lässt, aus Fehlern und Rückschritten zu lernen, mag auf den ersten Blick ineffizient anmuten. Es hat sich jedoch in gewissen Szenarien durch die höhere Flexibilität als sehr effektiv und am Ende auch effizient erwiesen, da vermieden wird, über längere Zeit und mit hohem Ressourceneinsatz in eine Richtung zu laufen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellt. Ein weiterer Vorteil ist das interdisziplinäre Arbeiten, da Entwickler, Designer und Programmierer unmittelbar im Team zusammenarbeiten und das zu lösende Problem von verschiedenen Blickwinkeln angehen. Die erhöhte Autonomie der Teams ermöglicht eine Selbstorganisation sowie die Orientierung an sachlichen anstelle von hierarchischen Gesichtspunkten. Alle lernen voneinander und an der Aufgabe.

Auch fernab der agilen Praktiken in der Software-Entwicklung versuchen Unternehmen unterschiedlichster Größe, Historie und Branche nun auf den Zug aufzuspringen und „agil“ zu werden. Das gelingt nicht immer, denn den Vorteilen stehen natürlich auch Herausforderungen gegenüber. Neben Verantwortlichkeiten und Organisationsmodellen betrifft das vor allem auch das Thema Führung. Aber wie genau muss sich die Führung ändern – oder auch nicht – wenn ein Unternehmen als „agile“ Organisation funktionieren soll?

Agilität erfordert in aller erster Linie (Selbst-) Disziplin, Motivation und Zusammenhalt. In vielen Firmen werden Ideen gemeinsam, kontinuierlich und spontan entwickelt – und auf ewige Meetings und „PowerPoint-Schlachten“ verzichtet. Das kann gut funktionieren, aber nur mit einem sehr hohen Maß an Disziplin. Der Zusammenhang mag nun zunächst überraschend wirken: das Mehr an Freiheit und Flexibilität wird „erkauft“ (denn es ist bedingt) durch ein Mehr an Disziplin. Sonst droht das Chaos. Entsprechend muss sich auch die Rolle des Managers ändern, der künftig weniger mit Kontrolle und Delegation arbeiten – und vielmehr eine „transformationale Führungsrolle“ einnehmen sollte (oder, in den Worten von Pascal Houdayer, sich als „Social Architect“ versteht – siehe nachfolgendes Interview). Diese von Robert Greenleaf begründete Philosophie des „Servant-Leadership“ ist durch eine Art Mentoring-Funktion gekennzeichnet: Der Manager als Vorbildfunktion, der Mitarbeiter coacht, Verantwortung übergibt, Selbständigkeit und Weiterentwicklung fördert und, nicht zuletzt, auch den Sinn der Arbeit verdeutlicht.

Natürlich muss im Rahmen von agilen Initiativen oder Transformationen auch zwischen Historien und Stadien eines Unternehmens unterschieden werden. Der schwedische Musik-Streaming-Dienst Spotify ist bspw. ein „agile native“, sprich seit Gründung immer schon agil organisiert. Und ein sehr gern zitiertes Erfolgsbeispiel mit inzwischen 4.000 Mitarbeitern, 217 Mio. Nutzern (davon 100 Mio. zahlenden Abonnenten), EUR 5,5 Mrd. Umsatz und EUR 22 Mrd. Börsenwert. Von Anfang an in „Squads“ und „Tribes“ organisiert und von einem jungen, aber sehr disziplinierten Top-Management orchestriert, hat Spotify den Übergang vom hippen Startup zum börsennotierten Großunternehmen gemeistert, ohne an Beweglichkeit und Effizienz einzubüßen.

Ein Beispiel für ein Unternehmen, welches einst klassisch-hierarchisch organisiert und später eine agile Transformation angestoßen hat, ist Freitag, ein mittelständischer Hersteller von Tragetaschen aus rezyklierten LKW-Planen. Das Züricher Unternehmen, von den Designern Markus und Daniel Freitag 1993 gegründet und noch heute im Besitz der beiden Brüder, hatte sich vom Startup zu einem klassisch organisierten, „stratifizierten“ Unternehmen mit über 200 Mitarbeitern in der Zentrale und diversen Produktionsstäten im Ausland entwickelt. Mit dem Wachstum kam die Führungskrise, man wechselte mehrfach den CEO, die Brüder fühlten sich nicht mehr „zu Hause“ und beschlossen einen radikalen Wechsel. Mit Hilfe externer Berater wurde eine „Holokratie“ etabliert und in einer „Verfassung“ dokumentiert. Man schaffte die Position des CEO und dann auch gleich die gesamte Top-Management-Ebene ab. Die Gründer/Inhaber sitzen heute nicht mehr im obersten Stockwerk – die Chefetage wurde abgeschafft – sondern wieder „mittendrin“. Doch wie genau organisiert sich das Unternehmen und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit? An die Stelle von klassischen Hierarchieebenen und Abteilungsstrukturen traten „Kreise“, die sich ohne „Chef“ selbst organisieren. Statt einer Marketingabteilung gibt es bspw. einen Kreis „Commercial“. Wer im Unternehmen mit Vermarktung zu tun hat, übernimmt eine konkrete Rolle in diesem Kreis, mit klar definierten Projekten und Verantwortlichkeiten. Diese werden nicht von oben vorgegeben, sondern im Kreis, im zweiwöchigen „Governance Meeting“ gemeinsam beschlossen und bei Bedarf angepasst. Betrifft ein Thema nur einen Teil des Kreises, wird ein Sub-Kreis gebildet, z.B. für „virales Marketing“. Auch dieser agiert autonom, d.h. der Ober-Kreis kann dem Sub-Kreis gegenüber Anregungen formulieren, aber keine Anweisungen geben. Das Tagesgeschäft wird im wöchentlichen „Tactical Meeting“ in einem streng definierten und von einem Moderator durchgesetzten Ablauf besprochen. (Nur) wer einen Punkt auf die Agenda gesetzt hat oder durch seine Rolle betroffen ist, nimmt teil. In einer Check-in-Runde berichtet jeder kurz, wo sein Projekt steht, und der Erledigungsgrad wird in einer Checkliste durch den Moderator dokumentiert, der auch hilft Fragen und etwaige Differenzen zu klären. Es dürfen Fragen gestellt werden, aber langwierige Diskussionen sind im Tactical Meeting ausgeschlossen. Über Kurskorrekturen oder Modifikationen in den Einzelprojekten entscheidet das mit der jeweiligen Rolle betraute Mitglied des Kreises autonom. Handlungsorientierung und Beweglichkeit gehen vor Konsens und Perfektion. Fehler werden in Kauf genommen und autonom korrigiert. Das Tactical Meeting dauert rund eine Stunde, die Ergebnisse werden unmittelbar dokumentiert und allen Betroffenen online zur Verfügung gestellt. Überhaupt ist Transparenz zentral. Alle Mitarbeiter haben Zugang zu praktisch allen Zahlen im Unternehmen. Die Erfahrung scheint dem Recht zu geben – es wird berichtet, dass das autonome Arbeiten zu einem erhöhten Grad an Gewissenhaftigkeit führt. Dieser Zustand kam allerdings nicht über Nacht durch Anordnung der Inhaber, sondern wurde in einem allmählichen Prozess unter Einbindung aller Mitarbeiter im Unternehmen verankert und hat auch noch nicht alle Bereiche erfasst. Insbesondere in der stark fehleranfälligen Produktion befindet man sich noch in einem Übergangsstadium.

Nun könnte man sagen, dass das von Anfang an agile Spotify und das vergleichsweise junge und kleine Unternehmen Freitag, welches schon immer eine eher unkonventionelle Kultur besaß, nicht stellvertretend für alle anderen, v.a. auch größeren Unternehmen stehen können. Und damit die berechtigte Frage: Wie gestaltet sich die Einführung eines agilen Systems in einem „traditionellen Großunternehmen“? Ein vielzitiertes Beispiel für die Transformation eines solchen Unternehmens ist der internationale Versicherungskonzern ING. Hier wurden agile Management-Methoden flächendeckend eingeführt, um das Unternehmen an die Digitalisierung mit ihren wandelnden (und steigenden!) Konsumentenanforderungen und die damit einhergehende permanent steigende Wettbewerbsintensität anzupassen. In einer groß angelegten „Komplett-Transformation“ wurden die Teams verkleinert und die Organisation flexibilisiert. Jeder Mitarbeiter musste sich offiziell um eine Aufgabe/Rolle/Stelle in der neuen Organisation bewerben. Rund 30% der Führungskräfte hatten Probleme sich in die neue Struktur einzufinden – und verließen das Unternehmen. Im Rahmen der Transformation wurde das Unternehmen in „Squads“ aufgeteilt. Manager waren fortan nicht mehr für bestimmte Organisationseinheiten und die Erreichung vorgegebener Ziele verantwortlich, sondern mussten im Rahmen des neuen agilen Führungsmodells „Squads“ motivieren und ihnen helfen sich konsequent auf die Befriedigung von Kundenbedürfnissen auszurichten sowie daraus selbst die übergreifenden Ziele und Prioritäten abzuleiten.

Auch der Pharmakonzern Novartis mit seinen 100.000 Mitarbeitern hat sich agilem Arbeiten verschrieben, um Eigenverantwortung und Innovation zu fördern und damit die Anpassungsfähigkeit und Leistung zu erhöhen. So hat der neue Konzernchef Vas Narasimhan bei seinem Antritt im Februar 2018 das „Unboss“-Konzept propagiert. Damit sollen aber nicht die Chefs abgeschafft, sondern ein Umdenken eingeleitet werden und das Verhalten der Vorstände, Generaldirektoren (immerhin 360 Personen!) und der 15.000 mittleren Führungskräfte geändert werden. Sie alle werden einer „Unbossed Leadership Experience“ unterzogen, mit Trainings, 360° Feedbacks und persönlichem Coaching. 60.000 Mitarbeiter haben ihre Chefs beurteilt und die Wechselbereitschaft vs. Immunität dagegen werden anhand eigens entwickelter Kennzahlen nachgehalten.

Natürlich gibt es auch einige Beispiele, die zeigen, dass der Weg in die Agilität steinig sein kann und nicht immer gelingt. Die lässt sich am Beispiel von Zappos, einem Online-Schuhhändler aus den USA, gut aufzeigen, der sich im Rahmen der agilen Transformation durchaus schwertat. 2013 wurden alle Chefposten abgeschafft mit dem Ziel, dass sich die Mitarbeiter in einem stringenten „bottom-up“-Modell radikal auf den Endkunden fokussieren und sich durch die Bank selbst organisieren sollten. Dies endete jedoch zunächst recht schnell im Chaos, da sich niemand wirklich verantwortlich fühlte, Prozesse ins Stocken gerieten und zudem die Mitarbeiterzufriedenheit im Eiltempo sank. Die tiefgreifende Veränderung einer agilen Organisation war zu abrupt eingeführt worden, die resultierende Erschütterung in den Abläufen wurde unterschätzt. Letztendlich hat sich Zappos erholen können und gilt inzwischen als Pionier und Vorbild für eine Kultur der Konsumenten-„Obsession“. Mit der Gründung eines Beratungszweigs begleitet Zappos andere Konsumgüterunternehmen auf dem Weg in die „Holocracy“.

Agiles Arbeiten passt nicht zu jedem Unternehmen bzw. zu jeder Unternehmensfunktion, aber in Zeiten sich permanent beschleunigenden Wandels kommt kein Unternehmen daran vorbei sich damit auseinander zu setzen. Wo agiles Arbeiten Sinn macht und was man bei der Einführung beachten soll, beleuchtet Felix Waldeier in unserem zweiten Artikel. Eine sehr persönliche Perspektive zu agilen Management-Techniken erfahren wir in dem sich anschließenden Interview mit Pascal Houdayer, der innovative Führungspraktiken in ganz unterschiedlichen Unternehmen vorangetrieben hat.

Die Mischung macht’s

Warum „Agile“ nicht immer gut und „Hierarchie“ nicht immer schlecht ist
von Felix B. Waldeier


„Agile“ bzw. eine agile Transformation kann zu großem Erfolg aber auch Misserfolg und Chaos führen, wie verschiedene Praxisbeispiele im vorhergehenden Artikel („Agile: Wenn die Squad das Sagen hat“) von Dr. Christian Bühring-Uhle zeigen. Es wird daher die wenigsten überraschen, dass „Agile“ kein Allheilmittel ist. Gleichzeitig sollte man sich den neuen Ideen und Ansätzen gegenüber nicht gänzlich verschließen oder diese gar ignorieren. Aber warum?

Wir meinen, für bestimmte Aufgabenstellungen führt an agilen Management-Methoden kein Weg vorbei. Der Schlüssel liegt dabei in der Bedeutung und der daraus resultierenden, adäquaten Behandlung von Fehlern. Es gibt Aufgaben, insbesondere beim (Er-) Finden und Entdecken von neuen Lösungen, also überall dort wo es auf Kreativität und Innovation ankommt, wo Fehler eine wichtige Erkenntnisquelle sind. In solchen Aufgaben und Themen kommt man schlicht nicht voran, wenn man nichts Neues ausprobiert, dabei Fehler riskiert und aus Fehlern und Rückschlägen systematisch lernt. Hier ist der iterative „trial and error“-Ansatz agiler Techniken nicht nur hilfreich, sondern notwendig.

Es gibt aber auch Organisationen, deren Sinn und oberstes Ziel die Fehlervermeidung ist, bspw. Flugleitsysteme, Reaktorsicherheit, Technische Überwachungsvereine. Und in jedem Unternehmen gibt es Funktionen, bei denen Fehler einfach nur schädlich sind. Dort muss dementsprechend das Handeln – und das Management! – darauf ausgerichtet sein, Fehler zu eliminieren oder mindestens zu minimieren (bspw. in Funktionen wie Buchhaltung, Arbeitssicherheit, Produktsicherheit, Compliance). Selbst in der IT gibt es diesen Unterschied, denn innovative Software-Entwicklung folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als der an der Einhaltung von Service-Leveln gemessene Betrieb einer IT-Infrastruktur. Die letztgenannte Art von Aufgaben, bei der es um die Vermeidung / Minimierung von Fehlern geht, erfordert ein hohes Maß an Überwachung und „linearen“ Management-Strukturen und eignet sich einfach nicht für „trial and error“ (was nicht heißt, dass man aus Fehlern, wenn sie denn geschehen, nicht lernen soll).

Wir glauben daher, dass in den allermeisten Organisationen, agile und herkömmliche Management-Prozesse und Strukturen nebeneinander existieren müssen. Die ständig zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit, der praktisch alle Unternehmen ausgesetzt sind, bringt es allerdings mit sich, dass „Agile“ immer wichtiger wird und sich praktisch kein Unternehmen erlauben kann, agile Techniken nicht zu erlernen. Wer Veränderungen nicht selbst vorantreibt, wird Getriebener der Veränderungen.

Die Herausforderung ist daher, die beiden Systeme, Führungsmethoden aber auch Kulturen „unter einen Hut“ zu bekommen. Die wenigsten Unternehmen sind „agile natives“ wie Spotify – oder so überschaubar und durch den Spirit unkonventioneller Gründer geprägt wie Freitag (siehe auch unser voriger Artikel). Für die meisten heißt es daher, einen neuen Modus Operandi zu etablieren. Da der Großteil der Unternehmen nach wie vor in Hierarchien organisiert ist, wird ein Wandel hin zu „Agile“ nicht funktionieren, in dem man einfach der bestehenden Organisation die „neuen Arbeitsweisen“ aufoktroyiert. Vielmehr gilt es drei wichtige Punkte zu beachten:

  1. Agile muss vorgelebt werden. Nur wenn das Top Management sich „Agile“ auf die Fahnen schreibt und ganz offen für diesen Wandel wirbt, kann es funktionieren.
  2. Die Mitarbeiter müssen involviert werden. Nur wenn diese von den Vorzügen der Flexibilität und Kundenorientierung überzeugt sind und sich ihre agilen Arbeitsmethoden selbst aussuchen, werden sie voll und ganz dahinterstehen und „Agile“ leben.
  3. Es braucht Zeit… unter anderem auch, weil „Agile“ die Unternehmenskultur – in vielen Fällen radikal – verändert. Man darf nicht nur die Ergebnisse des agilen Arbeitens sehen und messen, sondern muss auch die Art der Zusammenarbeit, Werte, Prinzipien und Stimmungen reflektieren, um bspw. eine Frustration des Teams zu vermeiden.

Die Unternehmensführung muss sich daher fragen: Wo ist es richtig und wichtig „agile“ zu sein und zu arbeiten? Und wo will/sollte man das bewusst nicht sein? Diese Unterscheidung und damit verbunden die Fähigkeit sowohl konventionell als auch agil zu agieren, muss das Top-Management vorleben. Es muss vorangehen und die Art des Arbeitens um agile Techniken erweitern. Das ist zweifelsohne und aus zweierlei Gründen eine Herausforderung: Zum einen wird es häufig nicht ein agiles Arbeiten gewesen sein, welches diese Personen in ihre Führungspositionen brachte – und zum anderen haben viele Vorstände nach 20 Jahren „Hierarchie“ nicht den Mut in ein Modell zu wechseln, in dem sie weniger Kontrolle haben, in dem Macht und Einfluss schwinden, in dem sie ihren Kollegen und Mitarbeitern mehr Verantwortung und Freiräume geben müssen – und in dem sie im Gegenzug selbst stärker unter Beobachtung von unten stehen. Doch soll „Agile“ funktionieren, müssen Unternehmensführer bereit sein eingefahrene Wege zu verlassen und eingeübte Verhaltensweisen zu „verlernen“, offen für Feedback sein, ein höheres Maß an Vertrauen entwickeln und akzeptieren, dass nicht alles vorhersehbar/planbar ist. Ebenso muss die Zusammenarbeit mit Kollegen und Mitarbeitern gestärkt, Entscheidungsbefugnisse an Mitarbeiter abgegeben und die eigenen Belange (oder die des eigenen Unternehmensbereichs) ganz klar hinter die der Gesamtorganisation gestellt werden. Nur wenn die gesamte Organisation sieht, dass die Unternehmensführung mit konkreten Aktionen vorausgeht, kann sich „Agile“ durchsetzen. Diszipliniertes, eigenverantwortliches Arbeiten nimmt hierdurch an Bedeutung zu – und muss auf allen Ebenen der Organisation gestärkt und kontinuierlich gelernt werden. Hinzu kommt die Notwendigkeit für ein hohes Maß an Klarheit in den Strukturen und Prozessen sowie der Koordination.

Natürlich kann man im Rahmen einer „Agile Transformation“ auch in Fallen tappen und insbesondere das Thema Disziplin kann zum Stolperstein werden. Wenn man nicht mehr kontrolliert wird, sich selbst organisieren muss, sich selbst Feedback geben muss etc., benötigt man mehr Disziplin. Es erfordert außerdem ein höheres Maß an Motivation und Initiative. Mit Personen, die nur richtig gute „Abarbeiter“ sind, aber immer einen Trommler brauchen, der den Takt vorgibt, Aufgaben zuweist und kontrolliert, wird agiles Arbeiten schwierig bis unmöglich. Insofern ist bei agilen Initiativen auch auf den konkreten Zusammenhang zu achten, was nicht nur unterschiedliche, mit Unternehmensfunktionen verbundene Teilkulturen betrifft, sondern auch die Geografie: Agiles, selbstbestimmtes Arbeiten wird Mitarbeitern in einem Land, in welchem individuelle Eigenarten und Freiheiten einen großen Stellenwert haben, leichter fallen als Menschen aus traditionell kollektiver und hierarchischer aufgestellten Gesellschaften.

Eine zentrale Frage in agilen Strukturen betrifft auch die Rolle und die Wichtigkeit des Top-Managements. Oder, noch konkreter: Wenn sich Mitarbeiter in Teams organisieren und mit erweiterten Freiheiten selbständiger arbeiten, benötigt man dann überhaupt noch einen Vorstand bzw. ein „C-Level“? Wir meinen, ja – nicht nur aufgrund verschiedener Fallbeispiele, in denen die Abschaffung des Vorstands zu großen Komplikationen führte. Wie oben ausgeführt, wird es auch in Zukunft in praktisch jedem Unternehmen noch hierarchische, von Top-Down-Kontrolle geprägte Funktionen geben – und geben müssen. Und insbesondere die Gesamtperspektive schließt eine komplett agile Organisations- und Arbeitsform für die meisten Unternehmen aus. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Am Ende muss es jemanden (ein Individuum oder ein kleines Team von Individuen) geben, der den Inhabern und den sonstigen Stakeholdern (u.a. Arbeitnehmer, Geschäftspartner, Gesamtgesellschaft) eines Unternehmens gegenüber für das Ganze individuell und persönlich „geradesteht“. Diese Verantwortung für das Ganze kann nicht aufgelöst und in eine Kollektivverantwortung aller – oder einer Gemeinschaft von Teamleadern – überführt werden. Mindestens in einem nicht ganz kleinen Unternehmen ist das Einnehmen einer Gesamtperspektive und einer Gesamtverantwortung ein „Full-Time-Job“ und entsprechend muss es ein Individuum (oder ein kleines Team) geben, das diese Verantwortung übernimmt. Und letztendlich muss auch die oberste Führungsriege, das C-Level eines Unternehmens, zumindest zu einem gewissen Grad, geführt werden: zwar mag jeder Vorstand seinen eigenen Verantwortungsbereich haben, aber eine Person, selbst wenn sie sich als Teamplayer und „Servant Leader“ versteht (siehe nachfolgendes Interview mit Pascal Houdayer) muss am Ende für dieses Team die Verantwortung tragen und „den Kopf hinhalten“.

Der CEO als „Social Architect“

Ein Interview mit Pascal Houdayer, Geschäftsführer von NAOS
von Carolyn Lutz und Nick Harris


Pascal Houdayer begann seine Karriere bei Procter & Gamble und übernahm im Laufe von 18 Jahren zunehmend größere Marketing- und Managementpositionen. 2011 wechselte er zu Henkel und war über sechs Jahre, zuletzt als EVP Beauty Care & Mitglied des Executive Committee, für die Gruppe tätig. Seit 2018 ist er CEO von NAOS, einem weltweit tätigen Familienunternehmen, das von Jean-Noël Thorel gegründet wurde und unter den Marken Bioderma, Institut Esthederm und Etat Pur hochinnovative Haut- und Körperpflegeprodukte entwickelt.

AvS – International Trusted Advisors: Herr Houdayer, Sie haben für drei sehr unterschiedliche Unternehmen gearbeitet – das US-notierte, multinationale Konsumgüterunternehmen P&G, das etablierte deutsche Familienunternehmen Henkel und nun das französischen Unternehmen NAOS, welches sich in der ersten Generation befindet. Wie würden Sie die Unterschiede im Hinblick auf den Führungsstil in diesen Unternehmen charakterisieren?

Pascal Houdayer: P&G ist sehr strukturiert, legt Wert auf IQ, und Innovation erfolgt aufgrund der hohen Konsumentenorientierung „bottom-up“. Henkel ist ein Familienunternehmen, ebenfalls sehr strukturiert; es gibt eine klare Delegation von Kompetenzen und strategische Planung erfolgt eher „top-down“. NAOS wiederum ist sehr unternehmerisch und die Organisation gibt dem Einzelnen viel Freiheit zur persönlichen Entfaltung. Die Art und Weise, wie wir Themen und Aufgaben angehen, ist wichtiger als das, was wir tun. Und: Entscheidungen, die wir treffen, werden sowohl mit dem Kopf als auch mit dem Herzen getroffen.

Etablierte Marken verlieren sukzessiv Anteile an wendigere Start-ups. Ist die Größe einer Gruppe, wie bspw. P&G, ein Nachteil bzw. ein Hindernis für Wachstum und Innovation?

Größe hat immer noch einige Vorteile: Man kann mehr in Innovation investieren, es erleichtert die globale Ausweitung der Geschäftstätigkeit und man kann in größerem Umfang Variationen finden und ausprobieren. Gleichzeitig birgt Größe auch Gefahr und klare Nachteile, u.a. in Bezug auf Agilität und Geschwindigkeit, wie wir heute am Beispiel vieler kleinerer und wendiger, digitaler Geschäftsmodelle sehen, in denen deutlich schneller entschieden und gehandelt wird. Schnellere Entscheidungsprozesse fußen auf der Grundlage, dass es in diesen Unternehmen nicht nötig ist, zunächst in der Befehlskette nach oben zu navigieren, bspw. von der lokalen zur regionalen Ebene und weiter zur Konzernzentrale – und dann wieder zurück nach unten. Ich habe erlebt, dass das P&L-Management in großen Unternehmen sehr komplex sein kann und die Gefahr besteht im Rahmen von Matrixstrukturen den eigenen Zugriff zu verlieren.

Wie hat sich Ihr eigener Führungsstil entwickelt? Was war die größte Veränderung, die Sie vornehmen mussten, und wodurch wurde diese ausgelöst?

Die größte Veränderung in meinem Führungsstil war der Wechsel von IQ zu EQ – und dann von EQ zu AQ. Zunächst lag mein Schwerpunkt klar auf IQ, da die P&G-Schule Wert auf die Förderung von analytischem und strategischem Denken legt. In einem ersten Entwicklungsschritt habe ich dann sukzessive auch EQ (Emotionale Intelligenz) in meine Führungsstilistik einfließen lassen, in dem ich stärker auf Emotionen und Empathie setzte, die notwendig sind, um größere Teams zu leiten. Später stellte ich jedoch fest, dass in der heutigen „VUCA-Welt“ („Volatile, Uncertain, Complex and Ambiguous“) IQ und EQ allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr benötigt man nun einen hohen AQ („Adaptability Quotient“): dieser bemisst die Fähigkeit des ständigen Lernens, der Aufnahme von Signalen von Verbrauchern, Händlern sowie neuen Erkenntnissen und aktuellen Trends – und wie gut es einem gelingt sich diesen anzupassen. Wie wichtig der AQ ist, merkte ich zum ersten Mal anlässlich einer Reise nach Palo Alto und meinem Besuch bei verschiedenen Start-Ups. Es waren nicht immer die klügsten Unternehmer, die am erfolgreichsten waren, sondern diejenigen, die sich erfolgreich anpassen konnten und schnell waren. Die Welt ist mittlerweile ein Dorf, neue Ideen kommen von überall her und somit gibt es auch nicht nur das eine Erfolgsrezept. Wir müssen daher unseren Horizont für lebenslanges Lernen öffnen und versuchen zu antizipieren, was als nächstes kommt.

„Agile Leadership“ kann für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Für mich bedeutet „Agile Leadership“, keine mentalen Muster oder vorgefasste Ideen zu haben, wie etwas sein sollte. Eine agile und offene Sichtweise der Dinge zu haben; zu erkennen, was man nicht weiß; akzeptieren, dass man ständig lernen und sich an Veränderungen anpassen muss – oder diese im Idealfall sogar selbst leiten!

Welche Rolle sollte der CEO im Hinblick auf „Agile Leadership“ spielen? Muss der CEO weiterhin als Anführer fungieren oder eher „loslassen“ und Verantwortung übertragen?

Der CEO muss ein Vorbild sein und Agilität in der Praxis zeigen – nicht nur in der Sprache. Die Rolle eines CEO ist nicht mehr die eines typischen „Chefs“: Ich verstehe mich vielmehr als „Social Architect“, der sich auf die Pflege der Kultur, der Umwelt, der Menschen und der Organisationsgestaltung konzentriert, damit wir gemeinsam die Zukunft des Unternehmens gestalten können. Dies unterscheidet sich sehr vom traditionellen CEO, der sich hauptsächlich auf den nächsten Monatsumsatz, die Finanzen, die Überprüfung vergangener Ergebnisse, die Planung, den 90-Tage-Zyklus etc. fokussiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass der moderne CEO mit allen Mitarbeitern, allen Märkten und allen Funktionen in Kontakt stehen muss und dabei tief involviert in alle Themen sein muss, die er verantwortet. Ich verbringe bspw. viel Zeit mit Dermatologen, anderen Ärzten und Apothekern, mit denen ich darüber diskutiere, wie sie die Entwicklung des Gesundheitswesens sehen. Und natürlich mit den Verbrauchern, um zu versuchen deren Entscheidungsprozesse zu verstehen, um somit die zukünftige Entwicklung vom Produkt über die Dienstleistung bis zur Erfahrung hin abzudecken. Ich bin fest davon überzeugt, dass man als CEO mehr Zeit in den Wohnungen der Verbraucher als in den Konferenzräumen der Zentrale verbringen sollte.

Kann „Agile Leadership“ in globalen Konzernen, die über eine bestimmte Größe hinausgehen, wirklich Anwendung finden? Was bedeutet das für die Unternehmensstruktur?

Ich glaube schon. NAOS ist in 100 Ländern tätig und 75% unseres Umsatzes erwirtschaften wir außerhalb unseres Heimatlandes Frankreich. Die Größe hat sicherlich einen Einfluss, aber die Prinzipien sind die gleichen. Selbst in großen, multinationalen Konzernen, waren die inspirierendsten Unternehmensführer diejenigen, die viel reisten, Menschen trafen und in Kontakt traten – und hierüber die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Das hängt auch sehr stark mit der Unternehmensstruktur zusammen. Wir bei NAOS glauben nicht an Hierarchie. Die von uns entworfene Organisation ist flach – und das Organigramm unseres Führungsteams sieht fast so aus wie eine Blume mit überlappenden Blütenblättern. Die Schnelligkeit unserer Entscheidungen ergibt sich aus genau diesen Überschneidungen und der nahtlosen Arbeitsweise.

Gibt es bestimmte Vorteile, die Familienunternehmen automatisch gegenüber anderen Unternehmenstypen in Bezug auf „Agile Leadership“ haben?

Familienunternehmen haben in dieser Hinsicht einige Vorteile, insbesondere in einer langfristigen Betrachtung. So z.B. die Vorstellung, dass sie für die kommenden Generationen existieren, dass es wichtiger ist hart an der richtigen Lösung zu arbeiten als sich in einfache Auswege zu flüchten. Sie verfolgen einen ganz anderen Ansatz im Vergleich zu nicht-familiengeführten Unternehmen, die oftmals nur auf das nächste Quartal oder den TSR (Total Shareholder Return) schauen. Ein zweiter, wichtiger Punkt ist, dass Familienunternehmen eine große Anziehungskraft auf Top-Talente haben können. Führungskräfte finden dort oftmals besser den Sinn ihrer Arbeit, sehen in ihrer Rolle einen Zweck und erkennen, wie sie ihre Handschrift auch für die Zukunft hinterlassen können.

Welche Auswirkungen hat „Agile Leadership“ auf die Gewinnung und Entwicklung von Talenten?

Es gibt drastische Unterschiede in der Art und Weise, wie wir Talente auswählen. In der Vergangenheit erfolgte dies auf sehr funktionale Weise: Unternehmen fokussierten sich hauptsächlich auf analytisches Denken, Kreativität und Zusammenarbeit. Heute suchen wir bei NAOS nach einem Gleichgewicht zwischen funktionaler Expertise und der Fähigkeit von Talenten, den Dingen, die sie tun, einen Sinn zu geben. Wir wollen Menschen, die ein „heiliges Feuer“ in sich tragen. Und gleichermaßen, wie ich bereits sagte, suchen Talente selbst nach Bedeutung in dem, was sie tun. Aus diesem Grund kommen die Menschen zu NAOS, denn wir ebnen ihnen mehr Freiraum, ermöglichen schnellere Entscheidungsfindung und erlauben ihnen Leistung und Zweck zu verbinden. Wir nennen es unsere „raison d’être“.

NAOS beschreibt sich selbst als „ein zweckorientiertes Unternehmen mit einer Mission, inspiriert von dem Anspruch einer humanistischen Utopie“. Diese Ausdrucksweise ist sehr distinktiv und klingt eher nach dem Leitbild einer NGO als nach einem Unternehmen! Wie bringt NAOS Humanismus und Idealismus mit der kommerziellen Realität in Einklang?

Das utopische Credo stammt von unserem Gründer, Jean-Noël Thorel. NAOS ist nicht nur ein Unternehmen, sondern eine Bewegung. Unternehmen haben heutzutage die Macht, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern – etwas, was selbst für Regierungen schwierig geworden ist. Ein Beispiel: Wir bei NAOS sehen die Haut als ein Ökosystem, das in einem menschlichen Ökosystem lebt, welches selbst wiederum in einem planetarischen Ökosystem lebt. Wir fokussieren uns auf die menschliche Pflege und Gesundheit und haben erkannt, dass es auf einem kranken Planeten keine gesunden Menschen geben kann. Wir stellen diesen Status Quo durch die Ökobiologie in Frage, um von „Skin Care“ über „Health Care“ zu „Human Care“ zu gelangen. Den faktischen Beweis für unsere Vorgehensweise lieferte im vergangenen Jahr Jean-Noël Thorel, der einen unglaublichen Glaubensakt vollbrachte und 100% seiner Unternehmensanteile an eine gemeinnützige Aktionärsstiftung spendete. So etwas ist in Frankreich schon ziemlich visionär.

Mussten Sie in der Abwägung von Werten und Verkaufszahlen schwierige Entscheidungen treffen?

Ja, beispielsweise in der Produktkategorie „Sonne“. Es gibt viele Inhaltsstoffe, die in Sonnenschutzprodukten zugelassen sind, die viele unserer Wettbewerber auch verwenden und die auch unsere Umsätze hätten steigern können. Einige dieser Inhaltsstoffe dringen jedoch in die Haut und das Ökosystem des Körpers ein, so dass wir beschlossen haben, sie nicht zu verwenden und entsprechende Produkte vom Markt zu nehmen. So ist Esthederm die einzige Marke, deren Sonnenschutzprodukte keinen LSF (Lichtschutzfaktor) aufweisen, weil wir glauben, dass Licht die Quelle des Lebens ist und wir harmonisch mit ihr leben sollten. Wir verfolgen eine andere Philosophie als die große Schönheitsindustrie und sehen unsere „raison d’être“ als einen Kampf gegen das, was wir nicht akzeptieren – nicht als einen Kampf gegen die Konkurrenz.

NAOS ist stolz darauf, dass das Unternehmen seit 40 Jahren bahnbrechende Innovationen auf den Markt bringt und mehr als 60 Patente angemeldet hat. Wie gelingt es einem Unternehmen eine echte (und nachhaltige) Innovationskultur schaffen?

Innovation liegt in der DNA unseres Gründers und unseres Unternehmens. Unsere Mitarbeiter wollen etwas bewegen und den Status Quo von Produkten, Dienstleistungen oder Erfahrungen hinterfragen. Und auch extern gehen wir Partnerschaften mit genau den Menschen ein, die an diesen „vierten Weg des Handelns“ glauben.

Seitdem Sie CEO von NAOS geworden sind, welche Führungsbotschaften haben Sie dem Führungsteam vermittelt und was haben Sie von ihnen gelernt?

Ich habe viel von den Menschen bei NAOS gelernt. Sie haben meine Software neu verdrahtet und damit eine andere Bedeutung bewiesen: Das Ziel ist es nicht, mehr zu verkaufen, sondern das Leben zu verbessern! Ihnen gegenüber habe ich versucht, das Konzept des „servant leadership“ und der „Führung als Sozialarchitektur“ zu teilen und vorzuleben.

Eine abschließende Frage: Wenn Sie in der Zeit zurückgehen und Ihrem jüngeren, 21-jährigen Selbst einen Führungsratschlag geben könnten, wie würde dieser lauten? Und was wissen Sie heute, von dem Sie sich wünschen, Sie hätten es damals bereits gewusst?

Das Geheimnis des Glücks besteht darin, ständig zu lernen und Dinge wie ein Schwamm aufzunehmen. Ich muss gestehen, dass ich dies bei NAOS nun wesentlich stärker tue – und mich freue dies fortzusetzen.

Herr Houdayer, wir bedanken uns für diese Einblicke!

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neue Berater in Deutschland

Zum Juni 2019 verstärkt Philipp Fleischmann das deutsche Berater-Team von AvS – International Trusted Advisors. Philipp Fleischmann hat seine Karriere als Journalist bei Tageszeitungen (u.a. DIE WELT, Handelsblatt) und TV-Sendern (ZDF, n-tv) begonnen, bevor er viele Jahre Managementpositionen in der Verlagsbranche bekleidete, zuletzt als Geschäftsführer für die internationalen Aktivitäten der Handelsblatt Media Group. Umfangreiche Executive Search Erfahrung hat er an den Berliner Standorten von zwei international aktiven Beratungsunternehmen, darunter viele Jahre bei Egon Zehnder, gesammelt. Bei AvS – International Trusted Advisors wird Philipp Fleischmann u.a. Inhaber von Medienhäusern und Konsumgüterunternehmen, wie auch junge Start-up-Unternehmen beraten. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zum Jahresbeginn ist Christian Bühring-Uhle schwerpunktmäßig nach Europa zurückgekehrt und berät nun aus Frankfurt heraus Unternehmer, Investoren und Familienunternehmen bei der Evaluierung und Rekrutierung in der Unternehmensführung, bei anspruchsvollen Nachfolgen sowie bei anderen Fragen im Bereich Family Governance.

Neuigkeiten aus unserer Lateinamerika-Praxis

Christian Bühring-Uhle, der weiterhin die Entwicklung unserer Lateinamerika-Praxis verantwortet, nahm im März dieses Jahres als Redner der „Catedra Europa Conference“ der Universität von Barranquilla in Kolumbien teil und referierte u.a. über die jüngsten Entwicklungen und die strategische Ausrichtung des Hafens seiner Heimatstadt Hamburg.

TTA 02-2018 | FÜHRUNG IN ZEITEN DIGITALEN WANDELS

Unternehmensführung 4.0

Die Anforderungen digitaler Transformation an Organisation und Führung
von Dr. Christian Bühring-Uhle und Felix B. Waldeier


Digitalisierung ist in aller Munde – sie bietet Chancen, schürt aber auch Ängste. Im Mittelpunkt steht oft die Frage, wie sich Geschäftsmodelle und Prozesse durch den Einfluss der Digitalisierung verändern oder gar neu erfinden müssen. Dabei liegt der Fokus häufig auf Strategie, Vertrieb, Supply Chain und Kommunikation.

Von zentraler Bedeutung ist jedoch, dass die digitale Transformation nicht nur das Geschäftsmodell oder den Einsatz von Technologie betrifft, sondern vor allem auch neue Anforderungen an die Organisation und Führung stellt. Es geht um fundamental neue Formen der Zusammenarbeit, und die wirklich knappe Ressource ist dabei nicht die Technologie, sondern adäquate Führung. Der Erfolg der Transformation hängt nämlich vor allem davon ab, dass Menschen ihr Verhalten ändern – und das wird wiederum stark bedingt durch die Methoden und die Qualität der Mitarbeiterführung. Aufgrund der besonders weitreichenden und tiefgreifenden Veränderungen, die die digitale Transformation mit sich bringt, sind die Widerstände typischerweise besonders groß, insbesondere die impliziten, auf Trägheit beruhenden. Im Mittelpunkt steht der Mensch, weshalb es entscheidend darauf ankommt, talentierte und digitalisierungsaffine Mitarbeiter zu gewinnen, zu motivieren und zu führen, aber auch kontinuierlich weiter zu entwickeln und an die Organisation zu binden. Hier kommt dem CEO eine besonders gewichtige Rolle zu.

Denn eine Digitialisierungsstrategie ist immer nur so gut wie die Organisation, und das heißt letztlich die Menschen, die sie umsetzen. In den Worten von Peter Drucker, „culture eats strategy for breakfast“.

Eine digitale Kultur ist geprägt durch folgende Grundzüge:

  • Offenheit und Kundenorientierung statt Nabelschau
  • Neue, ständig sich wandelnde Aufgaben und Rollen
  • Lern- und Experimentierfreude statt Planungswahn
  • Permanentes Feedback und Umgang mit Fehlern als Chance
  • Viel Delegation, Kreativität, Autonomie – wenig Kontrolle
  • Vernetztes und mobiles Arbeiten
  • Teamplayer statt Alphatiere

Um eine solche Kultur aufzubauen, braucht es:

  • Momentum: Eine starke Führungs- und Identifikationsfigur muss den Prozess verkörpern und vorantreiben, die Menschen im Unternehmen „mitnehmen“. Das kann der CEO selbst sein, oder eine Form von „Digitalisierungs-Champion“ – solange die Menschen inspiriert werden und genug Freiräume erhalten, die Transformation ein Stück weit selbst in die Hand zu nehmen.
  • Das richtige Maß an Zentralisierung: Damit wird für den erforderlichen Grad an effizienter Ressourcenbereitstellung und Standardisierung gesorgt, ohne dabei die Freiheitsgrade abzuwürgen, die für das Experimentieren mit digitalen Arbeitsmethoden gebraucht werden.
  • Agiles Arbeiten: Weg von starren, hierarchisch geprägten Prozessen und hin zu schneller, bereichsübergreifender, experimenteller Team-Arbeit.
  • Eine lernende Organisation: Strukturen, Ressourcen und Anreize, die lebenslanges Lernen und permanenten Wandel zu einem Grundpfeiler des Selbstverständnisses der Organisation machen.
  • Die Bereitschaft, zu „Verlernen“: Genauso wichtig wie das Erlernen neuer Arbeitsmethoden ist es, auf eingespielte und eingefahrene Wege zu verzichten und sich auf das Neue wirklich einzulassen.
  • Eine digitale Talent-Pipeline: Die Ermöglichung von permanenter Weiterbildung und die systematische Förderung von digital denkenden und agil handelnden Nachwuchs-Führungskräften.

Dies ist kein einfacher Weg, denn es erfordert systematische „Rüstungsanstrengungen“ im „Krieg“ um die Talente. Dabei müssen die vorhandenen Mitarbeiter methodisch evaluiert und entwickelt und permanent neue, digitale Talente an Bord geholt werden.

Eine besondere Herausforderung ist der Aufbau von digitalem Talent in der Unternehmensführung. In vielen Fällen ist dies ohne die Rekrutierung externer Führungstalente nicht möglich. Aber in dieser „neuen Welt“ ist die Suche nach digitalen Top-Führungskräften noch einmal schwieriger geworden. Dies beginnt schon damit, dass es heute viel schwerer ist zu definieren, welche Eigenschaften ein solches Talent mitbringen muss. Klassische hierarchische Führungsstrukturen müssen aufgebrochen werden, die „horizontale“ Kollaboration gewinnt an Bedeutung, ebenso eine höhere Teamorientierung und das Arbeiten in dezentralen Teams. Damit ändert sich zwangsläufig die Art und Weise der Zusammenarbeit und Führung – und die Anforderungen an Führungskräfte.

Stellenprofile sind weniger fixiert und können zudem eine zunehmend hohe Technologiekomponente enthalten, weshalb die idealen Kandidaten in vielen Fällen gar nicht mehr in den „typischen Industrien“ bzw. beim Wettbewerber sitzen, sondern ganz woanders zu finden sind. Das wiederum bedeutet, dass man bei der Suche nach digitalem Führungstalent oft „out of the box“ denken und sich auf Profile einlassen muss, an die man im ersten Schritt gar nicht gedacht hätte (z.B. fachfremde, non-HR Manager in leitenden HR-Funktionen). Und weil die Geschäftsmodelle sich wesentlich schneller als zuvor ändern, müssen insbesondere die Führungskräfte flexibler sein und sowohl den Willen als auch die Fähigkeit aufbringen, sich immer wieder auf neue und unerwartete Situationen und Herausforderungen einzustellen.

Eine weitere Auswirkung des mit der Digitalisierung einhergehenden Paradigmenwechsels in der Unternehmensführung ist, dass Manager mit „Millenials“ umgehen können müssen. Diese arbeiten anders, sind anders motiviert und damit auch anders zu incentivieren. Insbesondere haben sie typischerweise einen stärker ausgeprägten Wunsch nach Sinnhaftigkeit, d.h. die Folgen ihres beruflichen Wirkens müssen bei Ihnen ein gutes Gefühl hinterlassen. Damit wachsen auch der Stellenwert des „Employer Brandings“ und die Notwendigkeit glaubhaft zu kommunizieren, dass man ein auf die Interessen und Bedürfnisse der Millenials ausgerichtetes Arbeitsumfeld geschaffen hat und permanent an einer weiteren Verbesserung arbeitet.

Der Aufbau einer digitalen Unternehmenskultur und einer für Millenials attraktiven „Arbeitgeber-Marke“ ist eine große Aufgabe und kann mit erheblichen Investitionen verbunden sein – aber es gibt kaum einen größeren Hebel für den Erhalt und die Steigerung des Unternehmenswertes.

Digitale Beiratsmitglieder

Ein “Do’s and Don’ts” Leitfaden für Beiräte
von Carolyn Lutz und Nick Harris


Vor einigen Ausgaben hatten wir das Privileg, Frits van Paasschen zu interviewen, der gerade ein aufschlussreiches und überzeugendes Buch über die Herausforderungen technologischer Disruption in etablierten Geschäftsmodellen geschrieben hatte („The Disruptors‘ Feast“). Ein Zitat aus diesem Buch verdeutlicht das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Herausforderung: „Die digitale Revolution wird die industrielle Revolution wie in Zeitlupe erscheinen lassen…. Wenn Sie glauben, dass Sie und Ihr Beruf von digitalem Wandel nicht betroffen sind, geben Sie sich einer Illusion hin.“

In unserer letzten TTA-Ausgabe haben wir uns wiederum mit der Notwendigkeit von (Geschlechter-) Vielfalt in Aufsichts- und Beiräten beschäftigt sowie den Herausforderungen, die Unternehmen auf dem Weg dorthin begegnen.

In diesem Artikel versuchen wir nunmehr, diese beiden Aspekte – Vielfalt und Digitalisierung – zu verknüpfen, und untersuchen einige der „Do’s und Don’ts“ für „traditionelle“ Beiräte, die zukunftsorientierter, vielfältiger und digitaler werden wollen (und müssen!).

Fakt ist, dass viele (die meisten!) Vorstände von börsennotierten sowie Familienunternehmen über keine durchdachte digitale Rekrutierungsstrategie verfügen und das Verhalten und die Denkweise dieses relativ neuen Talentpools auch nicht gänzlich durchdringen.

Dabei übersteigt die Nachfrage nach digitalen Talenten, ob auf Vorstands- oder Beiratsebene, bei weitem das Angebot. Und während früher die gängige Annahme herrschte, dass die meisten Führungskräfte irgendwann eine Beiratsfunktion übernehmen würden, ist es nicht selbstverständlich, dass digitale Talente Beirat eines Bluechip-Unternehmens werden wollen. Das, was sie im Geschäftsleben am meisten schätzen – Autonomie, unternehmerische Freiheit, Offenheit und kurze Kommunikationswege; flache Hierarchien, schnelle Entscheidungsfindung und schnelle Ergebnisse – sehen sie (berechtigterweise) in größeren oder traditionelleren Unternehmen als nicht gegeben. Ein bekannter digitaler Unternehmer, mit dem wir kürzlich sprachen, beschrieb die Vorstellung, Teil einer großen Gruppe zu sein, als „Folter“.

Darüber hinaus herrscht bei digitalen Talenten, die für Beiratspositionen angesprochen werden, oft eine gewisse Grundskepsis darüber, ob das Unternehmen – und insbesondere der Beirat – tatsächlich bereit ist, die notwendigen Veränderungen anzustoßen und umzusetzen. Schon ein flüchtiger Blick auf das bestehende Unternehmen kann abschreckend wirken – eine weitere digitale Führungskraft, mit der wir uns kürzlich über ihr Interesse an Vorstandsrollen austauschten, bemerkte in einem ungläubigen Tonfall, dass die meisten derzeitigen Beiräte „sich nicht einmal die Mühe machen, ein LinkedIn-Profile zu erstellen“. Potentielle Beiratskandidaten sind dann vermehrt für das Unternehmen zu interessieren, wenn sie bereits aus erster Hand Erfahrungen mit den entsprechenden Produkten oder Dienstleistungen haben oder sich anderweitig mit der Marke oder dem Unternehmenszweck identifizieren können. Und eine konkrete Zielsetzung oder Agenda des Beirats – z.B. Transformation, Turnaround, Expansion – wird fast immer als attraktiver angesehen als ein konstantes „Business as usual“.

„Gleich und gleich gesellt sich gern“ ist ein weiteres bekanntes Problem bei der Rekrutierung von Personal. Diese Tendenz besteht häufig auch dann weiter, wenn „analoge“ Beiräte versuchen, ein digital versiertes Mitglied zu an Bord zu holen. Dies erhöht jedoch das Risiko, dass am Ende gar kein geeigneter Kandidat identifiziert wird – denn digitale Talente können traditionelle Beiräte mit ihrem Aussehen und Verhalten oftmals „abschrecken“. Sie sind häufig (viel) jünger, offener, weniger „geschliffen“ und ein höheres Maß an Autonomie gewöhnt. Zudem verlaufen ihre Werdegänge meist nicht sehr geradlinig und weisen häufiger Start-up und unternehmerische Erfahrung auf als Großkonzerne und bekannte Marken.

Auch die Erwartungen digitaler Talente an die Arbeitsweise von Beiräten sowie ihre Interaktion in diesen kann durchaus eine Herausforderung für den „klassischen“ Beirat darstellen. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache interessant, dass digitaler Beiratszuwachs in den letzten Jahren viel häufiger weiblich (25%) oder international war, als dies bei „normalen“ Anstellungen der Fall war. Dies könnte darin begründet sein, dass Beiräte versuchen, zwei „Diversity-Themen“ mit nur einer Neuanstellung abzuhaken – oder auch einfach nur ein Indiz dafür sein, dass „digital natives“ insgesamt heterogener, internationaler und mobiler sind als vorherige Generationen.

Im Hinblick auf die oben genannten Problematiken haben wir einige „Do’s and Don’ts“ für „traditionelle“ oder homogene Beiräte zusammengestellt, die bei der Rekrutierung digitaler Mitglieder helfen sollen:

DO

  • Machen Sie sich die Gründe für die Suche nach digitalem Talent bewusst: Mehr Vielfalt verbessert ganz einfach die Entscheidungsfindung im Beirat.
  • Die Suche nach digitalen Beiräten muss breiter angelegt sein als dies traditionellerweise der Fall ist. Gesucht werden unkonventionelle Funktionen in internationalem Umfeld und häufig weiter unten im Organigramm. Profitieren Sie von einem breiteren Spektrum an Hintergründen, Erfahrungen, Fähigkeiten und in der Altersstruktur, um den bestehenden Beirat zu ergänzen und nicht zu kopieren. Entgegen der allgemeinen Meinung müssen Beiräte nicht unbedingt ein Unternehmen als Geschäftsführer geleitet haben!
  • Stellen Sie mehr als nur ein neues Mitglied ein: Ziel ist es, einen vielfältigen Beirat aufzubauen – und nicht das reine Abhaken von Diversitätsanforderungen oder eine symbolische Ernennung. Es gibt zahlreiche überzeugende Belege dafür, dass vielfältige Teams effektiver arbeiten. Der Beirat sollte daher immer als Ganzes betrachtet werden. Der ideale Beirat besteht aus einer ausgewogenen Zusammensetzung verschiedener Hintergründe und sich ergänzender Erfahrungen.
  • Hören Sie zu: Digitale Beiräte können aufgrund ihres anderen Blickwinkels einen strategischen Mehrwert für das Unternehmen leisten – sie erkennen neue Geschäftsmöglichkeiten, die der Beirat sonst übersehen würde (z.B. neue Kundenschnittstellen, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, Mitarbeiter-Branding- und Engagement-Programme, Akquisitionstargets), und identifizieren Bedrohungen, die dem Beirat möglicherweise einfach nicht bewusst sind (z.B. Cybersicherheit, Reputationsschäden in sozialen Medien, aufstrebende Wettbewerber mit disruptiver Technologie).
  • Gehen Sie als Beirat mit gutem Beispiel voran: Eine digitale Kultur wird nicht automatisch durch alle Hierarchiestufen eines Unternehmens weitergegeben, nur weil Sie ein neues Beiratsmitglied ernennen. Alle Beiräte müssen ihre Aufgabe als Vorreiter und Befürworter einer digitalen Zukunft wahrnehmen.
  • Als Beiratsvorsitzender: Achten Sie darauf, nicht nur die Tagesordnung, sondern auch die Kommunikations- und Verhaltensregeln festzulegen. Sie sollten sicherstellen, dass jeder zu Wort kommt, dass genügend Zeit für Fragen bleibt und dass Diskussionen nicht nur oberflächlich bleiben. Bei traditionelleren Beiratsmitgliedern muss der / die Vorsitzende möglicherweise stärker auf den Grundsatz des gleichberechtigen Mitspracherechts hinweisen. Mit digitalen Beiräten muss unter Umständen ein Kommunikationsstil erarbeitet werden, der für ein solches Gremium am effektivsten und besten geeignet ist (z.B. in einfacher Sprache statt übermäßig technischem Fachjargon oder zu detailliert).
  • Zudem kann es eine gute Idee sein, wenn der Vorsitzende dem neuen Mitglied einen Mentor aus der Mitte der erfahrenen Beiräte zuweist, um (gegenseitiges) Lernen zu fördern und den Zusammenhalt zu stärken.
  • Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie über ein umfassendes Onboarding und Einführungsprogramm für digitale Beiräte verfügen. Eine zunächst vielversprechende Anstellung scheitert selten an der Person an sich, sondern vielmehr aufgrund von Missverständnissen, einer unzureichenden Kenntnis der Stakeholder-Dynamik und verpasster Möglichkeiten, sich früh zu beweisen und einen Beitrag zu leisten.
  • Beiräte mit fachlichem Hintergrund sollten sich bewusst bemühen, einen Beitrag zu Themen außerhalb ihres Fachgebiets zu leisten. Eine Beiratsposition sollte als eine Lernerfahrung angesehen werden, die auch dabei hilft, bessere Managementfähigkeiten in den operativen Rollen zu entwickeln.
  • Digitale Führungskräfte, die erstmals in einem Beirat sitzen, müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass dieses Gremium anders funktioniert als das Management Meeting eines Internet-Players – insbesondere, wenn es sich um ein börsennotiertes Unternehmen handelt. Corporate Governance und operative Führung sind nicht dasselbe.
  • Und als letzten Ratschlag empfehlen wir aufstrebenden Beiräten dringend, einen formellen Kurs bei einer angesehenen Institution wie dem IMD, einer INSEAD Business School oder der FT zu besuchen. Dies dient als gute Vorbereitung, sowohl in der Vermittlung der Grundlagen einer guten Corporate Governance als auch in der Weiterbildung in Bereichen wie Finanzen, Risiko oder Personalwesen, denen die Führungskraft möglicherweise zuvor nicht ausgesetzt war. Damit signalisiert man auch nach außen, dass eine Beiratsposition angestrebt wird und entsprechend ernstgenommen würde. Letztendlich bietet die Teilnahme an einem „NextGen Non-Executive Director Programme“ sowohl gute Networking-Möglichkeiten als auch die weitere Unterstützung durch die Community.

DON´T

  • Sehen Sie Digitalisierung nicht als ein überwiegend „operatives“ Thema, das durch den Beirat keine Berücksichtigung erfahren muss, dessen Aufgabe eher in der „strategischen“ Ausrichtung des Unternehmens liegt. Digitalisierung ist heute ein ganz grundlegendes Thema und unerlässlich für das Verständnis des Großen und Ganzen. Eine Unternehmensstrategie, die Digitalisierung nicht ausreichend berücksichtigt, wird von Anfang an grundlegend fehlerhaft sein.
  • Genauso sollte Digitalisierung nicht nur ein Thema für das neue digitale Beiratsmitglied sein. Jedes einzelne Beiratsmitglied muss an seinem digitalen Knowhow arbeiten. Man kann sich nicht ewig vor diesem Trend verstecken (Tipp: Selbst der Beiratsvorsitzende muss wissen, wie man mit sozialen Medien umgeht – und über ein präsentables LinkedIn-Profil verfügen!).
  • Verabschieden Sie sich von vorgefassten Meinungen, die zur Einstellung des immer gleichen Typus Beirat führen: Nicht alle Beiräte müssen Geschäftsführer eines großen Unternehmens gewesen sein. Nicht alle Beiräte müssen „graues Haar“ haben. Erkennen und akzeptieren Sie die Tatsache, dass ein digitaler Beirat wahrscheinlich jünger ist und einen atypischen Karriereweg haben kann.
  • Stellen Sie nicht nur eine(n) ein: Eine einzelne Stimme, ein „Sonderfall“ – ob ein Digital Native oder der einzige weibliche Beirat – ist leicht zu ignorieren oder auszugrenzen. Das ist unfair gegenüber dem neuen Beiratsmitglied, das dadurch Gefahr läuft, als thematisch begrenzter Experte – und damit nicht als gleichwertig – angesehen zu werden. Im besten Fall werden Sie von der neu eingebrachten Perspektive nicht voll profitieren können. Im schlimmsten Fall ist das neue Beiratsmitglied schnell gefrustet und verlässt das Gremium kurzfristig wieder. Die Zusammensetzung des gesamten Beirats muss sorgfältig geprüft werden; dies ist eine wesentlich andere Aufgabe als das bloße Austauschen eines in den Ruhestand gehenden Beirats gegen einen identischen Ersatz.
  • Gehen Sie in Bezug auf den obigen Punkt nicht davon aus, dass bei einer umfassenden digitalen Transformation des gesamten Unternehmens die Ernennung eines einzelnen digitalen Beirats ausreicht. Das digitale Universum ist heute so groß (z.B. Social Marketing, E-Commerce, Big Data, Cyber Security, Consumer Privacy, FinTech, künstliche Intelligenz, etc.), dass niemand über tiefes Expertenwissen in all diesen Dimensionen verfügen kann.
  • Unterschätzen Sie nicht die Auswirkungen kultureller oder generationsbedingter Unterschiede. Die Arbeits- und Kommunikationsstile der „Digital Natives“ können sehr (manchmal völlig) unterschiedlich sein. Eine Verbesserung der digitalen Kompetenz des Beirats wird sich auf lange Sicht für alle auszahlen, aber gehen Sie nicht davon aus, dass dies immer problemlos oder ohne kommunikative Schwierigkeiten ablaufen wird. „Traditionelle“ Beiräte müssen ihren Wortschatz erweitern und damit rechnen, dass mehr Fragen zu „Sinn“, „Wirkung“ und „Kundenorientierung“ gestellt werden.
  • Last but not least ein Ratschlag für erstmalige Beiräte: Gehen Sie keine Kompromisse ein, wenn es um Ihre Wertvorstellungen geht, und geben Sie nie ihr unabhängiges Denken auf. Sie wurden aus einem bestimmten Grund eingestellt, und – so einfach und verlockend es auch sein mag, Entscheidungen einfach durchzuwinken – es obliegt Ihnen, sich zu äußern, zu hinterfragen und neue Ideen vorzuschlagen. Meinungsvielfalt ist für einen gut funktionierenden und effektiven Beirat von entscheidender Bedeutung.

Abschließend noch einmal der Hinweis: Vielfalt im Beirat ist keine PR-Aktion. Diversität im Aufsichtsrat sollte angestrebt werden, da sie erwiesenermaßen zu einer besseren Entscheidungsfindung führt.

Noch nie hat sich die Branche so dramatisch schnell gewandelt

Ein Interview mit Jan Zijderveld, CEO von Avon Products Inc.
von Andreas von Specht


Mit einem Nettoumsatz von 5,7 Milliarden US-Dollar ist Avon das zweitgrößte Direktvertriebsunternehmen der Welt. Avon bietet Produkte in den Kategorien Beauty, Haushalt und Körperpflege an, die durch ein Netzwerk von fast sechs Millionen Avon-Vertreterinnen vertrieben werden. Direktvertriebsunternehmen wie Avon stehen im digitalen Zeitalter vor enormen Herausforderungen: Nicht nur tätigen Verbraucher ihre Einkäufe zunehmend online; auch haben technologische Neuerungen es Marken und Einzelhändlern ermöglicht, zunehmend personalisierte Dienstleistungen anzubieten – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, der zuvor vor allem Direktverkäufern vorbehalten war. Wie wird Avon dieser Herausforderung begegnen? TTA sprach mit CEO Jan Zijderverld über seine Veränderungsmission.

Was ist das Besondere an Avons Geschäftsmodell und warum halten Sie am Modell des Direktvertriebs fest?

Einzigartig an Avon ist unser Netzwerk von Vertreterinnen, unser Glaube an die „Demokratisierung der Schönheit“ – die neusten Trends und Innovationen hochwertiger Produkte für alle zugänglich zu machen – kombiniert mit unserer Fähigkeit zu bilden, zu engagieren und zu mobilisieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Beziehung eines Direktvertrieblers zu seinem Kunden eine sehr starke ist. Unsere Marken sind weltweit bekannt und werden sehr geschätzt – mit nahezu 100% Bekanntheitsgrad in den wichtigsten Märkten. Unsere Unternehmensphilosophie baute von Beginn an auf vertrauensvolle und wertschätzende Beziehungen. Unser Netzwerk von Vertreterinnen, unsere sog. „beauty entrepreneurs“, ermöglicht uns eine direkte und authentische Beziehung zu den Verbrauchern. Dadurch wird das „Avon-Erlebnis“ sehr persönlich. Unsere sechs Millionen Vertreterinnen kennen und lieben die Produkte, die sie verkaufen, da sie sie selbst täglich verwenden. Darüber hinaus teilen sie mit den Verbraucherinnen eine gemeinsame Leidenschaft für innovative Schönheits-Trends. Ich habe Hunderte von ihnen kennengelernt und sie glauben fest an Avon. In einer Welt, in der das Vertrauen in Unternehmen zunehmend schwindet, ermöglicht uns die Beziehung der Vertreterinnen zu den Verbrauchern Stärke bei Preispolitik und Kommunikation – und bietet unseren Kunden ein sehr persönliches Markenerlebnis.

Mit welchen Herausforderungen sieht sich ein Direktvertriebsunternehmen wie Avon konfrontiert und wie planen Sie, darauf zu reagieren?

Noch nie hat sich die Branche so dramatisch schnell gewandelt wie heute. Die digitale Welt ist schneller und Netzwerke werden immer umfangreicher. Mit der Zeit zu gehen muss daher ein essentieller Teil von Avons DNA sein. Wir müssen Avon modernisieren, mutiger und drastischer agieren – und unsere bisherige Arbeitsweise fundamental ändern. Wir müssen uns öffnen und beginnen zu hinterfragen und zu verändern, wie und woran wir arbeiten. Das bedeutet, dass wir die Marke Avon einer Verjüngungskur unterziehen müssen, dass wir unsere Produkte und unser Portfolio stärker für uns arbeiten lassen müssen und schließlich, dass wir die Vorteile, die die Digitalisierung mit sich bringt, für unsere ‚beauty entrepreneurs‘ auf der ganzen Welt zugänglich machen. Durch unsere geografische Präsenz sind wir für Wachstum gut positioniert: der Großteil unseres Geschäfts entfällt auf wachsende Schwellen- und Entwicklungsländer. Unsere wichtigste Kategorie – Beauty – ist sehr gefragt und verfügt über eine hohe Gewinnspanne. Entscheidend ist, dass wir unser Unternehmen digitalisieren, um den Direktverkäuferinnen und Kunden die Zusammenarbeit mit uns zu erleichtern. Dem Vorbild von Fast-Fashion-Marken folgend, verwandeln wir Avon in eine High-Touch-, High-Tech-, High-Impact- und Fast-Beauty-Marke. Wir schauen ganz neu auf unser Geschäftsmodell – und das mit der gebotenen Eile, so wie man das in dieser Situation auch erwarten darf.

Wie wollen Sie das Geschäftsmodell von Avon im Zeitalter der Digitalisierung erhalten?

Digitalisierung ist das Herzstück unserer Strategie. Social Selling – der Aufbau von Kundenbeziehungen über soziale Netzwerke – ist reif für technologischen und digitalen Wandel. Wir arbeiten intensiv daran, die richtigen Tools für unsere sechs Millionen Vertreterinnen zur Verfügung zu stellen – damit diese ihren Kundinnen mit Hilfe digitaler Features einen optimalen, persönlichen Service bieten können. Keine Zwischenhändler zwischen der Marke, unseren Verbraucherinnen und unserem Vertrieb zu haben, stellt für mich eine herausragende Chance des Avon-Geschäfts dar.

Welche einzelnen Schritte werden umgesetzt, um zu einem „digitalisierten Avon“ zu werden?

Der Begriff “digitalisieren” kann zu Fehlinterpretationen und Verwirrung führen. Für uns bedeutet es die Digitalisierung des gesamten Unternehmens – vom Anfang der Wertschöpfungskette bis zum Ende. Für Avon ist dies eine Zeit erheblicher Veränderungen; kundenfreundliche, digitale Oberflächen, unterstützt durch eine effiziente Technologieinfrastruktur und umfangreiche Datenanalysen, sind ein entscheidender strategischer Erfolgsfaktor für unsere künftige Entwicklung. Wir haben bereits eine komplett digitalisierte, interaktive Broschüre für die mobile Nutzung auf den Markt gebracht. Unsere Vertreterinnen können dadurch schnell und effektiv mit ihren Kundinnen in Kontakt treten und ihnen die neuesten Trends und Produkte direkt auf ihre mobilen Endgeräte senden, indem sie einen virtuellen, personalisierten Einkaufswagen erstellen, der über WhatsApp und Facebook Messenger gemeinsam genutzt werden kann. Hierzu gehören integrierte Echtzeit-Analysen für künftige Verbesserungen und Individualisierungen, die es auch leichter machen, die meistverkauften Produkte und individuelle Präferenzen zu verfolgen. Nach der Markteinführung verzeichnete das Tool mehr als 500.000 Besucher – mit positiven Rückmeldungen aus dem gesamten Avon-Netzwerk. Pläne für den „My Avon Store“ sind ebenfalls bereits in Arbeit. Dies wird unseren selbstständigen Vertreterinnen ermöglichen, einen eigenen Shop sowie ein komplett digitales Geschäft zu betreiben. Schließlich haben wir uns sehr über die extrem positive Resonanz auf unser Pilotprojekt „Personalised Beauty App“ gefreut. Dieses ziemlich revolutionäre digitale Tool ermöglicht unseren Vertreterinnen, personalisierten Service für unsere Kunden auf einem ganz neuen Niveau zu bieten – schnell, bequem und vertrauensvoll. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Technologie einen echten Vorteil bietet, der wirklich gut ankommt.

Sie sprechen von einer großen Veränderung des Avon-Geschäftsmodells. Mussten Sie Ihr Top-Management austauschen, um diese sanfte digitale Revolution umzusetzen? 

Wir haben kontinuierlich neue Talente und Ressourcen in das Unternehmen eingebracht. Dazu gehört auch die neu geschaffene Rolle des SVP, Chief Digital & Information Technology Officer. Benedetto Conversano ist ein herausragendes Talent, von dem wir im Hinblick auf seine kundenorientierten, technologischen, digitalen und operativen Fähigkeiten stark profitieren werden. Er wird für die Entwicklung einer neuen digitalen Strategie verantwortlich sein, ein grundlegender Baustein unserer künftigen Ausrichtung, während die Entwicklung, Standardisierung und unternehmensweite Implementierung von Technologielösungen umgesetzt wird. Wir wollen radikal überdenken, wie wir die entscheidenden Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, nutzen können, um uns zu einer „Fast-Beauty“-Marke in der Omni-Vertriebskanal-Welt zu entwickeln. Dafür ist natürlich auch unsere globale Vertriebsorganisation von entscheidender Bedeutung, die aus führenden Experten mit ganz direktem Einfluss in den jeweiligen Märkten besteht. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Verbesserung und Weiterentwicklung des Servicemodells, der Segmentierung und weiteren Optimierung des Direktvertriebs und der Eintrittsstrategien für neue Regionen. Unter Nutzung datengestützter Erkenntnisse werden unseren Klein-Unternehmerinnen maßgeschneiderte Weiterbildungsmöglichkeiten und Leistungsprämien geboten. Wir wissen natürlich, dass die Verbesserung des Verdienstpotentials unserer eigenständigen Direktvertrieblerinnen für unseren Unternehmenserfolg sehr wichtig ist. Aber auch die Erweiterung der Weiterbildungsmöglichkeiten und der Ausbau des „best-practice“-Austauschs sind von grundlegender Bedeutung. Wir bauen gerade die richtige Struktur auf, um eine konsequente Leistungskultur zu etablieren, in der wir die Verantwortung für Umsetzung und Ergebnisse drastisch erhöhen.

Haben Sie so etwas wie einen „digitalen Beirat“ aus externen Geschäftsführern und/oder Experten mit langjähriger Erfahrung in der digitalen Organisation und Transformation geschaffen – oder  managen Sie den Transformationsprozess selbst?

Im Rahmen unserer digitalen Zielsetzung etablieren wir gerade ein „Digital Board“, das sich aus Führungskräften mit digitalem, kommerziellen und auch anderem Hintergrund zusammensetzt. Benedetto wird auch die Leitung dieses neuen Beirats übernehmen, der im Wesentlichen für die digitale Transformation Avons verantwortlich sein wird. Der Beirat wird eng mit der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsrat von Avon zusammenarbeiten mit dem Ziel, das Wachstum zu steigern und die Digitalisierung permanent im Mittelpunkt der gesamten Geschäftsentwicklung zu behalten.

Digitalisierung verändert alles, vom Verbraucherverhalten bis hin zum Engagement der Mitarbeiter. Welchen kulturellen Wandel erwarten Sie im Laufe der Transformation bei Avon?

Avon ist eine sehr starke Marke und wird häufig mit einem Gefühl von Wärme und Sympathie verbunden, was sie wirklich ganz besonders macht.  Aber unsere Kultur war in der Vergangenheit teilweise zu sehr nach innen gerichtet und beinhaltete Silo-Denken. Auch das befindet sich im Moment im Wandel. Wir werden ein einfacheres, schnelleres und agileres Unternehmen sein – und das beginnt mit einer neuen Denkweise, die offen dafür ist, bestehende Werte, Infrastrukturen, Partnerschaften und Allianzen zu überdenken. Die bereits eingeleitete Transformation markiert also einen Wandel weg von einem schwerfälligen und ziemlich geschlossenen Geschäft hin zu einem agilen und offenen Unternehmen. Mit anderen Worten, wir werden dieses Unternehmen nach außen hin öffnen.

Viele traditionelle Unternehmen müssen den Fokus vom Umsatz hin zum Ergebnis verlagern, was dann teilweise notwendige Zukunftsinvestitionen erschwert. Zudem sind sie im Vergleich zu Start-ups oft benachteiligt, deren Investoren viel eher bereit sind, zugunsten des Wachstums kurzfristig auf Gewinne zu verzichten. Wie lösen Sie diesen Zielkonflikt?

Ich kenne die Start-up-Methodik in- und auswendig, und sie ist in der Tat ganz entscheidend. Alles wird in zweiwöchigen Sprints gemacht, mit klaren KPIs und einem klaren PMO (‚Project Management Office‘, die Red.). So arbeiten auch wir, während wir uns zu einer schnelllebigen Beauty-Marke entwickeln. Wir investieren in kommerzielle Initiativen, digitale und IT-Infrastrukturen, und sind auf dem besten Weg, unsere Ergebnisse zu stabilisieren und unsere Ziele mit einem Umsatzwachstum im niedrigen einstelligen Prozentbereich und knapp zweistelligen Margen bis 2021 zu erreichen.

Konsumenten sind oft keine isolierten Einheiten mehr, sondern bewegen sich in selbstorganisierenden Gruppen. Die Mitglieder- und abonnementgesteuerten Geschäftsmodelle nutzen den Wunsch ‚dazuzugehören‘ –  und nehmen dabei die Weitergabe personenbezogener Daten in Kauf. Passiert das auch bei Avon?

Wir bei Avon glauben, die Geschichten unserer Kundinnen genau zu hören. Gerade die tiefgreifenden Geschichten werden uns zu unseren engsten Kundenverbindungen – und am Ende unsere größten Durchbrüche bringen. Die Verbraucher von heute sind gestresst, stark beschäftigt, mit Informationen überhäuft, und sie suchen nach Marken, die auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen. Die Beauty-Konsumentin von morgen will uns nicht sagen müssen, was sie von einem Produkt erwartet; sie wird erwarten, dass wir es bereits wissen. Sie wird Marken kaufen, die ihr dabei helfen, bestimmte Lebensstile und Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen. Sie möchte das Gefühl haben, dass Ihre Produkte nur für sie hergestellt wurden. Persönliche Beziehungen und Gespräche werden immer das Herzstück von Avon sein.

Der Aufstieg der Millennials geht mit einer deutlichen Veränderung in der Verbrauchererwartung einher. Sie fordern Transparenz und Direktheit und legen weniger Wert auf Marken. Wie versucht Avon, diese Kunden zu erreichen?

Auf dem heutigen Markt ist Authentizität alles. Das macht es für uns unerlässlich, innovativ zu sein und unser Anliegen besser zu transportieren. Wir sind stolz darauf, Millionen von Kleinunternehmerinnen weltweit zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, auf ihre eigene Weise und zu ihren eigenen Bedingungen zu arbeiten. Avon ist viel mehr als ein Business – es ist eine Frauenbewegung. Angesichts des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels glauben wir, dass die Zukunft zahlreiche Möglichkeiten für Frauen bietet, und unsere ‚beauty entrepreneurs‘ tragen ihrerseits dazu bei, unseren Unternehmenszweck wiederzubeleben. Interessanterweise waren 45% der Frauen, die in den letzten zwölf Monaten zu uns gestoßen sind, unter 30 Jahre alt. Diese Verkäuferinnen an vorderster Front sind auch entscheidend verantwortlich für die neuesten Erkenntnisse, die bahnbrechenden Innovationen ja immer vorausgehen. Und wir liefern die neuesten Trends jetzt schneller als je zuvor. Für uns geht es darum, Schönheit zu demokratisieren und für jeden zugänglich zu machen, indem wir unseren Kundinnen tolle Produkte und die neuesten Trends und Technologien zu unglaublichen Konditionen anbieten. Die Premium-Hautpflege wächst sehr, sehr schnell und wird damit zu einem unserer Schwerpunkte. Asiatische Schönheit, also koreanische oder japanische Schönheit ist groß im Kommen, besonders für unsere Millennial-Zielgruppe. Wir werden uns also intensiv mit diesen Wachstumssegmenten befassen. Schönheit wird immer komplexer, aber es ist interessant, dass der manchmal unbeständige Millennial-Markt tatsächlich aus sehr loyalen Markenkonsumenten bestehen kann, insbesondere wenn eine Marke auf starken Werten beruht.

Sie sind vom Konsumgüterriesen Unilever zu Avon gekommen. Welche persönlichen Herausforderungen müssen Sie bewältigen, um in dieser „Mission (almost) impossible“ erfolgreich zu sein? Mussten Sie Ihren eigenen Stil und Modus operandi anpassen?

Ich war insgesamt 30 Jahre bei Unilever und habe in dieser Zeit in sieben verschiedenen Ländern gelebt, Zeit in vielen verschiedenen Teilen der Welt verbracht und ganz unterschiedliche Geschäftsfelder, Herausforderungen und Kulturen erlebt. Vor diesem Hintergrund sehe ich Avon als ein Unternehmen mit einem Potenzial, das kaum zu überschätzen ist. Ich mag Herausforderungen und meine Vorgehensweise war immer, das zu tun, was sich lohnt, nicht das, was einfach ist. Können wir dieses Geschäft wieder auf Vordermann bringen und es auf die nächste Ebene heben? Definitiv. Das beginnt mit einem tiefen Verständnis der grundlegenden Probleme, mit denen dieses Geschäft konfrontiert ist, sowie den wesentlichen Stärken, die es für die Zukunft zu nutzen gilt. Avon braucht einen grundlegenden Neustart, und das wird Zeit brauchen – aber wir sind auf dem besten Weg.

Herr Zijderveld, wir bedanken uns für diese Einblicke!

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Erste Industry Advisor ab 2019 an Bord

Wir laden derzeit einen kleinen, internationalen Kreis von erfahrenen „Industry Advisors“ ein, ab 2019 AvS – International Trusted Advisors als Ratgeber und Markenbotschafter zu bereichern. Erste ehemalige CEOs, CFOs, Partner globaler Beratungsunternehmen und aktive Aufsichtsräte haben sich bereit erklärt, in ein internes Gremium einzutreten, um als konstruktiv-kritisches „sounding-board‘ für unsere Partner zu fungieren – und als Botschafter für unsere Firma in ihren jeweiligen Märkten aufzutreten.

Globale Kooperation mit PwC und INSEAD

PwC, INSEAD (Wendel International Centre for Family Enterprise) und AvS – International Trusted Advisors haben sich zusammengeschlossen, um eine globale Studie mit qualitativer und quantitativer Forschung zum Thema „Erfolgskriterien für Fremdmanager in Familienunternehmen“ durchzuführen. Die Ergebnisse sollen 2020 in mehreren Sprachen veröffentlicht, für Bildungsaktivitäten genutzt und in Expertenrunden und weiteren PR-Veranstaltungen weltweit präsentiert und diskutiert werden.

Neuigkeiten aus unserer Lateinamerika-Praxis

Im September fungierte unser Partner Christian Bühring-Uhle als Juror an der Universidad de Los Andes, der renommiertesten Business School Kolumbiens und bewertete die finalen Strategieprojekte des aktuellen MBA-Jahrgangs.

TTA 01-2018 | DIE BEDEUTUNG VON VIELFALT IN AUFSICHTSGREMIEN

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Der wichtige Einfluss von Diversität in Aufsichtsgremien
von Carolyn Lutz und Andreas von Specht


Vielfalt im Aufsichtsgremium ist enorm wichtig. Die Gründe dafür wurden in zahlreichen Studien nachhaltig belegt, wie Michael Hathorn in unserem Interview für diese Ausgabe von „The Trusted Advisor“ erneut betont. Unternehmen mit Aufsichtsgremien, in denen verschiedene Geschlechter, kulturelle Erfahrungen und Standpunkte vertreten sind, treffen bessere Entscheidungen und erzielen am Ende höhere Renditen. Vielfalt ist ein wesentliches Element eines erfolgreichen und kompetenten Aufsichtsgremiums – und nicht etwa eine „Zwangsmaßname“ oder ein Zugeständnis an besondere Interessen. Darüber hinaus werden Unternehmenslenker, die von einem diversitären, effektiven Aufsichtsgremium begleitet und kalibriert werden, als zukunftsgewandte, moderne Führungskräfte respektiert.

Während die Notwendigkeit von Vielfalt in Führungs- und Aufsichtsgremien also an Akzeptanz gewinnt, verändert sich die tatsächliche Zusammensetzung nur relativ langsam. Ein homogen mit „weißen, älteren Herren“ besetzter Aufsichtsrat, in dem dann die „bekannten Namen“ sitzen, ist für Vorsitzende relativ einfach zu handhaben und entspricht auch der ausrechenbaren Begleitung, die so mancher CEO sich und seinem Unternehmen ganz gerne geben möchte. Der vielfältig besetzte Aufsichtsrat hingegen ist weniger einig, hört anders zu und fordert stärker heraus. Durch die z. B. ethnische, alters- oder geschlechtsspezifische Vielfalt der einzelnen Mitglieder wird die notwendige Breite und Tiefe an Perspektiven und Erfahrungen geboten. Dadurch gelingt es dem Gremium, seine Annahmen zu hinterfragen und bessere Entscheidungen zu treffen. Der Business Roundtable, eine einflussreiche Gruppe von Führungskräften, hat kürzlich eine Erklärung veröffentlicht, die explizit eine höhere Diversität in Aufsichtsgremien mit einer besseren Leistung in den beiden Schlüsselbereichen Aufsicht und Wertschöpfung verbindet.

Vielfalt geht dabei weit über das Geschlecht hinaus. Sie kann sich auch z.B. in unterschiedlichen Fähigkeiten, Lebenserfahrungen und Philosophien der Räte manifestieren. Der Sinn eines vielseitig besetzten Aufsichtsgremiums ist es, das Stereotyp von „weiß, männlich, alt“ zu überkommen. So soll eine frischere Sichtweise auf Herausforderungen und Chancen erzeugt und kontroverse Diskussionen und unterschiedliche Denkweisen genutzt werden, um die beste Lösung für das Unternehmen zu finden. Ein breiteres Spektrum an kollektiven Eigenschaften, und nicht die Anhäufung bereits vorhandener Kompetenzen erlaubt es dem Aufsichtsgremium, seine Aufgaben im Bereich Governance und strategische Aufsicht besser zu erfüllen. Ein zu homogener Aufsichtsrat ist für ein Unternehmen daher ein strategisches Risiko und kann zur Belastung werden.

Die meisten Unternehmen haben sehr heterogene Kundenstämme. Daher sollte man eigentlich annehmen, dass unterschiedliche Standpunkte und Erfahrungen bei den wichtigsten strategischen Diskussionen rund um z. B. Innovationen der beaufsichtigten Unternehmen sinnvollerweise einbezogen werden sollten. Wirklich innovative Ideen, die auf bisher unbekannte oder unterversorgte Märkte ausgerichtet sind, können ja nur entstehen, wenn man vom gängigen Weg abweicht und die Dinge nicht so macht, wie sie immer schon gemacht wurden. Mehrperspektivische Problemanalysen können die Dynamik des Aufsichtsrats verändern und führen am Ende eher zu qualitativ hochwertigen Entscheidungen als Diskussionen, die mit einem „homogenen Gruppendenken“ geführt werden. Natürlich ist letzteres etwas bequemer und wahrscheinlich weit weniger herausfordernd.

Ein vielfältiges Aufsichtsgremium kann indirekt auch dabei helfen, die Attraktivität des Unternehmens für seine (hoffentlich heterogene) Belegschaft zu steigern; indem z. B. ein starkes Signal gesetzt wird, dass die Entwicklung von Frauen und Minderheiten für das eigene Unternehmen wirklich wichtig ist. Dies gilt auch für die Gewinnung von Nachwuchskräften und Potenzialträgern von außerhalb des Unternehmens. Angesichts des tobenden „Kampfs um Talente“ kann es sich schlicht kein Unternehmen mehr leisten, nach außen im Wettbewerb um Top Talente die falschen Signale zu senden!

Ein vielfältig besetztes Aufsichtsgremium kann sicherlich auch die Reputation der Organisation bei den Investoren verbessern. Aufgrund der nachgewiesenen positiven Korrelation zwischen dem Unternehmenswert und der Diversität im Aufsichtsrat ist dies ein Faktor, der zunehmend von institutionellen Investoren bei Bewertungen berücksichtigt wird. Die großen, global agierenden Unternehmen haben sich hierauf längst eingestellt.

Eine einfache Maßnahme zur Förderung der Heterogenität im Aufsichtsrat ist die Einbeziehung von Frauen in das Gremium – allgemein bekannt als „Geschlechter-Diversität“. Wie sagte schon Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Eigentlich klingt die Berufung weiblicher Räte nach einer relativ einfach zu implementierenden und logischen Lösung. In der Praxis sind jedoch viele Gremien weiterhin zu 100% männlich besetzt oder haben maximal eine „Vorzeige“-Frau.

Die Gründe für das Scheitern der Berufung diversitärer Kandidaten sind zahlreich und beginnen ehrlicherweise häufig mit kollektivem Widerstand gegen echte Veränderungen. Bei der Rekrutierung von Aufsichtsratsmitgliedern werden wir zu Beginn oft mit einer „Wunschliste“ konfrontiert. Eine häufig genannte Voraussetzung ist dann z. B., dass ein neuer Beirat oder Aufsichtsrat erfolgreich als CEO fungiert haben muss. Dadurch wird die Auswahl der geeigneten Kandidatinnen automatisch stark eingeschränkt, und die bekannten Probleme reproduzieren sich selbst. Auch (ehemalige) Top Berater(innen) werden häufig ausgeschlossen. Junge, weniger erfahrene Profile sowieso. Andere Gründe können landeskultureller Natur sein: in männlich dominierten Gesellschaften werden Frauen oft nicht dieselben Bildungsmöglichkeiten, beruflichen Entwicklungen und Netzwerke zuteil, die sie nach gängiger Meinung zu einer Aufsichtsratsposition befähigen würden. Gesellschaftliche Normen sorgen so dafür, dass Frauen für bestimmte berufliche Herausforderungen weniger gut ausgebildet erscheinen als Männer, und bei der Vergabe solcher Positionen am Ende auch von sich aus gar kein Interesse mehr zeigen.

Weltweit sind die Fortschritte bei der Geschlechtervielfalt in den Aufsichtsgremien bestenfalls gemischt; sollte die Entwicklung so weitergehen wie bisher, wird Geschlechterparität wohl erst im nächsten Jahrtausend erreicht werden. Vielfalt im Aufsichtsrat kann jedoch durch eine Reihe von (zugegebenermaßen teilweise umstrittenen) Maßnahmen gefördert werden, beispielsweise durch das Auferlegen von Quoten oder die Verbesserung der Offenlegung nach dem „comply or explain“-Ansatz mit der Hoffnung, dass die Unternehmen ihre Vielfalt erhöhen, um eine Schädigung ihrer Unternehmensmarke zu vermeiden.

Die Einführung von Quoten bezieht sich auf die obligatorische Verpflichtung zur Ernennung eines Mindestanteils an weiblichen Führungskräften. Seit 2006 muss beispielsweise jedes börsennotierte Unternehmen in Norwegen sicherstellen, dass Frauen mindestens 40 % der Aufsichtsratspositionen besetzen. Im Jahr 2016 gab es in Norwegen 45,4 % weibliche Räte und 34 % Ausländer, was natürlich auch als „vielfältig“ angesehen werden sollte, da dies i.d.R. eine andere Sprache und Kultur impliziert. Viele europäische Länder haben ähnlich verbindliche Anforderungen an die Geschlechter-Diversität umgesetzt (mit Ausnahme z. B. der Schweiz, die reine „Empfehlungen“ hat). Im Jahr 2016 hatten Frauen in Deutschland 26,4 % der Aufsichts-Positionen in quotenpflichtigen Unternehmen inne. Interessanterweise hatten aber 60 % der nicht quotenpflichtigen Unternehmen in Deutschland 30 % oder mehr Frauen in ihren Aufsichts- oder Beiräten.

Neben den umstrittenen Quoten kann auch Transparenz und Offenlegung als Maßnahme zur Erhöhung der Vielfalt im Aufsichtsrat versucht werden. Unternehmen sind gemäß dem Corporate Governance-Kodex verpflichtet, ihre Diversitäts-Politik bei der Ernennung von Aufsichtsräten offenzulegen, damit z. B. Investoren eine angemessene Bewertung vornehmen können. Wer solche Maßnahmen nicht umsetzt, muss ihre Nichteinhaltung im Corporate-Governance-Bericht begründen. Dies wird mit viel Phantasie auch wortreich gemacht, ist aber zunehmend schwierig. Der Corporate Governance Kodex Großbritanniens (2010) schreibt beispielsweise vor, dass Unternehmen Vielfalt bei der Ernennung von Aufsichtsratsmitgliedern berücksichtigen müssen, die Diversitäts-Politik des Aufsichtsrates in ihrem Jahresbericht beschreiben sollen und über Fortschritte bei der Erreichung dieser Ziele berichten müssen. Im Jahr 2017 hatten die 100 größten FTSE gelisteten Unternehmen 33,3 % weibliche Räte und 24,5 % Ausländer. In einer Cranfield-Studie aus dem Jahr 2017 hoben erfahrene Aufsichtsrats-Gutachter nochmals die großen Vorteile hervor, die Vielfalt im Aufsichtsrat bedeutet.

Die Schweiz, ganz ohne verbindliche Frauenquote, holt im Bereich Geschlechter-Diversität in den Verwaltungsräten langsam auf. Im Jahr 2017 waren in den 20 Unternehmen des Swiss Market Index 22,2 % der Verwaltungsräte Frauen und 37 % der in den letzten 12 Monaten ernannten Räte waren weiblich. Das Land zählt mit 61 % zu den Ländern mit den höchsten Werten, wenn es um die Internationalität (d.h. Ausländeranteil) der Gremien geht.

Es müssen mehr qualifizierte Kandidaten und vor allem Kandidatinnen identifiziert werden, die den Nominierungsausschüssen normalerweise gar nicht zur Kenntnis gelangen würden. Wir sind es inzwischen gewohnt, dass wir bei der Suche nach Bei- und Aufsichtsräten von den Vorsitzenden ausdrücklich aufgefordert werden, gerade auch Kandidaten zu identifizieren, die über ihr typisches Sichtfeld hinausgehen. Wir brauchen aber noch mehr solche Vorsitzende, die diesen Mut aufbringen!

Zukunft braucht Mut

Warum Altersvielfalt ein wichtiges Thema für Aufsichtsräte ist
von Anthony Harling und Dr. Christian Bühring-Uhle


Wenn man über Vielfalt in Unternehmen („Diversity“) spricht, dann geht es in der Regel um das Verhältnis der Geschlechter in den Unternehmensorganen. In den letzten 20 Jahren haben sich Unternehmen systematisch bemüht, mehr Frauen in die Aufsichtsräte zu holen, und die positiven Auswirkungen dieses Trends sind gut dokumentiert. Es geht jedoch um mehr. Vielfalt drückt sich in zahlreichen weiteren Attributen aus – ein wirklich ausgewogenes Gremium würde die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit widerspiegeln, und das nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern auch in Bezug auf Alter, ethnischen Hintergrund, nationale Herkunft und regionale Unterschiede. Im Bereich Gender Diversity haben die Unternehmen bereits ein starkes Bewusstsein entwickelt, obwohl auch hier noch viel zu tun bleibt. Das nächste große Thema könnte „Age Diversity“ sein – denn Aufsichtsräte, auch das ist kein Geheimnis, sind alt und werden immer älter: Das Durchschnittsalter der Aufsichtsratsmitglieder von S&P 500-Unternehmen stieg von 61 im Jahr 2005 auf 63 im Jahr 2015.

Über die Auswirkungen der Altersvielfalt auf die Leistung des Aufsichtsrates gibt es relativ wenige Forschungsergebnisse, so dass man mit generalisierenden Schlussfolgerungen vorsichtig sein muss. Eines der seltenen Beispiele: Eine aktuelle Studie von Unternehmen an der OMX Stockholm beschäftigte sich über das Thema der Geschlechtervielfalt hinaus mit den Auswirkungen der Altersvielfalt auf die Unternehmensleistung. Die Schlussfolgerung, dass „die Altersvielfalt die Unternehmensleistung, gemessen an der Kapitalrendite, signifikant beeinflusst“, ist mindestens bemerkenswert.

Die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für Themen der „Corporate Governance“ in den letzten Jahren geht einher mit einer zunehmenden Kritik an hergebrachten Verhältnissen: „zu männlich, zu deutsch, zu alt“, wie es die Süddeutsche Zeitung beschreibt. Die Regeln haben sich geändert und vorausschauend agierende Unternehmen weisen den Weg. Der Ausbau der Vielfalt im Aufsichtsrat ist mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Art und Weise, wie das Unternehmen über aktuelle Themen denkt, ändern wird.

Aber was konkret machen die Unternehmen? Warum spielt Altersvielfalt eine Rolle? Einige große US-Unternehmen haben sich an die Spitze der Bewegung gestellt. Der US-Einzelhändler Macy’s hat 2014 eine 45 Jahre alte EVP von Starbucks in den Aufsichtsrat berufen. Annie Young-Scrivner konnte eine überzeugende Erfolgsgeschichte in ihren früheren Führungspositionen bei PepsiCo und Starbucks vorweisen, als sie in den Aufsichtsrat von Macy’s eintrat. Dennoch stellt die Ernennung von jemandem ohne vorherige CEO- oder Board-Erfahrung für ein so großes, hochkarätiges Unternehmen eine bemerkenswerte Abkehr von der bisher gängigen Praxis dar. Dass dies als Erfolg gewertet wurde, zeigt sich darin, dass Macy’s im Jahr 2015 die 42-jährige Leslie Hale, Executive Vice President, Chief Financial Officer und Treasurer des RLJ Lodging Trust, in den Aufsichtsrat berufen hat. Und Starbucks ernannte Clara Shih im Jahr 2011, als diese gerade einmal 29 Jahre alt war. Geographisch näher ist das Beispiel von Dr. Christina Reuter, die 2016 im Alter von 30 Jahren in den Aufsichtsrat der Kion Group AG berufen wurde. Jüngere, talentierte Führungskräfte ohne Vorstandserfahrung beginnen, Zeichen zu setzen.

Die Gründe für diesen neuen Trend sind vielfältig:

Zunächst einmal besteht kein Zweifel daran, dass jeder externe Kandidat für den Aufsichtsrat die erforderlichen Fähigkeiten, Einsichten und Kompetenzen mitbringen muss, die eine Ernennung auf dieser Ebene erfordert. Es reicht nicht aus, jünger als das Durchschnittsalter der bestehenden Aufsichtsratsmitglieder zu sein, der Kandidat muss außergewöhnliche Kompetenzen vorweisen.

Der Schritt in Richtung eines vielfältigeren Aufsichtsrats kann dem Unternehmen in vielen Bereichen Vorteile bringen. Die Aktionäre mögen sich eine Zeitlang für den Neuheitsfaktor interessieren, aber es ist die finanzielle Performance des Unternehmens, die auf lange Sicht am wichtigsten ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein jüngeres, vielfältigeres Profil dem Unternehmen einen besseren Einblick in das Verbraucherverhalten verschafft. Und es wird den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern helfen, den Einfluss von Technologie und sozialen Medien auf die Zukunft ihres Geschäfts besser einzuschätzen zu können. Junge Aufsichtsräte werden vermutlich auch ein höheres Maß an Innovation, ein höheres Tempo des Wandels fordern. Unternehmen stehen vor einer schnelllebigen und sich ständig verändernden Welt, in der die alten Gewissheiten durch neue, agile Wettbewerber und Realitäten in Frage gestellt werden. Es reicht nicht aus, auf diese Faktoren nur zu reagieren – Unternehmen müssen vorausschauend handeln und sich auf eine andere Welt vorbereiten. Diese Entwicklung erfordert Mut, aber sie ist lebensnotwendig.

Was sind die Hindernisse für eine größere Altersvielfalt in Aufsichtsräten? Das Thema wird auf kurze Sicht keine Frage der Gesetzgebung sein. Es wird einige Unternehmen geben, die dies als dringende Priorität ansehen, und andere, die nicht so besorgt sind. In der Praxis wird es vom Willen des Aufsichtsrates als Ganzem abhängen. Wenn die derzeitigen Aufsichtsratsmitglieder aus Angst vor Umwälzungen eine abwartende Haltung einnehmen, dann ist es weniger wahrscheinlich, dass es zu Veränderungen kommt. Werden jüngere Aufsichtsratsmitglieder von ihren Aufsichtsratskollegen ausreichend ernst genommen werden? Die Erfahrung von Macy’s und anderen Unternehmen zeigt, dass diese Probleme überwunden werden können. Die schwierigere Frage ist, wo die passenden Kandidaten zu finden sind.

Wenn man nicht bereits mit jemandem in einer früheren Leitung- oder Aufsichtsfunktion zusammengearbeitet hat, kann man nicht wissen, wie sich ein neues Aufsichtsratsmitglied verhalten wird – insbesondere, wenn das potenzielle Aufsichtsratsmitglied keine Erfahrung in einer solchen Funktion hat. Die Anforderungen müssen daher vorher klar verstanden werden. Der Aufsichtsrat muss sich möglicherweise auch grundsätzlicher mit dem Thema Governance befassen, um dies zu beurteilen. Dies ist jedenfalls ein Thema, mit dem sich Aufsichtsräte heutzutage ernsthaft beschäftigen müssen.

Was müssen wir heute tun, um uns für die Zukunft erfolgreich zu positionieren? Wie wichtig ist die Frage der Altersvielfalt für uns heute? Wir meinen, Altersvielfalt ist kein „nice to have“, sondern eine Frage der Nachhaltigkeit, ja des Überlebens – und sie bringt auch mehr „Leben in die Bude“!

Wie Vielfalt in Beiräten die Unternehmensleistung verbessert

Ein Interview mit Dr. Michael Hathorn, Professor für International Business
von Nick Harris, Felix B. Waldeier und Karin Onater


AvS – International Trusted Advisors: „Diversity” ist ein in der Geschäftswelt intensiv diskutiertes Thema. Von welchen wirtschaftlichen Vorteilen profitieren Unternehmen, die sich dem Aufbau von Top-Teams mit einem hohen Grad an Vielfalt verschrieben haben?

Dr. Michael Hathorn: Der Business Case hierfür hat sich seit einiger Zeit etabliert und ist ziemlich überzeugend. Dies wird durch eine große Anzahl von Studien gestützt, die nachweisen, dass Beiräte mit höherer Geschlechtervielfalt stark korrelieren mit einer besseren Performance bei den typischen finanziellen Kennzahlen. Das Credit Suisse Research Institute zeigte beispielsweise auf, dass Unternehmen mit einem höheren Anteil an Frauen in Entscheidungsprozessen höhere Eigenkapitalrenditen erzielen und eine konservativere Bilanz führen. Andere Studien bestätigen, dass Unternehmen, in denen Frauen die Mehrheit des Top-Managements bilden, ein höheres Umsatzwachstum, höhere Cash-Flow-Renditen auf Investitionen und eine geringere Verschuldung aufweisen. Mit nur einer Frau im Beiratsgremium besteht die Gefahr, dass diese lediglich als „symbolisch“ wahrgenommen und ihre Meinung dementsprechend nicht ausreichend berücksichtigt wird. Diesen Effekt kann man nur überwinden, in dem man eine kritische Masse erreicht. Der größte Einfluss auf die finanzielle Leistung wird in denjenigen Unternehmen gemessen, die drei oder mehr Positionen in ihrem Beirat mit Frauen besetzten.

Was steckt hinter dieser Korrelation zwischen weiblichen Führungskräften und der Verbesserung der Geschäftsleistung?

Entscheidungsfindungs- und interne Teamprozesse scheinen fundierter zu sein, wenn eine erhebliche Beteiligung von Frauen vorliegt. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen tiefgreifendere Debatten über entscheidende Themen anregen und geschlechterdifferenzierte Teams innovativere Lösungen entwickeln – entscheidende Kompetenzen, um in der heutigen, turbulenten Zeit zu überleben und strategisch wirkungsvoll zu agieren. Darüber hinaus haben Frauen bei Beiratssitzungen eine höhere Anwesenheitsrate als Männer. Sie setzen hierdurch eine neue Norm für den Beirat, in Folge derer auch die Teilnahmequote der männlichen Beiratsmitglieder steigt. In Krisenzeiten gibt es unter weiblicher Führung auch weniger Streiks und Entlassungen, also Maßnahmen, die für Unternehmen auf lange Sicht sehr kostspielig sein können. Ein anderer, vielleicht subtilerer Effekt ist die Verbesserung der Reputation eines Unternehmens. Viele Unternehmen werden von ihren verschiedenen Stakeholdern stark unter Druck gesetzt, ihre Beiräte zu diversifizieren. Folglich wird solch ein Unternehmen für weibliche Führungskräfte, die eine vielfältige Herangehensweise schätzen, deutlich attraktiver. Dadurch erhalten diese Unternehmen einen bevorzugten Zugang zu einem viel größeren Pool an Talenten. Auch diese Effekte treten jedoch erst ein, wenn man mehr als nur eine Frau im Beirat hat.

Wenn die Vorteile so überzeugend sind, warum sind die Beiräte vieler Unternehmen heute immer noch sehr einseitig besetzt?

Es gibt eine Reihe systembedingter Probleme, die außerordentlich schwer zu überwinden sind. Zunächst einmal ist Kultur sehr beständig, was Veränderungen generell erschwert. Im Laufe der Zeit reproduzieren und verfestigen sich Rekrutierungsprozesse und bestimmte Verhaltensweisen bei der Zusammensetzung des Beirats, weshalb dieser am Ende immer sehr ähnlich aussieht. Zusätzlich können wir bei der Personalauswahl das Phänomen des „Klonens“ beobachten. Menschen neigen dazu, sich im Kreis von Personen, die ihnen ähnlich sind, wohler zu fühlen – was folglich die Auswahl männlicher Beiratsmitglieder verstärkt. Ein weiteres wichtiges Problem besteht darin, dass die in einem Unternehmen verfügbaren Talente mit steigender Hierarchieebene zunehmend männlich werden. Dies führt dazu, dass die Auswahl an möglichen Führungskräften für Positionen im oberen Management überwiegend männlich ist. Es gibt jedoch genug qualifizierte Frauen, die an die Spitze eines Unternehmens kommen könnten. Zwar ist beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor eine große Hürde für Frauen, die die Karriereleiter aufsteigen und sich für ein Beiratsmandat qualifizieren wollen. In der Regel erleben weibliche Führungskräfte diese Herausforderung jedoch nur über einen sehr kurzen Zeitraum ihres Arbeitslebens, vielleicht nur 10-20% einer 40-jährigen beruflichen Karriere. Wenn Sie eine weibliche Führungskraft identifiziert haben, die Ihr Unternehmen maßgeblich voranbringen kann, sollten Sie diesen Zeitraum mit kreativen Lösungen überbrücken und die Person somit an sich binden.

Sind die spezifischen Werte und die langfristige Ausrichtung von Familienunternehmen ein Vorteil beim Aufbau vielfältiger Teams im Vergleich zu börsennotierten Unternehmen, die möglicherweise einem stärkeren Druck ausgesetzt sind?

Mit Blick auf die Werte stimmt diese Hypothese nicht mit meinen Erfahrungen überein. Ich habe mit einigen Familienunternehmen zusammengearbeitet, in denen eine Verschreibung patriarchalischer Werte dazu geführt hat, dass ein weniger talentiertes Familienmitglied aufgrund seines Geschlechts eine Führungsposition einnimmt. Ich stimme jedoch zu, dass Familienunternehmen oft eine längerfristige Orientierung auf das Geschäft ausüben können, da sie frei von den kurzfristigen Marktbelastungen börsennotierter Unternehmen sind. Unabhängig von der Art des Unternehmens ist es im Allgemeinen sehr schwierig für Unternehmen, ihre Kultur zu verändern und sich an die Herausforderungen der heutigen Welt anzupassen. Dennoch glaube ich, dass Kultur ein wichtiger Antrieb für strategische Vorteile sein kann. Google beispielsweise ist ein börsennotiertes Unternehmen, das sich durch ein Angebot an Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeiten, Freizeitaktivitäten und vielen anderen Vorteilen auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter eingestellt hat. Die Leistungsstandards sind dennoch sehr hoch und das Führungspersonal wird im Hinblick auf die erbrachten Leistungen ausgewählt. Viele Unternehmen setzen auch heute noch Präsenz mit Leistung gleich und erkennen nicht, dass Mitarbeiter eine flexible Arbeitsumgebung, in der die Qualität ihrer Arbeit die entscheidende Größe ist, schätzen und sich dadurch noch stärker für das Unternehmen einsetzen. Unternehmen sollten moderne Technologien nutzen, um die Flexibilität zu erhöhen und die Arbeitsumgebung anzupassen – mit anhaltendem Fokus auf Leistung.

Das „Nordische Modell“ wird oft als das beste Beispiel für eine Region mit einer geschlechterdifferenzierten Beiratslandschaft angeführt. Was haben die skandinavischen Länder richtig gemacht?

Von Anfang an strebten die nordischen Länder danach, ihre Governance-Richtlinien im Einklang mit globalen „Best Practices“ zu entwickeln. Sie integrierten einen Multi-Stakeholder-Ansatz, der weit über die reine Profitabilität hinausgeht. Durch die Einbeziehung verschiedener Interessengruppen und ihrer gegenseitigen Verantwortung wurde das Thema auf eine soziale Ebene gehoben und ganzheitlich diskutiert. Im Falle Norwegens wurde argumentiert, dass geschlechterdifferenzierte Beiräte sowohl für das Land als auch für Unternehmen wichtig sind. Wenn nur die Hälfte des verfügbaren Talentpools genutzt wird, wird das Land globale Wettbewerbsnachteile erfahren. Wenn ein norwegisches Unternehmen vom Aktienmarkt profitieren möchte, muss es auf alle zur Verfügung stehenden Talente zurückgreifen – und das gilt auch für die Besetzung von Beiratspositionen.

Die nordischen Länder setzen auch obligatorische Quoten ein, um die Geschlechtervielfalt zu erhöhen. Was spricht für, und was gegen die Festlegung solcher Quoten für Beiräte, und sollten diese verpflichtend sein?

Meiner Ansicht nach sind freiwillige Quoten oder Zielvorgaben als erster Schritt zur Förderung des Wandels vorzuziehen – und bei unzureichenden Fortschritten um obligatorische Quoten zu ergänzen. Auch in Norwegen wurde zu Beginn kein Gesetz erlassen, das die Zusammensetzung von Beiräten regelte. Vielmehr wurden die Unternehmen ermutigt, freiwillig zu handeln. Erst zwei Jahre später, als es nur wenige Fortschritte gab, wurde das Gesetz implementiert. Binnen sehr kurzer Zeit haben die Beiräte norwegischer börsennotierter Unternehmen ihre Geschlechtervielfalt dann um bis zu 40% gesteigert. Der Hauptnachteil, den wir dabei beobachten konnten, war das Phänomen des „Over-Boarding“: Aufgrund des schnellen Wandels waren Frauen in mehreren Beiräten parallel aktiv und haben sich damit ein wenig übernommen. Eine Reihe von Studien kam jedoch übergreifend zu dem Schluss, dass die befürchteten Konsequenzen, beispielsweise dass die Unternehmen hinter den Erwartungen zurückbleiben oder weibliche Führungskräfte nicht erfahren genug sind, sich als unberechtigt erwiesen haben.

Welchen Karriereratschlag würden Sie weiblichen Führungskräften geben, die gerne in Beiräten aktiv werden möchten?

Weibliche Führungskräfte müssen zunächst Führungserfahrung aufbauen, wenn möglich international. Das Sammeln von Expertise in Positionen mit Ergebnisverantwortung lässt sich durch nichts ersetzen. Des Weiteren müssen sie hinterfragen, was sie dazu bewogen hat, eine Beiratsposition anzustreben – und auch in der Lage sein, ihre Motive zu artikulieren. Es ist sehr wichtig für weibliche Führungskräfte, ein umfangreiches Netzwerk aufzubauen und ihre Fähigkeiten in einem breiten Markt aktiv zu kommunizieren. Dazu gehört der Beitritt zu bestimmten Gruppen und die Teilnahme an Veranstaltungen, die überwiegend männlich sind, um dort in Gesprächen ihre Leistungen und Ziele deutlich zu machen – eine für Frauen eher untypische Verhaltensweise, die sie aber dennoch adaptieren müssen, um signifikante Wirkung in der männlich dominierten Geschäftswelt zu entfalten.

Bisher haben wir hauptsächlich über die Geschlechtervielfalt gesprochen. Ist dieser Schwerpunkt gerechtfertigt, oder sollten Beiräte im Kontext der Vielfalt noch umfassender und ganzheitlicher denken?

Meiner Meinung nach müssen wir den Schwerpunkt auf das Geschlechtergleichgewicht legen. Frauen sind ein grundlegender Aspekt der Vielfalt – und sie sind unterrepräsentiert. Indem wir uns darauf konzentrieren, mehr Frauen in Beiratspositionen zu bringen, werden auch andere Aspekte der Vielfalt gestärkt: Vielfalt an Gedanken, Denkweisen, Erfahrungen, Stilrichtungen usw. Gleichzeitig muss die Rekrutierung von Beiratsmitgliedern jedoch immer von den Bedürfnissen des Beirats bestimmt werden. Es ist wichtig, dass Unternehmen die Diversifizierung des Beirats nicht als eine Compliance-Übung betrachten, sondern als Bemühung, die beste Person für die Aufgabe zu verpflichten – die eben zufällig weiblich ist. Gleichzeitig müssen wir uns der Notwendigkeit von Ethnizität und Nationalitäten in unseren Beiräten bewusst sein – wiederum nicht wegen politischer Korrektheit, sondern weil die Beiratszusammensetzung die Geschäftstätigkeit reflektieren sollte. Wenn Sie global tätig sind, müssen Sie bestimmte Kenntnisse in Bezug auf Ihre wichtigsten Regionen haben. Dies erhöht die Möglichkeit des Unternehmens, in diesem Geschäftsfeld bessere Leistung zu erzielen.

Wir leben in Zeiten, die als „VUCA“ beschrieben werden – „Volatile“ (volatil), „Uncertain“ (ungewiss), „Complex“ (komplex) und „Ambiguous“ (mehrdeutig). Die Geschwindigkeit des Wandels und der Erfolgsdruck nehmen immer stärker zu. Wie können Beiräte mithalten, sich anpassen und relevant bleiben?

In einem hochgradig volatilen Umfeld wird Führung am besten durch Visionen und Werte statt durch ausgefeilte strategische Pläne ausgeübt. Wir müssen unsere Annahmen ständig hinterfragen und bereit sein, unsere Pläne zu ändern, wenn dies gerechtfertigt ist. Ungewissheit und Komplexität erfordern, dass sich Führungskräfte und Beiratsmitglieder sehr intensiv mit mehreren Ebenen in der Organisation vernetzen, um funktionsübergreifende Entscheidungen zu treffen, die für das gesamte Unternehmen gelten. Und Ambiguität ist letztlich eine Aufforderung, Innovationen voranzutreiben und neue Wege zu gehen. Beiräte müssen Mitglieder gewinnen, die diese umfassende Expertise mitbringen und unternehmensweit agieren können. Sie brauchen Teamplayer, die vollständig engagiert und bereit sind, eine tiefgreifende und sinnvolle Debatte zu führen. Bisher habe ich nicht das Gefühl, dass Unternehmen genug tun, um die Herausforderungen einer „VUCA“-Umgebung zu bewältigen. Die starke Fokussierung von Beiratsmitgliedern auf die eigene Verantwortung und Expertise führt häufig dazu, dass sich Beiräte zu sehr vom eigentlichen Geschäft entfernen. Bei ernsthaften Herausforderungen werden diese Schwächen sehr deutlich.

Wie stellen Sie eine gute Zusammensetzung und Chemie im Beirat sicher, damit die richtige Mischung aus Hintergründen, Fachwissen, Perspektiven und Persönlichkeiten entsteht?

Zunächst muss man Klarheit schaffen über die spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse, die jedes Beiratsmitglied einbringen soll. Dazu gehört auch die Abschaffung von externen Kriterien, die ggf. keine wesentlichen Auswirkungen haben, wie beispielsweise eine vorherige CEO-Tätigkeit. Letzteres ist für mich fast ein „Nicht-Kriterium“, weil eine Vielzahl von Führungskräften beweisen kann, dass sie während ihrer Karriere einen ganzheitlichen Blick auf das Geschäft gewonnen haben. Auch muss man die Rolle definieren, die das zukünftige Beiratsmitglied einnehmen soll. Es kann sinnvoll sein, dass ein weibliches Beiratsmitglied den Vorsitz im Nominierungsausschuss übernimmt, wenn das Unternehmen sein Spektrum möglicher Beiratsmitglieder erweitern möchte. Dann muss man demografische Daten und verschiedene Aspekte von Vielfalt wie Alter, Geschlecht, Ethnie und Nationalität berücksichtigen, um alle Bereiche des Geschäfts repräsentieren zu können. Schauen Sie sich die Automobilindustrie an: Einige Unternehmen haben lange gebraucht, um zu verstehen, dass Frauen beim Kauf eines Autos eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Hätten sie frühzeitig weibliche Beiratsmitglieder, die über entsprechendes Marketingwissen und Verständnis für das Kaufverhalten verfügen, in ihre Überlegungen involviert, hätten die Konzerne niemals die Rolle und den Einfluss von Frauen im Automobilkauf übersehen. Die verschiedenen Anforderungen an Vielfalt in Zusammenspiel mit den Bedürfnissen des Geschäfts zu priorisieren hilft, einen klaren Fokus zu setzen und bessere Ergebnisse zu erzielen. Am Ende ist es eine Frage des Talents und der Kompetenz, keine Frage des Geschlechts.

Was sind die notwendigen Grundregeln für eine dynamische und höchst effektive Zusammenarbeit eines diversifizierten Beirats?

Die aktuelle Forschung kommt zu dem Schluss, dass ein hohes Maß an Vertrauen unerlässlich ist, um offene Debatten zu führen und seine Meinung zu äußern. Wenn ein Beiratsmitglied nicht an der Entscheidungsfindung teilnimmt, hat es natürlich Vorbehalte und wird letztendlich nicht hinter der Entscheidung stehen. Das reduziert wiederum die Rechenschaftspflicht und wirkt sich letztlich negativ auf die Ergebnisse aus. Um ein Umfeld zu schaffen, in dem Ideenkonflikte gefördert werden, ist es unerlässlich, eine Team-Charta oder ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, das die Mission, Richtlinien und Erwartungen an die Teamkultur und die Beiträge der Teammitglieder festhält. Der wichtigste Einfluss ist jedoch das Verhalten und die Interaktion des Beiratsvorsitzenden, der ständig seine eigene Mission und Leistung hinterfragen muss, um ein Team aufzubauen, das bestrebt ist, die Ideen aller zu verbessern, zu reflektieren und einzubeziehen. Ein Beirat muss klare Kriterien für seine eigene Leistung und die Leistung seiner Mitglieder haben – und muss sich regelmäßig selbst auf Basis dieser Erwartungen überprüfen.

Wie sollte diese Überprüfung bzw. Beurteilung am besten durchgeführt werden?

Es gibt keinen „one size fits all“-Ansatz, um die Leistung eines Beirats zu überwachen oder zu bewerten. Es ist wichtig, dass Beiräte eigene Selbstüberwachungsmechanismen für die Leistung der Gruppe sowie einzelner Mitglieder entwickeln. Dies kann mit oder ohne die Hilfe eines externen Beraters geschehen. Für die individuelle Leistung empfehle ich immer eine Selbstevaluation, die auf Gesprächen mit dem Beiratsvorsitzenden und den anderen Mitgliedern basiert. Der Vorsitzende muss diese Selbstevaluation dann bestätigen und erweitern – und mögliche Schwachpunkte aufzeigen. Es ist erstaunlich, wie viele Beiräte keinen strukturierten Evaluierungsprozess eingerichtet haben, da dieser als eher negativ, schwer und fast Compliance-getrieben angesehen wird. Aber der Zweck ist vielmehr, eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung zu schaffen, um ein effektiveres Beiratsmitglied und ein effektiveres Beiratsgremium zu werden.

Haben Sie einen letzten Ratschlag zum Thema „Vielfalt“ für Beiratsvorsitzende und CEOs, die dieses Interview lesen?

Geschlechtervielfalt sollte als Chance zur Verbesserung der Beiratsleistung und zur Schaffung eines erheblichen zusätzlichen Geschäftswerts gesehen werden – und nicht als eine Übung in „Political Correctness“. Die Unternehmenseinstellung muss sich dahingehend ändern, dass die Relevanz vielfältiger Top-Teams verstanden und in die Unternehmenskultur übernommen wird. Das ist der Schlüssel! Und niemand kann dabei eine so große Wirkung entfalten wie der Beiratsvorsitzende und der CEO. Ich habe mit einer Reihe von Beiratsmitgliedern und -vorsitzenden gesprochen, die der Geschlechtervielfalt in ihren Gremien anfangs sehr skeptisch gegenüberstanden. Nachdem sie jedoch von den Möglichkeiten und Wirkungen eines diversifizierten Beirats erfahren haben, waren sie bestrebt, diesen Wandel auch zu fördern. Wenn alle CEOs die Vorteile eines vielfältigen Teams erkennen würden, bräuchten wir keine Quoten.

Herr Dr. Hathorn, wir bedanken uns für diese Einblicke!

Dr. Michael Hathorn ist Professor an der Arizona State University und der Thunderbird School of Global Management. Darüber hinaus ist er Partner im Bereich Board Development am International Center for Corporate Governance und lehrt Leadership-Governance im DAS-Programm für Sustainable Business – ein gemeinsames Programm der Universität St. Gallen und der Business School Lausanne.

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neue Beraterin in Bogotá

Seit Februar verstärkt Eleonora Cajiao Cabrera das Berater-Team unseres Büros in Bogotá. Eleonora studierte Rechtswissenschaften in Kolumbien sowie Internationale Geschäftsbeziehungen an der UC Berkeley. Sie war in verschiedenen Management-Rollen für Unilever in der Andenregion tätig und leitete mehrere internationale Expansionen, bevor sie in der Personalberatung und -entwicklung tätig wurde. Als Senior Client Partner der weltweiten Personalberatung Korn Ferry war sie in der Andenregion, Mittelamerika sowie der Karibik für die Praxisgruppen Konsumgüter, Pharma, Government und Industriegüter verantwortlich. Eleonora bringt knapp 30 Jahre Führungserfahrung in internationalen Unternehmen und im Executive Search mit.

Podiumsdiskussion zum Thema „Diversity on Boards“ in Genf

In Kooperation mit der Berenberg Bank veranstaltete unser Genfer Büro im November letzten Jahres eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Board Walk: Where are the Women? Upgrading Boardrooms with Dynamism and Diversity“. Unsere Berater Carolyn Lutz und Nick Harris moderierten die Diskussion eines hochrangigen Panels: Regi Aalstad und Pauline Lindwall, zwei international erfahrene Aufsichtsrätinnen, sowie Dr. Michael Hathorn, Professor an der Business School Lausanne und ein Spezialist im Thema „Board Diversity“, der uns auch für ein Interview für diese Ausgabe des TTA zur Verfügung stand. Vor zahlreichen Gästen wurde angeregt darüber diskutiert, wie Unternehmen das volle Talentspektrum besser nutzen und mehr Diversität in Beirats-/Aufsichtsratsgremien bringen können.

Neuigkeiten aus unserer Lateinamerika-Praxis

Christian Bühring-Uhle, der die Leitung und Entwicklung unserer Lateinamerika-Praxis verantwortet, wurde im März von Endeavor Colombia zum „Mentor des Monats“ ernannt. Endeavor ist die führende Bewegung für einflussreiches Unternehmertum auf der ganzen Welt. Zusätzlich wurde Christian Bühring-Uhle im März von der Deutsch-Kolumbianischen Handelskammer für seine dreijährige Tätigkeit im Vorstand geehrt.

TTA 02-2017 | WERTSCHÖPFUNG DURCH AKTIVE INHABERSCHAFT

TTA-02-2017-Artikel-1-AvS-trusted-advisorDie zentrale Rolle der Eigentümerstrategie

Vorteile aktiver und verantwortungsbewusster Inhaberschaft
von Andreas von Specht und Nick Harris


Warum „gute Inhaberschaft“ elementar wichtig ist

Mehr als 80% aller global tätigen Familienunternehmen (FU), die insgesamt USD 1,6 Trillionen an Vermögenswerten repräsentieren, wollen in den kommenden zehn Jahren das Unternehmen an die nächste Eigentümergeneration übergeben. 60% aller Eigentümer von FU sind über 50 Jahre alt und ein Drittel davon plant, in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand zu gehen. Die Hälfte aller Eigentümer von FU geben an, dass das Unternehmen stark – oder sogar komplett – von ihrer Person abhängig ist und zwei Drittel der Eigentümer haben ihre eigene Nachfolge noch nicht organisiert. Wenn man zu diesen erstaunlichen Statistiken noch die Erkenntnis hinzufügt, dass nur 30% aller familiengeführten Unternehmen die zweite Generation überleben und nur ein kleiner Teil (3%) noch in der vierten Generation oder darüber hinaus besteht, wird deutlich, wie essenziell – neben Gründung, Aufbau und Erhaltung – die gelungene Übergabe für eine aktive und erfolgreiche Eigentümerschaft ist.

Nur 20% des nicht weitergeführten Familienbesitzes ist auf gut geplante und vorbereitete Desinvestitionen wie Management Buyouts zurückzuführen. Der Hauptgrund für gescheiterte Übergaben von Familienunternehmen sind ein Mangel an Vertrauen und Kommunikation zwischen den Familiengesellschaftern – oft begleitet von unterschwelligen oder sogar offen feindseligen Konflikten. Häufig ist die nächste Generation unzureichend darauf vorbereitet, als Gesellschafter Verantwortung zu übernehmen, von operationeller Verantwortung in einer Managementposition ganz abgesehen. Interessanterweise sind (Erbschafts-) Steuerthemen nicht unter den Hauptgründen für gescheiterte Übergaben. Wahrhaft große Unternehmer beweisen, dass sie sowohl ein Unternehmen aufbauen, als auch seine Übergabe an die nächste Generation sicherstellen können. Beides impliziert gründliche und sorgfältige Planung, aber das Zweite ist auch verbunden mit der Fähigkeit „loszulassen“.

Die Nachfolge zu regeln und Kontrolle zu übergeben ist natürlich nicht die einzige herausfordernde Situation, vor der Eigentümer stehen. Vielmehr sehen sie sich häufig mit einer Vielzahl weiterer anspruchsvoller Familiensituationen konfrontiert – der Cousin, der Geld braucht und seine Anteile verkaufen möchte, der Bruder, der seinen Sohn in eine leitende Führungsposition befördert sehen möchte, oder die Schwester, die sich plötzlich wünscht, im Aufsichtsrat von ihrem Anwalt vertreten zu werden. Aus Sicht des Inhabers können einige dieser Herausforderungen auch die Möglichkeit bergen, eine gewünschte Veränderung oder Optimierung herbeizuführen. Meistens werden sie aber nur als eine unwillkommene Störung und potentielle Gefahr wahrgenommen.

Wenn mit diesen Situationen sorgfältig, vorsichtig und emotional intelligent umgegangen wird, können die Eigentümer eines FU die Vorteile voll nutzen, die das FU im Vergleich zu anderen Unternehmen bietet, bspw. langfristige Orientierung, starke Werte etc. Wenn solche Situationen aber ignoriert oder mangelhaft gelöst werden, kann sowohl das Unternehmen als auch die Familie stark darunter leiden. Gefühle, Geld und Kontrolle sind die Zutaten eines potentiell zerstörerischen Cocktails.

Nachfolgemanagement als erfolgskritisches Moment guter Inhaberschaft

Mit Eigentum gehen sowohl Privilegien als auch Verantwortung einher. Unternehmer müssen über bestimmte Fähigkeiten verfügen, um ein FU durch herausfordernde Zeiten zu manövrieren. Mut, Entscheidungsfreude, ein strategischer Überblick und – ganz wichtig – eine Kombination aus IQ und EQ sind unverzichtbar. Natürlich schaden auch funktionelle Managementfähigkeiten und Marktkenntnisse nicht. Zu guter Letzt muss nicht nur eine kommerzielle Organisation geleitet werden sondern auch eine Familie, die eng mit dem Geschäft verflochten ist. Das kann signifikant zur Komplexität beitragen. In unserem Interview mit Andreas Jacobs (dritter Beitrag dieser Ausgabe des The Trusted Advisor) spricht dieser über die „dreidimensionale“ Führung einer Familie: Horizontal, als ein Balanceakt zwischen den Geschwistern, vertikal zwischen den Generationen und dem heute und morgen. Hinzu kommt noch die Rolle des Familienchefs, die die Voraussicht und Unabhängigkeit erfordert, um zu wissen, wann es loszulassen – und an wen es die Fackel zu übergeben gilt.

Nachfolge als solche umfasst zwei verschiedene Ebenen, die klar voneinander getrennt werden sollten: Die Nachfolge der Eigentümerschaft und die Nachfolge des Managements. Beide Fragen, d.h. wer ist berechtigt zu besitzen und wer, das Geschäft zu führen, stehen im Mittelpunkt der Entwicklung einer Familienstrategie – die Corporate Governance der Familie, die benötigt wird, um guter Eigentümerschaft eine professionelle Struktur zu geben.

Die Hauptelemente einer Eigentümerstrategie

Weltweit haben weniger als 30% aller FU bereits eine spezifische Familiencharta oder -verfassung erarbeitet, in welche die Familienstrategie letztendlich mündet. Allerdings ist nicht das endgültige Dokument das entscheidende. Viel wichtiger ist der Diskussionsprozess, der auf dem Weg dorthin geführt wird. Eigentümerfamilien verstehen zunehmend die Bedeutung eines solchen Prozesses, der normalerweise von einem externen Vermittler moderiert wird. Sie wünschen sich eine Stärkung der Familienidentität und des Familienerbes, eine Verstätigung der Harmonie und eine Sicherung der Stabilität innerhalb der Familie. Anders als ein Gesellschaftervertrag ist eine Familiencharta kein rechtlich bindendes Dokument, aber es definiert und stärkt die DNA einer Familie und ihres Unternehmens. Es wird somit zu einem für die Eigentümerfamilie moralisch bindenden Dokument und wird mit der Zeit elementar wichtig für den Erfolg. Unserer Erfahrung nach respektieren Familien mit einer solchen Charta ihre eigenen Regeln und Governance-Strukturen deutlich mehr. In der Konsequenz bedeutet das dann meist eine bessere Führung sowie effektivere gegenseitige Kontrolle.

Während der Workshops mit Unternehmerfamilien versuchen wir weitreichende Fragen zu stellen wie: „Wem gehört Ihr Unternehmen – und wer genau gilt als Familienangehöriger?“, „Was passiert bei Konflikten?“ und „Können Familiengesellschafter ihre Anteile verkaufen – und wenn ja, an wen?“ Und dann gibt es natürlich zahlreiche wichtige Fragen rund um die verschiedenen Rollen in Familienunternehmen, insbesondere wenn es um die Führung geht: „Wer entscheidet – und wie – wer berechtigt ist, das Familienunternehmen zu führen?“ „Können Familienmitglieder sich um Führungspositionen bewerben wenn sie bestimmte Qualifikationen erfüllen, und gibt es vielleicht sogar bestimmte Rollen, die diesen vorbehalten sind?“ „Ist es überhaupt gewünscht, dass die nächste Generation in eine operative Funktion hineinwächst, oder sollte sie völlig aus der geschäftsführenden Tätigkeit heraus gehalten werden?“

Dies sind fundamental wichtige Fragen, die oftmals einen wohlüberlegten Denkprozess und intensive Diskussionen unter den Familiengesellschaftern erfordern, bevor man zu einer zufriedenstellenden Lösung kommt. Sie berühren alle Aspekte der Eigentümerschaft, inklusive der Vermögensverwaltung, der Erbschaft, der rechtlichen Struktur des Unternehmens, der Ausschüttungspolitik und der Einsetzung eines Aufsichtsrates.

Der besondere „Spirit” in Familienunternehmen und gute Aufsicht

In gut und erfolgreich geführten Familienunternehmen findet man etwas, das wir als „Family Business Spirit“ bezeichnen: Die Unternehmenskultur wird stark von der Eigentümerfamilie beeinflusst und bestimmt von einem Mix aus moralischen Überzeugungen, starken Werten und einem Modus Operandi (inklusive klar definierter „Do’s and Don’ts“), die sowohl die Eigentümer als auch das Management unterschreiben. Dies beinhaltet oft eine langfristige Orientierung, flache Hierarchien, schnelle Entscheidungsfindung und bspw. Loyalität von Mitarbeitern. Ein Familienunternehmen kann diese positiven Aspekte in einen enormen Wettbewerbsvorteil verwandeln.

Die Familiencharta beinhaltet Leitlinien für eine gute Family Governance. Dies kann als disziplinarischer Rahmen für die Eigentümerfamilie selbst funktionieren – wird aber auch von anderen Stakeholdern außerhalb der Familie sorgfältig beobachtet. Diese Thematik wird in unserem zweiten Artikel dieser Ausgabe („Leitlinien für erfolgreiche Inhaberschaft“) des The Trusted Advisor von Dr. Christian Bühring-Uhle beleuchtet.

Leitlinien für erfolgreiche Inhaberschaft

Wie Firmeninhaber den richtigen Einfluss sicherstellen
von Dr. Christian Bühring-Uhle


“Dalle stalle alle stelle alle stalle” („Aus dem Stall zu den Sternen und wieder zurück in den Stall“) ist ein italienisches Sprichwort für das weltweit bekannte Phänomen, dass nur sehr wenige Familienunternehmen die dritte Generation erreichen oder gar überdauern.

Die Nachhaltigkeit eines Unternehmens hängt von diversen Faktoren ab, und der vielleicht wichtigste ist die Professionalität im Verhalten der Inhaber. Alle anderen zentralen Kriterien – eine überzeugende Strategie, finanzielle Solidität, kompetente operative Führung – sind gebunden an Inhaber, die ihrer Rolle mitsamt ihren Rechten und Pflichten gerecht werden.

Für Einzelunternehmer besteht keine Notwendigkeit, die Rollen von Inhaber und Geschäftsführer zu trennen. Dies ist anders, wenn eine Mehrzahl von Partnern, Nachfolgern oder Mitgliedern einer Unternehmerfamilie gemeinsam (Mit-) Inhaber eines Unternehmens ist. Hier muss zwischen den beiden Rollen unterschieden werden, und zwar selbst dann, wenn alle Mitinhaber in der operativen Geschäftsführung aktiv sind. Denn anders als ein Gründer kann der operativ tätige Mitinhaber nicht machen, was er (oder sie) will. Er (oder sie) ist als Geschäftsführer den übrigen Mitinhabern Rechenschaft schuldig – und muss als Mitinhaber von den anderen Mitgeschäftsführern Rechenschaft einfordern.

Vielen Mitinhabern, insbesondere in der zweiten Generation, ist diese Unterscheidung nicht bewusst. Die Kinder des Unternehmensgründers haben diesen als Alleininhaber und „Herrscher aller Reußen“ erlebt und sehen darin oft ein Vorbild für ihr eigenes Verhalten. In Unternehmerfamilien wird oft nur unterschieden zwischen denen, die in der Firma arbeiten und denen, die „draußen“ sind. Die Rolle des nicht operativ tätigen Inhabers, mit den dazugehörigen Rechten und Pflichten, muss gelernt – und respektiert – werden, und denjenigen, die aktiv im Familienunternehmen arbeiten, kommt häufig übermäßiger Einfluss, übermäßige finanzielle Teilhabe, aber auch übermäßige Verantwortung zu. Die Überbewertung der operativ tätigen und die Unterbewertung der bloß „passiven“ Mitinhaber lässt auch häufig einen erheblichen Druck auf Mitglieder der Nachfolgergeneration entstehen „in die Firma zu gehen“, selbst wenn diese Tätigkeit gar nicht den eigenen Fähigkeiten und Neigungen entspricht – oft mit verheerenden Folgen für Unternehmen und Familie (die Buddenbrooks lassen grüßen). Es gibt nun mal kein „Unternehmer-Gen“, das automatisch an nachfolgende Generationen vererbt wird. Die Folge: unter der Führung von mäßig fähigen, oder schlicht unfähigen Familienmitgliedern erreichen oder überdauern wenige Unternehmen die dritte Generation.

Dies kann man nur vermeiden, wenn man die Rollen von Inhaber und operativem Geschäftsführer gedanklich und in der Praxis sauber trennt und sich bewusst macht, dass die operative Geschäftsführung durchaus Dritten übertragen werden kann, dass es aber unmöglich ist, der Inhaberverantwortung zu entfliehen (es sei denn man überträgt das Eigentum). Es mag der Tradition und den Werten vieler Unternehmerfamilien widersprechen, aber die eigentlich wichtige, unverzichtbare Rolle ist nicht die desjenigen, der das Unternehmen im Tagesgeschäft führt, sondern die des (Mit-) Eigentümers, der zwar aus Sicht des Tagesgeschäfts „draußen“ sein kann, aber niemals passiv sein darf.

Ein erfolgreicher, aktiver Inhaber (bzw. Inhaberkreis)…

  • …formuliert – und lebt – die fundamentalen Werte des Unternehmens.
  • …definiert Mission und “raison d’être”, die grundsätzlichen strategischen Ziele und den Kurs des Unternehmens.
  • …wählt und „installiert“ die operative Führung (d.h. interessiert Top-Talente für das Unternehmen und holt und hält sie an Bord, unabhängig davon ob es sich um interne oder externe Talente handelt).
  • … „führt die Führung“ (d.h. inspiriert das Top-Management, fordert heraus, coached, incentiviert und evaluiert die Führungskräfte).
  • …trifft die fundamentalen finanziellen Entscheidungen: Gewinnverwendung, Thesaurierung und Kapitalerhöhungen (d.h. wann „Geld aus der Firma nehmen“ und wann „Geld in die Firma hineintun“).
  • …gestaltet und entwickelt die Struktur (Governance, Investitionen und Desinvestitionen, Mergers & Acquisitions).
  • …etabliert die grundsätzlichen Prozesse zur Klärung der obigen Punkte.

Wie wird man dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht? Der erste Schritt ist Bewusstseinsbildung („Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“). Dazu bedarf es einer ehrlichen Diskussion zwischen allen Mitinhabern über die Richtung und die Spielregeln für das gemeinsame Unternehmen, und einer klaren Dokumentation des gemeinsamen Willens, bspw. in einer Gesellschafterverfassung oder einem Familienprotokoll. Dazu gehört ein ehrlicher Meinungsaustausch zur Frage, welche Aufgaben durch „das Kollektiv“ der Eigentümer, mit oder ohne professionelle Begleitung, gemeinsam wahrgenommen werden sollten und was man besser delegiert. Sobald die Inhabergruppe eine bestimmte Größenordnung erreicht hat (das kann schon ab drei Personen relevant werden, wenn es eine Mischung aus „aktiven“ und „passiven“ Gesellschaftern gibt), kann es sinnvoll sein, ein Aufsichts- und Steuerungsgremium einzusetzen. Dieses nimmt dann einen guten Teil der oben aufgeführten Aufgaben des Inhabers wahr, so dass nur die wirklich fundamentalen, „nicht delegierbaren“ Themen einer Entscheidung durch die Gesamtheit der Inhaber vorbehalten bleiben. Dies entspricht der typischen dreistufigen Governance-Struktur, die man von Aktiengesellschaften kennt: mit Vorstand als Geschäftsführungsorgan, Aufsichtsrat als Überwachungsorgan und Hauptversammlung als Plenarversammlung. Viele, insbesondere größere Familienunternehmen haben diese dreistufige Struktur übernommen, mit Geschäftsführung, Beirat und Gesellschafterversammlung als den drei Instanzen. Eine solche Struktur ermöglicht eine praktisch sinnvolle Arbeitsteilung und hat sich bewährt.

Der Dreh- und Angelpunkt solcher Strukturen ist der Beirat bzw. der Aufsichtsrat, da hier die wichtigsten Inhaberfunktionen gebündelt und – im Idealfall – einer Gruppe von sorgfältig ausgesuchten Profis anvertraut werden. Dies können Mitglieder des Inhaberkreises, Externe, oder – und dies ist häufig der Fall – eine Kombination aus beidem sein. Entscheidend ist, dass eine Gruppe von unabhängig denkenden und handelnden Menschen zusammengestellt wird, die eine gewisse Vielfalt an relevanten Erfahrungen einbringen, anerkannten und sachgerechten Praktiken folgen und idealerweise durch eine(n) erfahrene(n), unabhängige(n) Vorsitzende(n) geführt werden. So wird sichergestellt, dass die richtigen Themen (alles was wirklich wichtig ist – nicht mehr und nicht weniger) mit der richtigen „Eintauchtiefe“ behandelt und einer sachgerechten und rechtzeitigen Entscheidung zugeführt werden.

Ein gutes Governance-System ist nicht nur wichtig, um die Interessen der Inhaber wahrzunehmen und das gemeinsame Vermögen nachhaltig zu sichern. Es ist auch eine wesentliche Erfolgsbedingung für die Geschäftsführung. Egal, ob es sich um Familienmitglieder oder externe Manager handelt, Top-Führungskräfte benötigen (und erwarten) einen handlungsfähigen Inhaber, damit in Fragen, die sie selbst nicht entscheiden können, weil sie den Horizont der Geschäftsführung im Tagesgeschäft überschreiten (etwa Unternehmensfusionen, große Investitionen oder Desinvestitionen, Top-Personalentscheidungen etc.), rechtzeitige und sachgerechte Entscheidungen sichergestellt werden. Und auch ein Top-Manager braucht einen funktionsfähigen „Chef“: jemand, der ihn fordert, fördert, begleitet, beurteilt, ehrliches und hilfreiches Feedback gibt und Fairness walten lässt, wenn über die Vergütung (oder das Schicksal) des Managers entschieden wird. Die wirklich guten Führungskräfte haben immer auch Alternativen, und wenn sie sich für oder gegen einen Arbeitgeber entscheiden, ist immer auch ein zentrales Kriterium, ob das Unternehmen eine professionelle und berechenbare Governance-Struktur hat. Eine europäische Umfrage von EY und AvS – International Trusted Advisors hat 2016 herausgefunden, dass Führungskräfte die Governance-Systeme potenzieller Arbeitgeber vor ihrer Entscheidung genau unter die Lupe nehmen. Das gilt auch, wenn es die eigene Familie ist – Familienunternehmen müssen sich immer öfter auch um den Nachwuchs aus den eigenen Reihen bemühen. Eine Umfrage unter Betriebswirtschaftsstudenten, die zu Unternehmerfamilien gehören, hat ergeben, dass weniger als ein Viertel von ihnen beabsichtigt, eine Karriere im eigenen Familienunternehmen zu verfolgen.

Und was sind die „Don’ts”? Unzureichende Governance-Strukturen weisen typischerweise einige oder mehrere der folgenden Merkmale auf:

  • Kernthemen werden oberflächlich und in unstrukturierten Prozessen verarbeitet und anhand unsachgemäßer, subjektiver Kriterien entschieden.
  • Es wird versäumt, sorgfältig durchdachte Alternativen aufzuzeigen und zu diskutieren.
  • Es gibt zwar einen Beirat, aber das ist kein professionelles Aufsichtsgremium, sondern eine Art „Kaffeekränzchen“, das sich aus ergrauten Familienmitgliedern und loyalen (und unkritischen) Freunden der Familie zusammensetzt, schwierigen Fragen aus dem Weg geht und niemandem weh tut.
  • Es fehlt ein starker, unabhängiger Beirats-/Aufsichtsratsvorsitzender, der die wichtigen Themen auf die Tagesordnung setzt, für brauchbare Entscheidungsvorlagen sorgt, das Gespräch ordnet, „den Finger in die Wunde legt“, ein Mentor und fairer Sparringpartner für das Management ist und als „Brücke“ zwischen Management und Inhabern, sowie zwischen Fraktionen im Inhaberkreises dient.
  • Es gib keinen regelmäßigen und professionellen Evaluierungs- und Feedback-Mechanismus für die Arbeit des Beirats/Aufsichtsrats.
  • Mittelmäßiges Management durch Familienmitglieder und loyale Angestellte, die nicht auf Basis der zukünftigen Anforderungen sondern nach „Verdienst“ ausgewählt werden (sofern es überhaupt einen Auswahlprozess gibt und nicht einfach die Leute mit den Führungsaufgaben betraut werden, „die zur rechten Zeit am rechten Ort sind“). In Familienunternehmen findet man häufig Anschauungsmaterial für das „Peter-Prinzip“, wonach Mitarbeiter so lange in der Hierarchie weiterbefördert werden, bis sie den Punkt ihrer eigenen Inkompetenz erreichen.
  • Reale, oder auch nur wahrgenommene „Vetternwirtschaft“, die familienfremde Potenzialträger früher oder später demotiviert und abwandern lässt.

Manche dieser Faustregeln mögen sehr offensichtlich oder geradezu banal erscheinen, aber sie umzusetzen und aus gefestigten Mustern auszubrechen ist oft nicht leicht – aber es lohnt sich!

Generationenübergänge effektiv gestalten

Ein Interview mit Dr. Andreas Jacobs, Mitglied des Verwaltungsrats der Jacobs Holding AG
von Carolyn Lutz und Felix B. Waldeier


AvS – International Trusted Advisors: Herr Dr. Jacobs, es gibt viele Wege ein Unternehmen über mehrere Generationen erfolgreich weiterzugeben – und entsprechend auch viele Risiken hieran zu scheitern. Welches sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Aspekte, die Eigentümer, insbesondere von Familienunternehmen, beachten müssen?

Dr. Andreas Jacobs: Unternehmer zu sein ist bekanntlich nicht einfach. Man braucht Mut, einen geschickten Umgang mit Menschen und gutes Handwerkszeug. Bei einem Familienunternehmer kommt zudem noch die Familie hinzu, was in drei Dimensionen eine weitere Herausforderung darstellt: Zum ersten muss es eine horizontale Balance geben, d.h. zwischen den Geschwistern der Unternehmerfamilie. Zum zweiten muss es eine vertikale Balance geben, d.h. zwischen den Generationen bzw. zwischen der Aufteilung für heute und der Aufteilung/Verteilung für morgen. Und zum dritten muss es einen weitsichtigen Lenker geben, der weiß, wann er abgibt und an wen – und in welcher Struktur er das Unternehmen und die Familie hinterlässt.

Wie gestaltete sich dieser Generationenwechseln in Ihrem Unternehmen?

Mein Vater hatte seine drei weitgehend gleichberechtigten Geschwister 1987 aus dem Familienunternehmen Jacobs Suchard ausgekauft, nachdem er in dritter Generation das Unternehmen zum größten Kaffee-Unternehmen Europas gemacht hatte. Dafür verschuldete er sich, trieb zugleich eine Globalisierung des Unternehmens voran, weshalb er Jacobs Suchard 1990 aus finanziellen Gründen verkaufen musste. Somit gab es auch keinen geglückten Übergang von der zweiten in die dritte Generation. Zwar hatten alle am Ende gutes Geld auf dem Konto, doch die Eigenschaft eines Familienunternehmens, alle Familienmitglieder zusammen zu bringen, alle individuellen Interessen hinter denen des Unternehmens zurückzustellen, in schlechten Zeiten noch enger zusammen zu rücken – all das war auf einmal fort.

Hätte man den Verlust des Unternehmens und des damit verbundenen, familiären Zusammenhalts rückblickend aus Ihrer Sicht vermeiden können?

Mein Vater war eine zu starke Persönlichkeit, um sich von den nahezu gleichberechtigten Geschwistern eine andere Agenda aufdrücken zu lassen. Wahrscheinlich hätten die Mitspracherechte anders verteilt sein sollen, um die Kultur der Mehrheitsfindung zu verbessern, inkl. Vetorechte und einer starken Rolle unabhängiger Dritter. Stattdessen fanden 100 Jahre Jacobs Kaffee als Familiengeschichte ein jähes Ende.

Wie ging es vor diesem Hintergrund in unternehmerischer Hinsicht weiter – oder anders gefragt: Wie gelang der unternehmerische Neuanfang?

Eine der neuen/alten Wurzeln war das industrielle Schokoladengeschäft unter dem Namen Callebaut, welches der Käufer, Philip Morris, damals nicht haben wollte. Nach einigen strategischen Irrwegen hat sich dies heute zu einem kleinen Star entwickelt, das produzierte Volumen von damals 50.000 Tonnen Schokolade pro Jahr auf heute über knapp zwei Millionen Tonnen vergrößert. Ich durfte über zehn Jahren das Unternehmen für die Familie begleiten und als Präsident führen und schaue mit einem gewissen Stolz darauf, dass sich der Börsenkurs des Unternehmens – wir sind an der Börse gelistet und halten gut 65% – seitdem verachtfacht hat.

Barry Callebaut ist 1996 an die Börse gegangen. Besteht in der Börsennotierung eines Familienunternehmens nicht die Gefahr, durch kurzfristige Zufriedenstellung der Aktionäre den langfristigen Unternehmerblick zu verlieren? Wie ist es Ihnen gelungen diese beiden Kräfte in Einklang zu bringen?

Die Kombination einer dominierenden oder mehrheitlichen Beteiligung der Familie mit einer Börsennotierung ist nicht nur möglich, sondern für mich sogar „the best of all worlds“. Hierfür gibt es drei wesentliche Gründe:

Die Börsennotierung zwingt uns zu „state-of-the-art“ Reporting, Controlling, Compliance und Governance. Ich muss also nicht den Schiedsrichter und Juristen spielen, sondern das Unternehmen erhält die Auflagen direkt von der Börse.

Des Weiteren zwingt uns die Börsennotierung zu einer nachhaltigen finanziellen Performance. Nachhaltig, weil der CEO darauf achtet, dass der Börsenkurs steigt, indem sich Quartal um Quartal die Performance verbessert. Während ich zugleich darauf achte, dass wir in drei Jahren, sechs Jahren oder 10 Jahren infolge der richtigen Strategie und des richtigen Teams unsere langfristigen Ziele erreichen.

Und zu guter Letzt erleichtert die Börsennotierung die Beschaffung von Cash: Kapital, Mezzanine, Bonds und Bank-Darlehen lassen sich viel leichter und schneller beschaffen, wenn die Unternehmung einem regelmäßigen Rating oder zumindest einer guten Abdeckung durch die Finanzanalysten.

Dies klingt nach drei nachvollziehbaren, wenn auch ausschließlich wirtschaftlichen Gründen. Welchen Vorteil aber haben die Familienmitglieder von einer Börsennotierung ihres Unternehmens?

Auch für Familienmitgliedern ist eine Börsennotierung vorteilhaft. Sie offeriert den einzelnen Mitgliedern zunächst einmal eine größere Fungibilität und Bewirtschaftung ihres eigenen Portfolios, indem sie an der Börse verkaufen/kaufen können. Darüber hinaus erfordert sie eine stabile Dividendenpolitik und diszipliniert somit die Familienaktionäre, das Unternehmen nicht zu arg zu melken oder – unter Renditegesichtspunkten – zu sehr zu thesaurieren.

Kann eine Börsennotierung letztendlich auch ein Vorteil für familienfremde Manager im Unternehmen sein?

Absolut! Sie erlaubt ein attraktiveres „Management Compensation Programme“, welches in heutiger Zeit essenziell ist, um gute Manager zu gewinnen und langfristig zu halten. In unseren Unternehmen verdienen die obersten zehn Manager 50% ihres Gehalts über das Aktienbeteiligungsprogramm. Mindestens genauso wichtig ist aber auch, dass eine Börsennotierung eine neutrale Leistungsbewertung des Managements erlaubt.

Sie und Ihre Familie sind an verschiedenen Unternehmen in unterschiedlichen Industrien beteiligt. Resultiert diese Beteiligungsstruktur auf der Wahrnehmung von Opportunitäten oder wurde eine entsprechende Investitionsstrategie bereits von langer Zeit geplant? Und wie wurden in diesem Zuge die Mitspracherechte verteilt?

Bereits vor 20 Jahren begann mein Vater sein Vermögen aufzuteilen. Eine Hälfte ging an die Erben, d.h. seine Frau und uns Kinder, die andere Hälfte an eine Familien-Holding. Diese Holding bringt wiederum etwaige Überschüsse ausschließlich in eine Stiftung ein. Während die Erben heute individuell über ihr Vermögen verfügen können, entscheiden sie bei der Holding und der Stiftung gemeinsam – allerdings nur über zwei Dinge: Zum einen die personelle Besetzung des Verwaltungsrats der Holding sowie des Stiftungsrats – und zum anderen über eine etwaige Ausschüttung der Holding an die Stiftung. Alle anderen Entscheidungen werden ausschließlich von den Gremien der Unternehmen oder der Stiftung getroffen.

Wie steht es um die operative Einflussnahme der Familienmitglieder? Bekanntlich strebt nicht jedes Familienmitglied nach einer Tätigkeit im eigenen Unternehmen – andere wiederum sind interessiert, den unternehmerischen Herausforderungen aber nicht gewachsen…

Selbstverständlich versuchen wir, die wesentlichen Positionen in den einzelnen Unternehmen mit Familienmitgliedern zu besetzen. So leitete bspw. mein Bruder Christian lange die Jacobs Stiftung, bevor er das Amt vor einiger Zeit an unsere Schwester Lavinia übergeben hat – während meine Nachfolger im Präsidentenamt der Jacobs Holding meine zwei Brüder Philippe und Nicolas sind. Eine entsprechende erfolgreiche Übergabe innerhalb der Familie ist uns offensichtlich geglückt. Trotzdem achten wir sehr darauf, in diese Gremien mehrheitlich unabhängige und professionelle Personen zu wählen, auch um sicherzustellen, sämtliche familienpolitische Themen sowie mögliche Reibereien und Rivalitäten nicht in die Gremien zu tragen.

Mit Blick auf die Besetzung von Positionen sowie die Mitbestimmungsrechte könnten wir dennoch provokativ fragen, welcher rationale Gedanke hinter Ihrem Engagement in der Holding in Kombination mit Ihren Investitionen in Barry Callebaut steht? Aus Erfolgen resultierende Gewinne landen am Ende ja in der Jacobs Stiftung – und nicht direkt bei Ihnen. Ist das nicht demotivierend?

Dies ist eine gute und wichtige Frage! Denn hinter ihr steht die These, dass Kapital und Stimmrechte immer zusammengehalten werden sollten. Oder anders: „Wenn man nicht die Früchte seiner eigenen Handlungen ernten darf, verliert man dann das Interesse, arbeitet wie ein Angestellter, und die Passion des Familienunternehmertums geht verloren.“ Dies ist eine mögliche Gefahr, vor der uns viele Berater warnten. Trotzdem haben wir diese Struktur bewusst und aus folgenden zwei Gründen gewählt:

Mit dem Erbe der einen Hälfte des Vermögens hat jeder Einzelne von uns genug zum Leben erhalten. Mit dem Einbringen der anderen Hälfte in eine dem Gemeinwohl gewidmete Holding und Stiftung wird die Familie der Gesellschaft für Generationen gemeinnützig verbunden und verpflichtet bleiben. Es ist ein familiärer Generationenbund, unserer Gesellschaft gewidmet.

Unsere Holding, unsere Stiftung und viele Stiftungsprojekte tragen unseren Namen. Für mich ist kaum vorstellbar, dass wir an diesen Institutionen, die unseren Namen tragen, kein Interesse mehr haben. Nehmen Sie bspw. die Jacobs University in Bremen: Als mein Vater durchsetzte, sie nach unserer Familie zu benennen, war für alle klar, dass wir sie solange unterstützen, wie wir die Mittel dafür haben.

Aber ermöglicht diese Struktur denn auch, dass künftige Generationen sich im Rahmen der operativen Geschäfte und der Stiftung engagieren können?

Solange meine bzw. unsere Nachkommen unternehmerisch gestalten wollen und über eine entsprechende fachliche Ausbildung verfügen, werden sie bei unserer Struktur die Chance haben, sich in Unternehmen oder Stiftung einzubringen. Wie für viele Familienunternehmen bleibt nur die Kernfrage: Springt in Zukunft überhaupt der Funke über, dass eine(r) von ihnen Unternehmer werden will? Diese Frage muss jeder Nachkomme für sich selber beantworten. Aus meiner Sicht wird die Antwort sehr selten davon geprägt, ob eine Menge Geld oder ein großes Unternehmen vorhanden ist. Weder setzt Unternehmertum nicht zwingend viel Geld voraus, noch führt viel Geld nicht automatisch zu Unternehmertum. Daher hatten wir kein Problem mit der Trennung von Stimmrecht und Kapital und glauben, dass die Familie weiterhin engagiert unternehmerisch tätig bleiben wird.

Wie möchten Sie sicherstellen, dass dies auch in Zukunft und bei sehr fundamentalen Entscheidungen möglichst reibungslos funktioniert? Haben Sie ein klares „Family Governance“-Modell?

Unsere Unternehmerfamilie besteht aus sechs Stämmen, die in einem Familienrat – wie schon erwähnt – über die Besetzung der Holding und Stiftungsgremien sowie über eine etwaige Dividende der Holding an die Stiftung entscheiden. Alle anderen Entscheidungen werden in den Gremien und vom Management der Gesellschaften getroffen, d.h. es gibt eine klare Trennung bzgl. Vertraulichkeit und Mitsprache zwischen Familienrat und Gesellschaften. Meine zwei Schwestern und mein älterer Bruder Christian sind nicht im Verwaltungsrat der Holding involviert und erhalten daher weniger Informationen über unsere Beteiligungsunternehmen. Diese Asymmetrie funktioniert natürlich nur, solange und soweit sie Vertrauen haben, dass die für die Unternehmen Verantwortlichen gut und auch in ihrem Interesse arbeiten. Daher ist elementar wichtig außerhalb des Familienrats und außerhalb der Gremien eine informelle, persönliche und vertrauensvolle Kommunikationskultur zu pflegen. Zum Glück ist uns dies, auch nach dem Tod meines Vaters vor neun Jahren, gut geglückt.

Lässt sich aus Ihrer speziellen Struktur sowie der Interaktion zwischen Familie und Unternehmen ein genereller Ratschlag formulieren, wie künftige Generationen auf ihre Rolle vorbereitet werden sollten?

Ein Familienunternehmen lebt von der Familie – in der jetzigen wie in zukünftigen Generationen. Entsprechend ist es von elementarer Notwendigkeit die kommende Generation bestmöglich zu fördern. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass nicht alle Nachkommen in Familienunternehmen zu Unternehmern erzogen werden können – es gibt kein „Unternehmer-Gen“ oder einen Unternehmer-Studiengang! Somit bleibt uns nur, ihnen eine Umgebung zu schaffen, die die entsprechenden Werte transportiert und Vorbilder schafft, damit sie Freiheit genießen und trotzdem verantwortlich damit umgehen lernen.

Herr Dr. Jacobs, wir danken Ihnen für diese Einblicke!

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neue Berater und neues Büro in London

Zum Januar 2018 erweitert AvS – International Trusted Advisors seine Präsenz und eröffnet ein eigenes Büro in London. Dazu haben wir eine sehr enge Kooperation mit Anthony Harling vereinbart, der gemeinsam mit seinem Partner Jim Burley die Beratungsfirma Archer Mann aufgebaut hat. Anthony Harling verfügt über 25 Jahre Erfahrung in internationalen Executive Search-Firmen, u.a. als langjähriger Partner bei Heidrick & Struggles und Eric Salmon & Partners. Nach einer Zeit der engen Zusammenarbeit wird Archer Mann voraussichtlich in 2019 in AvS – International Trusted Advisors UK Ltd. aufgehen.

Podiumsdiskussion zum Thema „Diversity on Boards“ in Genf

In Kooperation mit der Berenberg Bank veranstaltet unser Genfer Büro eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Board Walk: Where are the Women? Upgrading boardrooms with dynamism and diversity“. Am Donnerstag, den 16. November 2017 begrüßen unsere Berater Carolyn Lutz und Nick Harris im Hotel d’Angleterre in Genf die Panel-Teilnehmer Regi Aalstad und Pauline Lindwall, zwei international erfahrene Aufsichtsrätinnen, sowie Dr. Michael Hathorn, Professor an der Business School Lausanne, der sich in seiner Arbeit mit der Rolle weiblicher Aufsichts-/Verwaltungsratsmitglieder beschäftigt. Gemeinsam wird darüber diskutiert werden, wie Unternehmen das volle Talentspektrum besser nutzen und mehr Diversität in Schweizer Verwaltungsräte bringen können.

Interview mit Andreas von Specht im „Tharawat Magazine“

Ein umfangreiches Interview mit Andreas von Specht zum Thema „Challenges and Opportunities of Integrating Non-Family Executives in the Family Business“ erschien in der in Dubai ansässigen Fachzeitschrift für (Familien-)Unternehmer „Tharawat“. Andreas sprach dabei u.a. über die Bedeutung eines erfolgreichen Integrationsprozesses für den langfristigen Erfolg externer Manager in Familienunternehmen. Das Interview ist sowohl als PDF als auch als Podcast verfügbar.

Dr. Christian Bühring-Uhle spricht vor CFOs aus Familienunternehmen

Am 31. März hielt Dr. Christian Bühring-Uhle im Rahmen des St. Galler Finanzforums für Familienunternehmen einen Vortrag vor zahlreichen CFOs aus den bedeutendsten Familienunternehmen im deutschsprachigen Raum. Thema der interaktiven Veranstaltung war „Verhandeln als Führungsinstrument des CFO“. Basierend auf seiner jahrzehntelangen Praxis als Autor und Coach für Verhandlungen, sowie seiner eigenen Erfahrung als CEO und „acting CFO“, zeigte Dr. Christian Bühring-Uhle die Parallelen zwischen Führen und Verhandeln auf und diskutierte mit den Teilnehmern anhand des „Vierecks der Schlüsselfaktoren“ und des „Verhandlungsdilemmas“ die zentralen Kriterien für das Erfassen und Bewältigen von Verhandlungssituationen jeglicher Art.

Andreas von Specht beim „EY Global Family Business Summit“ in Monte Carlo

Im Juni 2017 nahm Andreas von Specht am „EY Global Family Business Summit“ in Monaco teil. Vor zahlreichen Gästen moderierte er eine Podiumsdiskussion zu dem Thema „When genes are not enough: how to attract, retain and nurture top non-family management“. Welchen Mehrwert externe Manager für Familienunternehmen bringen und wie eine erfolgreiche Integration gelingen kann, erörterte er gemeinsam mit Charly Kittredge (Leiter des US-amerikanischen Konzern Crane & Co. in sechster Generation), Guido Vanherpe (Geschäftsführer der belgischen La Lorraine Bakery Group in dritter Generation) und Dr. Mohsen Sohi (zweiter externer und erster nicht-deutscher CEO der Freudenberg Gruppe).

Umzug des Hamburger Büros

Nach vielen Jahren im Gorch-Fock-Wall ist unser Büro in Hamburg vor kurzem umgezogen. Ab sofort finden Sie uns, weiterhin in zentraler Lage, im Neuen Wall 80, in unmittelbarer Nähe zum Rathaus.

TTA 01-2017 | FÜHRUNG IN ZEITEN DES UMBRUCHS

Eine Triebfeder der Veränderung sein

Ein Interview mit Frits van Paasschen, Autor von “The Disruptors‘ Feast”
von Andreas von Specht


Andreas von Specht: Das Wort „Disruption“ ist in aller Munde und oft sind es Start-ups oder branchenfremde Akteure, welche etablierte Unternehmen mit neuen Ideen herausfordern. Was würden Sie gestandenen Geschäftsführern raten, die sich plötzlich mit diesem immer schnelleren Wandel konfrontiert sehen?

Frits van Paasschen: Viele Führungskräfte, die jahrzehntelang erfolgreich Unternehmen geleitet haben, bemerken, dass sich die Bedingungen für Erfolg drastisch geändert haben – für sie selbst und für das Geschäft. Ich würde ihnen in erster Linie raten, durch eine globale Denkweise die Vorgänge außerhalb des Unternehmens zu verstehen, die daraus resultierenden notwendigen Veränderungen innerhalb der Organisation umzusetzen – und dadurch als „Leuchtturm“ für das Unternehmen mit gutem Beispiel voranzugehen. Insbesondere börsennotierte Unternehmen setzen einen zu großen Fokus auf KPIs, Ertragssteigerungen und das Erreichen vorgegebener Erfolgskennziffern. Es kann dann leicht passieren, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. CEOs und Führungskräfte sollten sich daher fortwährend fragen, ob der für das Unternehmen festgelegte Maßstab für Erfolg noch relevant oder bereits überholt ist. Deshalb ist es so wichtig, eine Perspektive von außen zu gewinnen – nicht nur im Hinblick auf Technologien, sondern auch in Bezug auf andere Kulturen und Märkte weltweit.

Wie erhält man diese Außenperspektive am besten?

Zum Beispiel durch das Einsetzen eines Beratergremiums bestehend aus „Millennials“, die aus der Organisation oder von außerhalb kommen. Wichtig ist auch der regelmäßige Austausch mit und das Pflegen enger Beziehungen zu Risikokapitalgebern, die viel über jene Start-ups wissen, die für das eigene Geschäft relevant werden könnten. Ein „Hackathon“ kann auch sehr erfolgreich sein – ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Teams innerhalb des Unternehmens, die innerhalb von 24 Stunden mit neuen digitalen Lösungen aufwarten müssen. Es gibt verschiedene sinnvolle Möglichkeiten, eine Außenperspektive zu erhalten und ganz neue Denkweisen zu schaffen.

Sie haben diese Außenperspektive u.a. durch den temporären Umzug der Firmenzentrale des Hotelkonzerns Starwood nach China und Dubai erhalten. Wie konnten Sie Ihre Mitarbeiter für diese Idee begeistern?

Ich habe sie einfach gefragt, ob sie einen Grund sehen, diese Maßnahme nicht durchzuführen. Dadurch entstand ein echter Dialog über die Schaffung einer globalen Denkweise und das Verständnis, unsere regionalen Geschäftsführer aktiv zu unterstützen, um in neuen Märkten erfolgreich zu sein, statt ihnen zentralseitig Strukturen oder Prozesse aufzuzwingen.

Der Erfolg in einem neuen Markt hängt in einem gewissen Maße auch von politischen Entwicklungen ab – die heute teilweise eher als Rückschritt zu bewerten sind.

Viele der kürzlich getroffenen politischen Entscheidungen – zum Beispiel die Wahl des US-Präsidenten oder der Brexit – waren überraschend und beunruhigend für uns. Aber in komplizierten, sich schnell wandelnden Systemen sollten wir die Erkenntnis akzeptieren, dass solche Überraschungen jederzeit zu erwarten sind. Ein weiteres Beispiel ist der wachsende Populismus, der in vielen europäischen Ländern zu beobachten ist. Hier besteht eine starke Verbindung zum Thema Disruption: die treibende Kraft dahinter ist eine zunehmende Zahl an Wählern, die sich entrechtet fühlt – und deren Arbeit und Lebensgrundlage durch die Globalisierung und die Ausbreitung neuer Technologien bedroht wird, oder ihr bereits zum Opfer gefallen ist.

Es gibt also viele Verlierer in dieser sich schnell wandelnden, globalen Wirtschaft?

Es gibt immer Gewinner und Verlierer in Zeiten von Wandel und Disruption. Um neue Arbeitskräfte wird nunmehr global konkurriert und Arbeitsplätze können problemlos an einen anderen Standort verlegt werden. Zudem übersteigt das Tempo, in dem diese Veränderungen stattfinden, bei weitem die Fähigkeit der Mitarbeiter, sich darauf einzustellen oder entsprechend umzuorientieren. Leider tendieren Menschen stark dazu, einen Schuldigen zu suchen – und es ist viel einfacher, diesen jenseits der eigenen Grenzen auszumachen, als sich im eigenen Land umzusehen oder den eigenen Mangel an relevanten Fähigkeiten für einen sich wandelnden Markt zu betrachten.

Hat dieser Wandel im globalen Arbeitsmarkt zu einem „war for talents“ zwischen Arbeitgebern geführt?

Ich denke der „war for talents“ existiert bereits seit einiger Zeit, wurde aber durch die momentanen Geschehnisse noch verstärkt. Industrieübergreifend suchen Unternehmen nach Arbeitskräften, die soziale Medien verstehen, digitalaffin und in der Lage sind, Technologien in bestehende Arbeitsabläufe zu integrieren. In der heutigen, stark vernetzten Welt ist das Einnehmen einer globalen, über Landes- und Branchengrenzen hinausreichenden Perspektive immer bedeutender geworden. Früher haben Unternehmen Arbeitskräfte mit spezifischen Fähigkeiten oder Branchenkenntnissen rekrutiert. Heute suchen sie zunehmend nach ähnlichen Arbeitskräften und Top-Talenten, die die eben genannten Fähigkeiten besitzen.

Was müssen Unternehmen heute anders machen, um Top-Talente weltweit erfolgreich ausfindig zu machen?

Früher wurde hauptsächlich am Standort des Unternehmens nach neuen Talenten gesucht. Heute sind viel mehr die Standorte der Talente relevant: Unternehmen müssen sich dynamische Städte ansehen, „Brutstätten“ für die kreative Klasse – Orte, wo Menschen mit den oben beschriebenen Fähigkeiten sich wohlfühlen. Diese Orte – ob das nun Brooklyn, Berlin, London oder Amsterdam ist – müssen genutzt werden, um Arbeitskräfte zu finden und an das Unternehmen zu binden.

Wie müssen sich Executive Search-Firmen weltweit an diese Veränderungen anpassen, um für ihre Klienten relevant zu bleiben?

Mit der Ausweitung von LinkedIn und anderen sozialen Netzwerken erlebt das Geschäft der Personalsuche seine ganz eigene Form der digitalen Disruption. Aufgrund der zunehmenden Möglichkeiten, Personal zu rekrutieren, stellen immer mehr Unternehmen auf „Inhouse Talent Management“ um. Das Problem ist jedoch, dass viele Unternehmen das Profil ihrer neuen Führungskräfte zu eng und in traditioneller Denkart definieren – und dabei oft nicht realisieren, dass ihr Bedarf an neuem Personal aus einem Bedarf an anderen Fähigkeiten resultieren könnte. Als Berater muss man die Ideen seiner Klienten in Frage stellen und ihre Aufmerksamkeit auf diese neuen Bedürfnisse lenken. Unternehmenslenker mögen vielleicht aus einer anderen Industrie kommen; trotzdem können sie genau richtig für die Aufgabe sein, wenn sie in der Lage sind, unbequeme Fragen zu stellen, die das Unternehmen auf die sich abrupt verändernde Zukunft vorbereitet. Beispielsweise: Was sind gerade die größten Bedrohungen für das Unternehmen? Wie wird ‚unsere‘ digitale Disruption aussehen? Wie soll damit bei uns umgegangen werden? Wie qualifiziert und bereit ist unsere Führungsmannschaft, diesen Wandel anzuführen? Gibt es jemanden, der als ‚change agent‘ vorangeht bei Umstellungen, die von der zentralen Planung über Produktionsbereiche hin zum Verbraucherdialog unterschiedlichste Unternehmensteile betreffen können?

Viele unserer Klienten sind Familienunternehmer. Stehen sie in disruptiven Zeiten vor den gleichen Herausforderungen wie börsennotierte Unternehmen?

Erfolgreiche Unternehmen müssen in der Lage sein, den Wandel so schnell wie möglich zu erkennen bzw. zu antizipieren – d.h. nicht nur darauf zu reagieren, sondern diese Veränderungen selbst aktiv voranzutreiben. Im Vergleich zu Familienunternehmen müssen Großkonzerne viel mehr auf die Belange ihrer Investoren achten, sind auf Quartalszahlen fokussiert und dadurch manchmal blind für die Nuancen des Wandels. Die Dynamik in Familienunternehmen kann in unterschiedliche Richtungen wirken: Der Fokus auf Tradition und Kontinuität kann natürlich auch ein Hindernis für den Wandel darstellen; andererseits wird durch den Fokus auf verantwortungsbewusstes, nachhaltiges Wirtschaften in die langfristige Leistungsfähigkeit des Unternehmens investiert – und dadurch die Risiken von Disruption minimiert.

Sind Werte als ein wichtiger Bestandteil der DNA von Familienunternehmen heute noch ein Vorteil? Oder können sie eher hinderlich sein?

Werte können dem Unternehmen Ausrichtung und Sinnhaftigkeit geben. Statt des Erreichens eines bestimmten Umsatzziels besteht bei der Werteorientierung das inhärente Ziel in der Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Neue Wege zur optimalen Kundenzufriedenheit zu finden kann ein Katalysator für Innovationen und positiven Wandel sein. Für heutige Konsumenten ist zunehmend wichtig, dass die Werte des Unternehmens, dessen Produkte oder Dienstleistungen man kauft, mit den eigenen Werten übereinstimmen. Die hohe Transparenz in einer digital vernetzten Welt führt dazu, dass Unternehmen ohne starke moralische Sinnhaftigkeit schneller „geouted“ werden. Deshalb stellt das Eintreten für die richtigen Werte in einer sich verändernden Welt sogar einen Vorteil dar.

Frits van Paasschen, vielen Dank für diese Einblicke!

Literaturhinweis: “The Disruptors´ Feast” von Frits van Paasschen, erhältlich bei Amazon.
http://fritsvanpaasschen.com/

Von Widrigkeiten profitieren

Führungsstil und Rekrutierungsansatz erfolgreich anpassen
von Carolyn Lutz und Nick Harris


Einstein sagte einst: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man all das, was man in der Schule gelernt hat, vergisst.“

Erfolgsfaktoren, die für die Baby Boomer und die Generation X selbstverständlich waren, haben sich durch digitale Geschäftsmodelle und disruptive Umfelder fundamental verändert. Unser Interview mit Frits van Paasschen sowie die zahlreichen Gespräche mit Unternehmern und Geschäftsführern, die wir in den letzten Jahren geführt haben, ermöglichen es uns, einige Denkanstöße zu geben, wie Führungskräfte erfolgreich und bodenständig bleiben sowie ihren Platz inmitten dieses scheinbaren Chaos finden.

Negative Auswirkungen mindern und positive verstärken

  • Nehmen Sie Herausforderungen an: Akzeptieren Sie, dass eine Führungsposition Sie fordern und beanspruchen wird – und dass Sie daran wachsen werden.
  • Bauen Sie Ihre Vorurteile ab: Stellen Sie lang gehegte Vermutungen in Frage und bemühen Sie Fakten, holen Sie neue Informationen und frische Perspektiven ein.
  • Blicken Sie über den Tellerrand: Bewegen Sie sich jenseits Ihres üblichen Netzwerkes und Ihrer üblichen Grenzen – und werden Sie ein Weltbürger. Dies ist Ihre Chance, neue Partnerschaften aufzubauen.
  • Wandel ist natürlich: Verstehen und akzeptieren Sie, dass sich Ihr Verhalten und Ihre Sichtweisen ändern können, dass dies eine natürliche Reaktion ist und nicht negativ sein muss.
  • Seien Sie achtsam: Beobachten Sie aufmerksam Ihre Situation und Umwelt, konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche und priorisieren Sie Ihre Handlungen. Lassen Sie sich nicht durch Analysen lähmen: Treffen Sie eine Entscheidung und blicken Sie nach vorne.
  • Nutzen Sie die positiven Seiten des Scheiterns: Erkennen Sie, dass Fehler unvermeidbar und sogar nötig sind, um evolutionäre Schritte auf der Erfolgsleiter zu tätigen. Lernen Sie immer wieder von Neuem.
  • „Vergeuden Sie keine gute Krise”: Erkennen Sie, dass Herausforderungen auch Chancen sein können (für Karriereschritte, persönliche Entwicklung, Steigerung der Leistungsfähigkeit). Veränderungsmanagement könnte nun leichter sein als in ruhigen Zeiten.
  • Agilität, Agilität, Agilität: Schnelllebige und unvorhersehbare Zeiten erfordern verschiedene individuelle und organisatorische Qualitäten, wie bspw. die Fähigkeit neues Wissen zu generieren und stetig dazu zu lernen, flexibel zu sein und sich anzupassen.
  • Erfolgskritisch sein: Werden Sie sich klar über Ihre eigene Absicht und kommunizieren Sie diese. Fördern Sie damit ein leistungs- und sinnorientiertes Handeln in Ihrem Team.
  • Teilen Sie die Last: Ein „command-and-control“-Führungsstil wird zunehmend unpassend. Kämpfen Sie bewusst gegen die Tendenz, jede Einzelheit selbst regeln zu wollen. Ermächtigen Sie stattdessen Ihr Team und festigen Sie die gemeinsame Entscheidungsfindung.
  • Ergänzen Sie sich gegenseitig: Schaffen Sie Teams, die sich in Hinblick auf unterschiedliche Denkansätze und Hintergründe gut ergänzen. Überwinden Sie traditionelles und starres Denken. Heben Sie funktionelle Führungskräfte (wie bspw. den CHRO) auf Geschäftsführungsebene und entwickeln Sie sie als wahre Geschäftspartner der kaufmännischen Leiter.

Werben Sie neue Fähigkeiten (und traditionelle Werte) an

Bei Einstellung oder Beförderung müssen Arbeitgeber die Fähigkeiten, Erfahrungen und Kompetenzen der Kandidaten nicht nur mit bestehenden Anforderungen abgleichen, sondern auch sich entwickelnde Trends und künftige Ziele miteinbeziehen. Sie müssen sich auch individuelle Eigenschaften genauer ansehen und bspw. einschätzen, wie Wandel angenommen und damit umgegangen wird. Sie müssen ihre Denkweise verstehen – dazu gehören auch:

  • Charaktereigenschaften: Suchen Sie nach einem „starken“ Charakter mit einer guten Arbeitseinstellung, Entschlossenheit und Mut, körperlicher und geistiger Belastbarkeit, emotionaler Reife sowie nicht zuletzt einem guten Sinn für Humor.
  • Werte: Von welchen Werten lassen Kandidaten sich leiten, was gibt ihnen Sinnhaftigkeit, wie wurden sie durch Familie und Erziehung geprägt, wie verhalten sie sich in schwierigen Momenten?
  • Intellektuelle Neugier: Dies ist ein entscheidender Faktor für künftiges Potential. Suchen Sie nach jemandem, der aufrichtig an lebenslangem Lernen und Wissensaustausch interessiert ist, der bereit ist Fehler zu machen um sich zu verbessern und die Fähigkeit besitzt, das große Ganze zu sehen und Verbindungen herzustellen.
  • Agilität: Suchen Sie nach Anzeichen für Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und einem guten Umgang mit Unsicherheiten. Fragen Sie nach neuen, bahnbrechenden oder unternehmerischen Leistungen in der bisherigen Karriere.
  • Ergebnisorientierung: Innerer Antrieb und Rastlosigkeit bis zum Erfolg: Suchen Sie nach Kandidaten, die sich selbst herausfordern, mehr und Besseres zu leisten.
  • Breite: Schätzen Sie die individuelle Erfahrung und Vielseitigkeit des bisher Erlebten ein, bspw. mit digitalen und traditionellen Vertriebswegen, entwickelten und sich entwickelnden Märkten, bestehenden und entstehenden Produktkategorien. Einseitige Karrieren sind ein rotes Tuch.
  • Internationalität: Weit verzweigte Geschäfte bedürfen gut vernetzter „Weltbürger“, die internationale Erfahrung mitbringen sowie die Fähigkeit, eine globale Perspektive einzunehmen und geographisch verstreute Teams aufzubauen.

Wie für Sie geschaffen

Für hochrangige Führungskräfte, die über Entwicklungsmöglichkeiten und ihren nächsten Karriereschritt nachdenken, ist es wichtiger als je zuvor, den richtigen Arbeitsplatz zu finden. Beim Abwägen der Vorzüge und Herausforderungen des Eintritts in ein neues Unternehmen sollten Führungskräfte versuchen nicht nur zu verstehen, wo sie in das Unternehmen passen, sondern auch wie. Dringend zu stellende Fragen sind beispielsweise:

  • Stimmen Mission und Werte des Vorstands / Eigentümers mit Ihren eigenen überein?
  • Was ist der Sinn und Zweck des Unternehmens jenseits monetärer Ziele? Wenn es sich um ein Familienunternehmen handelt, teilt die nächste Generation dieses Verständnis?
  • Besteht notwendiges, langfristiges Denken – und entsprechende Investitionsbereitschaft – für neue Projekte?
  • Unternehmerischer Geist: Wie hoch ist die Risikobereitschaft? Wie schnell kann sich das Unternehmen wandeln? Wie frei und selbständig lässt es seine Manager agieren?
  • Perspektiven auf den Wandel: Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie gut kann das Unternehmen mit Angriffen auf seine „heilige Kuh“ umgehen oder dem Hinterfragen bestehender Geschäftsprozesse und -modelle? Wie sind vorherige Change Management Prozesse abgelaufen?
  • Werden Sie die nötige Zeit (und Hilfe) erhalten, um die neue Organisation zu verstehen und sich zu integrieren?
  • Wie hoch ist die (realistische) Aussicht auf Erfolg?
  • Und zu guter Letzt: Welchen einzigartigen Lernerfolg kann Ihnen dieses Unternehmen bieten?

Um abschließend Einstein nochmals zu zitieren: „Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen. Neugier hat ihren eigenen Seinsgrund.“

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neue Beraterin im Genfer Büro

Seit März verstärkt Carolyn Lutz das Berater-Team unseres Genfer Büros. Carolyn, die seit vielen Jahren in Genf lebt, wuchs in Frankreich, Deutschland und England auf. Sie startete ihre berufliche Karriere im Marketing bei Procter & Gamble (Genf) und wechselte später als Direktorin für das internationale Geschäft zu La Prairie nach Zürich. Anschließend war sie über 20 Jahre lang als Beraterin von Vorständen und Aufsichtsräten in der Schweiz tätig. Carolyn verfügt über umfangreiche Erfahrung im internationalen Executive Search für multinationale, insbesondere aber auch Familienunternehmen. Sie sitzt im Genfer Vorstand der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer sowie im Aufsichtsrat von W.I.N. (Women‘s International Networking Forum).

Andreas von Specht beim „EY Global Family Business Summit“ in Monte Carlo

Auch in diesem Jahr wurde Andreas von Specht eingeladen, als Redner und Moderator einer Podiumsdiskussion auf der „EY Global Entrepreneur of the Year“-Veranstaltung am 7./8. Juni 2017 in Monte Carlo zu sprechen. An der Konferenz nehmen jährlich mehr als 1.000 Unternehmer, CEOs und Journalisten aus der ganzen Welt teil.

Neuauflage des erfolgreichen Buches von Dr. Christian Bühring-Uhle

Im Januar diesen Jahres ist im Verlag C.H. Beck die zweite Auflage des Buches „Verhandlungsmanagement“ erschienen, welches Dr. Christian Bühring-Uhle zusammen mit seinen Co-Autoren Horst Eidenmüller von der Universtität Oxford und Andreas Nelle von der Humboldt-Universität geschrieben hat und das inzwischen als „Standardwerk der Verhandlungsliteratur“ gilt.

Neuigkeiten aus unserer Lateinamerika-Praxis

Die kolumbianische Wirtschaftszeitschrift „Dinero“, sozusagen das Pendant zur deutschen Wirtschaftswoche, beschäftigt sich in ihrer Ausgabe vom 17.03.2017 mit der Professionalisierung von Aufsichtsräten in Kolumbien. Als einer der führenden Experten des Landes zu diesem Thema wurde Dr. Christian Bühring-Uhle interviewt und mit seinen Einschätzungen zur Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden prominent zitiert. Den Artikel (in spanischer Sprache) finden sie hier.

TTA 02-2016 | ZUKUNFTSSICHERUNG IN FAMILIENUNTERNEHMEN

Finden und Binden

Der Wettbewerb um externe Toptalente in Familienunternehmen
von Andreas von Specht


Aktuelle Umfragen geben Anlass zur Besorgnis: Die Bereitschaft junger Familienmitglieder, Verantwortung im elterlichen Unternehmen zu übernehmen und eines Tages die Nachfolge als Unternehmer anzutreten, ist auch in Deutschland weiter gesunken und scheinbar auf einem Tiefpunkt angelangt. Besonders größere Familienunternehmen werden daher zunehmend gezwungen sich dem weltweiten Kampf um Top-Talente zu stellen, um die besten Führungskräfte für sich zu gewinnen – und sie dann vor allem auch langfristig zu binden. Die Herausforderung für Gesellschafter von Familienunternehmen und externe Führungskräfte erscheint gleichermaßen groß: Viele der Fremdmanager kommen nicht unbedingt aus dem Umfeld von Familienunternehmen. Es bedarf also bestimmter Fähigkeiten, Kompetenzen und häufig auch Vorbildfunktion von beiden Seiten, um diese besondere Verbindung erfolgreich werden zu lassen.

Ich bin selbst im erweiterten Umfeld eines Familienunternehmens groß geworden, ohne operativ je auch nur einen Fuß in dieses Unternehmen gesetzt zu haben. Mein Urgroßvater hat nach dem 2. Weltkrieg die Berenberg Bank in Hamburg wiedereröffnet, deren Ursprünge bis in das Jahr 1590 zurückreichen. Die Bank ist daher die älteste Privatbank und eines der ältesten Familienunternehmen überhaupt in Deutschland. Zwei Familienstämme, zusammen mit den beiden persönlich haftenden Partnern, halten immer noch die Mehrheit des Kapitals. 2015 markierte nicht nur das 425. Jahr der Bankgeschichte, sondern war auch das bisher wirtschaftlich erfolgreichste Jahr der Bank. Dieser Erfolg ist mit Tradition und Werten sicher nicht ausreichend zu erklären. Er ist gerade in den vergangenen 12-15 Jahren vor allem auch das Resultat einer vollumfänglichen Neuerfindung und Restrukturierung der Bank, die vor allem von den familienfremden Partnern der Bank betrieben wurde. Beide Partner halten substantielle Kapitalanteile und beide sind stilistisch sicher nicht unmittelbar mit dem Typus Privatbankier aus den Zeiten meines Urgroßvaters zu vergleichen. Ohne diese Partner wäre der Bank aber die erfolgreiche Neuausrichtung mit ziemlicher Sicherheit nicht gelungen. Und bis in die 1990er Jahre stellte die Familie über ihren Mehrheitszweig ja immer einen aktiven Partner, der den Familiennamen trug. Vor einigen Jahren kam dann für die Familie eine Art Zäsur, weil „plötzlich“ kein Familienmitglied mehr in der Führung der Bank vertreten war. Zwar entsendet jeder Familienzweig einen Vertreter in den Verwaltungsrat, dieser fungiert jedoch nur eingeschränkt als wirkliches Aufsichtsgremium, zumal die Partner ja persönlich haften. Der von der Familie in früheren Jahrzehnten wesentlich beeinflusste Gesellschaftervertrag sieht vor, dass die Richtungsentscheidungen der Bank durch die starken Partner getroffen werden.

Die Familie sah diese neue Situation vermutlich kommen, hat aber wenig getan, um sich (bzw. den Gesellschaftervertrag) an diese ganz anderen Zeiten anzupassen. Inzwischen gibt es eine neuausgerichtete Bank mit einer sich ebenfalls verändernden Kultur – und es ist nicht abzusehen, dass ein Familienmitglied in den kommenden Jahren wieder eine prägende Rolle in der Führung übernehmen wird. Ist das nun notwendigerweise ein Nachteil? Möglicherweise nicht, aber das hängt natürlich u.a. von der Fähigkeit der Familie ab, Entwicklungen als Gesellschafter zu kalibrieren und zu beeinflussen.

Auf jeden Fall lassen sich aus der Geschichte unseres Familienunternehmens einige interessante Erkenntnisse ableiten. So zum Beispiel ganz allgemein die Gewissheit, dass unternehmerische Talente nicht immer vererbbar sind. Ein gut funktionierendes System von Corporate Governance im Unternehmen – und „Family Governance“ in der Familie – sind unabdingbar, sowohl um externe Top-Talente zu gewinnen, als auch als Voraussetzung, um die Interessen der Inhaberfamilien zu schützen.

AvS – International Trusted Advisors und EY, zusammen mit einer führenden, europäischen Universität, haben kürzlich eine umfassende europäische Studie über „Fremdmanager in Familienunternehmen“ veröffentlicht. Nach umfassenden Diskussionen mit Familiengesellschaftern einerseits, und externen Top-Managern andererseits, versteht man sehr schnell bestimmte Besonderheiten. So gibt es in fast allen diesen Familienunternehmen, in denen die Gesellschafter in der Regel sehr emotional mit dem eigenen Unternehmen verbunden sind, einen besonderen „Geist“. Das Unternehmen stellt einen wichtigen Teil der Identität dieser Familien dar, und ist in den allermeisten Fällen weit mehr als nur eine größere Finanzinvestition. Der besondere Geist der Familienunternehmen zeigt sich häufig in der Unternehmenskultur, in der Beziehung von Inhabern und externem Management und generell in der Arbeitsatmosphäre. Familienunternehmen sind, bei aller Schnelligkeit und Innovationsfreude, fast immer sehr langfristig orientiert. Ein wesentliches Ziel, wenn nicht das allerwichtigste Ziel überhaupt, ist die erfolgreiche Übergabe an nachfolgende Generationen.

Der besondere Geist von Familienunternehmen ist sozusagen ein wichtiger Teil der „Schokoladenseite“ dieser Unternehmen. Wenn Inhaber langfristige Stabilität garantieren, eine Plattform für schnelle, unabhängige Entscheidungen ermöglichen und ein überzeugendes Wertesystem mit einem Gefühl der Sinnhaftigkeit vorleben, kann die Kraft einer solchen Vorbildrolle gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber natürlich gibt es im realen Leben auch eine Schattenseite: Wenn Familienstämme oder einzelne Gesellschafter unterschwellig oder auch ganz offen in Konflikte involviert sind (untereinander oder auch mit dem Management), die sich irgendwann wie unangenehmer Mehltau auf das ganze Unternehmen legen, wächst das Risiko der Abwanderung talentierter Fremdmanager sprunghaft.

Selbst wenn es Nachwuchs in der Familie gibt, der an einem Einstieg grundsätzlich interessiert ist, sagt dies natürlich noch nichts über die Eignung aus. Was sind nun notwendige Erfahrungen und Vor-Qualifikationen für den Einstieg ins eigene Familienunternehmen? Und wer entscheidet eigentlich am Ende darüber, ob der Sohn, die Tochter oder das Patenkind den richtigen Erfahrungs-Mix für den Durchmarsch an die Unternehmensspitze mitbringt? Solche Fragen sollten unbedingt im Rahmen der Erarbeitung einer Familienverfassung gestellt werden. Wenn am Schluss aber das Ergebnis steht, dass die Nachfolge aus der eigenen Familie nicht organisiert werden kann, oder es zumindest einer Brückenbildungs-Lösung bedarf, um bspw. eine Generationslücke zu schließen, dann kommt Fremdmanagement ins Spiel.

Vielen Familiengesellschaftern merkt man mangels Erfahrung mit externen Rekrutierungen eine gewisse Unsicherheit an, wie ein solcher Prozess überhaupt organisiert werden sollte. Sie wissen intuitiv allerdings, dass Fehlentscheidungen bei der Einstellung von Fremdmanagern schmerzhaft und vor allem auch sehr teuer werden können. Trotzdem gelingt eine erfolgreiche Einstellung von externen Führungskräften gerade beim ersten Mal häufig nicht. Die erfolgreiche „Passform“ eines Externen im Familienunternehmen entscheidet sich häufig bereits nach wenigen Wochen oder Monaten. Wenn eine Besetzung nicht klappt, liegt es meistens nicht an der fachlichen Qualifikation, sondern an einem Mangel an Verständnis für die Besonderheiten in diesem speziellen Umfeld. Externe Führungskräfte müssen häufig erst verstehen, wie ein Familienunternehmen „tickt“ und auf welche Besonderheiten zu achten ist. Sehr viele, sogar viele der größeren deutschen Familienunternehmen, sind von außen hinsichtlich ihrer Zahlen, Innovations- oder Ertragskraft nur schwer zu analysieren. Trotzdem ist es verwunderlich und manchmal geradezu schockierend, wie wenig Mühe sich viele Führungskräfte damit machen, einen neuen, potenziellen Arbeitgeber vorab umfassend zu recherchieren. So bleibt eine Analyse gerade hinsichtlich der dort herrschenden Unternehmenskultur meistens aus und es wird ein Arbeitsvertrag unterschrieben, ohne die DNA der Familie hinter dem Unternehmen – und damit mögliche Besonderheiten gegenüber anderen Unternehmen – auch nur im Ansatz erfasst zu haben. Umgekehrt ist es allerdings auch erstaunlich zu erleben, wenn mancher Familiengesellschafter kaum Zeit und Aufwand investieren will, um einen externen Unternehmensführer wirklich sorgsam auszusuchen und mit Umsicht in das Unternehmen zu integrieren.

Externe Führungskräfte hoffen darauf, bei Familienunternehmen vor allem eine solide Plattform mit einem langfristig angelegten Investitionshorizont zu finden, bei dem dann wichtige Entscheidungen unabhängig von Quartalsergebnissen getroffen werden können. Sie erwarten flache Hierarchien, wenige, kompetente Entscheidungsträger, unkomplizierte und vor allem unpolitische Entscheidungs- und Kommunikationswege. Und sie hoffen natürlich die Schokoladenseite der besonderen Unternehmenskultur eines Familienunternehmens vorzufinden, also eine wertebasierte, unternehmerische Kultur sowie ausgeprägte Mitarbeiterorientierung. Die Befürchtungen dagegen ranken sich vor allem um mögliche Grabenkämpfe und „hidden agendas“ im Gesellschafterkreis, einen Mangel an Transparenz und Offenheit‚ sowie irrationales „Gutsherren-Gehabe“ bei Inhabern.

Das Idealprofil eines Fremdmanagers für ein Familienunternehmen wird natürlich die wichtigsten Kompetenzen für eine solche Persönlichkeit erfassen. Dabei geht es nicht nur um Vorerfahrung, sondern um die Definition von persönlichen Eigenschaften und Kompetenzausprägungen, die eine Führungskraft in verschiedenen Feldern tatsächlich vorzuweisen hat. Also beispielsweise die Befähigung, substantielle Veränderung in einem Unternehmen zu bewirken, ein Geschäftsmodell nachhaltig zu beeinflussen oder echte Kundenorientierung auf eine Vertriebsmannschaft zu übertragen. Neben unternehmerischen und sozialen Kompetenzen (wie bspw. auch der Führungsbefähigung) ist eine der entscheidenden Kompetenzen sicherlich die Fähigkeit, in dem spezifischen Umfeld eines Familienunternehmens „zu funktionieren“. Wo hat die Führungskraft eine ähnliche Situation und Unternehmenskultur bereits erlebt und wie ist sie mit einer ähnlichen Herausforderung umgegangen? Unserer Erfahrung nach scheitern Fremdmanager in Familienbetrieben in den seltensten Fällen wegen fachlicher Unzulänglichkeiten oder einer nicht funktionierenden Strategie. Wir haben aber Situationen erlebt, in denen fachlich starke Führungskräfte von einer „plötzlich bevorstehenden Trennung“ scheinbar komplett überrascht wurden. Möglicherweise deswegen, weil sie die vielen (versteckten) Hinweise und das Feedback zu eigenem Verhalten vollkommen überhört oder übersehen haben – welche der Inhaber (wie er uns versicherte) so „kristallklar und direkt“ glaubte gegeben zu haben. Am Ende blieb dann nur die Erkenntnis: „Hired on competency – fired on chemistry and style!“

Interessanterweise scheint die Höhe der Vergütung am Ende keine wirklich ausschlaggebende Rolle beim Einstellungsprozess von Fremdmanagern zu spielen. Sie muss stimmen und marktfähig sein. Ausschlaggebend für die Entscheidung, statt in ein Großunternehmen in ein mittelständisches Familienunternehmen zu wechseln, ist dagegen eher die unternehmerische Freiheit und der Handlungs- und Gestaltungsrahmen sowie die Möglichkeit, ein Unternehmen wirklich weiter zu entwickeln, ggf. zu verändern und damit echte Verantwortung übernehmen zu können. Sobald wir mit der Planung einer Nachfolge oder der Suche eines Geschäftsführers von extern beauftragt werden sollen, ist in den Vorgesprächen fast immer von der Suche nach einem „Unternehmer im Unternehmen“ die Rede. Dies ist nachvollziehbar – aber wenn man tatsächlich einen echten Unternehmer für das eigene Unternehmen sucht, dann muss diesem Unternehmer hinterher auch das Vertrauen und die Gestaltungsfreiheit gewährt werden, damit er seine Wirkungskraft wirklich entfalten kann. Und gleichzeitig, so zeigt auch das Beispiel des Unternehmens aus meiner eigenen Familie, sollte ein professionelles Governance-System mit funktionierenden „Checks & Balances“ installiert sein, um einen solchen Unternehmer begleiten und die übergeordneten Interessen der Familie wahren zu können.

Fremdmanager: Die Suche nach großen Talenten mit kleinem Ego

Interview mit Peter Englisch, Partner und Leiter der globalen Family Practice bei EY
von Andreas von Specht und Felix B. Waldeier


AvS – International Trusted Advisors: Um ihren langfristigen Erfolg zu sichern, sind Familienunternehmen immer häufiger auf die Verpflichtung von externen Top-Managern angewiesen. Welche Veränderungen in Unternehmerfamilien sind dafür verantwortlich, dass der eigene Nachwuchs die Nachfolge häufig ablehnt?

Peter Englisch: Eine unserer weltweiten Studien unter den größten Familienunternehmen aus 2015 hat ergeben, dass das Interesse, in das eigene Familienunternehmen einzutreten, bei jungen Leuten immer mehr zurückgeht. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Eltern frühzeitig mit ihren Kindern über die Möglichkeiten, in das eigene Unternehmen einzusteigen, reden sollten. Junge Menschen wollen Klarheit und Perspektiven für ihr eigenes Leben und wissen oftmals gar nicht, welche Möglichkeiten – auch für Veränderungen – das elterliche Unternehmen ihnen bieten kann. Es geht ja schließlich nicht darum, alles genauso weiterzuführen wie es die Eltern getan haben, sondern auch auf aktuelle Trends, Technologien und Marktveränderungen zu reagieren – und da ist die nächste Generation gefragt.

Wenn der Nachwuchs sich gegen das Familienunternehmens entscheidet, muss meistens ein Fremdmanager die Nachfolge antreten. Woran können Eigentümer festmachen, dass ein Fremdmanager für ihr Familienunternehmen geeignet ist? Gibt es ein typisches Kompetenzprofil?

Insbesondere deutsche Familienunternehmen zeichnen sich häufig durch Bescheidenheit und Zurückhaltung aus und stellen persönliche Belange hinter denen des Unternehmens zurück. Familienunternehmen suchen daher grundsätzlich dezent auftretende und kompetente Führungspersönlichkeiten, die besondere Fähigkeiten im Bereich Strategie und Personalführung haben. Man könnte auch sagen: Gefragt sind große Talente mit kleinem Ego.

Gerade in Konzernen trifft man jedoch häufig auf ausgeprägte Egos. Sind Fremdmanager ohne Erfahrung in Familienunternehmen daher eher zweite Wahl?

Nein, Fremdmanager sind nicht per se zweite Wahl. Worauf es wirklich ankommt ist herauszufinden, wer am besten geeignet ist, die Werte und die Kultur der Familie in nachhaltiges Unternehmenswachstum umzusetzen. Das können auch Fremdmanager sein, und entsprechend gibt es viele Beispiele großer und sehr erfolgreicher Familienunternehmen, die durch Fremdmanager operativ geführt werden. Wenn es um die operative Leitung des Unternehmens geht, sollte immer die Kompetenz entscheiden – unabhängig davon, ob diese aus der Familie kommt oder von außen.

Andersherum gefragt: Sind Fremdmanager womöglich sogar die bessere Lösung für die Führung von Familienunternehmen?

Der Einsatz von Fremdmanagern bringt durchaus Vorteile mit sich. Als Familienfremde werden sie ausschließlich an ihrer Qualifikation und ihrer Leistung gemessen, sowie an der Art und Weise, wie sie das Unternehmen führen – und nicht nach ihrer Herkunft beurteilt. Dies führt zu einer objektiveren Betrachtung und Unternehmenssteuerung. Voraussetzung ist jedoch, dass die Inhaberfamilie die langfristige Richtung vorgibt sowie klare Kompetenzen definiert.

Warum ist das gerade in Familienunternehmen so wichtig?

Zur Festlegung klarer Zuständigkeitsbereiche, innerhalb derer sich das Fremdmanagement bewegen kann, gehört insbesondere eine klare Trennung zwischen den Belangen des Unternehmens und den Interessen der einzelnen Gesellschafter. Fremdmanager sollten weder in Fragen der privaten Steuern oder Geldanlage einbezogen, noch mit Anfragen zu Dienstwagen für nicht aktive Familienmitglieder kompromittiert werden.

Hat man einen Fremdmanager erfolgreich an Bord geholt, möchte man diesen natürlich langfristig an das Unternehmen binden – in der Realität gelingt das jedoch oft nicht. Was müssen Gesellschafter im Umgang mit Fremdmanagern berücksichtigen, um ein schnelles, ungewolltes Ausscheiden zu vermeiden?

Eine effiziente Kommunikationskultur mit regelmäßigem und offenem Austausch ist wichtig, um zusätzliches Vertrauen zu schaffen. Die Gespräche sollten in geordneten Bahnen verlaufen, damit die Fremdgeschäftsführung nicht Gefahr läuft, sich permanent gegenüber Mitgliedern der Eigentümerfamilie rechtfertigen zu müssen. Zudem ist es sehr wichtig, dass die Gründerfamilie ihre Werte ausreichend kommuniziert, um den Fremdmanager an die Besonderheiten von Familienunternehmen nachhaltig heranzuführen.

Meinen Sie mit diesen Besonderheiten unter anderem auch den gern zitierten „Family Business Spirit“?

Der „Family Business Spirit“ bezeichnet in der Regel die enge Verbundenheit der Eigentümerfamilie mit dem Unternehmen und die gelebte Vorbildfunktion, die eine besondere Unternehmenskultur hervorbringt. Ob er wirklich existiert und sich positiv auf die Belegschaft auswirkt, hängt aber entscheidend vom tatsächlichen Verhalten der Familie ab.

Worauf sollten Fremdmanager im Umkehrschluss selbst achten, um im Kontext der Familie angenommen zu werden und das Familienunternehmen erfolgreich führen zu können?

Um sich als Teil einer größeren „Familie“ zu verstehen halte ich es für entscheidend, dass sich auch der Fremdmanager selbst mit dem Unternehmen und den Werten der Familie identifiziert. Wichtig ist dabei jedoch, eine gewisse professionelle Distanz zu den Inhabern zu wahren. Im Unternehmen sind Rollen und Erwartungen klar definiert, und Fakten sowie rationale Entscheidungen gefragt. Im Umfeld der Familie geht es zudem um Emotionen, Anerkennung und oftmals unklare gegenseitige Erwartungen. Ein für Außenstehende also eher „vermintes Gelände“. Häufige Fehler bei der Besetzung mit Fremdmanagern sind deshalb falsche Erwartungen, fehlerhaftes Verhalten und ein Mangel an klaren Zuständigkeiten, sowie die Vermischung von Firmenbelangen und privaten Angelegenheiten der Inhaberfamilie.

Das klingt nach einem anspruchsvollen und recht steinigen Weg. Gibt es darüber hinaus weitere Gefahren, die zu einem Scheitern führen könnten?

Eine weitere Gefahr ist das Setzen zu kurzfristiger und zu sehr auf finanzielle Aspekte fokussierter Ziele. Boni und Vergütungssysteme belohnen in der Regel eher den kurzfristigen Erfolg anstatt die langfristige Generierung von Werten und nachhaltigen Renditen. In Familienunternehmen wird aber insbesondere auf das Letztere großen Wert gelegt.

Sind die Vergütungssysteme von Familienunternehmen denn weniger attraktiv, oder anders gefragt: Wird in Familienunternehmen deutlich schlechter gezahlt?

Grundsätzlich wird in Familienunternehmen angemessen bezahlt. Da Stock Options und andere Vergütungsbestandteile in der Regel nicht bestehen, kann die Gesamtvergütung jedoch unter der Vergütung vergleichbarer börsennotierter Unternehmen liegen. Dafür zeigen Statistiken allerdings, dass der Arbeitsplatz in Familienunternehmen viel sicherer ist und die durchschnittliche Verweildauer mehr als das Dreifache von vergleichbaren Positionen im Börsenumfeld beträgt.

Gibt es, neben der Arbeitsplatzsicherheit, weitere nicht-monetäre Komponenten, die Fremdmanager in Familienunternehmen locken?

Firmenkultur, Verantwortung sowie langfriste Werte und Ziele des Unternehmens sind attraktive Eigenschaften eines Familienunternehmens, die Manager von außen anziehen. Diese werden in Familienunternehmen häufiger und intensiver gelebt als in Konzernen.

Welche weiteren wichtigen Unterschiede bestehen zwischen einem börsennotierten Unternehmen und einem privat gehaltenen Familienunternehmen?

Im – vor einigen Jahren noch hoch gelobten – Modell des Shareholder Value geht es in erster Linie um die Mehrung des Vermögens der Shareholder, damit diese es nicht anderweitig investieren. Shareholder sind also Investoren, die nach der profitabelsten Geldanlage suchen. Diese Art des Managements ist typisch für börsennotierte Unternehmen. Familienunternehmen orientieren sich hingegen häufiger am „Responsible Ownership“. Hier geht es um viel mehr als kurze, finanzielle Anreize: Es werden langfristige Werte geschaffen und die Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und weitere Interessengruppen aktiv gelebt. Dieses Konzept unterscheidet sich also deutlich – und es hat sich erfolgreich in vielen Krisen bewährt.

Blickt man auf die diskutierten Vor- und Nachteile von Familienunternehmen, könnte man sich fragen: Kombinieren börsengelistete Familienunternehmen für Fremdmanager „das Beste aus beiden Welten“?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Gründe für einen Börsengang von Familienunternehmen sind vielfältig. Sie reichen vom Zugang zum Kapitalmarkt zum Zwecke der Wachstumsfinanzierung über die Einführung von guter Governance bis hin zur Lösung von Nachfolgeproblemen und der vereinfachten Abfindung ausscheidender Gesellschafter. Natürlich schafft das regulierte Umfeld grundsätzlich mehr Klarheit für Fremdmanager. Gleichwohl verbleibt die Führung und Kontrolle des Aufsichtsrates in der Regel bei der Familie.

Stichwort „Gute Governance“: Das Thema Corporate Governance hat in den letzten Jahren einen immer größeren Stellenwert in großen Unternehmen eingenommen. Welche Rolle spielt es für Familienunternehmen?

In Familienunternehmen gibt es die besondere Herausforderung, dass die Corporate Governance auf die in der Familie vereinbarten Regeln abgestimmt sein muss. Dies wird häufig als „Family Governance“ oder Familienverfassung bezeichnet. Diese Familienverfassung legt die langfristigen Ziele und Werte der Familie fest und schafft Klarheit in Bezug auf Führung und Kontrolle des Unternehmens, Kriterien für die Beschäftigung von Familienmitgliedern, Umgang mit ausscheidenden Gesellschaftern etc. Dies hilft der Familie – und natürlich auch den Fremdmanagern – die gegenseitigen Erwartungen und Aufgabenbereiche zu verstehen und zu respektieren. Das Thema Corporate Governance entwickelt sich stetig und wird auch zukünftig in Familienunternehmen eine immer größere Bedeutung erfahren.

Lieber Herr Englisch, wir danken Ihnen für diese Einblicke!

Good Governance – die Bedeutung des Beirats

Was unterscheidet den gut funktionierenden Beirat vom Mittelmaß?
von Dr. Christian Bühring-Uhle


Ein Unternehmen kann auf Dauer nicht erfolgreich sein, wenn es nicht beständig in der Lage ist, Top-Führungstalente an sich zu binden. Ein wichtiger Faktor dafür ist die Qualität der Governance-Strukturen und -Prozesse innerhalb des Unternehmens. Eine durchdachte und gut funktionierende Unternehmensverfassung ist nicht nur ein wichtiges Instrument für die Verwirklichung der Interessen und des Willens der Inhaber, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für die Gewinnung und Haltung fähiger Führungskräfte. Dies gilt nicht nur für externe Führungskräfte: Auch Familienmitglieder, die die grundsätzliche Bereitschaft und das Talent haben, ein Familienunternehmen erfolgreich zu führen, könnten sich nach Alternativen umsehen und müssen erst einmal für das Unternehmen gewonnen werden.In unserer Beratungspraxis für Inhaber privat gehaltener Unternehmen werden wir oft gefragt, wie man „Good Governance“ sicherstellen kann. Der Schlüssel zum Erfolg ist letztendlich ein gut funktionierender Beirat, wobei dies in bestimmten Konstellationen durchaus auch ein Beirat mit lediglich beratender Funktion sein kann.

Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, benötigt ein Beirat zunächst ein klares Verständnis seiner eigenen Funktion. Primär muss sichergestellt werden, dass die Inhaberrolle und die damit verbundenen Rechte und Pflichten so ausgeübt werden, dass die Interessen des oder der Inhaber, aber auch die der übrigen Stakeholder, angemessen wahrgenommen werden. Zudem müssen eine gute Unternehmensführung gewährleistet und grundlegende Entscheidungen sachgerecht und rechtzeitig getroffen werden. Ein kompetenter und gut funktionierender Beirat ist aber auch eine wichtige Ressource für das Management. Die besten CEOs schätzen – und suchen auch aktiv – den Rat und das ehrliche Feedback von unabhängig denkenden, erfahrenen Beiräten. Im besten Fall ist insbesondere der Beiratsvorsitzende ein wertvoller Sparringspartner für die operative Führung. Eine andere wichtige Funktion, insbesondere für den Beiratsvorsitzenden, kann die Vermittlung zwischen Inhabern und Management oder auch zwischen den Gesellschaftern sein. Dies kann informell und unauffällig erfolgen, entwickelt sich manchmal aber auch zu einem regelrechten Schlichtungsverfahren.

Einen klaren Fokus zu haben ist ein anderes wichtiges Kennzeichen eines gut funktionierenden Beirats. Erfahrene Beiräte richten unter der Führung eines fähigen Vorsitzenden ihren Blick auf den langfristigen Erfolg und die Beständigkeit des Geschäfts. Sie betonen Strategie statt Taktik und vermögen die wirklich relevanten Themen in den Blickpunkt zu rücken. Die besten Aufsichtsgremien verbringen mindestens zwei Drittel ihrer Zeit mit Zukunftsfragen, statt die Vergangenheit zu sezieren und abgeschlossene Vorgänge zu hinterfragen oder, schlimmer noch, sich Quartalsberichte und Selbstdarstellungen des Managements anzuhören. Das Talentmanagement ist dabei einer der zentralen Themenbereiche. Ein effektiver Beirat muss sicherstellen, dass die operative Führung in den Händen der denkbar besten Führungstalente liegt. Das heißt: Exzellente Mitarbeiter zu finden, zu interessieren, einzustellen, zu integrieren, zu überwachen, aber auch zu unterstützen, zu fordern und zu fördern. Und das beinhaltet auch, sie angemessen zu bezahlen, sie ans Unternehmen zu binden und, wenn erforderlich, sie (rechtzeitig) zu ersetzen.

Ein gut funktionierender und gut geführter Beirat wird auch die typischen Probleme meistern, die sich ergeben können. Beiräte sind manchmal recht unterschiedlich zusammengesetzt, und Diskrepanzen in Erfahrung, Expertise, Einstellungen, Sichtweisen und Interessen können erhebliche Spannungen erzeugen. Dabei stellt Diversität grundsätzlich eine Chance dar und ist bei der Zusammenstellung eines Beirats ein wichtiges Ziel. Aber ein produktives Zusammenwirken entsteht nicht von selbst, sondern erfordert viel Offenheit, guten Willen, Disziplin und ein gewisses Maß an Erfahrung und Bereitschaft zur Kooperation. Hier hängt viel von der Erfahrung und Fähigkeit des Beiratsvorsitzenden ab, in kurzer Zeit Themen angemessen zu durchdringen und zu bewältigen, statt diese mechanisch abzuarbeiten. Es muss Platz geschaffen werden für ernsthafte und konstruktive Auseinandersetzungen.

Es gibt eine Reihe von einfachen methodischen Faustregeln. Ein gut funktionierender Beirat…

  • … arbeitet auf Basis einer gut durchdachten Tagesordnung mit relevanten Themen und vernünftiger Zeiteinteilung. Die Tagesordnung muss frühzeitig versandt und auch mit der Aufforderung an die Teilnehmer verbunden werden, Änderungswünsche rechtzeitig vor der Sitzung anzumelden.
  • … plant hinreichend Pausen ein und hält sich daran, so dass während der Sitzung alle Teilnehmer wirklich „präsent“ sind und niemand von Smartphones etc. abgelenkt ist.
  • … macht seine „Hausaufgaben“, d.h. verteilt und liest die Unterlagen, so dass Sitzungszeit nicht aufgrund der Präsentation von Informationen verlorengeht sondern für die Diskussion von Fragen, Einwänden, Vorschlägen etc. genutzt wird.
  • … pflegt eine Atmosphäre des offenen, reflektierten und konstruktiven Austauschs.
  • … produziert brauchbare Protokolle, in denen nur die Ergebnisse und Entscheidungen samt der wesentlichen Gründe festgehalten werden, statt langwieriger Mitschnitte des Gesprächsverlaufs zu dokumentieren. Die Protokolle werden binnen weniger Tage verteilt, so dass Entscheidungen umgesetzt und etwaige Kommentare der Teilnehmer unverzüglich vorgebracht und abgehandelt werden können.
  • … unterzieht sich einer regelmäßigen Evaluation seiner Arbeit, sei es in einer Selbstevaluation durch die Mitglieder, oder – besser noch – mithilfe von kompetenten externen Experten, die die Arbeit der Beiräte individuell und kollektiv unter die Lupe nehmen und dem Beirat eine vertrauliche, fundierte und konstruktive Diskussion über Verbesserungspotenziale ermöglichen.

Der Wert, den ein Beirat für das Unternehmen generieren kann, hängt stark von seiner Zusammensetzung ab. Beiratsarbeit kann anregend und erfüllend sein, ist vor allem aber eine anspruchsvolle und komplexe Aufgabe. Die Mitglieder müssen individuell dafür geeignet, aber auch als Gruppe in der Lage sein, ihr Potenzial zum Wohle des Unternehmens, seiner Inhaber und der übrigen Stakeholder einzusetzen. Dabei sollte die Auswahl der Mitglieder anhand mehrerer Dimensionen erfolgen:

  • Relevante Erfahrung: Diese kann sowohl funktional, branchenspezifisch oder auch generell durch Führungserfahrung geprägt sein.
  • Analytische Fähigkeiten: Beiratsmitglieder müssen eine große Menge komplexer und teils widersprüchlicher Informationen/Sachverhalte in begrenzter Zeit durchdringen.
  • Urteilsvermögen: Das Treffen sachgerechter Entscheidungen auf begrenzter Faktenbasis und die Vermeidung einer „analysis paralysis“
  • Motivation (und Zeit): Der Wunsch etwas zu verändern und einen Mehrwert zu schaffen – und sich nicht nur mit dem Titel zu schmücken oder einem befreundeten Unternehmensinhaber einen Gefallen zu tun
  • Integrität: Vor allem müssen die Beiratsmitglieder ein Höchstmaß an Ehrlichkeit, Integrität und Unabhängigkeit mitbringen und in der Lage sein, im Team zu arbeiten. Dazu gehört die Fähigkeit, zuzuhören, abweichende Standpunkte wertzuschätzen und dem Gruppenerfolg eine größere Bedeutung beizumessen als dem Ernten eigener Lorbeeren.

Die Zusammensetzung des Beirats ist von großer Bedeutung – es reicht nicht aus, individuell gute Musiker zu finden, sondern diese müssen auch als Orchester gut zusammenspielen. Viele Unternehmer wünschen sich bekannte Namen in ihrem Beirat, aber wenn große Egos, fest verwurzelte Einstellungen und starkes Geltungsbedürfnis aufeinandertreffen, ist das Ganze manchmal weniger wert, als die Summe seiner Teile. All die Energie erzeugt dann mehr Hitze als Vortrieb, und auf das Management wirkt das Schauspiel eher abschreckend, als inspirierend. Wirklich effektive Beiratsarbeit erfordert daher ein gewisses Maß an Demut. Man muss bereit sein Zeit zu opfern, Aufmerksamkeit zu schenken und Energie aufzubringen. Man muss seine Hausaufgaben machen und sich in seinen Beiträgen darauf fokussieren, die Arbeit der Gruppe voranzubringen – und nicht seine vorgefassten Meinungen und seine eigene Bedeutung bestätigt zu finden. Je unterschiedlicher die Gruppe ist, desto größer ist die Herausforderung, konstruktiv zusammen zu arbeiten. Wenn es jedoch gelingt, sind die Vorteile beachtlich, da durch das Einbringen vielfältiger Gesichtspunkte den Entscheidungen eine breite Grundlage verliehen wird. Leider gibt es immer noch viel zu viele homogene Aufsichtsgremien ohne Vielfalt hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, Alter und Erfahrungshintergrund.

Die Rolle des Beiratsvorsitzenden ähnelt in gewissem Maße der eines Dirigenten, der das Potenzial seiner Musiker zur Geltung bringt und aus ihnen ein Orchester bildet. Wenn diese Rolle richtig wahrgenommen wird, entsteht im Beirat eine Kultur der Offenheit, Ernsthaftigkeit und Professionalität, geprägt von gegenseitigem Respekt, Menschlichkeit, Demut und Disziplin (das heißt selbstverständlich nicht, dass nicht auch gelacht und gelegentlich auch gefeiert werden kann). Ein guter Beiratsvorsitzender wirkt als Sparringspartner für die Führungsmannschaft auch in das Unternehmen hinein und dient als Integrationsfigur, die die Identität und die Werte des Unternehmens und seiner Inhaber verkörpert.

Besonders wichtig wird die Rolle des Beirats und des Vorsitzenden in Krisenmomenten, in denen eine sowohl unverzügliche als auch besonnene Reaktion sichergestellt werden muss. In solch einer Situation muss die operative Führung der Herausforderung gewachsen sein und die Rückendeckung und Unterstützung des Beirats erfahren. In Extremfällen kann es erforderlich sein, das Management auszutauschen. Hier sind ein gutes Governance-System und insbesondere ein gut funktionierender Beirat der Garant dafür, dass dies rechtzeitig und geordnet, auf Basis eines vorher entwickelten Notfallplans, und vor allem auch in größter Fairness geschieht.

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Publikation einer europäischen Studie zu „Fremdmanagern in Familienunternehmen”

Lediglich 20 Prozent der Studierenden aus Unternehmerfamilien ziehen in Betracht, das Familienunternehmen fortzuführen. Das Bewusstsein für das steigende Risiko durch fehlende Nachfolge in Familienunternehmen scheint jedoch derzeit nicht ausreichend präsent zu sein. Durch eine bewusste Entscheidung für einen Fremdmanager als Alternative zu Familienmitgliedern kann diese Lücke perspektivisch geschlossen werden. Die Resultate der Studie „Fremdmanager in Familienunternehmen“, die wir gemeinsam mit EY und unter Unterstützung der ESCP Europe (Berlin) durchgeführt haben, zeigen, dass Familienunternehmen in einem Fremdmanager nicht nur einen Angestellten sehen. Vielmehr suchen Sie einen „Mitunternehmer“, der zum Unternehmen und zur Familie passt – und mit dem somit ein emotionaler wie kultureller Fit angestrebt wird. Auf Basis einer zunächst qualitativen Erhebung wurden dabei im Anschluss quantitativ hunderte von Eigentümern und familienfremden Topmanagern in großen Familienunternehmen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden befragt. Die Studie kann in Deutsch, Englisch oder Französisch heruntergeladen werden.

Andreas von Specht partizipiert an drei Events in Monaco, INSEAD und im Baltikum

Im Juni nahm Andreas von Specht am „EY Global Family Business Summit“ in Monaco teil. Vor rund 400 Gästen aus aller Welt moderierte er eine Podiumsdiskussion zum Thema „Effective leadership: attracting and retaining top talent in family business“. An der Diskussion nahm u.a. James Wates CBE teil, Vorsitzender der in London ansässigen Wates Group und einer der „Entrepreneurs of the Year 2016“. Mit ihm erörterte Andreas von Specht die Bedeutung einer guten Familienverfassung sowie die Herausforderungen in der Rekrutierung externer Talente für Familienunternehmen.

Etwas später im Juni war Andreas von Specht am „Family Enterprise Day“ bei INSEAD in Fontainebleau zu Gast. Dort stellte er das Konzept der „B Corporation“ vor und nahm an einer Diskussionsrunde zum Thema „A Practitioner Perspective on Entrepreneurship & Innovation in the Family Business“ teil.

Im Oktober wurde Andreas von Specht gebeten, bei einer Reihe von „Family Business Roundtables“ im Baltikum (Litauen und Lettland) zu sprechen. In dieser Region befinden sich derzeit viele Familienunternehmen in (oder kurz vor) der Übergabe an die zweite Generation. Vor den Geschäftsführern sprach Andreas von Specht über „The art of managing family businesses“ und über Möglichkeiten, wie man diese wichtige Übergabe besser gestalten kann. Im Anschluss teilte er in einer Diskussionsrunde mit Familienunternehmern sein Wissen über die Steuerung von Familienunternehmen.

Neuigkeiten aus unserer Lateinamerika-Praxis

Am 14. September veranstaltete AvS – International Trusted Advisors zusammen mit der Deutsch-Kolumbianischen Handelskammer sowie mit der Unterstützung des lokalen Büros der Weltbank und einer auf Familienunternehmen spezialisierten Business School den ersten Deutsch-Kolumbianischen Kongress zu Familienunternehmen. Unsere drei lokalen Berater, Ricardo Sala, Nelson Echeverría und Christian Bühring-Uhle, sowie Vertreter unserer Sponsoren, hielten Vorträge und organisierten Podiumsdiskussionen vor 60 Vertretern kolumbianischer Familienunternehmen.

Christian Bühring-Uhle, Leiter unserer Lateinamerika-Praxis, ist im Juli von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz zum „Hamburg Ambassador“ und damit zum ehrenamtlichen Vertreter der Freien und Hansestadt Hamburg in der Anden-Region ernannt worden.

Im September wurde Christian Bühring-Uhle in den Kreis der Mentoren von Endeavor, der führenden globalen Organisation zur Förderung von „High Impact“ Unternehmertum, berufen.

Neue Mitarbeiter in unserem Frankfurter Büro

Im Zuge des Ausbaus unserer deutschen Geschäftstätigkeit freuen wir uns, zwei neue Mitglieder in unserem Frankfurter Büro begrüßen zu dürfen. Seit Ende September ist Karin Wollmann Teil unseres Research-Teams und als Projektkoordinatorin für die Unterstützung und Steuerung unserer verschiedenen nationalen und internationalen Mandate zuständig. Nachdem Karin Wollmann in den vergangenen Jahren als externe Mitarbeiterin sehr erfolgreich für uns tätig war, freuen wir uns nun, Sie als festes Mitglied an Bord zu haben. Mitte Oktober startete zudem Julia Brüssow in ihrer neuen Rolle als Partner-Assistentin und Office Managerin. Als erste Ansprechpartnerin für sämtliche administrativen Belange erreichen Sie Frau Brüssow telefonisch unter +49 (69) 2713975-21.

TTA 01-2016 | DIE BENEFIT CORPORATION

Die “Benefit Corporation”

Kultur der Sinnhaftigkeit als Geschäftsmodell der Zukunft?
von Andreas von Specht und Dr. Christian Bühring-Uhle


Traditionell agieren Unternehmen und Organisationen entweder mit einer klaren Gewinnerzielungsabsicht – oder, als reine „Non-Profit-Organisationen“, eben eindeutig ohne diese Absicht. Die große Mehrheit der Unternehmen haben natürlich „Gewinnerzielung“ als übergeordnetes Unternehmensziel und wollen die erwirtschafteten Profite anschließend an ihre Gesellschafter oder Aktionäre ausschütten. Im Gegensatz dazu haben Non-Profit-Organisationen grundsätzlich die Hauptaufgabe, einem übergeordneten “guten oder sozialen Zweck“ zu dienen – und stellen die Gewinnerzielungsabsicht zumindest hintenan. Selbstverständlich können und dürfen auch Non-Profit-Organisationen Geld verdienen; aber die erwirtschafteten Gewinne fließen dann anschließend grundsätzlich immer wieder in die Organisation zurück und helfen erneut den guten oder sozialen Zweck zu erfüllen – und werden eben nicht ausgeschüttet. Sogenannte „Benefit Corporations“ heben, einfach ausgedrückt, den scheinbaren Gegensatz zwischen „etwas Profitables tun“ und „etwas Gutes tun“ auf. Diese Sozialunternehmen wollen das duale Ziel verfolgen, sowohl Gewinn für ihre Eigentümer zu erzielen als auch gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten. Damit kombinieren sie die Gemeinwohlorientierung und den sozialen Zweck einer Non-Profit-Organisation mit der Gewinnerzielungs- und Verteilungsabsicht herkömmlicher Unternehmen.

Die Idee dieser „Benefit Corporations“ stammt aus den USA und wurde zunächst einmal in zwei unterschiedliche Kategorien aufgeteilt: die rechtlich bindende Form der „Benefit Corporations“, für die bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um sowohl eine Gewinnerzielungsabsicht als auch die Verwirklichung eines sozialen Zwecks verfolgen zu dürfen. Und „Certified B Corporations“, die keiner gesetzlichen Bindung unterliegen, sondern weltweit von der amerikanischen Non-Profit-Organisation „B-Lab“ aufwendig zertifiziert werden. Beide Formen von Unternehmen werden gemeinhin als „B Corps“ bezeichnet.

B Corps sind Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, die sowohl soziale als auch geschäftliche Ziele erreichen wollen. Die sozialen und insbesondere auch umweltorientierten Leistungen dieser Unternehmen müssen regelmäßig durch B-Lab überprüft und zertifiziert werden. B-Lab wurde 2006 mit drei übergeordneten Zielen ins Leben gerufen. Das erste Ziel war eine anerkannte Form der Akkreditierung zu schaffen, sodass jemand von außen auf ein Unternehmen schauen und relativ schnell zu der Einschätzung kommen kann: „Dies ist ein gutes und sauberes Geschäftsmodell.“ Das zweite Ziel bestand in der Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. In sehr vielen Ländern der Welt, inklusive mehrerer Staaten der USA, ist es bis heute gesetzlich gar nicht zulässig, die unternehmerische Leistung sowohl mit Kategorien sozialer Zweckerfüllung als auch mit Profitorientierung zu messen. Wenn der Vorstand eines solchen Unternehmens eine Entscheidung trifft, die nicht im unmittelbaren ökonomischen Interesse der Gesellschafter oder Aktionäre ist, könnte er zumindest theoretisch verklagt werden. Gesetzesänderungen, die die Einbeziehung sozialer und umweltorientierter Ziele in die Unternehmensführung erst ermöglichen, waren entsprechend richtungsweisend. In den letzten Jahren haben beispielsweise 27 US-Bundestaaten Gesetze verabschiedet, die die rechtliche Einordung als „Benefit Corporation“ ermöglicht haben. Das dritte Ziel schließlich war, eine Art Gemeinschaft zu bilden, in der Firmen, die an mehr als nur Profitorientierung Interesse haben, sich zusammenfinden, sich austauschen und voneinander lernen können.

Die Verpflichtungen, die diese B Corps eingehen, sind keineswegs nur vage Versprechungen. Während andere Unternehmen ihre guten und altruistischen Zielsetzungen jederzeit aufgeben können, wenn die Zeiten einmal hart werden, ist das für B Corps nicht möglich. Aktionäre können nun die Vorstände dieser Unternehmen auch dann verklagen, wenn die übergeordneten sozialen Ziele nicht erfüllt werden – und nicht nur, wenn bspw. die Grundsätze ordentlicher Unternehmensführung verletzt wurden.

Warum sollte sich ein Unternehmen freiwillig derart selbst “an die Leine legen”?

Mit der Entwicklung zu einer B Corp erhöht ein Unternehmen einerseits automatisch das Reputationsrisiko (und die damit verbundenen Kosten) einer Abkehr von den dort vereinbarten sozialen und umweltorientierten Zielen. Es zwingt sich quasi selbst, die einmal abgegebenen Versprechen auch wirklich zu erfüllen. Wenn eine Organisation einmal zu einer B Corp geworden ist, ist sie andererseits auch deutlich besser geschützt gegen den Druck und die Einflussnahme von bspw. institutionellen Investoren. Seit den 70er Jahren und ganz besonders in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der „Shareholder Value“-Gedanke zu einem beherrschenden ideologischen Gedanken der Unternehmensführung. Inzwischen hat eine Veränderung eingesetzt.

Viele, wenn nicht die meisten CEOs stehen nach wie vor unter einem immensen Druck, den Shareholder Value zu maximieren. In einer B Corp dagegen sind die (institutionellen) Investoren nur eine Gruppe von Interessensvertretern. In dem heutigen, extrem wettbewerbsintensiven Umfeld könnte man leicht vermuten, dass ein Unternehmen mit altruistischem Gedankengut zum Scheitern verurteilt sein müsste. Für eingefleischte Anhänger der freien Marktwirtschaft dürfte die Vision einer B Corp zunächst sowieso wenig anderes sein als das „Verschleudern von Aktionärsvermögen“ zugunsten von „Wohlfühlprojekten“. Gleichzeitig haben wir in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass Nachhaltigkeit und Sozialbewusstsein in der Unternehmensführung sehr genau von der Öffentlichkeit und den Medien beobachtet werden – und sich die Unternehmen ihrer Verantwortung in diesem Bereich sehr bewusst sind. Unternehmen merken zunehmend, dass ihre Reputation erheblichen Einfluss auf ihre Arbeitgeber-Marke hat – und damit auf die Befähigung, Top Talente zu gewinnen und kritische Verbraucher zu binden. Ein soziales Gewissen zu zeigen, verschafft einer Organisation also entsprechende Vorteile – gerade im Wettbewerb um Talente. Research Daten zeigen, dass diese Talente – vor allem die jüngeren der „Millenium-Generation“ – für Unternehmen mit einem sozialen Gewissen arbeiten wollen. Sie akzeptieren sogar niedrigere Gehälter, wenn sie dafür in einer sinnhaften Kultur der Nachhaltigkeit arbeiten können. Bisher arbeiten diese Talente noch oft für Non-Profit-Organisationen, aber B Corps könnten schon bald eine attraktivere Option werden.

Warum spielt eine Kultur der Sinnhaftigkeit so eine wichtige Rolle?

Schauen Sie sich die Welt an, in der wir leben. Wir werden täglich Zeuge einer industriellen Revolution, die in atemberaubender Geschwindigkeit über uns kommt. Der Zeitraum, in dem ganze Märkte, Industrien und Geschäftsmodelle von Grund auf verändert werden, ist extrem kurz. Parallel dazu verändert sich die politische Landschaft in weiten Teilen der Welt in rasantem Tempo – und erzeugt Unsicherheit und sogar Ängste. Zentrale Bereiche wie Transport, Energie und Kommunikation befinden sich im Auge des industriellen „Veränderungs-Orkans“, der dritten industriellen Revolution. Wenig wird dort anschließend noch so sein, wie wir es in den 70 Jahren davor kannten. Und eine weitreichende Überzeugung nimmt immer mehr zu – inzwischen auch in den USA, China oder Indien – dass wir unseren Planeten sorgsamer behandeln müssen. Bei der Pariser UN-Konferenz zum Klimawandel im letzten November haben sich 196 Länder u.a. darauf verständigt, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius (im Verhältnis zu vorindustriellen Zeiten) und den Anstieg der Treibhausgase in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts netto auf „Null“ zu begrenzen. Ein großer diplomatischer Erfolg, der aber langfristig nicht annähernd ausreichen wird. Es genügt einfach nicht, wenn nur Staatschefs und Minister Protokolle und Abkommen unterzeichnen. Eine gewaltige Herausforderung liegt hier auch vor Unternehmensführern allerorten, um zur „Rettung der Welt“ beizutragen: sie müssen eine Kultur der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit entwickeln!

Sinnhaftigkeit als unternehmerischer Erfolgsfaktor

Die Notwendigkeit, eine sinnhafte und nachhaltige Unternehmenskultur zu schaffen, beruht keineswegs nur auf der Sorge um unsere Umwelt und die Erde. Entsprechende Untersuchungen in den USA zeigen, dass „sinnorientierte“ Mitarbeiter eine um 50% höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich zu Führungskräften in ihrer Organisation zu entwickeln. Sie glauben, dass ihre Arbeit etwas bewirkt und dass sie sich persönlich und professionell weiterentwickeln. 79% solcher Mitarbeiter planen bei ihrem augenblicklichen Arbeitgeber länger als zwei Jahre zu bleiben, in der Vergleichsgruppe sind dies nur 69%. Sinnorientierte Mitarbeiter neigen fast doppelt so häufig dazu, ihren eigenen Arbeitgeber weiterzuempfehlen. Nach diesen Studien sind bisher weniger als 1/3 der US-Arbeitsbevölkerung „sinnorientiert“ – Frauen übrigens deutlich eher als Männer.

Nicht-sinnorientierte Mitarbeiter dagegen tendieren dazu, ihren Arbeitgeber schneller zu wechseln, weniger Nutzen aus ihrer Arbeit zu ziehen und weniger oft tiefe Arbeitsbeziehungen zu entwickeln. Erfüllte Sinnorientierung bei Mitarbeitern führt zu höherer Loyalität, größerem Führungspotential und geringerer Fluktuation. Unternehmen, die es schaffen eine Unternehmenskultur der Sinnhaftigkeit zu entwickeln, können also einen echten Wettbewerbsvorteil im globalen Kampf um die besten Talente erzielen!

Article_2_Benefitting Society_150x150Zum Wohle von Gesellschaft und Gesellschaftern

Ein Interview mit Lorna Davis, Chief Manifesto Catalyst bei Danone
von Andreas von Specht und Nick Harris


AvS: Danone hat eine Vereinbarung mit B Lab getroffen, einer Organisation, die Unternehmen einen „Benefit Corporations“-Status bescheinigt. Was bedeutet das Konzept der „Benefit Corporation“ für Danone als globales Konsumgüterunternehmen?

Lorna Davis: Es geht darum, einen glaubwürdigen Mechanismus für die Umwandlung eines globalen Unternehmens zu finden, der eine Symbiose zwischen Sinnhaftigkeit und Gewinn ermöglicht. Der B Corporation Status wäre – stark vereinfacht ausgedrückt – so etwas wie das „Fair Trade of Business“. Oder anders gesagt: Jemand schaut sich ein Unternehmen von außen an und kann schnell erkennen, dass es sich um ein „gutes Unternehmen“ handelt. Dieses muss extern motiviert und auch bescheinigt sein, und dabei sowohl einen gesellschaftsrechtlichen, wie auch einen der Allgemeinheit dienenden Zweck aufweisen.

AvS: Wieso ist das so wichtig?

Lorna Davis: Als die gemeinnützige Organisation B Lab die Idee 2006 ins Rollen brachte, tat sie dies aus einer „Versuch-die-Welt-zu-verändern“-Perspektive. Und die 220 Fragen im „B-Impact“-Fragebogen, auf Basis dessen man akkreditiert wird, sind eher auf kleinere Unternehmen ausgerichtet. So bekommt man zum Beispiel sehr viele Punkte, wenn der Einkauf ausschließlich lokal erfolgt. Große Unternehmen haben den Einkauf jedoch global organisiert, was ja auch eine Vielzahl möglicher Vorteile mit sich bringt. Nehmen wir bspw. einmal die Wassermarke „Evian“: Die CO²-Bilanz einer Flasche Wasser, die per Zug und Schiff von Evian nach Shanghai gebracht wird, ist niedriger als die CO²-Bilanz der Flasche, die mit einem LKW nach Brüssel transportiert wird. Wir glauben also nicht, dass „global vs. lokal“ die einzige Fragestellung sein darf. Uns ist klar geworden, dass das B-Corporation-Konzept einerseits sehr interessant ist. Aber um daraus eine echte ‚Bewegung‘ entstehen zu lassen, erfordert es auch die Involvierung großer Unternehmen. Und am Ende werden die Konsumenten dann vermutlich sagen: „Ich möchte nur von Unternehmen kaufen, die nicht nur Geld verdienen, sondern auch Gutes tun.“

AvS: Ist das für Danone nicht die Fortsetzung einer langen Reise?

Lorna Davis: In der Tat, ja. Wir waren auf eine bestimmte Art und Weise schon immer sinnorientiert. 1917, als Daniel Carasso das Unternehmen gründete, wurde Jogurt als gut für den Magen erachtet und in Apotheken verkauft. Dann übernahm Antoine Riboud, der 1972 öffentlich sagte, die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens ende nicht am Firmentor und das sogenannte „Duale Projekt“ als Leitmotiv einführte. Frank Riboud ging in den 90er Jahren nochmals einen Schritt weiter mit der Schaffung der Mission „Gesundheit via Nahrung zu so vielen Menschen wie möglich bringen“. Das Unternehmen verkaufte dann auch konsequent Geschäftsbereiche, die mit dieser Mission nicht in Einklang waren und kaufte gesündere Produkte hinzu, wie bspw. Numico Babynahrung. In den frühen 2000ern begannen wir in der Firma mit dem sogenannten „Danone Way“: ein Trainings-, Akkreditierungs- und Auditierungssystem in der Gruppe um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter weltweit ihre Arbeit auf ethische Weise verrichten. 2006 führten wir „Danone Communities“ ein und entwickelten eine Partnerschaft mit Muhammad Yunus in Bangladesch, um neun Sozialunternehmen zu gründen, die die Welt verändern sollten, jedes in seiner eigenen kleinen Art und Weise. Ihr einziger Zweck liegt in der Schaffung von sozialem Wandel, nicht im Geldverdienen. Später, im Jahre 2009, gründeten wir einen „Ecosystem“-Fonds, welcher 100 Millionen US-Dollar von den Gesellschaftern erhielt. Und wir ermunterten alle unsere Mitarbeiter, wirklich bedeutungsvolle Projekte mit Blick auf ihre Umwelt bzw. ihr lokales Umfeld zu schaffen.

AvS: Wenn Sie in die Zukunft und auf diese Art der Transformation des Kerngeschäfts von Danone blicken – wie teuer und schwierig wird das werden, und wie lange könnte es dauern?

Lorna Davis: Die Antwort auf die Frage ist: Ich weiß es nicht. Die Frage impliziert, dass es sich um ein Entweder-Oder-Spiel handelt, was es auch tatsächlich in der Vergangenheit war.

AvS: Ist es heute immer noch ein Entweder-Oder-Spiel – oder kann man beides tun?

Lorna Davis: Letztendlich denken wir, dass es keinen Zielkonflikt gibt. Aber es ist eine Frage der Zeit bis zur Umsetzung. Wie funktioniert das in einer Woche, einem Vierteljahr, einem Monat, einem Jahr, einem Zyklus? Man braucht dazu Reife, ein Verständnis von Nuancen und ein Gefühl für die Bereiche, in denen wir glauben, dass eine magische Kombination tatsächlich gelingen kann. In Rumänien zum Beispiel hat sich unser Landesgeschäftsführer mit einer lokalen NGO und dem Roten Kreuz zusammengetan, um natürliche Geburten und Stillen zu fördern. Der rumänische Gründer der NGO hat von unseren Führungskräften viel lernen können, bspw. wie man Dinge richtig und effizient anpackt. Und unser Geschäftsführer lernte, wie man in einer lokalen Gemeinschaft tatsächlich etwas bewegen kann. Es gibt viele Menschen in Dörfern und Gemeinden die versuchen, Gutes zu tun. Und dann gibt es Menschen in Unternehmen, die wirklich gut darin sind, erstklassige Ergebnisse zu erzielen. Und wenn man jetzt den Wunsch nimmt, Gutes zu tun, und das mit der Fähigkeit, Dinge anzupacken verknüpft, bekommt man diese magische Kombination. Vor 15 oder 20 Jahren hätten die Menschen nur darüber geredet, es letztlich aber nicht hingekriegt. Aber da die Probleme der Welt immer größer und größer werden und die Menschen zunehmend realisieren, dass das System nicht nachhaltig ist und es einen besseren Weg gibt, sagen sie sich: „Ich stecke mein Geld nur in etwas, woran ich wirklich glaube.“

AvS: Findet das vor allem bei jungem Publikum Anklang, oder ist das gar nicht so eindeutig?

Lorna Davis: Gute Frage! Es ist kompliziert. Für junge Menschen ist das in gewissem Sinne nichts Neues. Für sie ist die Welt nun mal so. Aber was mir auffällt ist, dass wir alle ein bisschen kompliziert sind. Bei Menschen gibt es diese interessante interne Dynamik rund um ihr Verlangen nach Geld, Macht und Erfolg. Insbesondere Menschen mit jungen Familien, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Die haben so eine Art innere Spannung zwischen einerseits dem Wunsch, etwas zu bewegen, und andererseits dem Hinaufklettern der Karriereleiter – ungeachtet dessen, ob diese Leiter auch an der richtigen Wand lehnt. Wir haben noch kein richtiges Muster identifizieren können, außer dass es eine ganze Reihe jüngere Menschen gibt, die eindeutig mitmachen wollen. Es gibt einige Leute, die zum Beispiel in Ecosystems oder Danone Communities arbeiten, die klar dabei sind und auch bereit sind, zusätzliche materielle Ambitionen hintenanzustellen. Und dann wird es komplexer.

AvS: Auf was für Widerstände treffen Sie und wie gehen Sie damit um?

Lorna Davis: Ich mag den Ansatz, dass es im Leben eigentlich nur zwei Realitäten gibt: Liebe oder Angst. Wenn also jemand mit dir in einer Weise umgeht, die sicher keine Liebe ist, muss es – definitionsgemäß – ja eigentlich Angst sein. Die Frage wäre dann: Wovor haben sie Angst? Widerstand ist also nur Angst. Und irgendwie ist es ja verständlich: Wir sind alle ängstlich, sonst wären wir nicht wach! Das Leben kann ganz schön beängstigend sein. Deshalb ist Mitgefühl auch sehr wichtig. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der grundsätzlich immer böse war. Menschen sind nur ängstlich. Mitgefühl ist daher wichtig, um den anfänglichen Widerstand zu überwinden. Auch Glaubwürdigkeit ist wichtig: wenn man nicht weiß, worüber man redet, warum sollte einem dann jemand zuhören? Und dann bedarf es auch Logik. Wenn man denkt, dass die Gründe von jemandem keinen Sinn machen, egal wie viel Mitgefühl er zeigt oder wie viel strukturelle Macht er hat, werden die Menschen nicht zuhören. Man braucht also eine Kombination aus Mitgefühl, Glaubwürdigkeit und Logik. Aber der wichtigste Teil, in beängstigenden Zeiten wie diesen, ist Mitgefühl, denn Menschen haben nun mal Angst.

AvS: Wenn Sie an diese großen Herausforderungen denken, was lässt Sie nachts nicht schlafen?

Lorna Davis: Es ist die Balance zwischen disruptiver Veränderung und Stabilität. Große Unternehmen sind üblicherweise um den Herstellungsprozess herum strukturiert. Sie sind darauf ausgelegt Aktivitäten zu organisieren, zu disziplinieren, Aufgaben in einer Prozesskette zu verteilen. Was wir nun tatsächlich versuchen ist, uns von einem „mechanischen“ zu einem „organischen“ System zu verändern, in dem wir intuitiver agieren und nach außen hin durchlässiger sind, enger verbunden mit NGOs, Regierungen und lokalen Gemeinschaften. Wenn man sich von einem System zum anderen entwickelt, muss man das erste System genug „stören“, damit die Menschen verstehen, dass die alten Regeln nicht mehr gelten. Gleichzeitig muss aber der alte Mechanismus auch mit einem anderen System ersetzt werden. Eines, das flüssiger, natürlicher und organischer ist. Dies alles in Echtzeit zu tun ist nicht einfach.

AvS: Werden die Beschäftigten aktiv mit einbezogen?

Lorna Davis: Als wir das Danone B Corp Manifest eingeführt haben, haben wir die Mitarbeiter gefragt: „Wenn wir dieses Manifest leben würden, wie würde das aussehen?“ Und wir haben einen Preis für die 21 besten Ideen ausgerufen. Unglaubliche Ideen wurden eingereicht, hauptsächlich von jüngeren Mitarbeitern. Kürzlich erreichte uns eine Idee, ein „Manifestival“ zu veranstalten: ein Open-Air-Festival mit einer Kombination von Musik, Botschaften inspirierender, junger „Weltveränderer“ und der Präsentation von sozial wertvollen Projekten. Die Idee ist brillant! Aber es stellt sich natürlich die Frage, wie man sie in die Realität umzusetzen kann. Wir müssen Ressourcen aus einem Teilbereich der Organisation herauslösen, Geld auftreiben und ein Team zusammenstellen. Und das ist nur ein Beispiel. Es gibt hunderte solcher Ideen und jede einzelne bietet die Möglichkeit, eine neue Art der Kommunikation zu erlernen oder eine Leidenschaft zu leben.

AvS: Wie priorisieren Sie die vielen Ideen – haben Sie eine Matrix oder gehen Sie intuitiv vor?

Lorna Davis: Es ist eine Kombination aus beidem. Zunächst nutzen wir eine Art „Crowdsourcing-Technik“, d.h. wenn viele Menschen denken, dass eine Idee gut ist, dann ist sie es wahrscheinlich auch. Zum Beispiel ist eine der eindrucksvollsten Ideen, jeden „Danoner“ zum Botschafter seiner jeweiligen Division in der Firma zu machen. Es könnte bspw. sein, dass es einen Mitarbeiter in der Wassersparte gibt, dessen Schwester schwanger ist – der aber nichts über Babies weiß, obwohl Danone ja auch eine große Babynahrungssparte hat. Es stellt sich also die Frage, wie die Beschäftigten auf das global verfügbare Wissen zugreifen können? Wie bekommen wir jeden einzelnen der 104.000 Danoner in eine Position, zu wissen, was man über den Rest der Firma wissen muss; um dann in der Lage sein, auf Expertise und Ressourcen zuzugreifen, um dieses Wissen auch außerhalb der Gruppe nutzbar zu machen? Es ist eine große Idee und sie ist kompliziert, aber der potentielle Mehrwert ist enorm. Wir verfolgen diese Ideen, weil sie eine große Hebelwirkung haben. Es ist wie eine Matrix: Größe des Mehrwerts / Grad der Schwierigkeit. Es gibt natürlich ein paar Ideen, die groß und schwierig sind. Aber gleichzeitig gibt es Ideen in kleinerem Format, die aber trotzdem wichtig sind, welche ich daher auf lokaler Ebene fördere. Ein junger Mitarbeiter kam mit der fantastischen Idee eines recycelten Containers zu mir, der Solarenergie nutzt um Wasser zu reinigen, zum Beispiel in Afrika. Seine Idee wird nun direkt von seinem Chef finanziert. Er arbeitet derzeit an Prototypen, sodass wir es dann später hoffentlich auch größer ausrollen können.

AvS: Wenn ein Geschäftsführer mit einer brillanten und kommerziell rentablen Geschäftsidee zu Ihnen käme, diese aber nicht den ethischen Vorstellung, die sich die Firma auferlegt hat, entspräche, was würde dann passieren?

Lorna Davis: Das ist eine sehr gute Frage – und gleichzeitig auch einer der Gründe, wieso wir uns so für die externe Welt interessieren. Wir sind kein sehr autoritäres Unternehmen und bemühen uns vor allem, das interne Bewusstsein unserer Mitarbeiter zu schärfen. Aber wenn jemand eine Verpflichtung mit der Welt dort draußen eingeht, sollte man sehr gut darüber nachdenken, bevor man diese womöglich bricht. Ich glaube, dass die externen Verbindungen mit B Corp einen Kreis schließen. Wenn man Teil einer Gemeinschaft ist, die in der Welt etwas bewegen möchte, und man beschlossen und verkündet hat, dass man etwas für das Gemeinwohl tun möchte, dann wird man sich gut überlegen, ob man dieses Versprechen bricht oder nicht. Angenommen, man wechselt zu einem Hersteller ethisch unbedenklicher Verpackungen. Aber die Kosten für diese Verpackung steigen deutlich und man könnte eigentlich problemlos zur ethisch bedenklichen Verpackung, die deutlich billiger ist, zurückgehen – womöglich ohne dass es jemand merkt. Wenn man Teil der Gemeinschaft ist, wird man über diese Fragen anders denken.

Lorna Davis, vielen Dank für diese Einblicke!

Talente suchen Sinnhaftigkeit

Eine Kultur der Sinnhaftigkeit fördert die Gewinnung von Talenten
von Nick Harris und Felix B. Waldeier


Kompetenzbasierte Beurteilungen und Entwicklungspläne gibt es bereits seit Jahrzehnten. Gerade die besten Unternehmen der Welt haben die Bewertung individueller Kompetenzen mit der Zeit immer weiter entwickelt und zentrale Kompetenzfelder wie Ergebnisorientierung, Strategisches Vermögen und Führungsverhalten sind dabei lange Zeit weitestgehend unverändert geblieben.

In der ziemlich unruhigen Zeit seit der Finanzkrise 2008 wurde der sogenannte „War for Talent“ nicht etwa beendet, sondern ist allenfalls nuancierter, stärker einzelfallbezogen und insgesamt eher noch schwieriger geworden. Das Aufspüren von Führungspersönlichkeiten, die in der Vergangenheit eine ausgeprägte Ergebnisorientierung bewiesen haben, reicht heute nicht mehr. Unternehmen müssen jetzt gleichzeitig die zukünftige Leistung von Führungskräften einschätzen und dann jene identifizieren, die das Potenzial und den Charakter aufweisen, um auch in unsicheren, hart umkämpften und sich permanent verändernden Umfeldern zu bestehen. In Zeiten von ständigem Wandel, erhöhter Unsicherheit und steigender Komplexität brauchen Unternehmen mehr als nur solide Leistungsträger. In den Schaltstellen des Managements werden inzwischen Führungspersönlichkeiten gebraucht, die Fähigkeiten wie Belastbarkeit, Anpassungsfähigkeit, intellektuelle Neugier und kreatives „Um-die-Ecke-Denken“ mitbringen. Gerade auch, um damit selbst weitere Talente anzuziehen, die ihrerseits zunehmend anspruchsvoller und wählerischer werden.

Und als wenn das nicht schon herausfordernd genug wäre, stehen Unternehmen und Führungskräfte nun vor einer weiteren, neuen Dimension: Erfolgreich zu sein, reicht nicht mehr – es geht auch darum, Gutes zu tun!

Magnete für Talente

Mitarbeiter und Konsumenten auf der ganzen Welt sagen immer deutlicher, dass sie nicht mit Unternehmen in Verbindung gebracht werden wollen, „die sich nicht um unseren Planeten scheren“. Insbesondere die sogenannten „Millennials” stimmen so immer häufiger „mit ihren Füßen ab“ und wollen nicht dauerhaft für Unternehmen arbeiten, die die Umwelt vernachlässigen oder kein soziales Gewissen zeigen. Sie suchen nach einer Unternehmenskultur, die auch Sinnhaftigkeit einschließt.

Großunternehmen verfügen bereits aufgrund ihrer Größe über potentielle Skalierungs-, Ressourcen- und Kompetenzvorteile. Wenn solche Organisationen nun einen ohnehin existierenden, strukturellen Vorteil verbinden können mit einer neuen Dimension der Sinnhaftigkeit, könnten sie zukünftig gleich auf zweifache Weise zu den Gewinnern zählen. Einmal, weil sie als Anbieter von Waren oder Dienstleistungen attraktiver für Verbraucher werden. Und zum Zweiten, weil sie sich regelrecht zu einem Magneten für solche Mitarbeiter entwickeln könnten, die in einer erfolgsgeprägten und zugleich inspirierenden Kultur arbeiten wollen. Danone könnte zu einem solchen Beispiel werden; dort gibt es traditionell schon lange den Vorsatz “Durch die Herstellung von gesunder Nahrung Gutes tun“. Und jetzt wird es eines der ersten europäischen Großunternehmen, welches seine Organisation in Richtung einer „Benefit Corporation“ weiterentwickelt. Bereits heute erkennt man dort eine positiv abstrahlende Wirkung auf das Thema Talent-Gewinnung!

Der Karrierespagat: Erfolgreich sein und Gutes tun

Gerade für junge Leute ist das Vorhaben, als Konsument oder Mitarbeiter Gutes tun zu wollen nicht wirklich neu. Aber in der gelebten Wirklichkeit wird es manchmal eben doch kompliziert. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen manchmal schwierige, innere Konflikte mit sich austragen bei ihrem – auch vorhandenen – Streben nach Karriere, Geld, Macht und Erfolg. Gerade junge Führungskräfte am Anfang ihrer Karriere kommen dann auch schon einmal in einen Zielkonflikt zwischen Karriereleiter und dem Bestreben, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.

Neugier ist Trumpf

Wer heute eine größere Vorstandsfunktion anstrebt, muss inzwischen internationale Erfahrung (möglichst in mehreren Regionen der Welt) vorweisen. Westliche Unternehmensführer, die einmal eine gewisse Zeit in Märkten wie bspw. China gelebt und gearbeitet haben, berichten danach oft von einer – teilweise fundamentalen – Veränderung ihrer eigenen Perspektive. Die gelernten, vorhersehbaren Lösungsansätze, die sie aus den entwickelten Märkten so gut kannten, funktionieren hier meistens nicht. Die Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit dieser Entwicklungsmärkte ist ungleich höher – und verlässliche Daten und Untersuchungen gibt es i.d.R. nicht. Neugier wird plötzlich zu einem notwendigen Begleiter und die Fähigkeit, „beim Machen zu lernen“, ist überlebenswichtig. Ehrgeiziger Führungsnachwuchs, der sich eine Karriere als quasi vorgezeichnete, gleichmäßige Weiterentwicklung aufgrund von bisher gezeigtem Potenzial, Wissen und Erfahrung vorstellt, wird plötzlich womöglich etwas weniger Spaß beim Entwickeln eines internationalen Geschäfts außerhalb Europas empfinden. Hier ist nämlich plötzlich ein ganz anderes „skill set“ gefragt, um ungeahnte Klippen zu umschiffen und dem ständigen Wandel zu begegnen.

Veränderung gestalten

Um eine große Organisation zu einer tiefgreifenden, inhaltlichen Veränderung wie einer unternehmenskulturellen Neuausrichtung zu bringen, reicht eine “Ansage von oben” nicht aus. Es braucht dazu sowohl den richtigen Dirigenten, der einen solchen Prozess motivierend orchestriert, als auch eine möglichst enthusiastische Unterstützung aus der Organisation heraus. Insbesondere jüngere Mitarbeiter wollen das Gefühl haben, dass ihre Stimme gehört wird, sie wirklich beitragen können – und ihr Beitrag zum Veränderungsprozess auch als wertstiftend wahrgenommen wird. Und Unternehmen müssen darauf achten, dass das Zusammenspiel und der Austausch zwischen interner Organisation und der externen Welt offener und fließender wird – und die Verzahnung zunimmt.

Welche Kompetenzen werden also benötigt, um zu einem erfolgreichen „Veränderer“ zu werden? Erfolgreiche, global agierende Unternehmen suchen verstärkt nach Führungskräften, die sich ähnlich wie erfolgreiche westliche Führungskräfte in China oder Indien aufstellen: zum einen mit der Eigenschaft, extrem neugierig und mit einem großem Blickwinkel an Themen heranzugehen. Zweitens mit der Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten und beim Navigieren durch unbekannte Gewässer Kurs und Nerven zu behalten. Die dritte, möglicherweise entscheidende Kompetenz besteht darin, Ideen und Pläne konsequent umzusetzen – und dabei aufmerksam das Getane zu registrieren und zu einer Art Lernerlebnis werden zu lassen. Etwas bewegen, den Erfolg und den Weg dorthin bewerten – und es dann als Erfahrung anderen vermitteln können. Die Befähigung, dies alles parallel im Auge zu behalten, ist erfolgskritisch. Und schließlich noch die Kompetenz der Einflussnahme. Um andere Menschen zu überzeugen und als Botschafter von Veränderungen zu agieren, braucht es eine Kombination von Fähigkeiten: Empathie, Glaubwürdigkeit und Logik. Sie können nicht einfach mal so eben in einem Land auftauchen und sagen: „Ich komme von der Zentrale und jetzt wird Ihnen geholfen.”

Kompetenzen werden erfolgskritisch

Unabhängig davon, wie Firmen ihre Mitarbeiter heute einordnen und bewerten, die traditionellen Karrierestrukturen werden sich in absehbarer Zeit deutlich verändern. Auch wenn einige der großen, global führenden Unternehmen die Karrieremodelle und Strukturen nicht gleich komplett auf den Kopf stellen: sie haben bereits damit begonnen, sehr viel mehr Wert auf kritische Kompetenzen wie bspw. Lernfähigkeit zu legen. Die Erwartungen an das (Vorbild-) Verhalten von Führungskräften werden hochgeschraubt; Karrierehindernisse werden offener und Hinderungsgründe im eigenen Verhalten (wie z.B. „Mauern“ oder „Aussitzen“) vor allem auch viel früher aufgezeigt.

Die am besten eingeschätzten und am meisten gesuchten Führungskräfte sind zukünftig solche, die nicht nur im Unternehmen exzellente Ergebnisse erzielen, sondern die gleichzeitig auch externe Beziehungen aufbauen und nutzbar machen können – und damit echten Zusatznutzen und Sinnhaftigkeit für Mitarbeiter, Kunden und die Außenwelt erzeugen.

Und die erfolgreichsten und zukünftig beliebtesten Arbeitgeber werden Firmen sein, die ihre Mitarbeiter nicht nötigen, sich zwischen „erfolgreich sein” und „Gutes tun“ als unvereinbare Alternative zu entscheiden.

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Präsentation der Studie von EY & AvS zu „Fremdmanager in Familienunternehmen“

Seit 2014 haben wir in Kooperation mit EY und unter wissenschaftlicher Begleitung durch die ESCP Europe in Berlin eine internationale Studie zum Thema „Fremdmanager in Familienunternehmen“ durchgeführt. Eigentümerfamilien und externe Manager bilden heute in vielen Familienunternehmen ein starkes Gespann. Doch was macht einige dieser Teams erfolgreicher als andere? Was macht ein Familienunternehmen für sehr gute Manager überhaupt erst interessant? Und wo liegen die entscheidenden Knackpunkte, die ein harmonisches und langfristiges Miteinander für beide Seiten ermöglichen? Antworten auf diese Fragen so wie viele interessante Eindrücke haben wir von großen Familienunternehmen erhalten. Erste Ergebnisse wurden vor wenigen Tagen auf der von EY veranstalteten Konferenz „EY World Entrepreneur Of The Year 2016“ in Monaco vorgestellt. Im Rahmen dieser Konferenz hat Andreas von Specht als Teil des „EY Global Family Business Summit“ eine Diskussionsrunde zum Thema „Effective leadership: attracting and retaining top talent in family business“ vor mehreren Hundert Familienunternehmern aus der ganzen Welt moderiert. In den kommenden Monaten sollen die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse der Studie bei unterschiedlichen Veranstaltungen mit Familienunternehmern in Europa präsentiert werden.

Neues Büro in Genf

Unser Anfang 2015 eröffnetes Büro in Genf ist vor einigen Wochen umgezogen. Ab sofort finden Sie uns in zentraler Lage, fußläufig vom Bahnhof erreichbar in der Rue du Mont-Blanc 19. Als wichtiger Dreh- und Angelpunkt, an dem nicht nur die europäischen Zentralen verschiedener Konsumgüterunternehmen, sondern auch besonders viele Familienunternehmen und Family Offices ihren Sitz haben, ist Genf für die weltweite Begleitung unserer Klienten von strategischer Bedeutung.

Lateinamerika-Praxis wächst

Nachdem vergangenes Jahr mit Ricardo Sala und Nelson Echeverría ein kolumbianischer und ein chilenischer Partner zu AvS – International Trusted Advisors in Bogotá dazu gestoßen sind, sind wir, neben Projekten in Kolumbien, Mexiko und Peru, nun auch in Ecuador tätig. Wir begleiten bspw. die Inhaberfamilien eines der führenden Industrieunternehmen sowie einer der größten agro-industriellen Gruppen des Landes in der Ausarbeitung von Inhaberstrategien, Nachfolgen und Governance-Strukturen. Auch sind wir länderübergreifend tätig, so zum Beispiel in der Erarbeitung eines regionalen Expansionskonzeptes (Strategie und Organisationsstruktur) in der Andenregion für einen global tätigen Agrar-/Rohstoffkonzern.

Neue Website und E-Mail-Adressen

Vor wenigen Tagen ist unsere neue Website „live“ gegangen. Unter unserer neuen Domain www.avs-advisors.com finden Sie unsere gänzlich überarbeitete Internetpräsenz, die Ihnen einen Überblick über unseren Beratungsansatz, unsere Beratungsleistungen sowie unser Team, unsere Standorte und Kooperationspartner gibt. Im Zuge des Domain-Wechsels haben sich auch unsere E-Mail-Adressen geändert. Die Kontaktdaten zu den einzelnen Büros können Sie der neuen Website entnehmen. Auch wenn Nachrichten an die bisherigen E-Mail-Adressen direkt weitergeleitet werden, möchten wir Sie um eine Aktualisierung der Kontaktdaten in Ihrem E-Mail-Programm bitten.

Englische Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR

Aufgrund der kontinuierlich wachsenden Zahl an internationalen Klienten und Beratungsmandaten und der entsprechende Nachfrage freuen wir uns Ihnen den THE TRUSTED ADVISOR ab dieser Ausgabe auch in englischer Sprache anbieten zu können. Sollten Sie unsere Publikation lieber auf Englisch erhalten wollen, so schreiben Sie uns gerne eine kurze Nachricht. Informieren Sie gerne auch diejenigen Kontakte in Ihrem englischsprachigen Netzwerk, für die unsere Publikation von Interesse sein könnte.

TTA 02-2015 | DER PROFESSIONELLE EIGENTÜMER

003-1-cbuRollentrennung als Schlüssel zum Erfolg

Empfehlungen für Familienunternehmen in der 2. und 3. Generation
von Dr. Christian Bühring-Uhle


Um auf ein erfolgreiches Unternehmerleben zurückblicken zu können, sollte man nicht nur ein leistungsfähiges und wertvolles Unternehmen aufgebaut haben, sondern man sollte auch durch eine tragfähige Nachfolgelösung die Grundlage für eine nachhaltige weitere Entwicklung geschaffen haben – große Werke überdauern ihre Schöpfer. Mehr als drei Viertel der deutschen Unternehmen sind in Familienhand. Aber nur in etwa einem Viertel der Fälle gelingt der Übergang in die dritte Generation. Nicht immer stehen Kinder oder Enkel, oder auch Nichten und Neffen im „richtigen“ Alter zur Verfügung, die den Willen – und die Fähigkeit im Sinne von Ausbildung, Erfahrung und Persönlichkeit – haben, ein Unternehmen zu führen. Und nicht immer stimmt die Einstellung: Sehen sie die potenziellen Nachfolger als „Diener“ des Unternehmens, seiner Inhaber, seiner Mitarbeiter und der Gemeinschaft, in der es angesiedelt ist? Oder empfinden sie sich als „Gutsherren“, mit dem angeborenen Recht Chef zu sein, ohne lästige Rechenschaftspflichten?Wenn eine Unternehmung in die nächste Generation übertragen wird, entfällt häufig die Deckungsgleichheit von Inhaber und Geschäftsführer, die typischerweise prägend ist für das Gründungsunternehmen. In der zweiten Generation gibt es häufig Gesellschafter, die nicht im Unternehmen arbeiten, und häufig trifft man auch Familienmitglieder an, die zwar im Unternehmen arbeiten, die aber (noch) nicht zum Gesellschafterkreis gehören. Aber auch wenn alle Inhaber Geschäftsführer sind, und alle Geschäftsführer Anteile am Unternehmen halten, so arbeiten diese doch nicht einfach nur „für sich selbst“, sondern sie arbeiten, meistens sogar überwiegend, „für andere“, sind insofern als „Diener“ zu verstehen und schulden den übrigen Gesellschaftern Rechenschaft. Hieraus erwachsen Spannungen, die, wenn sie nicht adäquat beherrscht werden, ein Unternehmen zugrunde richten können. Ungefähr 70% der erfolgreichen Unternehmerfamilien verlieren zwischen der ersten und der dritten Generation die Kontrolle über das unternehmerische Vermögen – und die Harmonie in der Familie. In 60% der Fälle ist dies auf interpersonale Konflikte (Störungen in Vertrauen und Kommunikation) zurück zu führen.

Die wichtigsten “neuralgischen Punkte” sind:

  • Wie schafft man angemessene, wirkungsvolle Überwachungsmechanismen für Geschäftsführer, die (Mit-) Inhaber sind?
  • Wie stellt man sicher, dass die Geschäftsführung in Grundsatzfragen die Entscheidungen erwirken kann, die von einem kompetenten Inhaber erwartet werden müssen (rechtzeitige, fundierte Entscheidungen)?
  • Wie erreicht man es, dass die im Unternehmen tätigen Familienmitglieder ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt, entwickelt, geführt und vergütet werden?
  • Wie werden die Interessen der nicht im Unternehmen tätigen Gesellschafter gewahrt?
  • Wie kann das in vielen Hierarchien anzutreffende Phänomen vermieden werden, dass Führungskräfte im Laufe der Zeit an eine Stelle befördert werden, in der sie überfordert sind? Hierfür sind Familienunternehmen besonders anfällig, da oft besondere Rücksichten genommen werden, wenn Mitarbeiter „zur Familie“ gehören oder „der Familie“ über lange Jahre loyal gedient haben.
  • Wie können erstklassige Talente gewonnen, ausgewählt, integriert und im Unternehmen gehalten werden – unabhängig davon, ob es sich um Externe oder auch Familienmitglieder handelt?

Der Schlüssel zur Lösung aller diesen Fragen ist eine saubere Trennung der Rollen von Eigentümer und Geschäftsführung. Das Ziel muss sein, beide Rollen professionell und wirkungsvoll auszufüllen, um sowohl das Unternehmen in seinem Bestand zu sichern und auszubauen, als auch um den Frieden in der Inhaberfamilie zu wahren. Dies erfordert allerdings typischerweise bei den handelnden Personen einen Paradigmenwechsel. Insbesondere die zweite Generation, die in eine Unternehmerfamilie hineingeboren wurde, in der typischerweise der Inhaber, oder oft auch ein Inhaber-Ehepaar, das eigene Unternehmen geführt hat und schalten und walten konnte, wie es ihm (oder ihr, oder ihnen) beliebte, muss verstehen und verinnerlichen, dass „das Spiel“ in der nachfolgenden Generationen ein anderes ist. Diejenigen, die in der Führung des Unternehmens aktiv sind, müssen begreifen, dass sie in erster Linie dem Unternehmen und seinen Inhabern in ihrer Gesamtheit dienen. Das heißt, sie müssen transparent agieren, sich Fragen gefallen lassen und Rechenschaft ablegen. Das ist mit einer „Gutsherrenmentalität“ nicht in Einklang zu bringen. Und für die Gesellschafter bedeutet dies, ganz gleich ob sie an der Unternehmensführung beteiligt sind oder nicht, dass sie den Mut aufbringen und sich die Kompetenz aneignen müssen, um den Bruder, Onkel, Vetter, Neffen (oder Schwester, Tante etc.) zu überwachen und Transparenz und Rechenschaft einzufordern. Hierbei handelt es sich nicht nur um die Ausübung eines Rechts als Mit-Inhaber, sondern auch um eine Pflicht, dem eigenen Vermögen und dem der eigenen Familie gegenüber, aber auch gegenüber dem Familienmitglied, das eine oft schwierige und belastende Aufgabe und Verantwortung übernommen hat und ein Recht (und typischerweise auch den Bedarf) hat, Feedback zu erhalten und sich weiter entwickeln zu können.

Diese Aufgabe des professionellen Inhabers ist nicht einfach, aber sie ist unausweichlich. Und ab einer bestimmten Größenordnung von Unternehmen ist diese Aufgabe oft ohne die Hilfe kompetenter Dritter, typischer Weise in Form eines Aufsichts- oder Beratungsorgans, nicht angemessen zu bewerkstelligen. Bei Aktiengesellschaftern gibt es dafür den Aufsichtsrat, wobei es zusätzlich oft noch einen Gesellschafterrat oder Familienrat gibt, insbesondere wenn der Aktionärskreis durch eine Familie geprägt wird und der Aufsichtsrat mitbestimmt ist. In der weit überwiegenden Zahl von Familiengesellschaften fällt aber diese Rolle dem Beirat zu.

Ein solches Gremium kann der Schlüssel zur kompetenten Wahrnehmung der Inhaberrolle und damit zur sauberen Trennung der Rollen von Inhaber und Geschäftsführung sein – wenn dieses Gremium das richtige Mandat, die richtige Besetzung und die richtige Einstellung hat. Zum Mandat gehört entweder die Übertragung von Gesellschafterrechten, also die Kompetenz grundlegende Entscheidungen zu treffen, oder zumindest die Verpflichtung, dass der Beirat (oder ein vergleichbares Gremium) zu wichtigen Fragen angehört und zu einer Stellungnahme aufgefordert wird. Die Besetzung ist von überragender Bedeutung. Sowohl die Inhaberfamilien mit ihren Werten und strategischen Zielen sollte dort angemessen vertreten sein, als auch Externe, die sowohl unternehmerischen Sachverstand, relevante Branchenkenntnis und Erfahrung in der Führung von Unternehmen mitbringen, als auch eine hinreichende Distanz zu den handelnden Personen aufweisen. Auch die Einstellung ist von großer Bedeutung: neben strikter Objektivität und Unparteilichkeit, gekoppelt mit einer vollständigen mentalen und materiellen Unabhängigkeit, müssen Beiräte, um gute Sparring Partner sein zu können, auch den Mut haben unbequeme Fragen zu stellen und unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Auch müssen sie die Hartnäckigkeit aufweisen, sich nicht mit ausweichenden Antworten oder Mittelmaß zufrieden zu geben. Eine besondere Rolle kommt naturgemäß dem (oder der) Beiratsvorsitzenden zu, der (oder die) dem Ganzen Orientierung gibt, im Interesse der Inhaber „die Führung führt“ und eine wichtige Brückenfunktion innehat – zwischen Eigentümern und Management, aber manchmal auch innerhalb der beiden Kreise, also zwischen Gesellschaftern und zwischen Mitgliedern des Managements.

Es ist nicht leicht den angesprochenen Paradigmenwechsel herbeizuführen und eine belastbare Struktur für die kompetente Wahrnehmung der Inhaberrolle aufzubauen – und zu besetzen. Oft wird dies ohne kompetente und vertrauenswürdige externe Unterstützung nicht möglich sein. Aber der Aufwand lohnt sich, denn nur mit einer guten Nachfolgelösung kann das erfolgreiche Unternehmerwirken vollendet werden.

businessman choosing right partner from many candidatesIn or Out?

Perspectives on internal and external CEO appointments
by Nick Harris


Appointing a new CEO is likely to be the single most important people decision that most Boards and owners will ever have to make. And the choice on whether to make an internal or external appointment is often a difficult, and sometimes a highly emotional, dilemma.
Below, we give some summary perspectives on the relative merits and considerations of internal vs. external candidates. We have deliberately not referenced the many published studies on this topic, but rather have drawn on our own observations from previous C-level succession projects.

Internal Appointment

+ Conveys a sense – particularly internally – of stability/continuity rather than disruption (i.e. ‘evolution not revolution’)

+ Sends a message that the company develops/promotes from within, up to the top level

+ Candidate is a well known commodity (i.e. you know exactly what you are getting)

+ Candidate already knows the organisation (therefore, no/little risk in terms of cultural fit)

+ Candidate’s learning curve is less steep (i.e. he/she knows what they are getting into; can be mentored ahead of time by the current incumbent)

Less likely to act as a change agent; more likely to bring incremental – rather than breakthrough game-changing – improvement

May be less likely to challenge and ‘stand up to’ the Board

External Appointment

+ Conveys a sense – particularly externally and to the markets – that the company is continually striving to out-perform and is not ‘resisting on its laurels’

+ Sends a message that the company is committed to recruiting the best-in-class, global talent

+ Candidate brings in new knowledge and best practices from other organisations

+ Candidate will bring a fresh perspective, likely spotting both weaknesses and opportunities more readily

Steeper learning curve; candidate must learn about a new environment and adapt to the culture (a comprehensive onboarding & integration programme is indispensible to mitigate the risk)

Risk that internal candidate(s) become demotivated or leave

Thus there are pros and cons to both kinds of appointment. Appropriateness is situational: dependent on the current and future/looked-for state of the company, and the type of mission (both the ‘what’ and the ‘how’) which the CEO must accomplish.

External appointments are, by definition, riskier… However, (successful) external appointees typically drive greater value over time… So, the risk with externals is higher, but so too is the potential upside.

In conclusion, considering both internal and external options – objectively and rigorously – is best practice. And ultimately, the ‘right answer’ is the ‘right candidate’!

Respect Ethics Honest Integrity Signpost Meaning Good Qualities

Über junge Unternehmer und „alte“ Werte

Die Bedeutung vermeintlich traditioneller Werte für Start-ups
von Andreas von Specht und Felix B. Waldeier


Gerade in Deutschland wird immer wieder die herausragende Stellung von zumeist über mehrere Generationen erfolgreich aufgebauten Familienunternehmen betont. Befragt man die betroffenen Familienunternehmer, dann kann man viel über die Bedeutung von flachen Hierarchien, schnellen Entscheidungen oder langfristigem Denken erfahren. Im gleichen Atemzug – häufig auch in Abgrenzung zu eher anonymen Konzernstrukturen – ist dann gerne die Rede von der großen Bedeutung von „Werten“. Loyalität, Vertrauen, Ehrlichkeit, Integrität, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit – diese Werte werden häufig mit Deutschlands Familienunternehmen assoziiert. Und in vielen Fällen vermutlich auch vollkommen zu Recht. Uns hat allerdings auch interessiert, wie Unternehmer/Gründer von Start-ups über die Bedeutung solcher Werte denken. Bleiben traditionelle Werte bei Neugründungen, rasantem Wachstum und permanenter Veränderung auf der Strecke? Kann man sie sich womöglich gar nicht leisten? Wir haben in der Berliner Start-up-Szene den erfolgreichen Gründer von Thermondo, Philipp Pausder, getroffen.

Herr Pausder, unternehmerische Werte stehen oft in engem Bezug zur Art des jeweiligen Unternehmens. Deshalb zunächst die Frage: In welchem Bereich ist Thermondo tätig?

Thermondo ist ein technologiegetriebener Heizungsbauer. Wir haben die Prozesse des Heizungswechsels grundlegend optimiert, revolutionieren so das Handwerk und eröffnen der Energiewirtschaft die Möglichkeit in kleinteilige Energiedienstleistungen einzusteigen. So kommen unsere Kunden einfacher und schneller bei guten Preisen zu einer neuen Heizung.

Welche Bedeutung haben eher klassische, traditionelle Werte wie Loyalität, Vertrauen und Ehrlichkeit für Ihr unternehmerisches Handeln?

Eine sehr hohe Bedeutung – gerade auch in der Beziehung zu unseren Mitarbeitern. In der heutigen Arbeitswelt sind Talent und Humankapital die knappsten Ressourcen. Diese müssen durch ein solides Wertegerüst im Unternehmen gesichert und gefördert werden.

Und wie schaut es bei einem aggressiv wachsenden Unternehmen mit Gerechtigkeit und Verlässlichkeit im Kontext unternehmerischer Werte aus?

Für uns ist es von herausragender Bedeutung die besten und schlausten Köpfe zu gewinnen. Menschen, die viel Leidenschaft für ihren Job mitbringen und die sich – oft aufgrund wertvoller Erfahrung und einer guten Ausbildung – ihren Job am Markt häufig aussuchen können. Gerechtigkeit gegenüber jedem einzelnen Mitarbeiter und Verlässlichkeit in Absprachen und im unternehmerischen Handeln sind daher die Kernelemente der von den Mitarbeitern erlebten, unternehmerischen Integrität.

Wie locken Sie denn die “besten und schlausten Köpfe“ in Ihr Unternehmen?

Jüngere Leistungsträger wollen natürlich gut verdienen, Dialoge auf Augenhöhe führen und schnell umfangreiche Freiheit und Verantwortung spüren. Aber sie wollen auch Teil eines Unternehmens sein, für das es sich lohnt 50-60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Da sind unsere Werte und die Sinnhaftigkeit des Unternehmensinhalts extrem wichtig. Werte bekommen damit für mich, neben anderen Funktionen, den Status eines Pfeilers der intrinsischen Motivation.

Welche Rolle spielen diese Werte beim Verhältnis zu Ihren Geschäftspartnern?

Auch in der Beziehung zu unseren Geschäftspartnern sind Werte natürlich extrem wichtig. Wir mischen ja ein ganzes Wirtschaftssegment auf und sind somit in der Rolle des Veränderers und Innovators. Dabei ist es wichtig genau zu verstehen, wie viel Veränderung wir unseren Geschäftspartnern und anderen Marktteilnehmern überhaupt zumuten können. Wir müssen sie herausfordern, dürfen sie aber nicht überfordern. Dabei ist es zentral, dass wir uns trotz oder gerade wegen unserer Andersartigkeit als verlässlicher, werteorientierter Geschäftspartner erweisen.

Gibt es darüber hinaus weitere Werte oder Handlungsmaxime, die Ihr Unternehmen charakterisieren?

Die Freiheit im Denken, das Hinterfragen von Vorgaben und ein sehr hohes Maß an Veränderungsbereitschaft! Als kleines, junges und sehr schnell wachsendes Unternehmen müssen wir einfach besser, schneller und smarter sein. Das können wir nur, wenn wir, wie bereits erläutert, die besten Leute gewinnen. Gleichzeitig müssen diesen Top-Talenten echte Freiheiten im Denken und Handeln zugestanden werden. Und letztlich müssen wir es schaffen, die ganze Mannschaft auf ein gemeinsames Unternehmensziel einzuschwören, an dem sich dann alles Denken und Handeln zu orientieren hat.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen dem Wertesystem traditioneller Familienunternehmen und dem von Start-ups?

Für mich sind die gerade angesprochenen Werte gar nicht immer „typisch“ für traditionelle Familienunternehmen. Viel eher stellen sie für mich generell Werte für „gutes Unternehmertum“ dar.

Worin sehen Sie denn wesentliche Unterschiede zwischen traditionellen Familienunternehmen und Start-ups?

Aus meiner Sicht ist der größte Unterschied zwischen traditionellen Unternehmen und Start-ups nicht der Wertekanon, sondern der kompromisslose Fokus auf Output. Ohne Output und damit einhergehendem Wachstum erreicht ein Start-up die nächste Finanzierungsrunde nämlich nicht. Jeder Tag ist kostbar und Stillstand ist Rückschritt. Formell und informell setzen wir uns Ziele auf Wochen- und Monatsbasis und definieren klare Meilensteine, die wir in diesem Zeitraum erreichen wollen. Es gibt keine starren Jobbeschreibungen, sondern Prioritäten und Jobinhalte müssen sich permanent und flexibel unseren Zielen und Vorgaben neu anpassen.

Inwiefern verbinden Sie unternehmerische Werte mit dem von Ihnen beschriebenen „kompromisslosen Fokus auf Output“ zur Erreichung ihrer unternehmerischen Ziele?

Die Führung eines Unternehmens darf natürlich nicht nur auf der Ebene von Kennzahlen und Meilensteinen stattfinden. Gerade Mitarbeiter in Start-ups brauchen aufgrund der unheimlich hohen Dynamik und der flexiblen Jobgestaltung Orientierung, Wertschätzung und ein hohes Maß an menschlicher Nahbarkeit in der Führung. Nur dann gelingt das Einschwören auf ein gemeinsames Ziel.

Wann sehen Sie ein gemeinsames Ziel oder den unternehmerischen Erfolg erreicht?

Der Maßstab für unternehmerischen Erfolg bedeutet für mich etwas geschaffen zu haben, was nicht mehr verschwindet und somit dann auch dauerhaft zum Wohlstand unserer Gesellschaft beiträgt. Einen Markt nachhaltig verändert oder eine anstehende Entwicklung früher erkannt und dann konsequent umgesetzt zu haben, ist für mich unternehmerischer Erfolg. Uns wird oft gesagt, dass das, was wir bei Thermondo vorhaben, eigentlich unmöglich ist. Und das, was wir machen, kann angeblich gar nicht funktionieren: Das Handwerk nachhaltig zu verändern oder gar zu digitalisieren. Wir zeigen aber, dass es eben doch geht!

Wie wichtig sind Ihnen Nachhaltigkeit und Langfristigkeit Ihres Erfolgs – und wie würden Sie diese definieren?

Nachhaltiger, langfristiger Erfolg ist mir für unser Unternehmen sehr wichtig. Wir sagen unseren Mitarbeitern immer, dass wir einen neuen Typus eines Unternehmens schaffen wollen: einen digitalen, bundesweiten, vertikal-integrierten Handwerksbetrieb, den Gatekeeper in einer kleinteilig werdenden Energielandschaft. Den gibt es bisher nicht und mein Ansporn ist es zu beweisen, dass wir nicht ein vorübergehendes Phänomen sind, sondern ein Vorreiter. Ich möchte, dass man in zehn Jahren zurückschaut und sagt: „Thermondo war der Pionier, andere haben es nachgemacht.“ Damit man dies eines Tages sagen kann, müssen wir nachhaltig Erfolg haben. Nachhaltiger Erfolg bedeutet für mich Profitabilität bei anhaltendem Umsatzwachstum.

Sehen Sie eine bestimmte Verantwortung junger Unternehmer gegenüber der Gesellschaft?

Gesellschaftliche Verantwortung empfinde ich als sehr wichtig – und natürlich tragen diese auch junge Unternehmer wie wir. Unsere Tätigkeit bei Thermondo trägt beispielsweise zur Reduzierung von CO? bei. Darüber hinaus schaffen wir Arbeitsplätze und bilden unsere Mitarbeiter für Jobs von morgen aus, für die es zurzeit noch keine Studiengänge oder Ausbildungen gibt. Wir haben bereits 150 Arbeitsplätze geschaffen, bis Weihnachten werden es knapp 180 sein. Diese Leistung ist mir sehr wichtig! Große Unternehmen bauen aufgrund ihrer Innovationsschwäche in der Regel Arbeitsplätze ab. Unsere Gesellschaft braucht daher die kleinen, innovationsstarken Einheiten, denn die schaffen die Arbeitsplätze.

Verlieren traditionelle Werte im Zuge der Globalisierung und Internationalisierung der Unternehmen zunehmend an Bedeutung?

Überhaupt nicht! Aber aus meiner Sicht hat die Vergangenheit keinen allgemeingültigen Anspruch auf das Vorhandensein von Werten. Es gibt doch zahlreiche Beispiele von Unternehmen aus der Zeit vor der Globalisierung und Internationalisierung, die diese traditionellen Werte überhaupt nicht gelebt haben. Grundsätzlich sehe ich keine Anzeichen dafür, dass Werte im Kontext global agierender Unternehmen auf dem Rückzug sind, sondern vielmehr, dass diesen sukzessive wieder eine stärkere Bedeutung zukommt.

Herr Pausder, wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch!

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Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Die vergangenen Monate waren nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen innerhalb unserer Firma, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neuer Berater und neues Büro in Genf

Anfang des Jahres haben wir unser drittes Auslandsbüro in Genf eröffnet. Als wichtiger Dreh- und Angelpunkt, an dem nicht nur die europäischen Zentralen verschiedener Konsumgüterunternehmen, sondern auch besonders viele Familienunternehmen und Family Offices ihren Sitz haben, ist Genf für die weltweite Begleitung unserer Klienten von strategischer Bedeutung.

Seit Anfang des Jahres verstärkt Nick Harris unser Berater-Team. Nick, der seit vielen Jahren in Genf lebt, war in den letzten 10 Jahren bei Egon Zehnder tätig und hat dort u.a. die weltweiten Konsumgüter- und Handelsaktivitäten unterstützt und koordiniert. In seiner neuen Rolle widmet er sich dem Aufbau unseres Genfer Büros und insbesondere auch der Stärkung unserer internationalen Klientenbeziehungen. Neben seiner Industriespezialisierung bringt Nick Erfahrung im Bereich Talent Management sowie bei der Unterstützung von Nachfolgeprozessen gerade auch in familiengeführten Unternehmen mit.

Neuer Partner / Senior Advisor in Bogotá

Im Frühjahr haben wir in unserem im vergangenen Jahr eröffneten Büro in Bogotá mehrere Veranstaltungen durchgeführt, um unsere süd- und mittelamerikanischen Aktivitäten weiter auszubauen. Unserem Partner in Bogota, Dr. Christian Bühring-Uhle, ist es seitdem schnell gelungen uns erheblich zu verstärken:

Ricardo Sala ist im Sommer dieses Jahres von Spencer Stuart zu uns gewechselt und wird zukünftig als Partner unsere süd- und mittelamerikanischen Klienten beraten. Ricardo, der in den 90er Jahren eine Zeit lang Kolumbiens Botschafter in Bonn war, verfügt über langjährige Erfahrung als CEO und Aufsichtsrat u.a. in Familienunternehmen. Bei Spencer Stuart war er in den letzten Jahren verantwortlich für die Industrie- und Aufsichtsratspraxis in Kolumbien und anderen Ländern Lateinamerikas.

Mit Nelson Echeverría, dem früheren CEO von BASF Kolumbien/Venezuela/Ecuador, konnten wir einen herausragend vernetzten Senior Advisor für den Aufbau von Klientenbeziehungen gewinnen. Er wird uns eng beratend zur Seite stehen sowie fallweise auch auf anspruchsvollen Beratungsprojekten mitarbeiten. Nelson verfügt über jahrzehntelange Erfahrung im internationalen Top Management und engagiert sich u.a. in verschiedenen Aufsichts- und Beiräten sowie Stiftungen. Gemeinsam mit Christian Bühring-Uhle ist er im Präsidium der Deutsch-Kolumbianischen Handelskammer.

Erweiterung unseres Netzwerks an Kooperationspartnern

In den vergangenen zwei Jahren ist es uns gelungen, neben der Etablierung eigener Büros auch enge Beziehungen zu Kooperationspartnern in Ländern aufzubauen, in denen wir bisher noch keine eigenen Büros unterhalten. So sind wir inzwischen in der Lage, internationale Projekte auch mit der Unterstützung von sehr erfahrenen Beratern in England, Skandinavien, der Tschechischen Republik und Italien, aber auch in New York, Atlanta, Montreal, Singapur und Sydney durchzuführen. Langfristig verfolgt AvS – International Trusted Advisors das Ziel, auf jedem Kontinent mindestens ein eigenes Büro zu unterhalten.

TTA 01-2015 | MANAGEMENT IN FAMILIENUNTERNEHMEN

Artikel-1-Fremdmanager_150pxDer Erfolgsfaktor „Fremdmanager“

Externe Besetzung von Führungspositionen in Familienunternehmen
von Andreas von Specht


1. Herausforderungen bei der Rekrutierung

Nur weniger als die Hälfte der Familienunternehmen erscheint in der Lage, ihre Führung aus den eigenen Reihen der Familie zu besetzen. Vielen Eigentümerfamilien geht schlicht der Nachwuchs aus. Aber selbst wenn es Kinder oder Enkelkinder gibt, heißt dies noch lange nicht, dass Eignung, Qualifikation und Wille vorhanden sind, um eine familieninterne Nachfolge anzutreten.

Wenn sich absehen lässt, dass eine familieninterne Nachbesetzung längerfristig nicht zu organisieren ist, erscheint der Verkauf des gesamten Unternehmens zwar für manche Eigner zumindest eine denkbare Option zu sein. Aber auch wenn die Bereitschaft, das vom eigenen Großvater gegründete Unternehmen eines Tages zu verkaufen, bei manchen größer geworden ist, stellt diese Option für viele Familien weiter keine gewünschte Zukunftslösung dar. Wenn eine familieninterne Nachfolge im Unternehmen nicht möglich erscheint oder der Zeitpunkt bis zum Eintritt der eigenen Kinder über mehrere Jahre überbrückt werden muss, kommt zwangsläufig die Option ‚Fremdmanagement‘ ins Spiel.

Immer mehr Familiengesellschaften entscheiden sich dazu, familienfremde Führungskräfte für die operative Leitung ihrer Unternehmen anzuheuern. Schätzungen zufolge werden nur noch gut 40% der Familienunternehmen in Deutschland ihre oberste Führungsetage allein mit Eigengewächsen besetzen können. Um eine langfristig erfolgreiche Besetzung zu meistern, kommt zunächst dem Rekrutierungsprozess von Fremdmanagern eine große Bedeutung zu. In vielen Familienunternehmen besteht nach wie vor Unsicherheit darüber, wie ein solcher Prozess professionell überhaupt organisiert werden soll, um Personalentscheidungen „aus dem Bauch heraus“ zu vermeiden.

Fehlbesetzungen von wichtigen Führungsfunktionen mit externen Managern sind leider häufig und sehr teuer. Sie können außerdem zu einem Imageschaden gegenüber Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern – im Extremfall sogar zu einer existenziellen Bedrohung des eigenen Unternehmens führen. Neben vielen anderen Kriterien erscheint vor allem die ‚Mittelstandsbefähigung‘ und noch spezifischer, die Vorerfahrung in anderen Familienunternehmen ein relevantes Auswahlkriterium zu sein. Wir haben in unserer Beratungspraxis zahlreiche Fremdmanager erlebt, die die Werte und Zielvorstellungen der Eigentümerfamilie ihres Unternehmens offenbar nicht wirklich verstanden hatten – und sich diesen entsprechend auch nicht unterordnen konnten.

Zur sorgfältigen Vorbereitung der Rekrutierung eines Fremdmanagers, muss sich der Gesellschafterkreis zunächst Klarheit über die Aufgaben, Kompetenzverteilung und Verantwortlichkeiten der obersten Leitungsfunktion verschaffen. Man wird schwerlich einen erstklassigen, unternehmerisch agierenden Fremdmanager für das Unternehmen gewinnen können, wenn man nicht auch bereit ist, entsprechend großzügig angelegte Gestaltungsspielräume und Entscheidungskompetenzen zu schaffen. Zur Definition eines professionellen Anforderungsprofils gehört selbstverständlich auch die Frage, welche „kritischen Kompetenzen“ ein solcher Fremdmanager mitbringen muss. Hier geht es nicht allein um langjährige Erfahrung, sondern um die Ausprägung von bestimmten Kompetenzfeldern, also beispielweise die Fähigkeit, Strategien zu entwickeln und umzusetzen, Veränderungen in das Unternehmen einzubringen oder „gelebte Kundenorientierung“ auf die Vertriebsmannschaft zu übertragen. Um sich auf dieses Kompetenzbild einigen zu können, muss die Familie sich naturgemäß auch darüber im Klaren sein, was in den nächsten Jahren konkret vom Fremdmanager erwartet wird und woran der Erfolg seiner Tätigkeit gemessen werden soll.

2. Erfolgsfaktoren für Fremdmanager in Familienunternehmen

Die erfolgreiche „Passform“ vieler Fremdmanager in Familienunternehmen entscheidet sich häufig nach nur wenigen Monaten. Es gibt eine große Anzahl an Familienunternehmen, die insbesondere mit der ersten Einstellung von Fremdmanagern in ihre Geschäftsführung unzufrieden waren. In vielen Fällen stellte sich heraus, dass sich Familie und/oder Fremdmanager nicht ausreichend intensiv mit dem neuen Unternehmen bzw. der einzustellenden Person auseinandergesetzt hatten. Auch kommen bei Familienunternehmen besondere Störgefühle und Sensitivitäten hinzu, die in dieser Form nicht gleich zu einem Konflikt bei Großunternehmen führen würden. Also beispielsweise die Wahl der „falschen“ Dienstwagenmarke, als zu aufwendig empfundene Büroausstattung oder eine „überzogene Selbstdarstellung“ in der Öffentlichkeit. Sehr viele Familienunternehmen erwarten zudem, dass der Fremdmanager mit der Familie kurzfristig an den Standort zieht. Auch hier kann sehr schnell Sand ins Getriebe kommen. Neben einem guten Integrationsprozess kommt vor allem einem engen, persönlichen Kontakt und einer kontinuierlichen, möglichst vertrauensvollen Kommunikation eine sehr große Bedeutung zu. Studien zufolge sind weniger fachliche Defizite der Grund für das Scheitern von Fremdmanagern als vor allem Konflikte zwischen Familie/Familienmitgliedern und Fremdmanager – und diese Konflikte entstehen in der Regel am Anfang und deutlich seltener nach 15 Jahren.

Ein weiterer, wesentlicher Erfolgsfaktor versteckt sich hinter der Frage einer erfolgreichen ‚Governance‘. Eine sorgfältige Definition und Organisation der Inhaberfunktion, beispielsweise unterstützt durch einen kompetenten Beirat mit klar definierten Kompetenzen, bildet den notwendigen Rahmen, innerhalb dessen ein angestellter Unternehmensführer erfolgreich wirken – aber auch geführt werden kann. Gerade beim Übergang von einem Inhabergeführten zum fremdgeführten Unternehmen kommt es häufig zu Reibungen, wenn die Inhaberseite nicht klar ‚sortiert‘ und die Kompetenzen von Management einerseits und Inhaberseite andererseits nicht sorgfältig abgegrenzt sind. Familienfremde Beiratsmitglieder, insbesondere aber der Beiratsvorsitzende spielen dabei häufig eine Schlüsselrolle, da sie als ‚Brückenbauer‘ des gegenseitigen Verständnisses von Familie und Management wirken können.

Welche Rolle Fremdmanager in Familienunternehmen spielen, hängt nicht zuletzt von ihrer persönlichen Bindung zur Unternehmerfamilie und deren Einflussnahme auf das Geschäft ab. Im Übrigen scheint es einige ungeschriebene Regeln zu geben, die den Erfolg von Fremdmanagern in Familienunternehmen deutlich beeinflussen. Also zum Beispiel der Rat, gesellschaftlich eine gewisse Distanz zur Eigentümerfamilie zu wahren und nicht die gleiche Mitgliedschaft in Clubs oder Vereinigungen wie Familienmitglieder anzustreben. Oder auch das Gebot, Gesellschafter unterschiedlicher Stämme möglichst gleich zu behandeln, um am Ende nicht zwischen die Stühle zu geraten. Ganz wesentlich ist auch die Frage, wie und in welchem Umfang der Fremdmanager die Familie über relevante Vorgänge informiert.

3. Die langfristige Bindung von Fremdmanagern an Familienunternehmen

Materielle Anreizsysteme für familienfremde Firmenchefs konzentrieren sich häufig auf Erfolgsprämien, bei denen dann überwiegend quantitative Bezugsgrößen als Bemessungsgrundlage verwendet werden. Immer noch anzutreffen ist auch der Bonus „nach Gutsherrenart“, obwohl es auch bei der Gestaltung der Anreizsysteme inzwischen eine Professionalisierung in Familienunternehmen gegeben hat. Bei der Lösung der familienfremden Nachfolge taucht selbstverständlich auch die Herausforderung auf, herausragende Fremdmanager für den langfristigen Verbleib und für langfristig ausgerichtetes Handeln zu motivieren.

Wir haben in unserer Beratungspraxis Fälle erlebt, wo Kapitalbeteiligungen als Element des Entlohnungspakets für Fremdmanager von Familienunternehmen erwogen – und dann tatsächlich auch umgesetzt wurden. Dabei gibt es einige große Hindernisse zu überwinden – insbesondere auch die psychologische Barriere vieler Familien, überhaupt jemals einen Fremdmanager in den Gesellschafterkreis aufzunehmen und ihm entsprechende Rechte zuzugestehen. Die Ausgestaltung einer Beteiligung ist schwierig: So muss die Austarierung der Beteiligungsverhältnisse berücksichtigt werden, die tatsächliche Anteilsbewertung nachvollziehbar und fair erfolgen und letztlich dann die Übertragung von Kapitalanteilen in ihren Details (z.B. Vererbbarkeit der Anteile bzw. Rückübertragung der Anteile bei Ausscheiden) geregelt werden. Wir haben kürzlich ein Familienunternehmen beraten, bei dem sich diese Herausforderungen alle als lösbar und überwindbar herausstellten, nachdem die Familie zunächst die schwierige Grundsatzentscheidung getroffen hatte, Kapitalanteile an einen Fremdmanager abzugeben. Diese Grundsatzentscheidung führte dann schon einmal dazu, dass völlig andere ‚Kaliber‘ von Kandidaten für den Vorsitz der Geschäftsführung gewonnen werden konnten. Fremdmanager, die vorher mit ziemlicher Sicherheit in Bezug auf Unternehmensgröße und Gehaltssysteme abgewunken hätten, waren plötzlich mit einer langfristigen Perspektive der echten, unternehmerischen Beteiligung interessierbar.

Es gibt unbestreitbare Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Kapitalbeteiligung eines Fremdmanagers und auch die mit der Implementierung verbundenen administrativen Aufwände und Kosten sind nicht unerheblich. Dies sollte aber nicht dazu führen, diese Option vorzeitig auszuschlagen, da umgekehrt auch enorme Chancen bestehen, echte Unternehmer für die langfristige Entwicklung des Unternehmens gewinnen zu können.

Wenn es Familienunternehmen gelingt, herausragend qualifizierte und unternehmerisch geprägte Fremdmanager in ihre Unternehmen zu integrieren, können diese das entscheidende Rädchen im Uhrwerk des unternehmerischen Erfolgs sein.

Artikel-2-Gratwanderung_150pxGratwanderung zwischen Fluch und Segen

Familienmitglieder im Management (1): Herausforderungen und Risiken
von Dr. Christian Bühring-Uhle


Die meisten Familienunternehmen werden immer noch von Mitgliedern der Inhaberfamilie(n) geführt, und dies oft, über Generationen hinweg, mit großem Erfolg. Viele scheitern aber auch an dieser Aufgabe, und so mancher wird, auch ohne zu scheitern, nicht glücklich in dieser komplexen und von vielen als „undankbar“ empfundenen Rolle. Dies ist natürlich nicht nur das Problem des betroffenen Familienmanagers, sondern häufig eine Existenzfrage für das Unternehmen. Die typischen Wettbewerbsvorteile von Familienunternehmen – kurze Entscheidungswege, nachhaltiges Wirtschaften, eine klar formulierte Mission, hohe Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, besserer Umgang mit Risiken, Konzentration aufs Geschäft statt auf die persönliche Karriere etc. – können nur zur Geltung kommen, wenn das Familienunternehmen auch gut geführt wird. Wir möchten daher einige der Problemstellungen sowie die wichtigsten Faktoren beleuchten, die den Erfolg – oder Misserfolg – für Familienmitglieder im Management ausmachen können.Manager im Unternehmen der eigenen Familie zu sein ist mit besonderen Anforderungen verbunden, denn typischer Weise muss man nicht nur das Unternehmen (mit-)managen, sondern auch „die Familie“ – mit allem, was sich hinter diesem scheinbar einfachen Begriff verbirgt. Die damit verbundene Komplexität stellt eine besondere Herausforderung dar: Manche Familienmanager sind bereits überfordert, weil sie für die von ihnen ausgeübte Führungstätigkeit oft nicht hinreichend vorbereitet wurden – und manchmal schlicht nicht qualifiziert sind. Hinzu kommen können eine manchmal als ausgesprochen belastend empfundene „Einsamkeit an der Spitze“, ein (selten eingestandenes) Gefühl der Überforderung, glücklose Entscheidungen, Demotivation und Fluktuation im mittleren Management, ein Mangel an Vertrauen, Reibungsverluste durch „Grabenkämpfe“ in der Familie und das Ringen um die Anerkennung und das Vertrauen der maßgeblichen Familienmitglieder. Dies geht zuweilen einher mit einem schlichten Mangel an Qualität, der sich im schlimmsten Fall durch die ganze Organisation ziehen kann.

Nicht nur, aber insbesondere in Familienunternehmen finden sich geradezu Paradebeispiele für das „Peter Principle“, d.h. dass „bewährte“ Mitarbeiter und Führungskräfte so weit befördert werden, bis sie an den Punkt ihrer eigenen Inkompetenz gelangen und damit zwangsläufig überfordert sind. Dies betrifft einerseits Familienmitglieder, die mit Führungsaufgaben nicht wegen ihrer bewiesenen Qualifikationen betreut werden, sondern weil sie zur Familie gehören und „dran sind“ (was natürlich von anderen Mitarbeitern und Führungskräften mit Argwohn beobachtet wird). Andererseits finden sich in der Führung häufig auch ergebene externe Mitarbeiter, die sich primär als „treue Diener der Familie“ bewährt und nicht durch unter Beweis gestellte Kompetenzen qualifiziert haben (und auch das bleibt anderen Mitarbeitern, insbesondere Leistungsträgern, nicht verborgen).

Mittelmaß hat die Tendenz um sich zu greifen, wobei dann häufig das Phänomen des “Flaschenzuges“ zu beobachten ist: mittelmäßige Führungskräfte ziehen ebenfalls mittelmäßige Team-Mitglieder nach, die sie nicht in Frage stellen und ihnen nicht gefährlich werden. Niemandem wird wehgetan, und es entsteht eine gefährliche Komfortzone, die dann auch noch gern mit einem guten Betriebsklima verwechselt wird. Solange es dem Unternehmen gut geht, werden diese Zustände von den Anteilseignern, also „der Familie“, bewusst oder unbewusst toleriert. Je länger dieser Zustand anhält, desto gefährlicher wird er: Es stellt sich manchmal geradezu eine Suchtproblematik ein – das betroffene Familienmitglied wird zunehmend nicht nur wirtschaftlich sondern auch psychologisch abhängig vom Familienunternehmen und der Rolle, in die es hineinmanövriert worden ist und an die es sich gewöhnt hat.

Wenn die Zeiten schwierig werden zeigt sich manchmal ein dramatischer Mangel an Anpassungsfähigkeit und gescheiterte Familienmanager fallen in ein tiefes Loch. Zu dem Drama des beruflichen Scheiterns kommt nämlich noch das Gefühl, vor der Familie versagt und das Erbe der Vorfahren aufs Spiel gesetzt zu haben. Und wenn der Betroffene sich dann „in der freien Wildbahn“ eine neue Stelle suchen soll, stellt sich nicht selten heraus, dass jemand, der lediglich eine protegierte (und zu weit vorgerückte) Karriere im Unternehmen seiner Familie vorweisen kann, als „nicht vermittelbar“ gilt. Es stellt sich dann die Herausforderung, für das betroffene Familienmitglied gesichtswahrend eine Aufgabe zu finden, die den tatsächlichen Fähigkeiten entspricht und durch die ein echter Beitrag zum Erfolg des Unternehmens (falls es die Krise überlebt) geleistet werden kann.

Im Artikel „Sicher durchs Minenfeld“, der an diesen Beitrag anknüpft, wenden wir uns den Vorkehrungen zu, mit denen man diese Probleme in den Griff bekommt und die „Pathologie“ des Familienunternehmens vermeidet.

Artikel-3-Minenfeld_150pxSicher durchs Minenfeld

Familienmitglieder im Management (2) : Erfolgsfaktoren und Ratschläge
von Felix B. Waldeier


Im Artikel „Gratwanderung zwischen Fluch und Segen“, auf den dieser Beitrag aufbaut, haben wir uns mit den typischen Herausforderungen, Problemstellungen und Risiken beschäftigt, mit denen Familienmitglieder als Manager im Unternehmen der eigenen Familien konfrontiert werden. Um solch kritische Situationen dem Unternehmen – und den im Unternehmen tätigen Familienmitgliedern – zu ersparen, sind zunächst einmal klare Strukturen und Spielregeln erforderlich. Spätestens in der zweiten Generation muss ein Familienunternehmen die Rollen und Aufgaben von Inhabern und Management sauber trennen. Dabei geht es zunächst um das Grundverständnis und die Haltung, mit der die Familienmitglieder diese Aufgaben wahrnehmen. Das ist einfacher bei Familienmitgliedern, die nur Inhaber oder nur Manager sind. In vielen Fällen ist jemand jedoch sowohl (Mit-)Gesellschafter als auch Führungskraft im „eigenen“ Unternehmen. In diesem Szenario ist es wichtig, sein jeweiliges Verhalten daran anzupassen, ob man in einem besagten Moment gerade den „Gesellschafter-Hut“ oder den „Manager-Hut“ auf dem Kopf trägt. Dies geht erheblich einfacher, wenn entsprechende Corporate Governance Strukturen geschaffen werden.Tragender Grundpfeiler dieser Strukturen sollte, wie bereits an anderer Stelle dargestellt, in erster Linie ein Beirat, bzw. je nach rechtlichem Rahmen ein entsprechendes Organ sein. Der Beirat ist die zentrale Instanz, in der Belange der Gesellschafter diskutiert, entschieden und gegenüber dem Management kommuniziert werden. Der Beirat ist das Forum, in dem das Unternehmen aus Sicht der Inhaber (und damit „der Familie“) gesehen, bewertet und ausgerichtet wird. Dazu muss der Beirat nicht unbedingt durch Übertragung wesentlicher Gesellschafterrechte „scharf geschaltet“ werden. Wenn der Gesellschafterkreis übersichtlich genug ist oder durch einen Gesellschafterausschuss handlungsfähig gemacht wird, kann durchaus schon ein erheblicher Qualitätssprung erreicht werden, wenn in einem professionell besetzten Beirat die Themen analysiert, bewertet und „vorgedacht“ werden. Die finalen Entscheidungen können dann durchaus „dem Inhaber“ überlassen bleiben.

Ein anderes wesentliches Element in der Struktur von Familienunternehmen sind die Verträge der im Unternehmen tätigen Familienmitglieder. Es ist sehr zu empfehlen, dass diese einem Drittvergleich standhalten, d.h. dass Familienmitglieder keine „Extrawurst“ erhalten und sich an denselben Maßstäben messen lassen müssen wie Fremdmanager auch. Der Vergleich sollte dabei mit entsprechenden Führungskräften anderer Unternehmen hergestellt werden. Insbesondere beim Einsatz von Fremdmanagern ist eine Gleichbehandlung dieser und der Familienmitglieder sehr zu empfehlen und sollte daher auch durch einen mit angesehenen, kompetenten externen Persönlichkeiten besetzen Beirat sichergestellt werden. Dabei geht es nicht nur darum ein angemessenes Leistungsniveau sicherzustellen, sondern auch darum, die Glaubwürdigkeit und „das Standing“ des Familienmitglieds als Manager zu stärken. Wichtig ist hierbei ein hohes Maß ans Transparenz (statt der zuweilen noch in Familienunternehmen anzutreffenden, geradezu zwangshaften „Geheimniskrämerei“): Je offener das Ganze gehandhabt wird, desto höher ist das Vertrauen der übrigen Führungskräfte – und der übrigen Familienmitglieder – in die Leistung des in der Führung des Unternehmens aktiven Familienmitglieds.

Ein weiterer, wichtiger Punkt ist die systematische Nachfolge- und Nachwuchsplanung und die richtige Vorbereitung der für eine mögliche Führung des Unternehmens identifizierten Familienmitglieder. Dazu gehört natürlich eine gute, relevante Ausbildung, aber nach unserer Erfahrung zwingend auch Berufserfahrung möglichst außerhalb des Familienunternehmens. Dabei geht es nicht nur darum den Horizont zu erweitern, sondern auch darum, sich außerhalb der Protektion der Familie für Führungsaufgaben zu qualifizieren und Führungserfahrung zu gewinnen. Dies ist ein Filter im Ausleseprozess, aber auch eine wichtige Quelle für das Selbstbewusstsein der Nachwuchsführungskraft und für das Ansehen im Familienunternehmen gegenüber Mitarbeitern und Familie. Wenn die Nachwuchsführungskraft dann ihre Karriere im Unternehmen der Familie fortsetzt, ist darauf zu achten, dass sie vor echte und wachsende, aber auch „schaffbare“ Herausforderungen gestellt wird. Es müssen Fehler gemacht werden können, aber ein Scheitern „vor laufenden Kameras“ ist zu vermeiden.

Aus Sicht des im Management tätigen Familienmitglieds gibt es ein paar nützliche Faustregeln. Es ist hilfreich, bewusst mit den unterschiedlichen Sphären – bspw. dem Management, dem Beirat, dem Gesellschafterkreis und der Familie – umzugehen, in denen sich der Familienmanager bewegt. Zwischen diesen Sphären gibt es natürlich Überschneidungen und manche Menschen gehören mehreren dieser Sphären an – so eben auch die meisten Familienmanager. Es ist aber wichtig, diese Sphären gedanklich zu trennen und sich darauf jeweils gesondert einzustellen. Man ist – richtigerweise – ein etwas anderer Mensch, wenn man in einer Management-Sitzung über einem operativen Problem brütet und Entscheidungen dazu trifft, als wenn man im Beirat „antritt“ (oder eine Beiratssitzung so vorbereitet, dass man die Chancen maximiert „seine“ Entscheidung durchzukriegen). Oder wenn man den eher passiven Mitgliedern des Gesellschafterkreises erklärt, was im Unternehmen vor sich geht (z.B. warum die Gewinne nächstes Jahr leider thesauriert werden müssen), oder wenn man zu Hause am Küchentisch sitzt oder bei seinen Eltern Sonntags bei Kaffee und Kuchen zu Besuch ist. Eine andere hilfreiche Faustregel ist, mit Emotionen bewusst umzugehen – sowohl mit den eigenen, als auch mit denen der übrigen Familienmitglieder und sonstiger „Stakeholder“. Emotionen spielen gerade in Familienunternehmen eine große Rolle und um sie managen zu können, muss man sie annehmen und verstehen. Von zentraler Bedeutung ist Kommunikation – sowieso immer, aber gerade auch in Familienunternehmen, da die Familie so wichtig für das Unternehmen ist und umgekehrt. Und da gibt es typischer Weise eine Reihe von Leuten, die sich für etwas interessieren, was sie nicht verstehen, und wo sie mitreden wollen – und oftmals mitreden dürfen oder sogar müssen. Wer da nicht sorgfältig, respektvoll und häufig kommuniziert, wird davon früher oder später eingeholt. Dabei spielt Vertrauen eine große Rolle – grundsätzlich, aber eben auch ganz besonders in Familienunternehmen und Unternehmerfamilien. Wer hier erfolgreich sein will, muss lernen Vertrauen zu verdienen, Vertrauen zu honorieren, Vertrauen in Anspruch zu nehmen und Vertrauen zu schenken. Dies steht in enger Wechselwirkung mit guter Kommunikation und einem guten Umgang mit Emotionen. Und hilft gegen die eingangs erwähnte Einsamkeit. Was in diesem Zusammenhang auch hilft, sind Mentoring und der Austausch mit „Peers“. Viele Familienunternehmer profitieren nachhaltig von Netzwerken und Unternehmervereinigungen, die bewusst einen solchen Austausch fördern.

Last but not least: Man muss auch den Absprung schaffen. Großartige Unternehmerleistung ist nicht nur Aufbau – sondern eben auch Übergabe. Nichts währet ewig, und zu einem wirklich erfolgreichen Leben als Unternehmer gehört ganz besonders in einem Familienunternehmen, dass man aktiv am Aufbau einer Nachfolgelösung arbeitet. Dass man sich überlegt, was man als nächstes tut und dass man den richtigen Zeitpunkt findet, um mit einem guten Gefühl den Stab zu übergeben.

Artikel-4-Allrounder_150pxAllrounder mit hoher Sozialkompetenz

Warum der Anspruch an Beiratsvorsitzende besonders hoch ist
von Andreas von Specht


Mit rund 15,5 Millionen Beschäftigten stellen Familienunternehmen etwa 60% aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Deutschland. Sie bilden somit das ökonomische Rückgrat Deutschlands und gelten als Export-Motor unserer Wirtschaft. Familienunternehmen sind häufig schneller, direkter und deutlich innovativer als Konzerne. Doch die Veränderungsprozesse, denen sich deutsche Familienunternehmer in den letzten 20 Jahren ausgesetzt sahen, sind gewaltig – und haben manches Geschäftsmodell komplett neu entstehen lassen: Internationalisierung, Umweltschutz, technologischer Fortschritt und vor allem die Weiterentwicklung von Internet & E-Commerce erforderten Anpassung, Wandel und Entscheidungen mit großer Tragweite. Hinzu kam bei sehr vielen Familienunternehmen der Generationenübergang, der für sich allein schon einen Teil der Unternehmer stark ge- oder gar überfordert hat. Während mehr als zwei Drittel der großen, nicht in Familienhand befindlichen Unternehmen, bei diesen Herausforderungen auch auf die Unterstützung eines Aufsichtsgremiums zählen können, haben in Deutschland mehr als die Hälfte der Familienunternehmen bisher kein solch unterstützendes Gremium. Würde man die Beiräte, die ausschließlich als Katastrophenschutz beim Komplettausfall des Unternehmers eingerichtet wurden, auch noch abziehen, würde es noch deutlich kritischer aussehen. Sogar ein paar sehr bekannte, global agierende Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von mehreren hundert Millionen Euro können keinen, oder zumindest keinen professionell aufgestellten, mit Entscheidungsbefähigung und Kompetenzen ausgestatteten Beirat vorweisen.Was auf den ersten Blick unverständlich und vor allem bei größeren Unternehmen fast fahrlässig wirkt, hat häufig recht profane Gründe: Man möchte sich nicht ins Geschäft hineinschauen oder gar hineinreden lassen, scheut das vermeintliche Aufgeben von Unabhängigkeit und befürchtet höheren administrativen Aufwand oder eigenen Zeitverlust. Auch die mit der Einrichtung eines Beirats verbundenen Kosten werden häufig als Ablehnungsgrund herangeführt.

Dabei kann ein sorgfältig zusammengestellter und gut vernetzter Beirat Gold wert sein: Als Begleiter, „Hinterfrager“ und Mittler zwischen Gesellschaftern oder auch zwischen Gesellschaftern und Management. Es gibt natürlich viele operativ tätige Gesellschafter, aber eben häufig auch solche, die das Unternehmen nur interessiert begleiten. Gerade bei wichtigen Personal-, großen Strategie- oder auch Investitionsentscheidungen haben verschiedene Gesellschafter häufig eine klare Meinung – nicht aber zwangsläufig immer dieselbe. Einem gut aufgestellten Beirat, vor allem auch einem akzeptierten und respektierten Vorsitzenden gelingt es in solchen Situationen einen Interessenausgleich zu finden, zu moderieren oder auch eher uninformierte oder gar uninteressierte Anteilseigner bei der Stange zu halten.

Der Beirat kann eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der von den Gesellschaftern definierten Werte, Visionen und strategischen Parameter an das Management spielen. Vor allem aber auch bei der „Kalibrierung“ des Unternehmers selbst – der ansonsten häufig „einsam in der Spitze“ und durch Verantwortungs- und Entscheidungsdruck stark belastet agieren muss. Ein guter Beirat kontrolliert, beaufsichtigt und berät das Management und die Familie. Als neutrale Instanz nimmt er ggf. aber auch einmal das Management gegen allzu große finanzielle Forderungen oder Machtansprüche der Gesellschafter in Schutz. Ganz besonders wichtig kann seine Rolle auch bei den häufig emotional sehr schwierigen Nachfolgeentscheidungen werden, an denen so viele Familien letztlich scheitern – und sich womöglich daran entzweien.

Die vielen unterschiedlichen Herausforderungen stellen besonders hohe Anforderungen an die „Allrounder-Fähigkeiten“ vor allem des Beiratsvorsitzenden. Dieser soll schließlich nicht nur aktiv begleiten und kontrollieren, sondern bei wichtigen Entscheidungen auch kenntnisreich Verantwortung übernehmen. Neben einem beträchtlichen Zeitbudget, „General Management“-Kompetenz und Führungserfahrung sind vor allem auch Empathie, Einfühlungsvermögen, Standhaftigkeit und innere Unabhängigkeit gefragt. Als akzeptierter, respektierter und möglichst objektiver Vermittler sollte der Vorsitzende idealerweise bereits Erfahrung mit den spezifischen Beziehungsmustern in Familienunternehmen haben. Anders als bei anonymen Anteilseignern spielen hier häufiger Emotionen, womöglich auch schwere „emotionale Rucksäcke“ aus der Vergangenheit eine Rolle. Gleichzeitig muss vor allem der Vorsitzende die Befähigung besitzen das Interesse der Gesellschafter auch bei unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Beiratsgremiums zu erkennen und zu wahren.

Wahrlich ist dies kein Job für Frühstücksdirektoren oder Pöstchen-Sammler, sondern eine hoch-anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Zwar ist das persönliche Haftungsrisiko, welches sich aus der Gesetzeslage und der öffentlichen Diskussion um Corporate Governance und Compliance ergibt in Aufsichtsräten von Publikumsgesellschaften bisher noch ungleich höher einzuschätzen. Aber auch bei Familiengesellschaften und deren Aufsicht ist zum Glück eine zunehmende Professionalisierung und mindestens auch eine deutlich erhöhte, moralische Haftung feststellbar. Dies ist gut so, denn die Zeiten, in denen sich der Inhaber seinen Beirat aus Tennispartnern, rotarischen Freunden und allenfalls dem Wirtschaftsprüfer rekrutierte, sollten der Vergangenheit angehören.

Ob der Beiratsvorsitzende aus der Familie entsandt oder besser vom Markt rekrutiert werden sollte, lässt sich pauschal nicht beantworten. So gibt es viele erfolgreiche Familienunternehmer, die nach der Generationenübergabe nahtlos in die Funktion des Beiratsvorsitzenden gewechselt sind – und dabei die operative Verantwortung für das Tagesgeschäft tatsächlich losgelassen haben. Solche Beiratsvorsitzende, wie beispielsweise Jürgen Heraeus (Heraeus), Paul Leibinger (Trumpf) oder Michael Otto (Otto Group), besitzen dann den unschätzbaren Vorteil intimer Kenntnisse des Gesamtgeschäfts, der strategischen Herausforderungen des Marktes und der Gemengelage innerhalb der Familie. Andererseits kann auch einiges dafür sprechen, die Funktion des Vorsitzenden besser extern zu besetzen, denn nicht jeder Vollblutunternehmer ist gut im „Loslassen“. Ein starker externer Beiratsvorsitzender ist auch dann gefragt, wenn die Familie eher gesellschafter- als unternehmergeprägt ist und bspw. zu wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse aufweist. Oder auch genau umgekehrt, wenn die Familie bspw. schon die gesamte operative Geschäftsführung beherrscht und ein starker, neutraler Außenstehender zur Sicherstellung von objektivierter ‚Kalibrierung’ und Unternehmenskontrolle erwünscht ist.

Entscheidendes Auswahlkriterium bei der Bestellung des Vorsitzenden und des Gremiums insgesamt muss die Kompetenz sein. Natürlich spielt gerade auch Vertrauen eine herausragende Rolle – aber Kompetenz und Vertrauen bedingen einander zumeist. In seiner Gesamtzusammensetzung sollte der Beirat spezifische, für das jeweilige Familienunternehmen wichtige Kompetenzen abdecken – wie Branchenkenntnis, strategische Ausrichtung, Bilanzsicherheit, internationale Geschäftsausweitung, Akquisitionserfahrung oder auch Talent Management.

Wie findet und gewinnt man solche Beiratsmitglieder – und vor allem Vorsitzende? Mit der langsam zunehmenden Professionalisierung der Beiräte hat auch die Professionalisierung von Beiratssuchen zugenommen. Es reicht häufig einfach nicht, befreundete Unternehmer aus der Region zu fragen, oder das eigene regionale Netzwerk zu durchforsten. Zumal keineswegs sichergestellt ist, dass der mit einem befreundete, erfolgreiche Unternehmer dann auch einen exzellenten Beirat inkl. des notwendigen Zeitbudgets abgibt. Der große Vorteil einer professionellen, von einem unabhängigen Berater durchgeführten Suche ist die breite Auswahl und tatsächliche Kompetenzprüfung. Auch hier haben sich die Zeiten geändert: Heute müssen es selbst bekannte Kandidaten für einen Beiratsvorsitz „ertragen“, dass sie interviewt und dann einem professionellen Auswahlprozess ausgesetzt werden. Auf diese Weise sollten sich dann die Chancen signifikant erhöhen, einen Allrounder mit hoher Sozialkompetenz für das Familienunternehmen zu gewinnen.

Warum der Anspruch an Beiratsvorsitzende besonders hoch ist
von Andreas von Specht

Mit rund 15,5 Millionen Beschäftigten stellen Familienunternehmen etwa 60% aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Deutschland. Sie bilden somit das ökonomische Rückgrat Deutschlands und gelten als Export-Motor unserer Wirtschaft. Familienunternehmen sind häufig schneller, direkter und deutlich innovativer als Konzerne. Doch die Veränderungsprozesse, denen sich deutsche Familienunternehmer in den letzten 20 Jahren ausgesetzt sahen, sind gewaltig – und haben manches Geschäftsmodell komplett neu entstehen lassen: Internationalisierung, Umweltschutz, technologischer Fortschritt und vor allem die Weiterentwicklung von Internet & E-Commerce erforderten Anpassung, Wandel und Entscheidungen mit großer Tragweite. Hinzu kam bei sehr vielen Familienunternehmen der Generationenübergang, der für sich allein schon einen Teil der Unternehmer stark ge- oder gar überfordert hat. Während mehr als zwei Drittel der großen, nicht in Familienhand befindlichen Unternehmen, bei diesen Herausforderungen auch auf die Unterstützung eines Aufsichtsgremiums zählen können, haben in Deutschland mehr als die Hälfte der Familienunternehmen bisher kein solch unterstützendes Gremium. Würde man die Beiräte, die ausschließlich als Katastrophenschutz beim Komplettausfall des Unternehmers eingerichtet wurden, auch noch abziehen, würde es noch deutlich kritischer aussehen. Sogar ein paar sehr bekannte, global agierende Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von mehreren hundert Millionen Euro können keinen, oder zumindest keinen professionell aufgestellten, mit Entscheidungsbefähigung und Kompetenzen ausgestatteten Beirat vorweisen.Was auf den ersten Blick unverständlich und vor allem bei größeren Unternehmen fast fahrlässig wirkt, hat häufig recht profane Gründe: Man möchte sich nicht ins Geschäft hineinschauen oder gar hineinreden lassen, scheut das vermeintliche Aufgeben von Unabhängigkeit und befürchtet höheren administrativen Aufwand oder eigenen Zeitverlust. Auch die mit der Einrichtung eines Beirats verbundenen Kosten werden häufig als Ablehnungsgrund herangeführt.

Dabei kann ein sorgfältig zusammengestellter und gut vernetzter Beirat Gold wert sein: Als Begleiter, „Hinterfrager“ und Mittler zwischen Gesellschaftern oder auch zwischen Gesellschaftern und Management. Es gibt natürlich viele operativ tätige Gesellschafter, aber eben häufig auch solche, die das Unternehmen nur interessiert begleiten. Gerade bei wichtigen Personal-, großen Strategie- oder auch Investitionsentscheidungen haben verschiedene Gesellschafter häufig eine klare Meinung – nicht aber zwangsläufig immer dieselbe. Einem gut aufgestellten Beirat, vor allem auch einem akzeptierten und respektierten Vorsitzenden gelingt es in solchen Situationen einen Interessenausgleich zu finden, zu moderieren oder auch eher uninformierte oder gar uninteressierte Anteilseigner bei der Stange zu halten.

Der Beirat kann eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der von den Gesellschaftern definierten Werte, Visionen und strategischen Parameter an das Management spielen. Vor allem aber auch bei der „Kalibrierung“ des Unternehmers selbst – der ansonsten häufig „einsam in der Spitze“ und durch Verantwortungs- und Entscheidungsdruck stark belastet agieren muss. Ein guter Beirat kontrolliert, beaufsichtigt und berät das Management und die Familie. Als neutrale Instanz nimmt er ggf. aber auch einmal das Management gegen allzu große finanzielle Forderungen oder Machtansprüche der Gesellschafter in Schutz. Ganz besonders wichtig kann seine Rolle auch bei den häufig emotional sehr schwierigen Nachfolgeentscheidungen werden, an denen so viele Familien letztlich scheitern – und sich womöglich daran entzweien.

Die vielen unterschiedlichen Herausforderungen stellen besonders hohe Anforderungen an die „Allrounder-Fähigkeiten“ vor allem des Beiratsvorsitzenden. Dieser soll schließlich nicht nur aktiv begleiten und kontrollieren, sondern bei wichtigen Entscheidungen auch kenntnisreich Verantwortung übernehmen. Neben einem beträchtlichen Zeitbudget, „General Management“-Kompetenz und Führungserfahrung sind vor allem auch Empathie, Einfühlungsvermögen, Standhaftigkeit und innere Unabhängigkeit gefragt. Als akzeptierter, respektierter und möglichst objektiver Vermittler sollte der Vorsitzende idealerweise bereits Erfahrung mit den spezifischen Beziehungsmustern in Familienunternehmen haben. Anders als bei anonymen Anteilseignern spielen hier häufiger Emotionen, womöglich auch schwere „emotionale Rucksäcke“ aus der Vergangenheit eine Rolle. Gleichzeitig muss vor allem der Vorsitzende die Befähigung besitzen das Interesse der Gesellschafter auch bei unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Beiratsgremiums zu erkennen und zu wahren.

Wahrlich ist dies kein Job für Frühstücksdirektoren oder Pöstchen-Sammler, sondern eine hoch-anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Zwar ist das persönliche Haftungsrisiko, welches sich aus der Gesetzeslage und der öffentlichen Diskussion um Corporate Governance und Compliance ergibt in Aufsichtsräten von Publikumsgesellschaften bisher noch ungleich höher einzuschätzen. Aber auch bei Familiengesellschaften und deren Aufsicht ist zum Glück eine zunehmende Professionalisierung und mindestens auch eine deutlich erhöhte, moralische Haftung feststellbar. Dies ist gut so, denn die Zeiten, in denen sich der Inhaber seinen Beirat aus Tennispartnern, rotarischen Freunden und allenfalls dem Wirtschaftsprüfer rekrutierte, sollten der Vergangenheit angehören.

Ob der Beiratsvorsitzende aus der Familie entsandt oder besser vom Markt rekrutiert werden sollte, lässt sich pauschal nicht beantworten. So gibt es viele erfolgreiche Familienunternehmer, die nach der Generationenübergabe nahtlos in die Funktion des Beiratsvorsitzenden gewechselt sind – und dabei die operative Verantwortung für das Tagesgeschäft tatsächlich losgelassen haben. Solche Beiratsvorsitzende, wie beispielsweise Jürgen Heraeus (Heraeus), Paul Leibinger (Trumpf) oder Michael Otto (Otto Group), besitzen dann den unschätzbaren Vorteil intimer Kenntnisse des Gesamtgeschäfts, der strategischen Herausforderungen des Marktes und der Gemengelage innerhalb der Familie. Andererseits kann auch einiges dafür sprechen, die Funktion des Vorsitzenden besser extern zu besetzen, denn nicht jeder Vollblutunternehmer ist gut im „Loslassen“. Ein starker externer Beiratsvorsitzender ist auch dann gefragt, wenn die Familie eher gesellschafter- als unternehmergeprägt ist und bspw. zu wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse aufweist. Oder auch genau umgekehrt, wenn die Familie bspw. schon die gesamte operative Geschäftsführung beherrscht und ein starker, neutraler Außenstehender zur Sicherstellung von objektivierter ‚Kalibrierung’ und Unternehmenskontrolle erwünscht ist.

Entscheidendes Auswahlkriterium bei der Bestellung des Vorsitzenden und des Gremiums insgesamt muss die Kompetenz sein. Natürlich spielt gerade auch Vertrauen eine herausragende Rolle – aber Kompetenz und Vertrauen bedingen einander zumeist. In seiner Gesamtzusammensetzung sollte der Beirat spezifische, für das jeweilige Familienunternehmen wichtige Kompetenzen abdecken – wie Branchenkenntnis, strategische Ausrichtung, Bilanzsicherheit, internationale Geschäftsausweitung, Akquisitionserfahrung oder auch Talent Management.

Wie findet und gewinnt man solche Beiratsmitglieder – und vor allem Vorsitzende? Mit der langsam zunehmenden Professionalisierung der Beiräte hat auch die Professionalisierung von Beiratssuchen zugenommen. Es reicht häufig einfach nicht, befreundete Unternehmer aus der Region zu fragen, oder das eigene regionale Netzwerk zu durchforsten. Zumal keineswegs sichergestellt ist, dass der mit einem befreundete, erfolgreiche Unternehmer dann auch einen exzellenten Beirat inkl. des notwendigen Zeitbudgets abgibt. Der große Vorteil einer professionellen, von einem unabhängigen Berater durchgeführten Suche ist die breite Auswahl und tatsächliche Kompetenzprüfung. Auch hier haben sich die Zeiten geändert: Heute müssen es selbst bekannte Kandidaten für einen Beiratsvorsitz „ertragen“, dass sie interviewt und dann einem professionellen Auswahlprozess ausgesetzt werden. Auf diese Weise sollten sich dann die Chancen signifikant erhöhen, einen Allrounder mit hoher Sozialkompetenz für das Familienunternehmen zu gewinnen.

Artikel-5-AvS-Intern_150pxIn eigener Sache

Neuigkeiten aus dem Umfeld von AvS – International Trusted Advisors


Das vergangene Jahr war nicht nur durch spannende Projekte geprägt, sondern ebenso durch interessante Entwicklungen und besondere Momente, über die wir im Rahmen dieser Ausgabe des THE TRUSTED ADVISOR ebenfalls berichten möchten.

Neues Büro von AvS – International Trusted Advisors in Bogotá (Kolumbien)

Ende 2014 haben wir unser zweites Auslandsbüro in Bogotá (Kolumbien) eröffnet. Mit kontinuierlich guten Wachstumsraten zwischen vier und sieben Prozent, einem starken Anstieg der Exporte sowie internationaler Investitionen hebt sich Kolumbien seit einigen Jahren stark vom Rest des Kontinents ab. Dr. Christian Bühring-Uhle, der in Bogotá lebt, wird den Aufbau des Büros in diesem Jahr maßgeblich vorantreiben und damit die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Klienten legen.

Kooperation mit Ernst & Young im Rahmen einer internationalen Studie

Eigentümerfamilien und externe Manager bilden heute in vielen Familienunternehmen ein starkes Gespann. Doch was macht einige dieser Teams erfolgreicher als andere? Was macht ein Familienunternehmen für sehr gute Manager überhaupt erst interessant? Und wo liegen die entscheidenden Knackpunkte, die ein harmonisches und langfristiges Miteinander für beide Seiten ermöglichen? Gemeinsam mit Ernst & Young sowie in wissenschaftlicher Begleitung durch die ESCP Europe in Berlin führen wir derzeit eine Studie zum Thema „Fremdmanager in Familienunternehmen“ durch. Hierzu werden eine Vielzahl deutscher Familienunternehmen mit mindestens 300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens EUR 300 Millionen befragt, die ausschließlich von (familien-)externen Managern geführt werden. Um die verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, werden dabei nicht nur eben diese Manager befragt, sondern auch die Inhaber des Familienunternehmens selbst. Das Besondere dabei: Unsere Studie ist offenbar eine der ersten zu diesem ausgesprochen interessanten Thema! Wir werden Sie informieren, sobald die Ergebnisse vorliegen und die Studie veröffentlicht wurde.

Spätsommerlicher Empfang in Frankfurt am Main

Gemeinsam mit rund 70 Unternehmern, Vorständen und hochkarätigen Gästen haben wir an einem milden Abend Anfang September den vergangenen, zugegebenermaßen ein wenig durchwachsenen Sommer verabschiedet. Bei einem Glas Wein und guten Gesprächen rund um unseren Springbrunnen haben wir nicht nur die Gelegenheit genutzt unseren neuen Garten, sondern auch unsere neue Büroetage im Hochparterre einzuweihen.

Weihnachtsaktion für jugendliche Flüchtlingsopfer aus Somalia und Afghanistan

Zum Jahresende werden vielerorts die knusprigen Gänse aus den Öfen geholt und dazu eine gute Flasche Rotwein serviert. Nicht nur zu dieser Jahreszeit, aber insbesondere auch dann, sollte man innehalten und an diejenigen denken, die zur gleichen Zeit unter Krieg, Verfolgung, Unterdrückung oder Hunger leiden. Um diesen Qualen zu entfliehen, suchen Menschen verstärkt Schutz in Deutschland – so auch eine Gruppe von zwölf jugendlichen Flüchtlingsopfern aus Somalia und Afghanistan. Diese werden zurzeit durch die ASB Lehrerkooperative gGmbH in Frankfurt betreut, lernen Deutsch und erfahren eine aktive Eingliederung. Uns hat dieses Projekt beeindruckt und entsprechend wollten auch wir, organisiert durch unsere fünf studentischen Mitarbeiter, unseren Beitrag dazu leisten. Dem Wunsch der Jugendlichen nach einem Tischkicker sind wir gerne nachgekommen und haben diesen kurz vor Weihnachten nicht nur persönlich überreicht, sondern auch gemeinsam mit ihnen eingeweiht.

TTA 01-2014 | NACHFOLGE

fbwaldeier_middleDie schwierige Generationennachfolge

Unternehmerische Herausforderungen bei Übergabe des Staffelstabs
von Felix B. Waldeier


Auch in diesem Jahr suchen wieder über 20.000 Familienunternehmen in Deutschland einen Nachfolger. Naturgemäß soll der Nachfolger am liebsten aus eigenem Nachwuchs entstammen, wobei das bekanntermaßen nicht immer möglich ist – oder in manchen Fällen eben auch eindrucksvoll schief geht. Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) schaffen es im Schnitt lediglich 10-15% der dort erfassten Unternehmen in die dritte Generation. Und diese Erfahrungswerte drohen angesichts des demographischen Wandels keinesfalls besser zu werden. Entsprechend gibt es zahlreiche Familienunternehmer, die mangels eigenen Nachwuchses für die Nachfolge nach Fremdmanagern suchen – oder am Ende ihr Unternehmen sogar verkaufen müssen.Von den demographischen Aspekten des Problems einmal abgesehen, sind aber häufig auch schwere innerfamiliäre Konflikte Ursache für gescheiterte – oder gar nicht erst zustande kommende – Unternehmensnachfolgen. In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich übertrieben von einer generellen Tabuisierung dieses Themas zu sprechen. Aber in der Regel wird in Deutschland lieber das hingebungsvolle Loblied auf die Familienunternehmen gesungen, die mit großen Vorteilen wie Schnelligkeit, Entscheidungsfreude und Anpassungsfähigkeit als kleine, innovative, kostenbewusste und wendige Spieler in den Weltmärkten reüssieren. Und selbstverständlich erwachsen gerade aus diesen mittelstandsspezifischen Vorteilen und besonderen Tugenden tatsächlich auch große Wettbewerbsvorteile – und nicht selten herausragende Weltmarktführer.

Wahr ist aber leider auch, dass sich diese Vorteile ins drastische Gegenteil verkehren können, wenn es den Patriarchen an eigener Kalibrierung und Selbstreflexion fehlt, sie selbst nicht loslassen können – oder sich Stammesfürsten bei Anwälten die Klinke in die Hand, sich aber nicht mehr die eigene geben mögen. Wer der Meinung ist, dass die monatlich in verschiedensten Wirtschaftsmagazinen genüsslich ausgewalzten Probleme bei großen Familienunternehmen wie Oetker, Schlecker, Merckle oder Oppenheim zwar spannende, ggf. unrühmliche, aber eben auch extreme Ausnahmen seien, der irrt nach unserer Erfahrung leider. Sie sind vielleicht die Spitze des Eisbergs, aber weniger spektakuläre Probleme bei weniger großen oder prominenten Familienunternehmen existieren en masse. Und sicherlich gibt es auch eine ganze Reihe von Familienfehden, die bisher (auch durch Glück) von den Nachforschungen der Journalisten verschont geblieben sind. Nicht wenige dieser Konflikte haben sehr direkt mit Nachfolgethemen zu tun.

Doch wo genau liegen die Ursachen für ebendiese Probleme rund um Unternehmensnachfolgen? In vielen Fällen hat die nachfolgende Generation schlicht andere Zukunftspläne für sich oder die Firma als ihre Eltern. In anderen Fällen wiederum bringen potenzielle Nachfolger (scheinbar oder tatsächlich) nicht ausreichend unternehmerische Qualifikationen mit, um die Unternehmensnachfolge anzutreten. Und immer noch viel zu häufig wird die Übergabe als ein wesentlicher Teil der Unternehmerleistung verzögert, verpasst oder gar zurückgenommen. In unserer Beratungstätigkeit haben wir bereits menschlich-tragische Auseinandersetzungen in Familienunternehmen miterlebt, bei denen bspw. der Senior mit 78 Jahren unerwartet zurückkam, nachdem er bereits acht Jahre zuvor das Unternehmen (nicht aber die Mehrheit der Anteile) vor hunderten Gästen mit einem symbolischen Schlüssel und feuchten Augen dem auch nicht mehr so jungen Sohn übergeben hatte. Zwischenzeitlich hatte er dann wohl festgestellt, dass es auch in der Toskana irgendwann einmal langweilig werden kann – und es der Sohn alleine und ohne seine Mithilfe vermutlich nicht schaffen würde. Nicht selten zermürben stark emotional geprägte Machtkämpfe um Nachfolgen, Anteile oder Einflussnahme zwischen oder innerhalb von Generationen und Familienstämmen die Beteiligten. Dies kann schnell zu nicht mehr zu kittenden Zerwürfnissen der Gesellschafter untereinander führen, im schlimmsten Fall sogar zum Zerbrechen des Unternehmens.

Was ist Familienunternehmern zu raten? Auch wenn Empfehlungen natürlich immer den individuellen Kontext des Unternehmens berücksichtigen müssen, so kann sicherlich festgehalten werden: Eine erfolgreiche Nachfolge muss mit ausreichendem Vorlauf geplant und mit allen Beteiligten umfassend vorbereitet werden. Die meisten Nachfolgesituationen kommen rein biologisch bedingt aus Altersgründen zustande – und sind damit eigentlich vorhersehbar. Manchmal schlägt jedoch auch das Schicksal zu und eine Nachfolge muss sehr kurzfristig, bspw. aus Krankheitsgründen organisiert werden. Gerade aber diese entsprechenden Notfallpläne hat die Mehrheit der betroffenen Unternehmen und Familien leider nicht in der Schublade liegen. Und gibt es in solchen Fällen dann auch keinen Beirat, der bereits Verantwortung trägt oder zumindest kurzfristig „scharfgeschaltet“ werden kann, sind viele Familien mit der Situation überfordert.

Gelungene Übergaben werden oft acht bis zehn Jahre oder mehr im Voraus geplant, denn idealerweise sollten Senior und Nachfolger das Unternehmen ja sogar noch mehrere Jahre gemeinsam führen. Im Idealfall gibt es einen gut durchdachten, strukturierten und objektivierten Entscheidungsprozess, der zu einer geregelten Nachfolgelösung aus Sicht aller Beteiligten führt. Sollte es familieninterne Optionen für die Nachfolge geben, so muss mit diesen Kandidaten in der Entwicklung sehr sorgsam umgegangen werden. Den Grundstein legt bereits die Ausbildungsentscheidung, die Fortsetzung erfolgt anschließend in der Berufserfahrung. Bei mehreren Kandidaten aus unterschiedlichen Familien-/Gesellschafterstämmen sollte natürlich am Ende möglichst der oder die Beste gewinnen – und nicht die „Dicke des Bluts“ ausschlaggebend sein. Die Frage, ob und welcher Kandidat in einer Familie am besten geeignet ist das Unternehmen zu führen oder auch als aktiver Gesellschafter zu begleiten, ist eine der schwierigsten überhaupt. Auch hieran sind bereits viele Familien zerbrochen. Offensichtliche Nicht-Eignung oder offensichtlich herausragende Eignung sind dabei noch relativ leicht zu beurteilen – selbst für Väter. Äußerst schwierig aber wird es, wenn zwischen „noch geeignet“ und „knapp nicht geeignet“ unterschieden werden muss. Auch Nachfolger können zwar in größere Funktionen hineinwachsen und sich entwickeln, aber „Unternehmer-Gene“ werden leider selten vererbt und kommen auch bei größerer Gestaltungsfreiheit nicht plötzlich zum Vorschein. Ein externer Moderator – ob Beiratsvorsitzender oder auch unabhängiger Berater – kann bei solchen Entscheidungen wichtige Unterstützungsarbeit leisten, für eine gewisse Objektivität sorgen und versuchen, sich andeutende Familienkonflikte zu moderieren bzw. aufzulösen.

Neben Überlegungen zu Absicherung und Vorsorge, sollten auch finanzielle und rechtliche Aspekte einer Nachfolge nicht vernachlässigt werden. Ein potenzieller Nachfolger muss unter Umständen, abhängig von der aktuellen Unternehmensbewertung, mit erheblichen Transaktionskosten (Steuern, Kosten für (juristische) Beratung etc.) rechnen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, frühzeitig eine langfristige Familienstrategie zu erarbeiten, welche Interessen von Familie und Gesellschafterverantwortung in Einklang bringt und einen Rahmen bildet, um das Unternehmen erfolgreich in die nächsten Generationen zu überführen. Niedergeschrieben in einer Familien- und Unternehmensverfassung können dann u.a. Unternehmenswerte und -ziele, aber auch Voraussetzungen für einen Nachfolger festgelegt werden.

Am Ende bleibt der schwierige Prozess der Generationennachfolge eine der zentralen Herausforderungen, die der Unternehmer als persönliche Aufgabe mit hoher Priorität ansehen sollte. Der rechtzeitige Anstoß des Prozesses, das umfassende Involvieren aller Beteiligten, eine offene Kommunikation sowie die Inanspruchnahme externer Unterstützung und Beratung kann eine erfolgreiche Generationennachfolge sehr positiv beeinflussen.

cbu_middleAktives „Nachfolge-Management“

Die Rolle der Aufsichtsorgane bei der Nachfolgeplanung für CEOs
von Dr. Christian Bühring-Uhle


Jedes Jahr werden mindestens 10-15% der CEO-Positionen neu besetzt und dabei hat insbesondere der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums eine besondere Rolle und Verantwortung. In der Realität kann man jedoch bei der Bewältigung von Nachfolgesituationen immer wieder schwerwiegende Fehler beobachten – mit manchmal fatalen Folgen für das Unternehmen.Jedes Jahr werden mindestens 10-15% der CEO-Positionen neu besetzt, was einer durchschnittlichen Verweildauer von höchstens sieben bis acht Jahren entspricht. Obwohl es sich nicht nur um eine außergewöhnlich wichtige, sondern auch unausweichliche Aufgabenstellung handelt, sind die meisten Unternehmen darauf nicht vorbereitet. In den Vereinigten Staaten können Aktionäre das „Board of Directors“ sogar im Klagewege zur Erstellung eines Nachfolgeplans zwingen, und dennoch hat eine Umfrage in den USA ergeben, dass in 50% der Unternehmen das Board of Directors sich nicht in der Lage sah, im Bedarfsfall einen Nachfolger zu benennen. In 40% der Unternehmen wurde angegeben, dass es nicht einen einzigen geeigneten, internen Nachfolgekandidaten gäbe. Dies scheint keine allzu große Sorge zu sein, da die auf das Thema Nachfolge verwandte Zeit im Durchschnitt gerade einmal zwei Stunden im Jahr beträgt. Dabei ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsorgans (sei es Aufsichtsrat oder aufsichtsführender, also nicht bloß beratender Beirat) sicher zu stellen, dass das Unternehmen bestmöglich geführt wird, d.h. dass die Person an der Spitze den gegenwärtigen – und insbesondere den zukünftigen – Anforderungen an die Führung des Unternehmens maximal gerecht wird.

Dies bedeutet, dass das Aufsichtsorgan nicht nur den Mann oder die Frau an der Spitze des Unternehmens begleiten und beaufsichtigen und wissen muss, wann es Zeit für einen Wechsel an der Spitze ist. Sondern auch, dass das Aufsichtsorgan insbesondere dafür Sorge tragen und Vorkehrungen treffen muss, dass jedweder Wechsel an der Spitze, sei er nun turnusmäßig oder unvorhergesehen, zu der für die Zukunft des Unternehmens optimalen Besetzung führt. Diese Verantwortung für die Nachhaltigkeit des Unternehmens ist vielleicht die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsorgans überhaupt. Insbesondere der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums hat hier eine besondere Rolle und Verantwortung. Die Realität sieht leider allzu oft anders aus, denn gerade bei der Bewältigung von Nachfolgesituationen kann man immer wieder schwerwiegende Fehler beobachten – mit manchmal fatalen Folgen für das Unternehmen.

Wir kennen aus unserer Praxis natürlich auch positive Bespiele. So wurden wir vom Verwaltungsratsvorsitzenden eines größeren, börsennotierten Unternehmens bereits mehr als ein Jahr vor dem frühestmöglichen Ausscheiden des CEOs um ein Angebot zur Begleitung der Nachfolge gebeten. Insbesondere aus dem Mittelstand sind uns allerdings auch viele Fälle bekannt, wo CEO-Nachfolgen schlicht gar nicht vorbereitet und organisiert wurden. Ganz häufig haben ja selbst durchaus signifikante Mittelständler überhaupt kein Aufsichtsgremium und damit auch niemanden, der dem langgedienten Vorsitzenden zu der Einsicht verhilft, dass eine echte „Unternehmerleistung“ erst mit einer erfolgreichen Übergabe vollendet ist.

Um diesem Thema gerecht zu werden, sollte man bedenken, dass es hier nicht um ein punktuelles Ereignis geht, sondern um einen kontinuierlichen Prozess, der einerseits strategischen Charakter hat und andererseits ein wichtiger Eckstein der dem Aufsichtsorgan obliegenden Risiko-Management-Funktion ist. Es wird überwiegend angenommen, dass, ceteris paribus und insbesondere in größeren Organisationen, eine interne Nachfolge externen Lösungen überlegen ist, unter anderem weil ein interner Nachfolger das Unternehmen (und seinen Markt, seine Wettbewerber etc.) besser kennt und auf die Spitzenaufgabe systematisch vorbereitet werden kann. Und tatsächlich wird, jedenfalls bei größeren Unternehmen, die Nachfolge häufig intern gelöst.

Die erhofften Vorteile einer geordneten Übergabe können einigermaßen verlässlich nur realisiert werden, wenn über Jahre kontinuierlich daran gearbeitet wird, dass möglichst eine Mehrzahl grundsätzlich geeigneter Kandidaten zur Verfügung steht. Ein wirklich geeigneter Kandidat für die Spitzenposition wächst nicht von selbst heran, zumal in der neuen Aufgabe ganz andere Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale gefordert sein werden, als in den Aufgaben, die die internen Leistungsträger bislang zu bewältigen hatten.

Im Mittelstand sind allerdings viele Unternehmen aufgrund ihrer Unternehmensgröße und den zur Verfügung stehenden organisatorischen und finanziellen Ressourcen schlechterdings außer Stande, Nachfolgekandidaten im Unternehmen vorzuhalten. Das gilt nicht nur für CEO-Kandidaten, sondern häufig für sämtliche Führungsfunktionen.

Ein Aufsichtsorgan wird seiner Aufgabe nur gerecht, wenn es das Thema „Nachfolge“ aktiv managt und einen wesentlichen, idealerweise den überwiegenden Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit der Zukunft widmet, anstatt in der Beschäftigung mit dem Status Quo und vertrauten Gesichtern zu verharren. Auch kann das Aufsichtsorgan diese Aufgabe nicht dem aktuellen Stelleninhaber überlassen. Wenn sich der langjährige CEO einen „Kronprinzen“ nach eigenem Geschmack heranzieht, und womöglich auch noch nach der Stabübergabe an die Spitze des Aufsichtsorgans wechselt (was auch heute noch häufig zu beobachten ist), dann darf es nicht verwundern, wenn das Unternehmen den sich wandelnden Anforderungen irgendwann nicht mehr gewachsen ist. Dazu kommt die Gefahr, dass der frühere Vorsitzende dann gerne zum „back-seat-driver“ mutiert und aus dem Aufsichtsgremium die Geschicke lenkt. Unsere Erfahrung ist hier: Wenn ein starker CEO-Nachfolgekandidat solch eine Konstellation wittert, dann kommt er meistens gar nicht erst. Die andere Gefahr: Ein eben nicht so starker Vorgänger (bei Familienunternehmen gelegentlich zu besichtigen) sucht sich gleich jemand Handzahmes – oder jemanden, der noch schwächer ist, als er selbst.

Einige praktische Empfehlungen an Inhaber und Aufsichtsorgane:

  • Es empfiehlt sich, die Anforderungskriterien, den Prozess für die Regelung der Nachfolge, sowie den „Pool“ an kurz- und mittelfristigen Kandidaten ausführlich zu diskutieren, zu dokumentieren und in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Insbesondere im Hinblick auf die für die Spitzenposition zu fordernden Kompetenzen sollte die Messlatte hoch gelegt werden. Das Erarbeiten dieser Eignungs- und Erfahrungskriterien ist eine ebenso wichtige wie anspruchsvolle Aufgabe.
  • Der aktuelle CEO spielt insbesondere beim Aufbau eines Kandidaten-Pools eine wichtige Rolle, darf den Prozess aber nicht monopolisieren. Und die Mitglieder des Aufsichtsgremiums müssen diese Menschen auch kennenlernen und einen eigenen „Draht“ zu ihnen entwickeln.
  • Auch wenn die Unternehmensgröße es erlaubt, systematisch an einer internen Nachfolgeplanung zu arbeiten, ist es häufig von Vorteil, auch externe Kandidaten in den Besetzungsprozess mit einzubeziehen, da man damit nicht nur die Auswahl erweitert und die Aussichten auf „frisches Blut“ erhöht, sondern auch, weil ein interner Nachfolger, der sich gegen externe Kandidaten durchgesetzt hat, ein besseres „Standing“ haben wird, wenn er die neue Aufgabe in Angriff nimmt. Darin steckt aber auch eine Gefahr – dass nämlich interne Kandidaten „verbrannt“ oder demotiviert werden. Ein solches, zweigleisiges Vorgehen muss daher sorgfältig gemanagt und moderiert werden und erfordert ein großes Maß an Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
  • Selbstverständlich erfordert ein gutes Nachfolge-Management ein Höchstmaß an Vertraulichkeit. Diese wird in der Praxis häufiger außer Acht gelassen, als man meinen würde. Hier ist eine erhöhte Wachsamkeit insbesondere von Seiten des Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums unerlässlich.
  • Insbesondere bei einer externen Besetzung muss dafür Sorge getragen werden, dass der neue Mann (oder die Frau!) an der Spitze reibungslos in die neue Position (und ggf. die Organisation) integriert wird.
  • Last but not least muss es einen (konkreten!) Notfall- und Interimsplan geben, falls der CEO kurzfristig und unerwartet (aus welchem Grund auch immer) „ausfällt“.

Wenn diese Empfehlungen beherzigt werden, dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass aus Krisen Chancen werden, denn eines ist klar: Das einzig Beständige im Leben – auch im Leben von Unternehmen – ist der Wandel.

avspecht_middleEin bisschen mehr als nur Bauchgefühl…

Kompetenzbasierte Einschätzung und Beurteilung von Nachfolgern und Führungskräften
von Andreas von Specht


Viele Entscheider gehen mit ihrer langjährigen Erfahrung, einer ordentlichen Portion gesundem Menschenverstand und einem ausgeprägten Bauchgefühl in wichtige Personalgespräche. Allerdings sind rein intuitive Beurteilungen häufig stark verzerrt und der Beurteiler droht in gleich mehrere Fallen hineinzutappen.Ein mittelständischer Unternehmer saß uns gegenüber und war einigermaßen ratlos. Fast drei Stunden habe er neulich wieder mit einem Kandidaten für die Leitung seines Hauptwerkes verbracht. Es sei ein sehr nettes, angenehmes Gespräch gewesen – und der Mann habe durchgehend einen grundsoliden und auch dynamischen Eindruck hinterlassen. Der Unternehmer habe das Gespräch dann schließlich beendet und sich gedacht: „Im Grunde bin ich doch jetzt genauso schlau wie vorher. Ist das wirklich der Mann, dem ich die zweitwichtigste Funktion in meinem Unternehmen anvertrauen möchte? Woran genau soll ich eigentlich festmachen, ob er das wirklich kann, oder ob er nur ein gut geübter Bewerber ist?“ Nett und umgänglich war der Kandidat ja – aber er wisse natürlich selbst, dass das alleine nicht reicht. Was aber sind dann die objektivierten Kriterien, nach denen er eine herausragende Führungskraft beurteilen sollte? Welche zentralen Fragen müsste er im nächsten Gespräch noch stellen, um zu einer tiefergehenden Beurteilung zu gelangen? Und woran erkenne er eigentlich, ob der Kandidat zusätzlich auch das Potenzial habe, eines Tages vielleicht sogar sein eigener Nachfolger als Chef des ganzen Unternehmens zu werden?

Diese Fragen begegnen uns häufiger. In ehrlichen Momenten werden sie auch so offen gestellt – und manchmal merkt man eher intuitiv, dass sie selbst erfahrene Unternehmensführer stark beschäftigen. Gerade auch Unternehmer, die zwar häufig interne Personalentscheidungen treffen, aber relativ selten Führungskräfte am Markt rekrutieren.

Sehr viele Entscheider gehen mit ihrer langjährigen Erfahrung, einer ordentlichen Portion gesundem Menschenverstand und einem ausgeprägten Bauchgefühl in solche Gespräche. Das ist auch gut und richtig so, schließlich muss ja u.a. auch herausgefunden werden, ob bspw. ein Nachfolgekandidat in das besondere kulturelle Geflecht des eigenen Unternehmens hineinpasst. Allerdings sind rein intuitive Beurteilungen häufig stark verzerrt und der Beurteiler droht in gleich mehrere Fallen hineinzutappen. Beispielhaft seien an dieser Stelle nur ein paar wenige Wahrnehmungsverzerrungen erwähnt: Der sogenannte „Halo-Effekt“ beschreibt, wie die Beurteilung eines Kandidaten auf Basis eines sehr positiven Eindrucks in einer spezifischen Situation im Anschluss verallgemeinert wird. Das Ganze funktioniert auch genau umgekehrt, wenn ein kritischer Ersteindruck die gesamte Beurteilung nach unten zieht („Horn-Effekt“). Oder es kommt im Kopf des Beurteilers zu einem „Hierarchie-Effekt“, bei dem hierarchisch höher angesiedelte Kandidaten quasi automatisch besser beurteilt werden – nach dem Motto: „Einmal Vorstand, immer Vorstand.“ Sehr viele Beurteiler lassen sich auch gerne vom allerersten Eindruck leiten, der dann die gesamte Beurteilung überdeckt. Die Liste möglicher Wahrnehmungsverzerrungen ist noch sehr viel länger. Man stelle sich einen Aspiranten für eine Partnerposition in einer konservativen Privatbank vor, der mit weißen Tennissocken unter der zu kurzen Anzugshose den Raum betritt. Kommt ein Beurteiler über diese optische Erstwahrnehmung später im Gespräch wohl noch hinweg?

Beurteilungen sind also außerordentlich fehleranfällig. Insofern lautet auch eine erste Empfehlung, sich bei sehr wichtigen Einschätzungen von anderen Menschen ausreichend Zeit zu nehmen. Es passiert häufig, dass Entscheider eigentlich schon nach zehn Minuten zu wissen glauben, dass eine Führungskraft „leider nicht passt“. Noch erstaunlicher aber ist die vermeintliche Befähigung, nach einer halben Stunde Gespräch bereits sicher zu sein: „Jawohl, das passt!“. Wir, als auf die Einschätzung und Beurteilung von Führungskräften und Unternehmer-Nachfolgern spezialisierte Berater, können das jedenfalls nicht.

Wir empfehlen unseren Klienten gerne, die Messlatte für die angestrebte „Passform“ möglichst hoch zu legen. Das bedeutet keineswegs nun möglichst nach der berühmten Nadel im Heuhaufen oder der „eierlegenden Wollmichsau“ zu fahnden. Aber ein Entscheider sollte sich sowohl bei der Leistungsbewertung des eigenen Führungspersonals, als auch bei der externen Rekrutierung schon vorher klarmachen, nach welchen Kriterien er später beurteilen möchte. Als wir einen Hamburger Rohstoffhändler einmal fragten, was denn für ihn die wichtigsten Kriterien für die externe Suche nach seinem Nachfolger seien, sagte er uns: „Der muss natürlich schon ein bisschen was herzeigen können – aber vor allem soll er möglichst nicht stehlen.“ Aus unserer Sicht geht das durchaus noch etwas differenzierter. Vor allem brauchen Beurteiler Methoden, die die vorher aufgezeigte Fehleranfälligkeit reduzieren. Kompetenzbasierte Interviews sind eine solche Methode, und zwar unserer Überzeugung nach die beste, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurde.

Kompetenzen sind für den geschulten Beurteiler zuverlässig messbar und stellen einen guten Indikator gegenwärtiger und zukünftiger Arbeitsleistung dar. Es gibt Unternehmen, die sehr komplexe Kompetenzmodelle mit 30 oder 50 Einzelkompetenzen entwickelt haben. Tatsächlich kann man aber bereits mit etwa 8-10 Kernkompetenzen seniore Führungskräfte sehr genau erfassen und beurteilen. Diese Kernkompetenzen können zusammenfassend in Unternehmer- und Sozialkompetenzen unterteilt werden.

Es gibt kaum einen Auswahlprozess für eine Unternehmer-Nachfolge, bei dem der Anspruch an Kandidaten, vor allem sehr „unternehmerisch“ zu sein, nicht ausdrücklich formuliert wird. Aber was heißt das eigentlich genau? Wann ist jemand unternehmerisch? Und wann eher nicht? Die wichtigsten Unternehmerkompetenzen sind sicherlich konsequente Ergebnisorientierung, strategisches Denken und Veränderungsmanagement, wozu auch die Fähigkeit gehört, vertretbare Risiken einzugehen. Natürlich braucht es auch Fachkompetenz und Marktkenntnisse, aber ohne hohe Ausprägungen bei den drei erstgenannten Kernkompetenzen kommt ein Unternehmer sicher nicht aus. Wenn das die „harte Seite“ der Medaille ist, müssen zusätzlich Sozialkompetenzen untersucht werden, also die vermeintlich „weiche Seite“. Wichtige Sozialkompetenzen sind insbesondere Führungsbefähigung, Mitarbeiterentwicklung und Teamorientierung, aber beispielsweise auch das wichtige Thema Kundenorientierung. Und stellen Sie sich einmal einen global in vielen Märkten agierenden Manager vor, der leider aber interkulturell nicht „geländegängig“ ist – und bspw. in Asien „wie ein deutscher Panzer“ alles platt walzt. Da wird dann strategische Weitsicht oder die Befähigung zur Veränderung schnell neutralisiert.

Bei der endgültigen Auswahl, vor allem aber der Gewichtung der Einzelkompetenzen, kommt es auch auf die spezifische Unternehmenssituation und die Position an. Die Kompetenzen werden in ihrer Einschätzung nicht absolut eingestuft („die ist ergebnisorientiert; der ist es nicht“), sondern skaliert. Jede einzelne Kompetenz kann in unterschiedliche „Aktivierungsstufen“ aufgeteilt werden. Ist eine Kompetenz nicht besonders stark ausgeprägt (d.h. die Ausprägung liegt im unteren Bereich), verhält sich eine Führungskraft eher reaktiv. Dann kommen bei der Einschätzung häufiger Begriffe vor wie „er versteht“, „er versucht“ oder „er bemüht sich, Fehler zu vermeiden“. Führungskräfte, die sehr hohe Ausprägungen bei einer Kompetenz zeigen, sind in diesem Bereich „pro-aktiv“. Dann wird nicht nur „verstanden“ und auch nicht mehr nur „angewendet“, sondern „entwickelt“. Nicht nur „versucht“, auch nicht mehr nur tatsächlich „erreicht“, sondern „übertroffen“. Manager mit derart hohen Kompetenzausprägungen können meistens auch begeistern, mitreißen und andere zu Höchstleistungen bewegen. Bei einem kompetenzbasierten Interview wird Verhalten in der Vergangenheit untersucht, um einen Indikator für zukünftiges Verhalten zu erhalten. Dabei spielt weniger das „Was“ eine entscheidende Rolle, als das „Wie“. Also nicht nur das „Was haben Sie gemacht?“ hinterfragt, sondern möglichst tiefergehend in Richtung „Wie sind Sie vorgegangen?“, „Wie haben Sie das Ergebnis erzielt?“ oder „Wie genau sah das Ergebnis aus?“.

Am Ende einer kompetenzbasierten Einschätzung sollte ergänzend ein umfassender Referenzprozess stehen. Es kann wohl niemand so authentisch über das Teamverhalten eines Kandidaten Auskunft geben, wie frühere Team-Mitglieder; oder einschätzen, wie sich direkte Führung anfühlte, wie ehemalige Mitarbeiter. Vor allem aber sollten frühere Vorgesetzte oder Beiratsvorsitzende zu Wort kommen, wenn es um die Frage geht, ob ein Kandidat bspw. ein Tochterunternehmen wirklich nachhaltig entwickelt hat. Aber Vorsicht: Auch das Einholen von Referenzen will geübt sein. 90% aller Referenzgeber, so sagen Erhebungen, nehmen sich vor einem Referenzgespräch vor, eine tendenziell positive Einschätzung abgeben zu wollen.

Kann also dem mittelständischen Unternehmer, der sich bei der Einschätzung seines potentiellen Nachfolgers so schwer tut, doch geholfen werden? Wir glauben schon. Wie in anderen Lebenssituationen kommt es auf eine gute Mischung an: Ein handwerklich sauberer, kompetenzbasierter Interviewprozess, abgesichert durch umfassende Referenzaussagen – und am Ende ruhig auch etwas Intuition und Bauchgefühl.