Stolpersteine für Fremdmanager

Interview mit Martina Sandrock, Beraterin, Beirätin & Managerin

von Andreas von Specht

Martina Sandrock ist Gründerin und CEO von connect & innovate – Begleitung in strategischen Unternehmens-Veränderungsprozessen. Sie war als Vorsitzende der Geschäftsführung viele Jahre in internationalen Konzerntöchtern der Lebensmittelindustrie tätig, bevor sie 2017 den Vorstandsvorsitz eines mittelständischen Familienunternehmens übernahm. Sie ist Dipl.-Kffr./MBA (USA) und hat Leadership Trainings an der Harvard Business School und am Center for Creative Leadership/Colorado Springs absolviert. Schon 2006 wurde sie mit dem Preis „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet und 2010 zu einer der „Top 10 Business Women“ durch die Financial Times Deutschland gewählt. Seit vielen Jahren ist Martina Sandrock Beirätin in B2C- und B2B-Familienunternehmen.

AvS – International Trusted Advisors: Frau Sandrock, Sie haben selbst schon erlebt, wie herausfordernd der Wechsel eines erfolgreichen Fremdmanagers aus Großunternehmen in ein Familienunternehmen sein kann. Nicht selten gehen diese Nachfolgen sogar schief. Woran liegt‘s?

Martina Sandrock: Die Gründe dafür sind natürlich unterschiedlich je nach Situation und haben nach meiner Erfahrung auch nicht hauptsächlich mit einer Seite allein als Verursacher des Scheiterns solcher Wechsel zu tun. „Es bedarf eines ausreichenden zeitlichen Vorlaufs, damit die einzelnen Schritte einer erfolgreichen Nachfolge gründlich vorbereitet und strukturiert umgesetzt werden können“ bekommen viele Unternehmer in dieser Situation als wichtigste Regel mit auf den Weg. „Halte Dich zurück, höre erst einmal zu, versuch nicht, alles gleich anders zu machen!“ sind die wohlgemeinten Ratschläge, die der Nachfolger bekommt. Und so werden gut gemeinte Pläne gemacht und Vorhaben formuliert, die sich häufig jedoch in der Realität nicht bewähren. Oft tragen beide Seiten gleichermaßen ihren Teil zum Misslingen bei – der Unternehmer wie auch der gründlich ausgesuchte Nachfolger.

Was sollten denn Familienunternehmer beachten, wenn sie sich auf das Wagnis einer Zusammenarbeit mit einem Fremdmanager einlassen?

Unternehmer und Gesellschafter überschätzen häufig die Zukunftsfähigkeit ihrer eigenen Unternehmen – und sind dann ganz überrascht, was ein Nachfolger von außen mit frischem Blick alles als Veränderungsbedarf analysiert. Oft entscheidet sich ein Unternehmer ja überhaupt erst dann seine eigene Nachfolge zu regeln, wenn seiner Meinung nach sein Haus dafür genügend gut aufgestellt erscheint. Mit den sich rasant beschleunigenden und immer komplexer werdenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen heißt eine zufriedene Status-Eigeneinschätzung aber noch lange nicht, dass das Unternehmen auch wirklich für die Zukunft gerüstet ist. Dass der Nachfolger dann einfach nur „weiter so“ machen muss. Manche Unternehmer unterschätzen den Wert des „externen Blicks“ und auch die bewährten Erfahrungen und Arbeitsweisen des auserwählten Nachfolgers – für genau die der Fremdmanager ja aber eigentlich auch ausgesucht wurde.

Der Unternehmer muss also vor allem zugunsten seines Nachfolgers loslassen können?

Ja – und im Übrigen muss sich natürlich nicht nur der Unternehmer umstellen. Ein anderes Phänomen betrifft nämlich die Bedeutung von Teamarbeit des Top Managements: Häufig genug hinterlässt der Unternehmer nach seinem Abgang Einzelkämpfer, die dem Chef „gedient“ haben und sich nie wirklich als konstruktiv zusammenarbeitendes Team aufstellen und beweisen mussten. Zudem haben sie wahrscheinlich mit Stolz und großer Loyalität im direkten Austausch mit dem Unternehmer gestanden und sehen das geforderte Zusammenarbeiten mit einem neuen, externen Manager auch schon mal als Degradierung an. Ein neuer Chef im Unternehmen ist im Übrigen nicht nur für den Unternehmer, seinen Nachfolger und das Führungsteam eine große Herausforderung, sondern für ALLE Mitarbeiter eine einschneidende Zäsur. Sie verlieren ja zunächst ihre wichtigste Bezugsperson im Unternehmen. Und damit ein Stück weit Sicherheit, Vertrauen und Routine. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird von ihnen nun verlangt werden, sich an neue, bisher eher ungewohnte Arbeitsweisen zu gewöhnen. Denn ohne den Unternehmer an Bord wird die Führungsebene wichtige Entscheidungen eher im Gremium treffen und dabei viel mehr als der Unternehmer Zahlen, Daten, Fakten, „Mitdenken“ und selbstständiges Arbeiten einfordern. Mehr Transparenz, Offenheit und Miteinander sind dann meistens gefragt.

Was müssen Nachfolger – und Fremdmanager generell – bei der Integration in ein Familienunternehmen beachten?

Nachfolger überschätzen manchmal ihre Befähigung, den besonderen ‚Code‘ von Familiengesellschaftern wirklich dechiffrieren zu können und sie neigen auch dazu, eigene Erfahrungen und Kompetenzen zu überschätzen. Ganz am Anfang unterschätzen Fremdmanager gerne die Wichtigkeit einer professionellen Inthronisation durch den Unternehmer. In vielen Unternehmen ist die Stabsübergabe voll und ganz auf den Abschied des Unternehmers konzentriert. Die Kommunikation, die offiziellen Feiern mit Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitern – alles dreht sich um den scheidenden Unternehmer. Warum der Nachfolger ausgesucht wurde, welche Erfahrungen und Kompetenzen er mitbringt und mit welcher Mission er an den Start gehen soll, bleibt häufig unausgesprochen.

Mit welcher Folge?

In der internen und externen Kommunikation kommt dann die persönliche Vorstellung des Nachfolgers häufig zu kurz; es fehlt z.B. die Bekundung des Unternehmers, den Nachfolger gründlich und nach professionellen Kriterien ausgesucht zu haben und ihm jetzt vertrauensvoll die Verantwortung zu übergeben. Dieser formale Inthronisierungsakt sollte m.E. mindestens den gleichen Stellenwert in der Kommunikation haben, wie der gebührende Abschied des Vorgängers. Und Nachfolger sollten darauf auch genau achten.

Sind danach die ersten Wochen und Monate im Unternehmen geschafft, sind viele Nachfolger in der Regel geneigt, sich mehr und mehr vor allem mit den Sachfragen zu beschäftigen. Wie setzen wir Projekte auf, wie ziehen wir sie am schnellsten durch, wo können schnell erste Erfolge erzielt werden? Bei der dabei routinierten Anwendung der mitgebrachten Erfahrungen und Kompetenzen gerät die emotionale Beschäftigung mit der Beziehung zur Unternehmerfamilie schon mal ins Hintertreffen. Gerade aber nach den ersten 6 Monaten – der „Honeymoon-Phase“ – wird diese Beziehung häufig nochmals auf eine harte Probe gestellt.

Die Integration und das Onboarding können auch mehr als 6 Monate benötigen?

Gerade in den ersten Monaten passieren Fremdmanagern schon einmal ungewollte ‚Stockfehler‘, z.B. weil man die ungeschriebenen Gesetze im Unternehmen nicht verstanden hat. Da ist die Gefahr von Missverständnissen und des „auf die Füße treten“ sicher am größten. Aber auch nach den ersten Monaten sollte man im Umgang weiter sehr achtsam sein. Zum Beispiel sollten Fremdmanager den regelmäßigen Austausch mit dem Unternehmer und der Inhaberfamilie nutzen, um mehr zu erfahren und zu verstehen, was die Unternehmer antreibt, welche positiven und bitteren Erfahrungen den Vorgänger geprägt haben und worauf er besonders stolz ist und Wert legt. Fremdmanager müssen sich bewusst machen, dass parallel mit ihrem wachsenden Stolz, die Unternehmensführung immer besser zu meistern, beim Unternehmer noch immer ein eventuell schmerzhafter „Abnabelungsprozess“ laufen kann. Da muss dann bei allem Selbstbewusstsein in adäquater Form auch etwas Demut vor der Aufgabe und Loyalität zum Unternehmer sichtbar werden.

Was ist mit den vorhin angesprochenen Veränderungen, die Nachfolger beim Eintritt häufig schnell als Notwendigkeit erkennen – und dann umsetzen wollen?

Das ist ein wichtiges Thema, denn häufig erfordert die Unternehmenssituation schnelle und dringende Änderungen. Veränderungstempo und -art sind ein ganz grundsätzliches Thema und beinhalten viele Facetten. Erstens: die formale Einigung auf die Veränderung. Fremdmanager unterschätzen am Anfang gerne die Bedeutung einer formalen Einigung auf den von ihnen empfohlenen Veränderungsprozess. Nach den ersten 100 Tagen im Unternehmen sollte der Nachfolger dem Unternehmer oder dem Beirat z.B. einen schriftlichen Bericht über den wahrgenommenen Status und die notwendigen und geplanten Veränderungsmaßnahmen vorlegen – und dafür dann auch ein formales ‚go‘ einfordern. Zweitens: Viele Menschen warten nicht unbedingt auf Veränderung und möchten lieber das Bewährte, Vertraute bewahren. Das Momentum, die Energie, die beim Chefwechsel entsteht, muss genutzt werden. Veränderung muss zeitnah angeschoben werden. Je mehr sich in der Mannschaft erst einmal das Gefühl breitmacht, es bleibt doch alles beim Alten, desto schwieriger wird es, Neues auf den Weg zu bringen. Drittens – und das ist mir persönlich immer ganz besonders wichtig – Veränderungsplanung und -umsetzung dürfen nicht im stillen Kämmerlein stattfinden! Die gesamte Mannschaft muss mitgenommen, eingebunden, motiviert und verantwortlich gemacht werden. Das erfordert auch für jeden einzelnen u.U. eine enorme persönliche Veränderung, die vom neuen Chef und seiner Führungsmannschaft eng begleitet werden muss. Nur so kann ein solch wichtiger Prozess gelingen.

Gibt es noch einen Tipp gerade für Nachfolger von Familienunternehmern?

Es gäbe da sicher noch eine Reihe von Hinweisen. Aber ein sehr wesentlicher Punkt ist m.E. die Bedeutung der direkten Zuständigkeit für die Personal- und Kommunikationsabteilung im Unternehmen keinesfalls zu unterschätzen. Während viele, gerade etwas tradiertere Unternehmer diese Abteilungen teilweise noch als ‚administrative Zuarbeiter‘ betrachten, können sie für den neuen Fremdmanager fast überlebenswichtig werden. Wenn der Start im Unternehmen mit einer notwendigen Restrukturierung oder mit einem Unternehmens- und Führungskulturwandel einhergeht, braucht es hier den direkten „Zugriff“ auf die Führung der Personal- und Kommunikationsabteilung und deren Mitarbeiter als die Organisatoren und Koordinatoren des vorgesehenen Wandels.

Frau Sandrock, wir bedanken uns für diese Einblicke!