Der legitime Inhaber
Zur richtigen Wertschätzung der wichtigsten Rolle in einem Unternehmen
von Dr. Christian Bühring-Uhle
Familienunternehmen gelten als das „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft und beschäftigen 7,4 Millionen Menschen. Die Nachhaltigkeit eines jeden Unternehmens hängt von der Qualität seiner Führung ab. Und die Anforderungen steigen in Zeiten von Globalisierung und zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit. Daher ist die Regelung der Nachfolge für den Großteil der deutschen Familienunternehmen eine existentielle Herausforderung.
Weder die Eignung noch die Neigung zur Unternehmerrolle lassen sich vererben oder der nächsten Generation einfach so beibringen – geschweige denn aufzwingen. Und auch ein kompetenter Umgang mit sozialen Medien und die Vertrautheit mit digitalen Geschäftsmodellen und New Work bedeuten noch nicht, dass ein Erbe die Kompetenzen für die Führung einer großen Organisation besitzt.
Der Schlüssel zur Lösung dieses Dilemmas liegt darin, die Rolle des Inhabers gedanklich von der des operativen Geschäftsführers zu trennen – und ihr gerecht zu werden.
Wir meinen: Nur wer diese Inhaber-Rolle ernst nimmt und sie professionell wahrnimmt, ist ein legitimer Inhaber.
Die wichtigste Aufgabe des Inhabers ist, für eine zukunftsfähige strategische Ausrichtung, eine adäquate Finanzierung und eine gute Führung des Unternehmens zu sorgen. Die Formulierung dieser Strategie und die operative Führung muss der Inhaber nicht selbst wahrnehmen – das kann (und in vielen Fällen muss) er delegieren. Aber der Verantwortung als Inhaber (insbesondere dafür zu sorgen, dass das Unternehmen gut geführt wird und adäquat finanziert ist) kann man nicht entfliehen – es sei denn, man veräußert das Unternehmen. Dann ist man aber eben auch nicht mehr Inhaber. Verantwortungsvolle Inhaber lassen sich in der Wahrnehmung ihrer Rolle oft professionell, zum Beispiel durch einen Beirat, unterstützen. Aber auch einen solchen Beirat muss der Inhaber besetzen und laufend daraufhin überprüfen, ob er auch wirklich den angestrebten (und erforderlichen) Wertbeitrag zur Qualität der Führung des Unternehmens leistet.
Jemand kann nur dann als erfolgreicher Unternehmer angesehen werden, wenn er dem Geschaffenen die Chance der Nachhaltigkeit verleiht, indem er es am Ende seiner Schaffenszeit in gute Hände gibt. Aber wir beobachten, dass viele Unternehmer an der Aufgabe scheitern, ihr Haus zu bestellen. Und nachfolgende Generationen sind mit der Situation oft überfordert, weil sie nicht darauf vorbereitet werden und weil sie ihre Aufgabe oft schon nicht richtig erfassen. Häufig orientieren sich Kinder an dem Vorbild des operativ tätigen Elternteils, den man als dominanten „Owner-Operator“ erlebt hat. Oder das Vorbild ist der Startup-Unternehmer, der – ebenfalls als „Owner-Operator“ – sein Unternehmen „aus der Garage an die Wall Street“ bringt. Aber dazu sind die Nachfahren oft nicht geeignet, und es ist auch das falsche Rollenverständnis. Denn es kommt nicht unbedingt darauf an, das Unternehmen selbst operativ zu führen, sondern man muss in erster Linie ein guter Inhaber sein. Und wenn es, was in nachfolgenden Generationen der Normalfall ist, nicht nur einen Inhaber gibt, muss man sich als Gruppe abstimmen und sicherstellen, dass wer immer die operative Führung innehat, dies als „Dienender“ tut, der den (Mit-) Inhabern Rechenschaft schuldet. Das führt häufig zu Streit, Frust und Wertvernichtung.
Die Nachfolger stehen vor der Herausforderung, für die Zukunft Einigkeit darüber herzustellen
- was die Inhaberfamilie mit dem Unternehmen bezweckt (Strategie, Finanzen),
- wie die Unternehmerfamilie die Handlungsfähigkeit als „legitimer“ Inhaber herstellen und erhalten kann, und
- wer welche Rolle am besten wahrnehmen soll: operative Führung, aktiver Gesellschafter und gegebenenfalls Beirat.
Wichtig ist dabei, dass die Mitglieder der Inhaberfamilie, jede(r) für sich und alle gemeinsam, Klarheit über ihr Selbstverständnis als Inhaber und als Inhaberfamilie gewinnen. Eine gute Führung, sei sie Familien-intern oder -extern, lässt sich nur sicherstellen, wenn „der Inhaber“ klare Antworten bieten kann zu den fundamentalen Fragen der Inhaberstrategie mit Bezug auf das Unternehmen und der Definition seiner eigenen Rolle. Dazu zählt auch die Frage, durch welche Strukturen, Mechanismen und Rollen eine professionelle Wahrnehmung der Inhaberrolle gewährleistet wird. Wenn diese Dinge unklar sind, werden sich wirklich gute Kandidaten für die operative Führung oder auch für einen Beirat nicht gewinnen lassen. Denn die wirklich guten Kandidaten haben immer auch interessante Alternativen und lassen sich nicht ohne Not auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ein.
Unternehmerfamilien sind selten in der Lage, allein mit dieser Fragestellung umzugehen. Auch die normalerweise anzutreffenden Berater (Anwälte, Steuerberater, Unternehmensberater) sind für diese Thematik in den seltensten Fällen geeignet. Ihr Einsatz setzt normalerweise voraus, dass die Inhaberfamilie jedenfalls in den fundamentalen Fragen bereits ein Mindestmaß an Einigkeit zeigt, dass sie „weiß, was sie will“ – und es kompetente Ansprechpartner gibt, die einen für diese Berater „bearbeitbaren“ Auftrag vergeben.
Daher werden spezialisierte Berater gebraucht, die sich in diesem speziellen Umfeld mit seinen Fragestellungen, Herausforderungen und menschlichen Gemengelagen auskennen:
- Sie helfen den Mitgliedern der Inhaberfamilie, Klarheit und Einigkeit über die Grundfesten zu erlangen.
- Sie stellen sicher, dass die Rollen für die konkrete Situation sachgerecht definiert sind und die richtigen Leute die richtigen Rollen wahrnehmen.
- Sie unterstützen dabei, die vorhandenen Kandidaten (einschließlich interessierter Mitglieder der „Next Generation“) für die Schlüsselrollen zu evaluieren (Eignung, Haltung, Motivation).
- Und sie können ggf. helfen, passende externe Führungstalente und Beiratsmitglieder für das Unternehmen zu gewinnen.
Die Erfahrung zeigt, dass es hierfür keine Patentrezepte oder Zauberformeln gibt. Stattdessen braucht es strukturierte, kompetent moderierte Diskussionsprozesse, die für echtes Verständnis, positives Momentum und ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl sorgen – und umsetzbare Ergebnisse produzieren. Zugleich benötigt man häufig eine professionelle Evaluierung interner und gegebenenfalls externer Kandidaten im Abgleich zu eindeutigen Anforderungsprofilen für die Schlüsselrollen. Manchmal muss dies auch ergänzt werden durch die Gewinnung neuer geeigneter Talente. Schließlich sollte eine solche Transformation unter Umständen auch in der Umsetzung begleitet werden. Durch eine kompetente Moderation und ein „Frühwarnsystem“ kann dann Konflikten vorgebeugt werden.
Auf diese Weise wird verhindert, dass „die Familie das Unternehmen zerstört oder das Unternehmen die Familie“.